Am vergangenen Sonntag
eröffnete die Evangelische Kirche Deutschlands mit einem Gottesdienst die „Lutherdekade“
– einen Zeitraum von 10 Jahren vor der 500sten Wiederkehr des so genannten Thesenanschlags
vom 31. Oktober 1517. Pfarrer Joachim Schroedel kommentiert Leben und Wirken des „katholischen
Priesters Martin Luther“ und wünscht sich - gerade aktuell nach den Beratungen der
deutschen Bischöfe zur Ökumene ein „gemeinsames Lutherverständnis“:
Weil
der bereits 1507 zum Priester geweihte Mönch von der Frage gequält war, „wie kriege
ich einen gnädigen Gott?“, versetzte ihn sein Beichtvater und Oberer vor genau 500
Jahren nach Wittenberg zum Theologiestudium. Die zehn Jahre vor dem Thesenanschlag,
der als „Urdatum“ der Reformation gilt, waren Jahre des Suchens und des Zweifels.
Für den Priester Martin Luther war es die Erleuchtung schlechthin, als er im Römerbrief
den Satz las: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben. Der Glaube als das unbedingte
Vertrauen in Gottes vergebende Barmherzigkeit löste Luthers Angst vor Tod und Teufel;
„deus semper maior“ – Gott ist immer größer – dieser Grundsatz des Heiligen Ignatius
von Loyola – eines jüngeren Zeitgenossen Luthers, bestimmte sein Leben. Auch die
Liebe Gottes bleibt immer größer. Im Bewusstsein dieser vergebenden Liebe Gottes
sah er nun auch viele Forderungen der Kirche . Und er musste sie – konsequenter weise
– ablehnen. Ich kann, ja ich brauche Gott nicht gnädig zu stimmen – ich darf mich
ihm untertänig und glaubend anvertrauen. Vor fast 10 Jahren haben Katholiken und
der lutherische Weltbund eine gemeinsame Erklärung zur so genannten Rechtfertigungslehre
unterschrieben. Die Lehre von der Rechtfertigung trennt zumindest Lutheraner und Katholiken
nicht mehr - Trotz Kritik an der Kirche und ihrer Praxis; Luther ist Priester der
Kirche. Im Jahre 1525, 18 Jahre nach seiner Priesterweihe, feiert er die erste
Deutsche Messe und entwirft mehrere Gottesdienstordnungen, die immer als Beispiel
evangeliumsgemäßer Gottesdienstfeier dienen sollten. Gegen radikale Reformer wie
Nikolaus Storch und Thomas Müntzer ruft er zur Besonnenheit auf. Und Luther befürwortete
weiterhin auch die Feier der lateinischen Messe, die besonders die Jugend lernen sollte. Mir
scheint dieses Jahr auch eine tragische Wendemarke in Luthers Leben zu sein. Der Kaiser
und der Papst verurteilen ihn, keiner scheint ihn recht zu verstehen. Und er ist gewiss
kein Diplomat, eigentlich keine „Nachtigall von Wittenberg“ – er wird in seiner Haltung
hart und in seinem Urteil unnachgiebig und letztlich: unausstehlich. In diesem
Jahr – 1525 – wird er auch Katarina von Bora heiraten – und damit in ganz sichtbarer
Weise seine Distanz von der Mutterkirche erklären. Der katholische Priester Martin
Luther. Alleine aus diesem Wissen heraus verlangt er mir zunächst Respekt ab.
Dieser katholische Priester wird zum Vorreiter vieler, die in den letzten fast 500
Jahren aus der Liebe zu Christus und eben seiner Kirche Wege gegangen sind, die die
Mutter Kirche nicht mehr begleiten konnte. Luther wollte seine Kirche nicht zerstören
– er wollte – in seinen ersten 18 Priesterjahren zumindest – sie heilen und auf den
guten Weg zurück führen. Der Tübinger Professor und mein Mitbruder Jochen Hilberath
wollte eben in dieser Woche Luther zum „Kirchenlehrer“ erklärt wissen. Soweit kann
ich nicht gehen. Aber ich wünschte mir, dass der katholische Priester Martin Luther
wieder eine Anerkennung bekommt, die er – allein wegen seiner Weihe, von dem der katholische
Christ glaubt, dass sie unauslöschlich sei – verdient hat. Die Lutherdekade als
Möglichkeit eines neuen Angriffs gegen die „Papstkirche“ zu sehen – dies kann ich
nur ablehnen, denn damit wir keiner den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht.
Aber wenn es uns gelingt, den katholischen Luther wieder neu zu entdecken, wenn
wir in diesen zehn Jahren in das gemeinsame Bewusstsein tiefer einpflanzen würden,
dass die Grunderkenntnis Luthers heute die gemeinsame Erkenntnis katholischer und
evangelischer Christen ist – dann wäre es wert, diesen Weg zu gehen. Es gibt zutiefst
Katholisches in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die nach Martin Luther
entstanden sind. Und die zu Zeiten so zerbrochen – unchristliche „Papstkirche“ gibt
es schon lange nicht mehr. Vielleicht würde der Priester Martin Luther sogar seine
eigenen evangelischen Brüder und Schwestern heute mit ähnlich kritischem Auge betrachten,
wie er es damals mit der Catholica gemacht hat... Und es gibt zutiefst Evangelisches,
also: evangeliumsgemäßes, in der katholischen Kirche. Ich wünschte mir, dass die
Evangelische Kirche Deutschlands, aber auch andere evangelischeKirchen und Gemeinschaften,
Ihre Verantwortung vor dem Priester Martin Luther neu erkennen und seinen frühen Respekt,
ja seine feste Glaubensüberzeugung wieder neu teilen könnten. Der katholische
Priester Martin Luther als fragender Christ – dieser Ansatz könnte in der Lutherdekade
protestantischen und katholischen Christen helfen. Im gestrigen Pressebericht über
die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischöfe heißt es: „Wenn es gelingt, gemeinsam
das Reformanliegen der Reformation zu würdigen und zu einem gemeinsamen Lutherverständnis
zu kommen, würde das die Ökumene einen großen Schritt nach vorne bringen.“ Gut
und wichtig wäre es! Meint Joachim Schroedel aus Kairo (rv)