Papst tot, Fernseher an: Wie Medien über Sedisvakanz berichten
Wie es ist, wenn ein
Papst stirbt, haben die meisten von uns noch in Erinnerung – von jenen Apriltagen
2005, an denen Johannes Paul II. „ins Haus des Vaters ging“. Die Aufbahrung im Petersdom,
die Gesänge, die Abertausenden still Schlange stehenden Menschen, das Evangeliar auf
dem Sarg…Ganz stark werden unsere Erinnerungen an einen Papsttod von den Medien bestimmt.
Und das ist erstaunlicherweise so, seit es Medien gibt, hat der junge Historiker Rene
Schlott von der Uni Giessen herausgefunden. Er beschäftigt sich in seiner Disseration
mit der „Medialisierung eines Rituals“ – also dem Papsttod als Medienereignis seit
dem 20. Jahrhundert.
Verdient hat er es nicht: Doch das ärmste Begräbnis aller
Päpste des 20. Jahrhunderts hatte Albino Luciani, der als Johannes Paul I. nur 33
Tage im Amt war.
„Hier konnte man kaum offizielle Delegationen beobachten,
es gab einige, die waren aber meist nur mit Botschaftern besetzt, keine Außenminister
oder Präsidenten.“
Exemplarisch zeigt sich an der Beerdigung Johannes Paul
des Ersten: ein Papsttod spielt tief in die Politik hinein, bei seinem Begräbnis wird
der Papst wieder zum Souverän, zum Staatsmann. Bei Albino Luciani konnte das nicht
aufgehen,
„weil die Zeit viel zu knapp war, um dem Pontifikat eine Prägung
zu geben und die Kontakte herzustellen für ein großes Requiem mit starker Beteiligung.
Außerdem war es mitten im Herbst und es hat stark geregnet, daher war auch kaum Beteiligung
auf dem Petersplatz oder bei der Aufbahrung zu verzeichnen.“
Und noch
etwas kann man am Tod des Luciani-Papstes erahnen: wie sehr unsere Erinnerung an einen
großen Menschen mit den Jahren überlagert, überschrieben, ja verfälscht wird von späteren
Medienberichten. Konkret das Gerücht, der Papst sei vergiftet worden. Kein Wort davon
stand vor 30 Jahren in den Zeitungen.
„Damals kamen die Mordgerüchte nicht
auf, erst später mit dem Bestseller. Aber damals war tatsächlich die Frage: hat vielleicht
das Konklave ein falsche Wahl getroffen. Oder es ging in den Zeitungen um den unerforschlichen
Ratschluss Gottes - wie geht man mit einem unerklärlichen Papsttod nach so kurzer
Zeit um.“
Eine ähnliche posthume Überschreibung des Papstbildes konnte
man bereits bei Pius XII. beobachten, der während des Zweiten Weltkriegs Papst war.
Die massiven Anschuldigungen, er habe zu den Judenverfolgungen des Dritten Reiches
geschwiegen, wurden erst später laut.
„Das fand ich auch sehr interessant,
natürlich sehe auch ich Pius durch die Brille des heutigen Beobachters, die ist stark
geprägt von Hochhuths „Stellvertreter“. Doch damals zitierten alle Zeitungen ein Telegramm
der israelischen Außenministerin Golda Meir, in diesem würdigt sie Pius Engagement
gerade angesichts der Verfolgung der Juden und seinen wichtigen Beitrag zur Rettung
des Judentums. Das Telegramm wird nationenübergreifend zitiert, in französischen,
englischen und deutschen Zeitungen. Außerdem schickt Israel seinen Botschafter in
Italien zur Beisetzung Pius XII. Nur in den linken französischen Zeitungen Liberation
und Le Monde stehen schon leise Andeutungen, leise Kritik in den Nachrufen an Pius,
angesichts der großen Verbrechen geschwiegen zu haben. Aber diese Kritikstimmen nehmen
lang nicht so einen großen Raum ein wie heute.“
Dieser Tage nahm Rene
Schlott im Vatikan die Dokumente im Archiv der Päpstlichen Zeremonienmeister unter
die Lupe. Dort interessieren ihn im Zusammenhang mit den toten Päpsten Dinge, die
als bedeutsame Details gelten können: Etwa die Art der Aufbahrung und der Verehrung
des Papst-Leichnames durch die Gläubigen.
„Vor 1958 war es so, dass die
Gläubigen durch das Gitter hindurch die Füße des Papstes küssen konnten – zuletzt
also 1939 bei der Aufbahrung von Pius XI. 1958 dann wandert der Papstleichnam vor
den Hochaltar des Petersdoms. Diese Art der Aufbahrung haben wir auch 2005 gesehen,
sie wird bis heute so durchgeführt. Das ist eine wichtige Änderung, dass man den Papstleichnam
repräsentativer vor dem Hochaltar aufbahrt.“
Der Leichnam wurde den Gläubigen
also gleichsam entrückt - den toten Papst Pius XII. konnte man nicht mehr küssen,
im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pius XI.
„Das hat vielleicht hygienische
Gründe, vielleicht finden sich im Zeremonialarchiv Akten über Diskussionen, die da
stattgefunden haben, welche Gründe das hatte. Vielleicht hängt es auch damit zusammen,
dass 1939 die Millionenschwelle überschritten wurde. Zum ersten Mal wurden mehr als
eine Million Menschen gezählt bei der Aufbahrung eines Papstes, und man hat überlegt,
diese Menge kann man nur noch handeln, indem man den Papst für die Menschenmenge nicht
mehr erreichbar etwas auf Distanz aufbahrt.“
Ein wichtiger Punkt: Eine
Million Menschen bei der Aufbahrung eines Papstes. Nicht etwa 2005, sondern schon
1939 bei Pius XI. – und die Medien schrieben und funkten, was die Drähte hergaben.
Interessant ist dabei auch, dass jeweils das Medium auf der Höhe der Zeit als Spielmacher
fungierte. 1958 war Radio Vatikan die absolute Avantgarde.
„Pius XII. starb
in Castelgandolfo, nicht im Vatikan, und der damalige Leiter von Radio Vatikan hat
ein Radiostudio in Castelgandolfo eingerichtet, direkt neben dem Sterbezimmer dese
Papstes, um fortlaufend Informationen über den Gesundheitszustand des Papstes, er
lag drei Tage in Agonie, nach außen zu geben. Und in der Nacht auf den 9. Oktober,
in der Pius starb, gab es auch eine Sterbemesse, die aus dem Nebenzimmer des Papstes
gesendet wurde, und es wurde betont, dass die Tür zum Sterbezimmer offen steht und
der Papst auch an dieser Messe teilnimmt zusammen mit allen Gläubigen, die vor dem
Radio sitzen.“
Beim Tod von Johannes Paul II. kam die Rolle des Mediums
dem damaligen Vatikansprecher Navarro-Valls zu, meint Schlott. Radio Vatikan trat
zurück in die Reihe des Übermittlers, strahlte Navarro-Statements aus, wurde aber
nicht mehr zur Hauptquelle von Nachrichten über den Gesundheitszustand des Papstes.
Obwohl Internet als jüngstes Kind der Familie „Medien“ beim Tod Johannes Paul des
Zweiten längst erfunden war, glaubt Schlott…
„trotzdem, dass 2005 eher
ein Fernsehtod gewesen ist. Fernsehsender gingen 24 Stunden lang auf Sendung, die
Kameras gerichtet auf das Fenster im apostolischen Palast oder die Gläubigen auf dem
Petersplatz.“
Die Gäste bei der Beerdigung Johannes Pauls II. bildeten
die angeblich größte Versammlung von Staats- und Regierungschefs aller Zeiten. Anlass
zu weiteren Sonderberichten.
„Man kann das Konklave und die Wahl von Benedikt
auch dazuzählen, das war eine mediale Dauerbeobachtung von vier Wochen. Es konkurriert
natürlich mit den Ereignissen des 11. September, aber das war ein Ereignis, das punktuell
stattgefunden hat. Der Papsttod hat über die Wochen eine viel größere Dominanz gehabt
in den Medien und war meines Erachtens das größte Medienereignis, das man bisher feststellen
konnte. Das größte Medienereignis der Welt.“ (rv 01.10.2008 gs)