Die Flucht von Christen
aus Mossul hält an. Morde an fast fünfzehn ihrer Glaubensbrüder haben ihnen in den
letzten Tagen vor Augen geführt, dass sie in der Stadt nicht erwünscht und nicht mehr
sicher sind. Nach Agenturangaben haben in den letzten zwei Wochen etwa 15.000 Christen
die Stadt mit Sack und Pack verlassen. Großayatollah Mohammed Bakir al-Nassiri ruft
in einer Fatwa – einem islamischen Rechtsgutachten – alle Moslems dazu auf, den bedrohten
Christen von Mossul zu helfen. al-Nassiri ist einer der respektiertesten Schiiten-Führer
im Irak. Die Verfolgung von Christen in Mossul ist für ihn ein Versuch „auswärtiger
und innerer Kräfte“ im Irak, das Land zu spalten.
„Ja, das Problem ist wirklich,
dass obskure Kräfte die Einheit der Nation zerreißen wollen“, meint auch Philippe
Najim, Apostolischer Visitator für chaldäische Christen in Europa. „Sie wollen Chaos
hervorrufen und den Friedensprozeß im Land torpedieren; vorher gab es all diese Spaltungen
gar nicht. Und darum ist das ein Problem, das nicht nur die Christen betrifft.“
Die
Nachrichtenagentur Aina gibt an, die meisten Christen, die Mossul verließen, flüchteten
in assyrische Dörfer in der Ebene von Ninive. Die Angriffe auf Christen sind nach
Darstellung der Agentur planmäßig und durchdacht; als Schuldige kämen al-Quaida und
ähnliche Gruppen in Frage, diese stritten allerdings jede Beteiligung ab. Ein Abgeordneter
des Bagdader Parlaments beschuldigt hingegen Kurden, hinter der anti-christlichen
Kampagne zu stehen: Sie wollten dadurch die demographische Balance in Mossul zu ihren
Gunsten verändern. Tatsächlich ereigneten sich die meisten Angriffe im kurdisch dominierten
Teil von Mossul. Die Europäische Union hat die Angriffe auf Christen in der Stadt
scharf verurteilt; der „Assyrische Weltbund“ bittet die UNO um Schutz für verfolgte
Christen im Irak.
„Die Flüchtlinge aus Mossul sind in einer sehr schwierigen
Lage“, so Najim: „Tausende hausen rund um die Klöster oder Kirchen im Nordirak, und
unsere Bischöfe, Priester und Mönche öffnen die Türen und helfen, wo sie können...
eine dramatische und eine bittere Lage.“
Dutzende von Christen haben am Donnerstag
in einem südlichen Stadtteil von Bagdad gegen die Gewalt an Christen demonstriert.
An der Veranstaltung nahmen auch mehrere islamische Stammesführer teil. Der Kirchenrat
des Nahen Ostens – mit Sitz in Beirut – ruft die irakische Regierung dazu auf, mehr
gegen die Christenverfolgung zu tun. Vom britischen Cambridge aus warnten ca. vierzig
christliche und islamische Gesprächspartner davor, „die jahrhundertealte Tradition
des Schutzes von Christen in mehrheitlich islamischen Ländern auszuhöhlen“. Unter
den Teilnehmern der Konferenz war der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Rowan
Williams, und Ägyptens Großmufti, Scheich Ali Gomaa. Nach Agenturangaben verurteilen
auch die irakische Presse und die Organisation der Islam-Konferenz alle Angriffe auf
Christen scharf.
In Berlin forderte der Menschenrechts-Ausschuss des Deutschen
Bundestages eine sofortige Aufnahme von irakischen Flüchtlingen in Deutschland. Die
Bundesregierung solle schutzbedürftigen Irakern eine so genannte Kontingentlösung
anbieten, so die Vertreter von CDU/CSU, SPD und Grünen im Ausschuss. FDP und Linkspartei
trugen die Resolution nicht mit. Das deutsche Innenministerium wies die Forderung
zurück: Es gelte, erst einmal das nächste Treffen der EU-Innenminister abzuwarten.
Ende November soll es in Brüssel stattfinden. Sollten sich die Minister für eine geregelte
Aufnahme von Irakern entscheiden, werde auch Deutschland seinen Teil beitragen.
Das
Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat die Bundesregierung und die Europäische
Union wegen ihres abwartenden Verhaltens zur Aufnahme von irakischen Flüchtlingen
kritisiert. Angesichts der Schreckensmeldungen von Übergriffen auf irakische Christen
seien die monatelangen Diskussionen ein Armutszeugnis. Die von der EU beschlossene
Expertenkommission werde kaum neue Erkenntnisse zu Tage fördern. „Das alles gleicht
vielmehr einer Hinhaltetaktik“, so der Verband. Entgegen der Ankündigung des irakischen
Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki vom Juli habe sich die Sicherheits- und politische
Lage im Irak für Minderheiten kaum verbessert. Vielen sei die Rückkehr in den Irak
mittelfristig nicht zuzumuten. „Ein ähnlich beherztes europäisches Vorgehen wie hinsichtlich
der Weltfinanzkrise wäre zu wünschen“, so die katholischen Laien.