Das Gesetz zur Rettung
von Wallstreet ist durch. Nun geht das Bangen weiter, wen es denn noch so alles treffen
wird. Kurz vor der Entscheidung vom vergangenen Freitag hatte Bischof William Murphy
von Rockville Centre, New York, der Vorsitzende des Kommitees für Gerechtigkeit und
menschliche Entwicklung der US-Bischöfe, an die Politiker einen Brief geschrieben.
Darin bat er eindringlich, die „menschlichen und moralischen Konsequenzen” ihrer Entscheidung
in Betracht zu ziehen. Ausserdem forderte er, dass die für die Krise Verantwortlichen
zur Rechenschaft gezogen werden. Und er erinnerte an die Prinzipien von Solidarität
und Subsidiarität. Ob der Brief gelesen wurde? Pastor Barry Black ist der derzeitige
geistliche Berater im US-Senat, ein ehemaliger Militärkaplan und Angehöriger der Mormonen.
Er warnt in einem Interview mit „Interfaith Voices“ davor, den spirituellen Tiefgang
von Senatoren und Politikern überhaupt zu unterschätzen. Barry Black, der sich als
als geistlicher Fitnesstrainer versteht, sagt:
„Ich sehe über 40 der 100
Senatoren jede Woche aus nächster Nähe, bei persönlichen Gesprächen, in der Messe,
bei Bibelabenden. Das sind spirituelle Diskussionen, und diese Unterhaltungen bereiten
die Senatoren vor auf solche tumultartigen Augenblicke, wie wir sie gerade erleben.
Es kommt durchaus vor, dass einer mich fragt, Hör mal, Junge, wie denkts du über
diesen oder jenen Punkt. Und auch wenn ich unparteiisch bin und keine öffentliche
Stellung beziehe, so rede ich frei von der Leber weg, was ich denke und fühle. Wenn
man bedenkt, dass sie Woche für Woche meinen Predigten zuhören, ist es verständlich,
dass sie meine Position von einem theologischen und ethischen Standpunkt aus hören
wollen, bevor sie eine Entscheidung treffen.“
Pastor Blacks zwei prominenteste
Kunden derzeit sind wohl Barack Obama und John Mac Cain – die zwei Politiker, die
in einem knappen Monat das Weiße Haus erobern wollen. Jetzt, in der heißen Phase des
Wahlkampfs, dürften sie allerdings für die Gottesdienste auf Washingtons Capitol Hill
keine Zeit mehr haben.
„Ich betreue rund 7 000 Menschen, das sind nicht
nur die 100 Senatoren, auch ihre Familien, und das ganze Personal. Ausser der reinen
Seelsorge gebe ich auch Führungsworkshops. Es ist eine kleine Pfarrei, doch kommen
auch Nichtchristen zu unseren Veranstaltungen. Und wir laden ganz bewusst auch Sprecher
anderer Religionen ein, einen Rabbi bei den jüdischen Festtagen, einen Imam bei den
islamischen.“
Tiefe Frömmigkeit und gleichzeitig fröhliche Anleihen bei
anderen christlichen Konfessionen oder gar anderen Religionen – das paßt in den USA
auf eine Art und Weise zusammen, die Europäer eher verstört. Der Papst wurde bei seinem
USA-Besuch im letzten April von Anhängern aller möglichen christlichen Gruppierungen
und auch sektenähnlichen Bewegungen einhellig als religiöser Führer begrüßt.
„Ich
finde, dass die Öffentlichkeit durchaus wissen soll, dass es Senatoren in Washington
gibt, deren Spiritualität meine eigene in den Schatten stellt. Einer hat zum Beispiel
in zehn Jahren keine einzige Bibelstunde verpasst. Und das trotz eines vollen Terminkalenders,
wie ich mir vorstellen kann. Es gibt Senatoren, die privat beten, ich würde sagen
mit olympischer Spiritualität, Senatoren, die geistlich total fit sind.“
Der
Capitol Hill hat zwei Kapläne, einer betreut den Kongress, der andere den Senat. Im
Kongreß wurde im Jahr 2000 mit Daniel Coughlin erstmals seit 1833 wieder ein Katholik
installiert. Und im Senat ist mit Pastor Barry Black erstmals ein Mormone vertreten,
also ein Angehöriger der so genannten Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten
Tage, die in Europa vielen als Sekte gilt.