Papst Benedikt XVI. hat die Christen aufgerufen, für Migranten und Flüchtlinge einzustehen.
Das schreibt er in der Botschaft zum 95. Welttag der Migranten und Flüchtlinge, der
am 18. Januar 2009 begangen wird. Der Papst beruft sich auf die Figur des Völkerapostels
Paulus, der als Migrant die Frohe Botschaft an fremde Völker verkündete. Jede christliche
Gemeinschaft müsse „den gleichen apostolischen Eifer wie der Heilige Paulus pflegen“,
so der Papst. Wichtig sei, dass man als Christ solidarisch mit den Migranten sei und
„in allen Teilen der Welt und mit allen Mitteln“ das friedliche Miteinander der verschiedenen
Ethnien, Kulturen und Religionen fördere.
(rv 08.10.2008 mg)
Hier
der Wortlaut der Papst-Botschaft zum Welttag des Migranten Päpstliche Botschaft
des Heiligen Vaters, Benedikt XVI. zum 95. Welttag des Migranten und Flüchtlings
(2009)
(Thema:Der Heilige Paulus Migrant, ‘Völker-Apostel’)
Liebe
Brüder und Schwestern,
in diesem Jahr hat die Botschaft zum Welttag des Migranten
und Flüchtlings das Thema: »Der Heilige Paulus Migrant, ‘Völker-Apostel’«, und sie
ist inspiriert vom feierlichen Ereignis des Jubiläumsjahres, das ich zu Ehren des
Apostels anlässlich des 2000. Jahrestages seiner Geburt ausgerufen habe. Die Verkündigung
und das Werk der Vermittlung zwischen den verschiedenen Kulturen und dem Evangelium,
für das sich Paulus, der ein »Migrant aus Berufung« war, einsetzte, sind in der Tat
ein wichtiger Bezugspunkt auch für all jene Menschen, die von den gegenwärtigen Migrationsbewegungen
betroffen sind.
Als Sohn einer jüdischen Familie, die nach Tarsus in Zilizien
ausgewandert war, wurde Saulus in jüdischer und hellenistischer Sprache und Kultur
erzogen, wobei auch der kulturelle Kontext Roms eine wichtige Rolle spielte. Nachdem
er auf dem Weg nach Damaskus Christus begegnet war (vgl. Gal 1,13–16), widmete
er sich, obgleich er nie seine eigenen Traditionen verleugnete und dem Judentum sowie
dem Gesetz stets Achtung und Dankbarkeit entgegenbrachte (vgl. Röm 9,1–5; 10,1;
2 Kor 11,22; Gal 1,13–14; Phil 3,3–6), ohne Zögern und voller
Mut und Enthusiasmus seiner neuen Sendung, gemäß der Weisung des Herrn: »Brich auf,
denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden« (Apg 22,21). Sein Leben
änderte sich dadurch grundlegend (vgl. Phil 3,7–11): Christus wurde zum eigentlichen
Grund seines Daseins und zur Antriebskraft seines apostolischen Einsatzes im Dienst
am Evangelium. Vom Verfolger der Christen wurde er zum Apostel Christi.
Geleitet
vom Heiligen Geist, opferte er sich vorbehaltlos auf, um allen, ungeachtet ihrer Nationalität
oder Kultur, das Evangelium zu verkünden, das »eine Kraft Gottes [ist], die jeden
rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen« (Röm 1,16).
Auf seinen apostolischen Reisen verkündete er trotz aller Widerstände, auf die er
stieß, zuerst das Evangelium in den Synagogen, wobei er seinen Landsleuten in der
Diaspora besondere Aufmerksamkeit widmete (vgl. Apg 18,4–6). Wurde er von ihnen
zurückgewiesen, wandte er sich den Heiden zu und wurde so zu einem wahren »Missionar
der Migranten«, da er selbst ein Migrant und umherziehender Bote Gottes war, der jeden
Menschen dazu einlud, im Sohn Gottes eine »neue Schöpfung« zu werden (2 Kor 5,17).
Die
Verkündigung des Kerygma veranlasste ihn, die Meere des Nahen Ostens zu überqueren
und auf den Straßen Europas entlang zu ziehen, bis er schließlich nach Rom gelangte.
Er machte sich von Antiochien aus auf den Weg, wo er das Evangelium jenen Bevölkerungsgruppen
verkündigte, die nicht dem Judentum angehörten, und wo die Jünger Jesu zum ersten
Mal als »Christen« bezeichnet wurden (vgl. Apg 11,20.26). Sein Leben und seine
Verkündigung waren vollkommen auf das Ziel ausgerichtet, dass Jesus von allen erkannt
und geliebt werde, da alle Völker dazu berufen sind, in Ihm zu einem Volk zu werden.
Darin
besteht auch in der gegenwärtigen Zeit, im Zeitalter der Globalisierung, der Sendungsauftrag
der Kirche und eines jeden Getauften. Eine Sendung, bei der sich die aufmerksame pastorale
Sorge auch auf die vielgestaltige Welt der Migranten richtet – Studenten im Ausland,
Immigranten, Flüchtlinge, Vertriebene und Evakuierte –, einschließlich all jener,
die Opfer der modernen Formen der Sklaverei, wie etwa des Menschenhandels, sind. Auch
heute muss die Botschaft vom Heil mit der gleichen inneren Haltung vermittelt werden,
durch die sich der Völkerapostel auszeichnete, wobei die verschiedenen sozialen und
kulturellen Situationen ebenso berücksichtigt werden müssen wie die besonderen Schwierigkeiten,
mit denen einige Menschen aufgrund ihrer Situation als Migranten und Menschen unterwegs
konfrontiert sind. Es ist mein Wunsch, dass jede christliche Gemeinschaft den gleichen
apostolischen Eifer wie der hl. Paulus pflegen möge, der allen die heilbringende Liebe
des Vaters verkündete (Röm 8,15–16; Gal 4,6), um »möglichst viele [für
Christus] zu gewinnen« (1 Kor 9,19), wobei er »den Schwachen ein Schwacher
… und allen alles [geworden ist], um auf jeden Fall einige zu retten« (1 Kor 9,22).
Sein Vorbild sporne auch uns dazu an, diesen unseren Brüdern und Schwestern unsere
Solidarität zu zeigen und in allen Teilen der Welt und mit allen Mitteln das friedliche
Miteinander der verschiedenen Ethnien, Kulturen und Religionen zu fördern.
Worin
aber bestand das Geheimnis des Völkerapostels? Der missionarische Eifer und der Kampfgeist,
durch die er sich auszeichnete, lassen sich durch die Tatsache erklären, dass er »von
Christus ergriffen« (Phil 3,12) war und so eng mit Ihm verbunden blieb, dass
er an seinem Leben Anteil hatte »durch die Gemeinschaft mit seinen Leiden« (Phil
3,10; vgl. auch Röm 8,17; 2 Kor 4,8–12; Kol 1,24). Dies ist die
Quelle des apostolischen Eifers des hl. Paulus, der über sich erzählt: »…Gott, der
mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, [offenbarte]
mir in seiner Güte seinen Sohn, damit ich ihn unter den Heiden verkündige…« (Gal
1,15–16; vgl. auch Röm 15,15–16). Mit Christus fühlte er sich »mit-gekreuzigt«,
so dass er schließlich von sich sagen konnte: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus
lebt in mir« (Gal 2,20). Und keine Schwierigkeit konnte ihn davon abhalten,
sein mutiges Werk der Evangelisierung in kosmopolitischen Städten wie Rom und Korinth
fortzusetzen, deren Bevölkerung zu jener Zeit wie ein Mosaik aus verschiedensten Ethnien
und Kulturen zusammengesetzt war.
Wenn wir die Apostelgeschichte und die Briefe
lesen, die Paulus an verschiedene Empfänger richtet, erkennen wir das Modell einer
Kirche, die niemanden ausschließt, sondern die offen ist für alle und von Gläubigen
aller Kulturen und Rassen gebildet wird: Jeder Getaufte ist nämlich lebendiges Glied
des einen Leibes Christi. Unter diesem Gesichtspunkt erhält die brüderliche Solidarität,
die konkret Ausdruck findet in den täglichen Gesten des Teilens, der Anteilnahme und
der freudigen Sorge um die Mitmenschen, eine einzigartige Bedeutung. Der hl. Paulus
lehrt uns jedoch, dass es nicht möglich ist, diese Dimension gegenseitiger brüderlicher
Annahme in die Tat umzusetzen, wenn wir nicht bereit sind zum Hören und zur Aufnahme
des verkündeten und gelebten Wortes Gottes (vgl. 1 Thess 1,6). Dieses Wort
ruft alle zur Nachfolge Christi (vgl. Eph 5,1–2) auf den Spuren des Apostels
auf (vgl. 1 Kor 11,1). Je mehr also die Gemeinde mit Christus vereint ist,
umso mehr wird sie sich der Sorgen ihrer Mitmenschen annehmen, wobei sie Verurteilungen,
Verachtung und Anstoßerregendes zu vermeiden sucht und für die gegenseitige Annahme
offen ist (vgl. Röm 14,1–3; 15,7). Die Gläubigen, die Christus gleichförmig
werden, erkennen sich in Ihm als »Brüder«, als Kinder des einen Vaters (Röm
8,14–16; Gal 3,26; 4,6). Diese so wertvolle Brüderlichkeit macht sie bereit,
»jederzeit Gastfreundschaft zu gewähren« (vgl. Röm 12,13), welche die Erstlingsfrucht
der Agape ist (vgl. 1 Tim 3,2; 5,10; Tit 1,8; Phlm 17).
Auf
diese Weise verwirklicht sich die Verheißung des Herrn: »Dann will ich euch aufnehmen
und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein« (2 Kor 6,17–18).
Wie könnten wir uns, erfüllt von diesem Bewusstsein, nicht um jene Menschen kümmern,
die in schwierigen Notsituationen leben, wie etwa die Flüchtlinge und Vertriebenen?
Wie könnten wir nicht den Bedürfnissen jener Menschen abhelfen, die schwach und schutzlos
sind, in prekären und unsicheren Situationen leben und die an den Rand der Gesellschaft
gedrängt oder völlig aus ihr ausgeschlossen werden? Gemäß den Worten eines bekannten
Textes des hl. Paulus muss diesen Menschen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden:
»Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu Schanden zu machen …
und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts
ist, um das was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott«
(1 Kor 1,27–29).
Liebe Brüder und Schwestern, der Welttag des Migranten
und Flüchtlings, der am 18. Januar 2009 begangen wird, sei für alle ein Ansporn, ohne
jegliche Unterschiede und Diskriminierungen die brüderliche Nächstenliebe in Fülle
zu leben. Lassen wir uns dabei vom Bewusstsein tragen, dass all jene unsere Nächsten
sind, die unsere Hilfe brauchen und denen wir helfen können (vgl. Deus caritas
est, 15). Die Lehre und das Beispiel des hl. Paulus, jenes großen und demütigen
Apostels und Migranten, der so vielen Völkern und Kulturen das Evangelium verkündete,
mögen uns erkennen lassen, dass die praktizierte Nächstenliebe der Höhepunkt und die
Zusammenfassung des gesamten christlichen Lebens ist. Das Gebot der Liebe – und dies
wissen wir nur allzu gut – wird dann erfüllt, wenn die Jünger Christi gemeinsam am
Tisch der Eucharistie teilhaben, die das Sakrament der Brüderlichkeit und der Liebe
schlechthin ist. Und so wie Jesus uns im Abendmahlssaal neben dem Geschenk der Eucharistie
auch das neue Gebot der brüderlichen Nächstenliebe gab, so sollen auch seine »Freunde«
auf den Spuren Christi, der zum »Diener« der Menschen wurde, und geleitet von seiner
Gnade, ganz einander dienen und sich umeinander kümmern, so wie es uns der hl. Paulus
selbst empfohlen hat: »Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gebot Christi
erfüllen« (Gal 6,2). Nur so wird die Liebe unter den Gläubigen und zu allen
anderen Menschen wachsen (vgl. 1 Thess 3,12).
Liebe Brüder und Schwestern,
lasst uns unablässig diese »Frohe Botschaft« verkünden und bezeugen, und lasst uns
dies tun voll Begeisterung, furchtlos und mit dem vollen Einsatz unserer Kräfte! In
der Liebe ist die ganze Botschaft des Evangeliums enthalten, und wir erkennen die
Jünger Christi an ihrer Liebe zueinander und an ihrer Gastfreundschaft gegenüber allen
anderen. Diese Gabe erwirke uns der Apostel Paulus und insbesondere Maria, die Mutter
der Aufnahme und Liebe. Während ich den göttlichen Beistand auf all jene, die den
Migranten zur Seite stehen, sowie auf die gesamte Welt der Migration herabrufe, versichere
ich einen jeden meines ständigen Gedenkens im Gebet und erteile von Herzen meinen
Apostolischen Segen.
Aus Castel Gandolfo, 24. August 2008 Benedikt XVI.