Synode: Experte Söding betont Miteinander von Bischöfen und Laien
„Die Bischöfe allein
können gar nichts machen, wenn sie nicht auch in ihren Diözesen und in den Gemeinden
motivieren können und auch Menschen finden, die von sich aus bereit sind, Verantwortung
zu übernehmen, wenn sie die entsprechende Kompetenz haben.“ Das sagt der deutsche
Neutestamentler Thomas Söding nach zwei Wochen Weltbischofssynode im Vatikan gegenüber
Radio Vatikan. Er hat als Experte die Beratungen in der Aula und den Sprachgruppen
verfolgt. Im Interview mit Birgit Pottler spricht er über die großen Linien der Synode,
über die notwendige Verbindung zwischen Textkritik und dem Glauben der Kirche, die
Rolle der Kirche in der Gesellschaft von heute und das Thema Freiheit.
Der
Papst hat es angesprochen und ich denke, es trifft auch den Geist dieser Versammlung:
Der Graben wischen historisch-kritischer Forschung und geistlicher Bibellektüre muss
überwunden werden. Das bedeutet zunächst, dass man diesen Graben wahrnehmen muss.
Ist das richtig?
Das hängt daran, dass die historisch-kritische Methode
die Bibel als ein Buch der Vergangenheit betrachtet. Der geistlichen Schriftlesung
geht es aber um die gegenwärtige Bedeutung der Bibel. Die Kunst des Brückenbaus würde
darin bestehen, dieses vergangene Bibelwort heute neu zu entdecken, und das geht nur,
wenn man es auf das lebendige Wort Gottes bezieht.
Haben Sie auch aus Ihrer
Praxis an der Universität das ein oder andere Beispiel?
Ich sehe an der
Universität zunächst einmal ein ganz starkes Interesse der jungen Leute. Das sind
intelligente junge Leute, die sich für Theologie und Kirche interessieren, „back to
the roots“ zu gehen, die Grunddokumente der Bibel zu studieren und genau kennenzulernen.
Da geht es in erster Linie nicht darum, zu schauen, was es mir jetzt sagt. Ich meine,
dass für eine Theologin oder einen Theologen dieser Rückgang auf die Bibel in der
ursprünglichen Gestalt eine ungeheuer wichtige Horizonterweiterung ist und vielleicht
auch eine gewisse Zeit auf die unmittelbare Nutzanwendung verzichtet werden muss.
Aber notwendig ist dann auch in diesen exegetischen Rückgang jeweils die Gottesfrage
zu stellen, den Glauben derer zur Sprache zu bringen, denen die Bibel sich am Ende
verdankt. Sodass von dort her dann auch eine Vergegenwärtigung möglich ist. Aber ich
bin dann eher dafür, dass man die Gattungen unterscheidet und sagt: Universität ist
Universität, da begegnet man dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift, wie es damals
gewesen ist und man die Ausgangspunkte markiert. Aber es gibt nicht nur die Universität
– Gott sei Dank – sondern es gibt die Kirche, die Gemeinde, und die meisten Studierenden
sind auch da engagiert.
Damit sind wir beim nächsten großen Thema: Schon
bei den Wortmeldungen im ersten Teil der Synode, als auch in den Sprachzirkeln: Die
„lectio divina“. Sie war in aller Munde und wird wohl auch in die Propositiones für
den Papst als ein Vorschlag einfließen. Zunächst noch einmal ganz grundlegend: Was
ist das eigentlich?
Die „lectio divina“ – also geistliche Schriftlesung,
wie wir es auf Deutsch sagen würden – ist eine Schriftlesung, die nicht unbedingt
einen wissenschaftlichen Apparat braucht, aber die schon Interesse hat an der Wahrnehmung
des biblischen Textes so, wie er in der Bibel steht. Also Konzentration auf das geschriebene
Wort ist immer der erste Schritt. Zum zweiten geht es um die Frage, ob es auch eine
Technik gibt, in der der Geist im Buchstaben zu spüren ist, und zwar so, wie er jetzt
hier in dieser Situation, in dieser Gemeinschaft in dieser Person wirkt. Und das ist
nicht ohne Gebet möglich, das möglichst biblisch inspiriert ist, und ohne eine Zeit
der Stille geht es und ohne ein Gespräch geht es nicht. Aber ich bin der Meinung,
dass diese lectio divina auch nur davon profitieren kann, wenn sie sich nicht von
der Arbeit der Bibelwissenschaft abschottet, sondern wenn sie auch versucht aufzunehmen,
was die Bibliker über die Entstehungsgeschichte der Bibel sagen können. Da gibt es
sehr viele Hilfsmittel, viele Gruppen nutzen das auch: Und ich hör von denen, die
es nutzen, dass sie auch in ihrem geistlichen Leben bereichert worden seien.
Haben
Sie denn eine Bibelstelle parat, wo Sie sagen: Da geht es definitiv nicht ohne Erkenntnisse
der historisch-kritischen Forschung?
Bei jedem Paulusbrief ist das der Fall.
Das macht einen sehr großen Unterschied aus, ob man die Situation ungefähr kennt,
in der Paulus ein bestimmtes Wort gesprochen hat, oder ob man diese Situation nicht
kennt. Paulus spricht ja immer sehr stark in eine vorgegebene Fragestellung hinein
und markiert dann seine Position. Wenn ich allein die Einheitsübersetzung mir nehme
und die Einleitungen einmal durchlese, die es zu jedem einzelnen biblischen Buch gibt,
dann komme ich schon auf die richtige Fährte und kann dann sagen: Aha, das war der
Zusammenhang, das waren die Fragen, die damals thematisiert worden sind; und die sind
vielleicht gar nicht so weit entfernt von den Fragen, die auch heute noch wichtig
sind.
Welche weiteren Fragen sind den Synodenvätern wichtig gewesen?
Die
Synodenväter suchen jetzt tatsächlich nach einer konstruktiven Auseinandersetzung
mit dem Fundamentalismus. Das ist eigentlich ein großes Thema gewesen. Ich hätte das
in der Intensität vorher nicht erwartet. Nun kommt es aber darauf an, eine wirklich
katholische Antwort darauf zu entwickeln und nicht am Ende darauf zu spekulieren,
dass man den Fundamentalismus im eigenen Hause hat und ihn irgendwie kontrollieren
kann. Da gab es eine ganze Reihe von Ansätzen, von denen ich hoffe, dass sie künftig
verstärkt werden. Eine lectio divina zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer den
Gesamtzusammenhang der Schrift im Blick hat, dass sie die Liturgie der Kirche im Blick
hat, dass sie auch die anderen Instanzen des kirchlichen Lebens im Blick hat und dass
sie danach sucht, wie kann diese kleine Gruppe, die da lectio divina macht, der ganzen
Kirche dienen. Ich hoffe aber, dass es keine Angst vor der Beschäftigung
mit der wissenschaftlichen Exegese, keine Angst vor der historischen Kritik gibt.
Die Menschen, die heute lectio divina treiben, sind ja aufgeklärte Menschen! Die müssen
auch auf der Höhe ihres intellektuellen Lebens angesprochen werden; und es ist einfach
so, dass durch die Medien, durch die Schulen in allen Bereichen auch so etwas auf
unterschiedlichen Ebenen eine kritische Kompetenz gibt. Es wäre merkwürdig, wenn es
in der Bibel nicht der Fall wäre. Mit einer Infantilisierung der Bibellektüre wäre
niemandem geholfen.
Moderne Kommunikationsmittel wurden vermehrt angesprochen,
auch ein Diskurs mit der heutigen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen. „Eine Sprache
für Jugendliche finden“ war verschiedentlich zu hören. Glauben Sie, es wird jetzt
in der letzten Synodenwoche konkrete Vorschläge geben, oder bleibt es bei allgemeinen
Wünschen?
Das bleibt abzuwarten. Ich bin nicht dafür, dass man so eine Art
globalen Masterplan der katholischen Kirche für die Bibelarbeit der nächsten zehn
Jahre geben würde. Das muss auf jeden Fall scheitern! Aber Frage ist: Wie stellt sich
die Kirche zur Gegenwart und zur gegenwärtigen Kultur? Und da hat man leider Gottes
sehr viele Stimmen gehört, die nur das negative der Gegenwart dargestellt haben. Ich
selber habe Kinder: Meine Kinder würden sich nie in dieser Beschreibung ihrer gegenwärtigen
Lebenssituation wieder erkennen. Natürlich gibt es diese Ambivalenz durch die Globalisierung,
durch den Individualismus… das baut ja auch einen Stress auf, dem viele nicht gewachsen
sind. Aber wir haben gegenwärtig als katholische Kirche so viele Verbündete in der
Welt der Intellektuellen, in der Welt der Wissenschaftler und nicht nur dort! Auch
in der Welt derer, die sich um Erziehung kümmern vom Kindergarten an bis zum Gymnasium:
Ich habe den Eindruck, dass man di vor den Kopf stößt, wenn man nur mit dieser Schwarzweißmalerei
arbeitet. Wir brauchen Differenziertheit und wir dürfen vor allem nicht die Brücken
abbauen, die es auch gegenwärtig gibt und in der gegenwärtigen Kultur mit ihrem großen
Thema Freiheit. Das wird von der Bibel nicht zerstört, sondern die Freiheit wird sozusagen
geklärt und angesprochen und über ihre eigenen Grenzen hinausgeführt.
Es
sind so viele Laien bei dieser Synode wie bei keiner zuvor. Hat sich das auf die Versammlung
ausgewirkt?
Die Laien sind ja einerseits bei den Experten, die eher im Hintergrund
arbeiten. Bei den Hörern war es so, dass wir eine breite Palette von sehr interessanten
Bewegungen in der katholischen Kirche gehört haben: Ordensgemeinschaften, neue geistliche
Gemeinschaften, Familien, die von ihren Projekten berichtet haben. Das hat mich sehr
beeindruckt, das hat sehr beeindruckt. Ich kann nur hoffen, dass die Bischöfe genau
zugeschaut haben. Es kommt viel auf die Bischöfe an, aber die Bischöfe allein können
gar nichts machen, wenn sie nicht auch in ihren Diözesen und in den Gemeinden motivieren
können und auch Menschen finden, die von sich aus bereit sind, Verantwortung zu übernehmen,
wenn sie die entsprechende Kompetenz haben.