2008-09-28 10:25:13

Österreich: Was Katholiken wählen


RealAudioMP3 Am Sonntag wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Ungefähr drei Viertel der Menschen in der Alpenrepublik bekennen sich zur katholischen Kirche - theoretisch sind an diesem Sonntag also die Katholiken die alles entscheidende Größe. Gudrun Sailer sprach mit Markus Schlagnitweit, dem Leiter der Katholischen Sozialakademie in Wien, über die Wahlen in Österreich.
Die Volkspartei gilt bei den Katholiken traditionell als erste Wahl. Gewisse kirchliche Stimmen behaupten aber, dass viele Katholiken sich nicht mehr in der ÖVP beheimatet fühlen. Wie schätzen Sie diesen Trend ein?
Diesen Trend würde ich bestätigen. Es gibt viele Leute, die immer noch ÖVP wählen, obwohl sie sich da nicht mehr beheimatet fühlen. Entweder weil sie sagen, eine bessere Alternative habe ich auch nicht, oder weil gewisse Themen stark im Vordergrund stehen, die teils irrational abgehandelt werden. Beispielsweise gibt es in Österreich eine große Dichte an Biolandwirten. Traditionell waren die Landwirte immer auf Seiten der ÖVP, auch aufgrund ihrer katholischen Gesinnung. Die Biolandwirte können sich aber vom Bauernbund nicht mehr wirklich vertreten fühlen, der viel stärker größere Landwirte vertritt. Die Biobauern wären möglicherweise eher beheimatet bei der Politik der Grünen. Aber wenn man sie fragt, warum sie nicht grün wählen, sagen sie, weil die Grünen für die Abtreibung sind. Nun hat aber auch die ÖVP in den letzten Jahren nichts gegen die Abtreibung unternommen, sie war nicht aktiv, um Verbesserungen in der Fristenlösung durchzusetzen, etwa eine verpflichtende Beratung, getrennt zwischen dem Arzt, der die Abtreibung vornimmt, und einem beratenden Arzt. Man hat auch den Eindruck, dass die ÖVP in den letzten Jahren eine sehr starke Politik zugunsten der Wirtschaftstreibenden gemacht hat und weniger zugunsten der sozial Schwächeren.
Wie steht es mit der ÖVP-Familienpolitik?
Da gibt es gewisse Allianzen zwischen kirchlichen Gruppen und der ÖVP, wo man aber kritisch nachfragen muss, ob das eine notwendigerweise kirchliche Position ist, oder ob das eher mit gesellschaftlichen Traditionen in Österreich zu tun hat. Etwa herrscht hier die Ansicht, dass Kinder möglichst lange nach der Geburt von ihren Eltern betreut werden sollten – praktisch dann von den Müttern. In Frankreich und anderen Ländern gibt es hier ganz andere Ansätze, die auch von gut katholischen Leuten vertreten werden. Ich habe gute Kontakte zu Fachleuten dort, die sagen, ihnen scheint das Thema Kinderbetreuung in Österreich hochgradig ideologisiert zu sein – und das hat nichts mit einer originäre kirchlichen Position zu tun. Da wird zum Teil Familienpolitik und Frauenpolitik gegeneinander ausgespielt, ohne zu schauen, ob man das möglicherweise konstruktiv miteinander verbinden kann.
Seit einiger Zeit kandidiert in Österreich auch eine Kleinpartei namens „Die Christen“, die sich für Lebensschutz und Familie einsetzen – also in der Tat die katholischen Kernthemen. Für wie wählbar kann man „Die Christen“ aus katholischer Sicht halten?
Ich halte sie eigentlich für nicht wählbar. Ich halte es erstens für perfide, einen solchen Namen als wahlwerbende Gruppe zu verwenden. Texte des Zweiten Vatikanums sagen, dass es unter Christen bei gleicher Qualität der Gewissensbildung unterschiedliche Positionen in gesellschaftspolitischen Fragen geben kann, und hier wird getan, als ob man die einzigen wäre, die originär christliche Positionen vertreten. Natürlich haben sie die Förderung der Familie auf ihre Fahnen geschrieben. Das ist an sich etwas Gutes, aber man muss sich ansehen, was sie genau fordern – und da, meine ich, sind ganz bestimmte familienpolitische Positionen, die ich aber nicht für originär kirchlich halte. In der Abtreibungsfrage sind sie gut und klar positioniert. Aber insgesamt ist das eine Gruppe, die sich auf ein schmales Politikfeld konzentriert. Ich denke, eine Partei, die im Parlament wirkt, muss kompetent sein in vielen Politikfeldern. Ich zweifle auch an, dass sich die kirchlichen Kernthemen auf Familie und Lebensschutz beschränken. Ein mindestens so großes Kernthema ist für mich die Frage der internationalen Gerechtigkeit.
Gibt es eine Partei, die das Kernthema der Gerechtigkeit in Österreich derzeit am besten vertritt?
Das ist ein gemischtes Bild. Da müssen Christinnen und Christen persönliche Prioritäten setzen. Wenn es beispielsweise um Schöpfungsverantwortung geht, ist man wahrscheinlich bei den Grünen am besten aufgehoben. Im Bereich der sozialen Gerechtigkeit zum Teil auch noch bei der SPÖ. Im Bereich Familienpolitik vielleicht dann doch am ehesten bei der ÖVP. Viele jüngere Katholikinnen und Katholiken tendieren zu den Grünen. Aber bei denen gibt es eben auch einzelne Positionen, bei denen man sich als Christ nicht leicht tut, beispielsweise in der Abtreibungsfrage.
Ziemlich weit von den christlichen Werten entfernt steht das Liberale Forum, das diesmal wieder als selbständige Partei antritt. Was kann die katholische Wählerschaft am Programm des LiF irritierend finden, gibt es auch positive Punkte?
Positive Punkte gibt es: Das Liberale Forum – und da besteht sogar eine Nähe zu Positionen der Katholischen Sozialakademie – ist die einzige politisch wahlwerbende Partei, die für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eintritt. Zwar mit einem anderen Motiv als Hintergrund, aber in dieser Frage gibt ese zumindest eine Nähe. In dem Bereich denkt das LiF am innovativsten. In anderen Bereichen, etwa was die Rolle der Religionen in der Gesellschaft anlangt, wird man mit dem Liberalen Forum weniger können, weil es stark die Ideologie vertritt „Religion ist Privatsache und hat deshalb im öffentlichen Leben wenig verloren“.
Am rechten politischen Spektrum stehen in Österreich das BZÖ von Jörg Haider und vor allem die FPÖ, die sich mit Themen wie Einwanderungs-Restriktion versuchen zu profilieren. Auch hier wurde um katholische Stimmen gerungen. Erfolgreich?
Ich muss ehrlich sagen – ich hoffe es nicht. Weil ich mir nicht vorstellen kann, wie ein Christ diese Trennung in In- und Ausländer teilen kann, die sich durch die Forderungen dieser beiden Parteien ziehen. Da wird unterschieden in Menschen erster und zweiter Klasse.
Was braucht Österreich politisch?
Österreich braucht Parteien, die es wagen, klares gesellschaftspolitisches Profil und Gestaltungswillen zu zeigen. Denn die Parteien sind in ihren Positionen auswechselbar geworden. Was heute in einem Wahlkampf von der FPÖ gefordert wird, wird in ein paar Jahren genauso gut von der SPÖ oder der ÖVP gefordert. Da ist ein unglaublicher politischer Opportunismus, der nur noch auf das nächste politische Wahlergebnis schielt. Die Österreicherinnnen und Österreicher haben kaum mehr die Möglichkeit, zwischen klaren gesellschaftspolitischen Konzepten zu unterscheiden. Das ist nicht nur ein österreichspezifisches Problem. Ich denke, es würde der Politik insgesamt gut tun, wenn die wahlwerbenden Gruppen hier wieder ein klares Profil zeigen, auch so etwas wie etwas wie politische Zielvisionen entwickeln. Wohin soll es gehen? Welche Vorstellung haben wir von einer gerecht organisierten Gesellschaft? Mir hat selber ein Politiker einmal gesagt, wir betreiben nur noch Politik unter dem Motto „der Weg ist das Ziel“. Wir wissen nicht mehr, wohin wir wollen – die Hauptsache ist, unterwegs zu bleiben. Ich halte so etwas für ein Armutszeugnis für Politik.
(rv 26.09.2008 gs)








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