Mit einer lectio magistralis ist Papst Benedikt am Freitag Nachmittag in Paris vor
die Welt der Kultur getreten. Rund 700 Kulturschaffende, darunter auch Vertreter der
UNESCO, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, waren im Collège des Bernardins
versammelt. Auf den Tag genau zwei Jahre nach der Rede des Papstes in der Regensburger
Universität gehörten zu den Zuhörern in Paris auch der Vertreter der muslimischen
Gemeinschaft Frankreichs.
Wir dokumentieren die Grundsatzrede des Papstes in
der offiziellen deutschen Übersetzung:
Herr Kardinal, Frau Kulturminister, Herr
Bürgermeister, Herr Kanzler des Institut de France, liebe Freunde!
Danke,
Herr Kardinal, für Ihre freundlichen Worte. Wir befinden uns hier an einem historischen
Ort, der von den Söhnen des heiligen Bernhard von Clervaux erbaut wurde und den Ihr
Vorgänger, der verstorbene Kardinal Jean-Marie Lustiger, als Zentrum des Dialogs zwischen
dem christlichen Denken und den intellektuellen und künstlerischen Strömungen der
heutigen Gesellschaft wollte. Ich begrüße im Besonderen die Frau Kulturminister, die
die Regierung vertritt, sowie die Herren Giscard d’Estaig und Chirac. Desgleichen
grüße ich die anwesenden Minister, die Vertreter der UNESCO, den Herrn Bürgermeister
von Paris und alle anderen Amtsträger. Ich möchte nicht meine Kollegen des Institut
de France vergessen, die um meine Wertschätzung ihnen gegenüber wissen, und danke
Prinz de Broglie für seine herzlichen Worte. Wir werden uns morgen Vormittag wiedersehen.
Ich danke den Vertretern der muslimischen Gemeinde Frankreichs, dass sie die Einladung
zur Teilnahme an dieser Begegnung angenommen haben. Ihnen entbiete ich meine besten
Wünsche in dieser Zeit des Ramadan. Mein warmherziger Gruß gilt nun natürlich der
gesamten vielfältigen Welt der Kultur, die Sie, liebe Gäste, so würdig vertreten.
Heute Abend möchte ich zu Ihnen über die Ursprünge der abendländischen Theologie
und die Wurzeln der europäischen Kultur sprechen. Eingangs habe ich erwähnt, dass
wir uns an einem emblematischen Ort befinden. Er ist an die Mönchskultur gebunden.
Junge Mönche haben hier gelebt, um ihre Berufung tiefer verstehen und ihren Auftrag
besser leben zu lernen. Dies ist ein Ort, der mit der Kultur des Mönchtums zu tun
hat. Geht uns das heute noch etwas an, oder begegnen wir dabei bloß einer vergangenen
Welt? Um darauf antworten zu können, müssen wir uns einen Augenblick auf das Wesen
des abendländischen Mönchtums selbst besinnen. Worum ging es da? Von der Wirkungsgeschichte
des Mönchtums her können wir sagen, dass im großen Kulturbruch der Völkerwanderung
und der sich bildenden neuen staatlichen Ordnungen die Mönchsklöster der Ort waren,
an dem die Schätze der alten Kultur überlebten und zugleich von ihnen her eine neue
Kultur langsam geformt wurde. Aber wie ging das zu? Was hat die Menschen bewegt, die
sich an diesen Orten zusammenfanden? Was wollten sie? Wie haben sie gelebt?
Da
ist zunächst und als erstes ganz nüchtern zu sagen, dass es nicht ihre Absicht war,
Kultur zu schaffen oder auch eine vergangene Kultur zu erhalten. Ihr Antrieb war viel
elementarer. Ihr Ziel hieß: quaerere Deum. In der Wirrnis der Zeiten, in der nichts
standzuhalten schien, wollten sie das Wesentliche tun – sich bemühen, das immer Gültige
und Bleibende, das Leben selber zu finden. Sie waren auf der Suche nach Gott. Sie
wollten aus dem Unwesentlichen zum Wesentlichen, zum allein wirklich Wichtigen und
Verlässlichen kommen. Man sagt darüber, dass sie „eschatologisch“ ausgerichtet waren.
Aber das ist nicht in einem zeitlichen Sinn zu verstehen, als ob sie auf das Ende
der Welt oder auf ihren eigenen Tod hingeschaut hätten, sondern in einem existentiellen
Sinn: Sie suchten das Endgültige hinter dem Vorläufigen. Quaerere Deum: Weil sie Christen
waren, war dies nicht eine Expedition in eine weglose Wüste, eine Suche ins völlige
Dunkel hinein. Gott hatte selbst Wegzeichen ausgesteckt, ja, einen Weg gebahnt, den
zu finden und zu gehen die Aufgabe war. Dieser Weg war sein Wort, das in den Büchern
der heiligen Schriften vor den Menschen aufgeschlagen war. Die Suche nach Gott verlangt
so von innen her eine Kultur des Wortes oder – wie Jean Leclercq es ausgedrückt hat:
Eschatologie und Grammatik sind im abendländischen Mönchtum inwendig miteinander verbunden
(vgl. L’amour des lettres et le désir de Dieu, S. 14). Das Verlangen nach Gott, der
désir de Dieu, schließt den amour des lettres, die Liebe zum Wort mit ein, das Eindringen
in alle seine Dimensionen. Weil im biblischen Wort Gott unterwegs ist zu uns und wir
zu ihm, darum muss man lernen, in das Geheimnis der Sprache einzudringen, sie in ihrem
Aufbau und in der Weise ihres Ausdrucks zu begreifen. So werden gerade durch die Gottsuche
die profanen Wissenschaften wichtig, die uns den Weg zur Sprache zeigen. Weil die
Suche nach Gott die Kultur des Wortes verlangte, daher gehört zum Kloster die Bibliothek,
die die Wege zum Wort aufzeigt. Daher gehört zu ihm auch die Schule, in der die Wege
konkret geöffnet werden. Benedikt nennt das Kloster eine dominici servitii schola.
Das Kloster dient der eruditio, der Formung und Bildung des Menschen – Formung letztlich
darauf hin, dass der Mensch Gott zu dienen lerne. Aber dies schließt gerade auch die
Formung des Verstandes, die Bildung ein, durch die der Mensch in den Wörtern das eigentliche
Wort wahrzunehmen lernt.
Wir müssen noch einen Schritt weitergehen, um der
Kultur des Wortes ganz ansichtig zu werden, die zum Wesen der Suche nach Gott gehört.
Das Wort, das den Weg der Gottsuche öffnet und selbst dieser Weg ist, ist ein gemeinsames
Wort. Gewiss, es trifft jeden einzelnen mitten ins Herz (vgl. Apg 2, 37). Gregor der
Große beschreibt dies wie einen jähen Stich, der unsere schläfrige Seele aufreißt
und uns wachmacht für Gott (vgl. Leclercq, ebd., S. 35). Aber es macht uns so auch
wach füreinander. Es führt nicht auf einen bloß individuellen Weg mystischer Versenkung,
sondern in die Weggemeinschaft des Glaubens hinein. Und darum muß dieses Wort nicht
nur bedacht, sondern auch recht gelesen werden. Wie in der Rabbinenschule, so ist
auch bei den Mönchen das Lesen selbst des einzelnen ein zugleich körperlicher Vorgang.
„Wenn aber legere und lectio ohne ein erläuterndes Beiwort gebraucht werden, dann
bezeichnen sie meistens eine Tätigkeit, die wie Singen und Schreiben den ganzen Körper
und den ganzen Geist ergreift“, sagt Jean Leclercq dazu (ebd., S. 21).
Und
noch einmal ist ein weiterer Schritt zu tun. Das Wort Gottes bringt uns selber ins
Gespräch mit Gott. Der Gott, der in der Bibel spricht, lehrt uns, wie wir selber mit
ihm reden können. Besonders im Buch der Psalmen gibt er uns die Worte, mit denen wir
ihn anreden können, unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen ins Gespräch mit ihm zu
bringen vermögen, so dass dabei das Leben selbst Bewegung auf ihn hin wird. Die Psalmen
enthalten immer wieder Anweisungen auch dafür, wie sie gesungen und mit Instrumenten
begleitet werden sollen. Für das Beten vom Wort Gottes her reicht das Sprechen nicht
aus, es verlangt Musik. Zwei Gesänge der christlichen Liturgie stammen von biblischen
Texten, in denen sie im Mund der Engel erscheinen: das Gloria, das zuerst bei der
Geburt Jesu von den Engeln gesungen wurde und das Sanctus, das nach Jesaja 6 der Ruf
der Seraphine ist, die Gott unmittelbar nahestehen. Der christliche Gottesdienst bedeutet
von daher die Einladung, mit den Engeln mitzusingen und so das Wort zu seiner höchsten
Bestimmung zu führen. Noch einmal Jean Leclercq zu diesem Thema: „Die Mönche mussten
Melodien finden, die die Zustimmung des erlösten Menschen zu den Geheimnissen, die
er feiert, in Töne übersetzen. Die wenigen uns erhalten gebliebenen Kapitelle von
Cluny zeigen so die christologischen Symbole der einzelnen Tonarten“ (vgl. ebd., S.
229).
Bei Benedikt steht als maßgebende Regel über dem Gebet und Gesang der
Mönche das Psalmwort: Coram angelis psallam Tibi, Domine – im Angesicht der Engel
psalliere ich vor dir (vgl. 138,1). Hier drückt sich das Bewusstsein aus, beim gemeinsamen
Gebet in der Anwesenheit des ganzen himmlischen Hofes zu singen und damit dem höchsten
Maßstab ausgesetzt zu sein: so zu beten und zu singen, dass man in die Musik der erhabenen
Geister einstimmen kann, die als die Urheber der Harmonie des Kosmos, der Musik der
Sphären galten. ... Aus diesem inneren Anspruch des Redens mit Gott und des Singens
von Gott mit den von ihm selbst geschenkten Worten ist die große abendländische Musik
entstanden. Es ging nicht um private „Kreativität“, in der das Individuum sich selbst
ein Denkmal setzt und als Maßstab wesentlich die Darstellung des eigenen Ich nimmt.
Es ging vielmehr darum, wachsam mit den „Ohren des Herzens“ die inneren Gesetze der
Musik der Schöpfung selbst, die vom Schöpfer in seine Welt und in den Menschen gelegten
Wesensformen der Musik zu erkennen und so die gotteswürdige Musik zu finden, die zugleich
dann wahrhaft des Menschen würdig ist und seine Würde rein ertönen lässt.
Um
die Kultur des Wortes einigermaßen zu verstehen, die sich im abendländischen Mönchtum
aus der Suche nach Gott von innen her entwickelte, ist schließlich noch ein wenigstens
kurzer Hinweis auf die Eigenart des Buches oder der Bücher nötig, in denen dieses
Wort den Mönchen entgegenkam. Die Bibel ist rein historisch und literarisch betrachtet
nicht einfach ein Buch, sondern eine Sammlung von Literatur, deren Entstehung sich
über mehr als ein Jahrtausend hin erstreckt und deren einzelne Bücher man nicht ohne
weiteres als eine innere Einheit erkennen kann; sie stehen vielmehr in erkennbaren
Spannungen zueinander. Das gilt schon innerhalb der Bibel Israels, die wir Christen
als Altes Testament benennen. Es gilt erst recht, wenn wir als Christen das Neue Testament
mit seinen Schriften sozusagen als hermeneutischen Schlüssel mit der Bibel Israels
verbinden und diese so als Weg auf Christus hin verstehen. Die Bibel wird im Neuen
Testament im allgemeinen zurecht nicht als „die Schrift“, sondern als „die Schriften“
bezeichnet, die freilich zusammen dann doch als das eine Wort Gottes an uns angesehen
werden. Aber schon dieser Plural macht sichtbar, dass Gottes Wort hier nur durch Menschenwort
und Menschenwörter hindurch zu uns kommt, dass Gott nur durch Menschen hindurch, durch
deren Worte und deren Geschichte zu uns redet. Dies wieder bedeutet, dass das Göttliche
an dem Wort und an den Wörtern nicht einfach zutage liegt. Modern ausgedrückt: Die
Einheit der biblischen Bücher und der göttliche Charakter ihrer Worte sind nicht rein
historisch greifbar. Das Historische ist die Vielfalt und die Menschlichkeit. Von
da aus versteht man die zunächst befremdlich erscheinende Formulierung eines mittelalterlichen
Distichons: Littera gesta docet – quid credas allegoria … (vgl. Augustinus von Dänemark,
Rotulus pugillaris, I). Der Buchstabe zeigt die Fakten an; was du zu glauben hast,
sagt die Allegorie, das heißt die christologische und pneumatische Auslegung.
Wir
können es auch einfacher ausdrücken: Die Schrift bedarf der Auslegung, und sie bedarf
der Gemeinschaft, in der sie geworden ist und in der sie gelebt wird. In ihr hat sie
ihre Einheit, und in ihr öffnet sich der das Ganze zusammenhaltende Sinn. Noch einmal
anders gewendet: Es gibt Dimensionen der Bedeutung des Wortes und der Wörter, die
sich nur in der gelebten Gemeinschaft dieses Geschichte stiftenden Wortes öffnen.
Durch das zunehmende Wahrnehmen der verschiedenen Sinndimensionen wird das Wort nicht
entwertet, sondern erscheint erst in seiner ganzen Größe und Würde. Deswegen kann
der „Katechismus der katholischen Kirche“ mit Recht sagen, dass das Christentum nicht
einfach eine Buchreligion im klassischen Sinn darstellt (vgl. Nr. 108). Es vernimmt
in den Wörtern das Wort, den Logos selbst, der sein Geheimnis durch diese Vielfalt
hindurch ausbreitet. Diese eigentümliche Struktur der Bibel ist eine immer neue Herausforderung
an jede Generation. Sie schließt von ihrem Wesen her all das aus, was man heute Fundamentalismus
nennt. Denn das Wort Gottes selber ist nie einfach schon in der reinen Wörtlichkeit
des Textes da. Zu ihm zu gelangen verlangt eine Transzendierung und einen Prozess
des Verstehens, der sich von der inneren Bewegung des Ganzen leiten lässt und daher
auch ein Prozess des Lebens werden muss. Immer nur in der dynamischen Einheit des
Ganzen sind die vielen Bücher ein Buch, zeigt sich im Menschenwort und in der menschlichen
Geschichte Gottes Wort und Gottes Handeln in der Welt.
Die ganze Dramatik
dieses Themas ist in den Schriften des heiligen Paulus ausgeleuchtet. Was die Überschreitung
des Buchstabens und sein Verstehen allein vom Ganzen her bedeutet, hat er drastisch
ausgedrückt in dem Satz: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor
3, 6). Und weiter: „Wo der Geist … da ist Freiheit“ (2 Kor 3, 17). Man kann aber das
Große und Weite dieser Sicht des biblischen Wortes nur verstehen, wenn man Paulus
ganz zuhört und dann erfährt, dass dieser freimachende Geist einen Namen hat und so
die Freiheit ein inneres Maß: „Der Herr ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn
ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3, 17). Der befreiende Geist ist nicht einfach die eigene
Idee, die eigene Ansicht des Auslegers. Der Geist ist Christus, und Christus ist Herr,
der uns den Weg zeigt. Mit dem Wort von Geist und Freiheit ist ein weiter Horizont
eröffnet, aber zugleich der Willkür der Subjektivität eine klare Grenze gesetzt, die
den einzelnen wie die Gemeinschaft klar in die Pflicht nimmt und eine neue, höhere
Bindung als die des Buchstabens, nämlich die Bindung von Einsicht und Liebe erschafft.
Diese Spannung von Bindung und Freiheit, die weit über das literarische Problem der
Schriftauslegung hinausreicht, hat auch Denken und Wirken des Mönchtums bestimmt und
die abendländische Kultur zutiefst geprägt. Sie ist als Aufgabe auch unserer Generation
gegenüber den Polen von subjektiver Willkür und fundamentalistischem Fanatismus neu
gestellt. Es wäre ein Verhängnis, wenn die europäische Kultur von heute Freiheit nur
noch als Bindungslosigkeit auffassen könnte und damit unvermeidlich dem Fanatismus
und der Willkür in die Hand spielen würde. Bindungslosigkeit und Willkür sind nicht
Freiheit, sondern deren Zerstörung.
Wir haben bisher beim Bedenken der „Schule
des göttlichen Dienstes“, als die Benedikt das Mönchtum bezeichnet, nur auf ihre Orientierung
auf das Wort – auf das „ora“ – geachtet. In der Tat wird von da aus die Richtung des
Ganzen des mönchischen Lebens bestimmt. Aber unsere Betrachtung bliebe doch unvollständig,
wenn wir nicht auch die mit „labora“ umschriebene zweite Komponente des Mönchtums
wenigstens kurz ins Auge fassen würden. In der griechischen Welt galt die körperliche
Arbeit als Sache der Unfreien. Der Weise, der wirklich Freie ist allein den geistigen
Dingen hingegeben; er überlässt die körperliche Arbeit als etwas Niedriges den Menschen,
die zu diesem höheren Dasein in der Welt des Geistes nicht fähig sind. Ganz anders
die jüdische Tradition: Alle die großen Rabbinen übten zugleich auch einen handwerklichen
Beruf aus. Paulus, der als Rabbi und dann als Verkünder des Evangeliums an die Völkerwelt
auch Zeltmacher war und sich den Unterhalt mit der eigenen Arbeit seiner Hände verdiente,
ist hier keine Ausnahme, sondern steht in der gemeinsamen Tradition des Rabbinentums.
Das Mönchtum hat diese Überlieferung aufgenommen; der Hände Arbeit gehört konstitutiv
zum christlichen Mönchtum. Benedikt spricht in seiner Regula nicht eigens über die
Schule, obwohl Unterricht und Lernen praktisch darin vorausgesetzt sind, wie wir sahen.
Aber er spricht ausdrücklich über die Arbeit (vgl. Kap. 48). Und genauso Augustinus,
der der Mönchsarbeit ein eigenes Buch gewidmet hat. Die Christen, die damit in der
vom Judentum vorgegebenen Tradition fortfuhren, mussten sich dazu noch zusätzlich
angesprochen sehen durch das Wort Jesu im Johannes-Evangelium, mit dem er sein Wirken
am Sabbat verteidigte: „Mein Vater arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite“ (5, 17).
Die griechisch-römische Welt kannte keinen Schöpfergott; die höchste Gottheit konnte
sich ihrer Vision nach nicht mit der Erschaffung der Materie gleichsam die Hände schmutzig
machen. Das „Machen“ der Welt war dem Demiurgen, einer untergeordneten Gottheit vorbehalten.
Anders der christliche Gott: Er, der eine, der wirkliche und einzige Gott ist auch
Schöpfer. Gott arbeitet; er arbeitet weiter in und an der Geschichte der Menschen.
In Christus tritt er als Person in die mühselige Arbeit der Geschichte ein. „Mein
Vater arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite.“ Gott selbst ist der Weltschöpfer,
und die Schöpfung ist nicht zu Ende. Gott arbeitet. So musste nun das Arbeiten der
Menschen als besondere Weise der Gottebenbildlichkeit des Menschen erscheinen, der
sich damit am weltschöpferischen Handeln Gottes beteiligen kann und darf. Zum Mönchtum
gehört mit der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne die das Werden Europas,
sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind. Zu diesem Ethos müsste freilich
gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung des Menschen Mit-Arbeiten mit dem Schöpfer
sein will und von diesem Mit her ihr Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch
sich selber zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung
werden.
Wir sind davon ausgegangen, dass die Grundhaltung der Mönche im Zusammenbruch
alter Ordnungen und Gewissheiten das quaerere Deum war – sich auf die Suche machen
nach Gott. Wir könnten sagen, dass dies die eigentlich philosophische Haltung ist:
Über das Vorletzte hinauszuschauen und sich auf die Suche nach dem Letzten und Eigentlichen
zu machen. Wer Mönch wurde, machte sich auf einen weiten und hohen Weg, aber er hatte
doch schon die Richtung gefunden: das Wort der Bibel, in dem er Gott selbst sprechen
hörte. Er musste nun versuchen, ihn zu verstehen, um auf ihn zugehen zu können. So
ist der Weg der Mönche doch schon Weg im Inneren des angenommenen Wortes, auch wenn
die Wegstrecke unermesslich bleibt. Das Suchen der Mönche trägt in gewisser Hinsicht
schon ein Finden in sich. Deshalb muss es vorher schon, damit dieses Suchen möglich
werde, eine erste Bewegung geben, die nicht nur den Willen zum Suchen weckt, sondern
auch glaubhaft macht, dass in diesem Wort der Weg verborgen ist oder besser: dass
in diesem Wort Gott sich selbst auf den Weg zu den Menschen begeben hat und daher
Menschen auf ihm zu Gott kommen können. Mit anderen Worten: Es muss Verkündigung geben,
die den Menschen anredet und so Überzeugung schafft, die Leben werden kann. Damit
sich ein Weg ins Innere des biblischen Wortes als Gotteswort öffne, muss dieses Wort
selbst zunächst nach außen gesprochen werden. Klassischer Ausdruck für diese Notwendigkeit
des christlichen Glaubens, sich für die anderen mitteilbar zu machen, ist ein Satz
aus dem Ersten Petrus-Brief, das in der mittelalterlichen Theologie als biblische
Begründung für die Arbeit der Theologen gewertet wurde: „Seid stets bereit, jedem,
der euch nach der Vernunft (dem Logos) eurer Hoffnung fragt, Antwort zu geben“ (3,
15). (Logos muss Apo-logie, Wort muss Antwort werden). In der Tat haben die Christen
der werdenden Kirche ihre missionarische Verkündigung nicht als Propaganda aufgefasst,
die dazu dienen sollte, ihre eigene Gruppe zu vergrößern, sondern als eine innere
Notwendigkeit, die aus dem Wesen ihres Glaubens folgte: Der Gott, dem sie glaubten,
war der Gott aller, der eine, wirkliche Gott, der sich in der Geschichte Israels und
schließlich in seinem Sohn gezeigt und damit die Antwort gegeben hatte, die alle betraf
und auf die alle Menschen im Innersten warten. Die Universalität Gottes und die Universalität
der auf ihn hin offenen Vernunft ist für sie der Grund der Verkündigung und zugleich
die Verpflichtung dazu. Für sie gehörte ihr Glaube nicht der kulturellen Gewohnheit
zu, die je nach Völkern verschieden ist, sondern dem Bereich der Wahrheit, die alle
gleichermaßen angeht.
Das grundlegende Schema der christlichen Verkündigung
„nach außen“ – an die suchenden und fragenden Menschen – findet sich in der Rede des
heiligen Paulus auf dem Areopag. Halten wir dabei gegenwärtig, dass der Areopag nicht
eine Art Akademie war, auf der sich die erlauchtesten Geister zur Diskussion über
die höchsten Dinge trafen, sondern ein Gerichtshof, der in Sachen Religion zuständig
war und dem Import fremder Religionen entgegentreten sollte. Genau dies wird Paulus
vorgeworfen: „Es scheint ein Verkünder fremder Gottheiten zu sein“ (Apg 17, 18). Dem
hält Paulus entgegen: Ich habe bei euch einen Altar gefunden mit der Aufschrift: Einem
unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch (17, 23).
Paulus verkündet keine unbekannten Götter. Er verkündet den, den die Menschen nicht
kennen und doch kennen – den Unbekannt-Bekannten; den, nach dem sie suchen, um den
sie letztlich wissen und der doch wieder der Unbekannte und Unerkennbare ist. Das
Tiefste menschlichen Denkens und Empfindens weiß irgendwie, dass es Ihn geben muss.
Dass am Anfang aller Dinge nicht die Unvernunft, sondern die schöpferische Vernunft
stehen muss; nicht der blinde Zufall, sondern die Freiheit. Aber obwohl alle Menschen
dies irgendwie wissen, wie Paulus im Römer-Brief ausdrücklich sagt (1, 21), bleibt
dieses Wissen unwirklich: Ein nur gedachter und erdachter Gott ist kein Gott. Wenn
er sich nicht zeigt, dann reichen wir doch nicht bis zu ihm hin. Das Neue der christlichen
Verkündigung ist, dass sie nun allen Völkern sagen darf: Er hat sich gezeigt. Er selbst.
Und nun ist der Weg zu ihm offen. Die Neuheit der christlichen Verkündigung besteht
in einem Faktum: Er hat sich gezeigt. Aber dies ist kein blindes Faktum, sondern ein
Faktum, das selbst Logos – Gegenwart der ewigen Vernunft in unserem Fleisch ist. Verbum
caro factum est (Joh 1, 14). Gerade so ist im Faktum nun Logos, ist Logos unter uns.
Das Faktum ist vernünftig. Freilich bedarf es immer der Demut der Vernunft, um es
annehmen zu können; der Demut des Menschen, die der Demut Gottes antwortet.
Unsere
heutige Situation ist von derjenigen in vieler Hinsicht verschieden, die Paulus in
Athen vorfand, aber durch die Verschiedenheit hindurch ihr doch auch in vielem sehr
verwandt. Unsere Städte sind nicht mehr mit Altären und mit Bildern vielfältiger Gottheiten
angefüllt. Gott ist wirklich für viele der große Unbekannte geworden. Aber wie damals
hinter den vielen Götterbildern die Frage nach dem unbekannten Gott verborgen und
gegenwärtig war, so ist auch die gegenwärtige Abwesenheit Gottes im stillen von der
Frage nach ihm bedrängt. Quaerere Deum – Gott suchen und sich von ihm finden lassen,
das ist heute nicht weniger notwendig denn in vergangenen Zeiten. Eine bloß positivistische
Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde,
wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und
damit ein Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das,
was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm
zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur.Vielen Dank.