Manchmal scheint mir eine Bibelstelle wie ein Puzzlespiel mit mehreren Teilen zu sein,
die weit auseinander auf einer großen Tischplatte liegen. Die Detektivarbeit beginnt,
das Sichten der zusammenpassenden Teile, das Suchen nach einem gemeinsamen Thema,
das spannende Lösen des Rätsels.
Diesmal haben wir es mit einer besonderen
Stelle zu tun: Das Gleichnis von den bösen Winzern. Das ist mal etwas anderes. Bei
der Gattung „Gleichnis“ fällt einem natürlich sofort der „barmherzige Vater“, der
„gute Hirte“ und andere positiv klingende Evangelien ein, aber es gibt auch das andere,
das weniger Gute, das Böse. Gutes und Böses bilden einen Kontrast, der eine Unterscheidung
möglich macht und das Gute noch deutlicher zum Vorschein bringt. Es stellt sich die
Frage, was Menschen bewegt, böse zu sein? Schon oft habe ich die Erfahrung gemacht,
dass „böse“ Menschen schlichtweg „traurige“ Menschen sind, die aufgrund ihres schweren
Schicksals hart und scheinbar böse geworden sind. Nur selten sind sie sich dieser
Tatsache bewusst. Wenn man sie behutsam aufmerksam macht, warum sie ihren Mitmenschen
in ihrer Bosheit bzw. ihrer Trauer begegnen, dann können sie ihren Panzer ablegen
und ganz anders, nämlich menschlich und zugänglich werden. Wut ist eine wichtige Form
der Trauer! Manchmal hilft es auch, wenn man die leidtragenden Angehörigen über diese
Zusammenhänge aufklärt. Sie können dann mit den Attacken ihrer Mitmenschen leichter
umgehen und sie in einem anderen Licht sehen – oft ist dann Veränderung möglich. Wer
nur gut ist oder sein will, überlässt den anderen das Bösesein. Manchmal kann
es sein, dass einem das Bösartige in Form einer Krankheit begegnet, dass guten Menschen
Böses widerfährt. Dann ist es notwendig, auf sich und seine Grenzen zu achten und
sich als Ebenbild Gottes wertzuschätzen. Schließlich soll man nicht nur den Nächsten
lieben, sondern auch sich selbst.
Doch beginnen wir nun mit dem Puzzlespiel:
Der Gutsbesitzer ist positiv gezeichnet, er sorgt sich um seine Güter, baut einen
schützenden Zaun um seinen Weinberg, sein Reich Gottes, verpachtet das Ganze an Winzer
und verlässt sich auf sie. Dann verreist er in ein anderes Land und meldet sich
erst wieder, als es Zeit ist für die Ernte.
„Aller guten Dinge sind drei“
– heißt es in einem Sprichwort. Die Zahl drei symbolisiert die Nähe Gottes. Der
Gutsbesitzer schickt drei seiner Knechte, die Propheten, zu den Winzern, um seine
Früchte abholen zu lassen. Die Winzer ergreifen seine Leute, den einen prügeln sie,
den anderen töten sie, einen dritten steinigen sie. Diese selbstherrliche Aktion
der Winzer wirft Fragen auf: wissen sie nicht, dass ihnen der Weinberg nicht gehört,
dass sie lediglich Pächter sind? Erkennen sie die Knechte nicht als Mitarbeiter des
Gutsbesitzers? Gibt es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Kompetenzen der
einzelnen Mitarbeiter des Gutsbesitzers, der Winzer bzw. Knechte?
Mal ganz
ehrlich: würden S I E nicht kurzen Prozess mit den Winzern machen, die mit Ihren
Mitarbeitern so schlecht umgehen? Was macht Gott, der Gutsbesitzer, er schickt daraufhin
andere Knechte, mehr als das erste Mal. Auch ihnen blüht ein bedauernswertes Schicksal.
Zuletzt, als drittes und kostbarstes Aufgebot – so heißt es - schickt er seinen
Sohn, in der Hoffnung, dass sie Achtung vor ihm haben werden. Auch er wird getötet.
wer ist gemeint? Der Evangelist Matthäus erzählt dieses Gleichnis so,
dass es auf historische Vorgänge Bezug nimmt und Raum lässt für persönliche Betrachtungen
...
Wir haben ein Evangelium vor uns, das helle und dunkle Teile enthält.
Wenn man es auf sich wirken lässt, kann man sich in beide Seiten hineinversetzen.
Jeder/jede von uns, hat dunkle und helle Anteile. Würden wir, als Winzer, die das
Weingut gepachtet haben, den ganzen Ertrag herausgeben, wenn er von uns gefordert
würde? Würden wir nicht einen Teil für uns zurückbehalten wollen – als Lohn für unsere
Arbeit?
Man fragt sich, warum in diesem Gleichnis so sehr das Böse-Sein der
Winzer im Mittelpunkt steht. Ist Gott zu gut, so dass er den anderen nur das Böse-Sein
überlässt? Ist Gott nachtragend? Trägt er das Böse nach? Als Beispiel für das Nachtragend-Sein
habe ich in meiner Tätigkeit in der Krankenhausseelsorge in Altötting eine bemerkenswerte
Situation erlebt: Eine Frau erzählte mir von ihrem bösen Mann, der sie betrogen hatte
und meinte: „Das trage ich ihm ewig nach!“ Während sie dies erzählte und mir auch
die Gründe für das Nachtragen nannte, kam mir ein Bild in den Sinn: ich stellte sie
mir vor, wie sie hinter ihrem Mann herging und all das, was sie ihm nachtragen wollte,
in zwei schweren Einkaufstaschen trug. Sie musste immer dahingehen, wo er war und
war nicht mehr frei. Ihre Hände, ja, ihr ganzer Körper war schwer belastet, von ihrer
Seele ganz zu schweigen. Vielleicht wusste ihr Mann gar nicht, dass sie ihm dies alles
nachtrug. Ich schilderte der Frau dieses Bild. Sie erschrak und meinte darauf, dass
sie es noch nie so gesehen hätte. Wir erarbeiteten zusammen eine Lösung: wenn sie
ihm all das, was sie ihm nachzutragen hatte, zurückgab, dann war sie wieder frei.
„Wer loslässt, hat die Hände frei“, so einfach zitiert dies Kathrin Wiederkehr in
einem Buchtitel.
Ich denke, dass Gott nicht nachtragend ist, er ist frei. Frei
von Gedanken dieser Art. Durch seine Botschaft möchte er auch uns frei machen, frei
von Nachtragen, frei von Rache, offen für das Neue, das er mit seinem Sohn in die
Welt sendet. Er macht immer wieder einen neuen Anfang. Auch wenn einige seiner Mitarbeiter/Knechte
ihr Leben lassen mussten, gibt er den Menschen immer wieder eine neue Chance. Er
kann aus dem, was andere verworfen haben, etwas Neues bauen.
Als letztes Puzzlestück
werden die „Früchte“ eingesetzt. Jetzt, im Herbst, in der Erntezeit, spürt man,
wofür man während des Jahres über gearbeitet hat. Um gute Früchte zu bekommen, ist
vieles notwendig: guter Boden, damit die Wurzeln tief greifen und Wasser holen
können, ein guter Standort, viel Raum um sich herum, gutes Klima, einige „Niederschläge“,
von jedem die richtige Portion, richtiges Zuschneiden, angemessene Pflege – und
jemanden, der den richtigen Zeitpunkt der Ernte kennt. Bleiben noch die Endverbraucher,
die für diese Früchte danken und sich ihrer erfreuen.
Genial an diesem Gleichnis
ist, dass jeder von uns in den verschiedenen Rollen und Puzzleteilen vorkommt. Mal
ist man Winzer, mal Knecht, mal böse, mal gut, mal Frucht, mal die Person, die die
Früchte dankbar konsumieren darf. Vielleicht hat Gott einen Wahlspruch, den Goethe
folgendermaßen beschreibt: „Behandle die Menschen so, als wären sie, wie sie sein
sollten und du hilfst ihnen zu werden, wie sie sein können.“
Liebe Hörerinnen
und Hörer, wenn jeder von uns weiß, dass nicht nur Gutes, sondern auch eine kleine
Portion des scheinbar Bösen sein muss, damit das Reich Gottes Wirklichkeit werden
kann, dann brauchen wir uns nicht mehr miteinander zu vergleichen und uns übereinander
zu erheben. ER legt die Rollen nicht fest, Wir können IHM das Urteil überlassen und
IHN richten lassen, was noch nicht in Ordnung ist. Getrost dürfen wir mitwirken am
großen Puzzlespiel im vielschichtigen bunten Weinberg unseres Herrn. (Amen)
(rv
04.10.2008 mg)
Hier das Sonntagsevangelium Mt 21, 33-44 In jener Zeit sprach
Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes: 33Hört noch
ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum
einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg
an Winzer und reiste in ein anderes Land. 34Als nun die Erntezeit kam,
schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu
lassen. 35Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten
sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie. 36Darauf
schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. 37Zuletzt
sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung
haben. 38Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist
der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. 39Und
sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. 40Wenn
nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun? 41Sie
sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg
an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist. 42Und
Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute
verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren
Augen geschah dieses Wunder? 44Und wer auf diesen Stein fällt, der wird
zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen. 43Darum
sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden,
das die erwarteten Früchte bringt.