2008-10-17 11:39:57

Irak: Exodus


RealAudioMP3 Die Flucht von Christen aus Mossul hält an. Morde an fast fünfzehn ihrer Glaubensbrüder haben ihnen in den letzten Tagen vor Augen geführt, dass sie in der Stadt nicht erwünscht und nicht mehr sicher sind. Nach Agenturangaben haben in den letzten zwei Wochen etwa 15.000 Christen die Stadt mit Sack und Pack verlassen. Großayatollah Mohammed Bakir al-Nassiri ruft in einer Fatwa – einem islamischen Rechtsgutachten – alle Moslems dazu auf, den bedrohten Christen von Mossul zu helfen. al-Nassiri ist einer der respektiertesten Schiiten-Führer im Irak. Die Verfolgung von Christen in Mossul ist für ihn ein Versuch „auswärtiger und innerer Kräfte“ im Irak, das Land zu spalten.

„Ja, das Problem ist wirklich, dass obskure Kräfte die Einheit der Nation zerreißen wollen“, meint auch Philippe Najim, Apostolischer Visitator für chaldäische Christen in Europa. „Sie wollen Chaos hervorrufen und den Friedensprozeß im Land torpedieren; vorher gab es all diese Spaltungen gar nicht. Und darum ist das ein Problem, das nicht nur die Christen betrifft.“

Die Nachrichtenagentur Aina gibt an, die meisten Christen, die Mossul verließen, flüchteten in assyrische Dörfer in der Ebene von Ninive. Die Angriffe auf Christen sind nach Darstellung der Agentur planmäßig und durchdacht; als Schuldige kämen al-Quaida und ähnliche Gruppen in Frage, diese stritten allerdings jede Beteiligung ab. Ein Abgeordneter des Bagdader Parlaments beschuldigt hingegen Kurden, hinter der anti-christlichen Kampagne zu stehen: Sie wollten dadurch die demographische Balance in Mossul zu ihren Gunsten verändern. Tatsächlich ereigneten sich die meisten Angriffe im kurdisch dominierten Teil von Mossul. Die Europäische Union hat die Angriffe auf Christen in der Stadt scharf verurteilt; der „Assyrische Weltbund“ bittet die UNO um Schutz für verfolgte Christen im Irak.

„Die Flüchtlinge aus Mossul sind in einer sehr schwierigen Lage“, so Najim: „Tausende hausen rund um die Klöster oder Kirchen im Nordirak, und unsere Bischöfe, Priester und Mönche öffnen die Türen und helfen, wo sie können... eine dramatische und eine bittere Lage.“

Dutzende von Christen haben am Donnerstag in einem südlichen Stadtteil von Bagdad gegen die Gewalt an Christen demonstriert. An der Veranstaltung nahmen auch mehrere islamische Stammesführer teil. Der Kirchenrat des Nahen Ostens – mit Sitz in Beirut – ruft die irakische Regierung dazu auf, mehr gegen die Christenverfolgung zu tun. Vom britischen Cambridge aus warnten ca. vierzig christliche und islamische Gesprächspartner davor, „die jahrhundertealte Tradition des Schutzes von Christen in mehrheitlich islamischen Ländern auszuhöhlen“. Unter den Teilnehmern der Konferenz war der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, und Ägyptens Großmufti, Scheich Ali Gomaa. Nach Agenturangaben verurteilen auch die irakische Presse und die Organisation der Islam-Konferenz alle Angriffe auf Christen scharf.

In Berlin forderte der Menschenrechts-Ausschuss des Deutschen Bundestages eine sofortige Aufnahme von irakischen Flüchtlingen in Deutschland. Die Bundesregierung solle schutzbedürftigen Irakern eine so genannte Kontingentlösung anbieten, so die Vertreter von CDU/CSU, SPD und Grünen im Ausschuss. FDP und Linkspartei trugen die Resolution nicht mit. Das deutsche Innenministerium wies die Forderung zurück: Es gelte, erst einmal das nächste Treffen der EU-Innenminister abzuwarten. Ende November soll es in Brüssel stattfinden. Sollten sich die Minister für eine geregelte Aufnahme von Irakern entscheiden, werde auch Deutschland seinen Teil beitragen.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat die Bundesregierung und die Europäische Union wegen ihres abwartenden Verhaltens zur Aufnahme von irakischen Flüchtlingen kritisiert. Angesichts der Schreckensmeldungen von Übergriffen auf irakische Christen seien die monatelangen Diskussionen ein Armutszeugnis. Die von der EU beschlossene Expertenkommission werde kaum neue Erkenntnisse zu Tage fördern. „Das alles gleicht vielmehr einer Hinhaltetaktik“, so der Verband. Entgegen der Ankündigung des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki vom Juli habe sich die Sicherheits- und politische Lage im Irak für Minderheiten kaum verbessert. Vielen sei die Rückkehr in den Irak mittelfristig nicht zuzumuten. „Ein ähnlich beherztes europäisches Vorgehen wie hinsichtlich der Weltfinanzkrise wäre zu wünschen“, so die katholischen Laien.

(rv/aina/apic/kna/div 17.10.2008)








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