2008-10-06 11:48:30

USA: Die Schäfchen vom Capitol Hill


RealAudioMP3 Das Gesetz zur Rettung von Wallstreet ist durch. Nun geht das Bangen weiter, wen es denn noch so alles treffen wird. Kurz vor der Entscheidung vom vergangenen Freitag hatte Bischof William Murphy von Rockville Centre, New York,  der Vorsitzende des Kommitees für Gerechtigkeit und menschliche Entwicklung der US-Bischöfe, an die Politiker einen Brief geschrieben. Darin bat er eindringlich, die „menschlichen und moralischen Konsequenzen” ihrer Entscheidung in Betracht zu ziehen. Ausserdem forderte er, dass die für die Krise Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.  Und er erinnerte an die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität. Ob der Brief gelesen wurde? Pastor Barry Black ist der derzeitige geistliche Berater im US-Senat, ein ehemaliger Militärkaplan und Angehöriger der Mormonen. Er warnt in einem Interview mit „Interfaith Voices“ davor, den spirituellen Tiefgang von Senatoren und Politikern überhaupt zu unterschätzen. Barry Black, der sich als als geistlicher Fitnesstrainer versteht, sagt:

„Ich sehe über 40 der 100 Senatoren jede Woche aus nächster Nähe, bei persönlichen Gesprächen, in der Messe, bei Bibelabenden. Das sind spirituelle Diskussionen, und diese Unterhaltungen bereiten die Senatoren vor auf solche tumultartigen Augenblicke, wie wir sie gerade erleben. Es kommt durchaus  vor, dass einer mich fragt, Hör mal, Junge, wie denkts du über diesen oder jenen Punkt. Und auch wenn ich unparteiisch bin und keine öffentliche Stellung beziehe, so rede ich frei von der Leber weg, was ich denke und fühle. Wenn man bedenkt, dass sie Woche für Woche meinen Predigten zuhören, ist es verständlich, dass sie meine Position von einem theologischen und ethischen Standpunkt aus hören wollen, bevor sie eine Entscheidung treffen.“

Pastor Blacks zwei prominenteste Kunden derzeit sind wohl Barack Obama und John Mac Cain – die zwei Politiker, die in einem knappen Monat das Weiße Haus erobern wollen. Jetzt, in der heißen Phase des Wahlkampfs, dürften sie allerdings für die Gottesdienste auf Washingtons Capitol Hill keine Zeit mehr haben.

„Ich betreue rund 7 000 Menschen, das sind nicht nur die 100 Senatoren, auch ihre Familien, und das ganze Personal. Ausser der reinen Seelsorge gebe ich auch Führungsworkshops. Es ist eine kleine Pfarrei, doch kommen auch Nichtchristen zu unseren Veranstaltungen.  Und wir laden ganz bewusst auch Sprecher anderer Religionen ein, einen Rabbi bei den jüdischen Festtagen, einen Imam bei den islamischen.“

Tiefe Frömmigkeit und gleichzeitig fröhliche Anleihen bei anderen christlichen Konfessionen oder gar anderen Religionen – das paßt in den USA auf eine Art und Weise zusammen, die Europäer eher verstört. Der Papst wurde bei seinem USA-Besuch im letzten April von Anhängern aller möglichen christlichen Gruppierungen und auch sektenähnlichen Bewegungen einhellig als religiöser Führer begrüßt.

„Ich finde, dass die Öffentlichkeit durchaus wissen soll, dass es Senatoren in Washington gibt, deren Spiritualität meine eigene in den Schatten stellt. Einer hat zum Beispiel in zehn Jahren keine einzige Bibelstunde verpasst. Und das trotz eines vollen Terminkalenders, wie ich mir vorstellen kann. Es gibt Senatoren, die privat beten, ich würde sagen mit olympischer Spiritualität, Senatoren, die geistlich total fit sind.“

Der Capitol Hill hat zwei Kapläne, einer betreut den Kongress, der andere den Senat. Im Kongreß wurde im Jahr 2000 mit Daniel Coughlin erstmals seit 1833 wieder ein Katholik installiert. Und im Senat ist mit Pastor Barry Black erstmals ein Mormone vertreten, also ein Angehöriger der so genannten Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die in Europa vielen als Sekte gilt.

(brigitte fairbanks, USA/Mexiko – rv 06.10.2008 sk)








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