Auf den Tag genau
zwei Jahre nach Regensburg wird Papst Benedikt XVI. am kommenden Freitag im „Collège
des Bernardins“ eine grundlegende Rede über Religion und Kultur halten. Der Papst
habe den umfangreichen Vortrag für Freitag persönlich auf Deutsch ausgearbeitet, hieß
es bei der Vorstellung der Papstreise am Dienstag im Vatikan. Gehalten wird die Rede
auf Französisch. Über den Inhalt gab Vatikansprecher Pater Federico Lombardi aber
nichts Näheres bekannt.
Als sicher darf gelten, dass die Rede auf aufmerksame
Zuhörer treffen wird. Denn: Die Geschichte des Dialogs zwischen Glaube und Kultur
in Frankreich ist spannungsvoll. Auf der einen Seite die französische Revolution,
die zum Gründungsmythos des modernen Frankreichs wurde. Sie wird mittlerweile auch
außerhalb der Kirche nicht unkritisch gesehen. Auf der anderen Seite eine in Europa
beispiellose Blüte katholischen Denkens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
In Literatur, Kunst und Musik kam es zu einem fruchtbaren Miteinander, das sowohl
Kirche als auch die Gesellschaft nachhaltig beeinflusste. In Frankreich entstand die
Figur des „katholischen Intellektuellen“, der auf der Basis seiner Überzeugungen,
aber ohne kirchenhörig zu sein, den Glauben in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt.
Jacques de Guillebon ist Ende zwanzig und Chef eines kleinen Verlags. Er sieht
eine Art „Wiedergeburt des katholischen Intellektuellen“.
„Das französische
Denken erlebt seit einiger Zeit eine gewisse Erschöpfung. Daraus ist ein gewisses
Bedürfnis entstanden, um spirituell und intellektuell überleben zu können: Ein Bedürfnis
nach etwas Fundamentalem und Handgreiflichem, ein Bedürfnis zu den Quellen und den
grundlegenden Texten der großen katholischen Intellektuellen zurückzukehren und zu
versuchen, den Konsumismus und Materialismus zu überwinden. An dieser Stelle kann
man einen Wiedererstehen des katholischen Intellektuellen erleben.“
Nach
dem Zweiten Weltkrieg und noch mehr nach dem II. Vatikanischen Konzil sei die Kirche
auseinander gedriftet. Auf der einen Seite eine Kirche, die versucht mit dem Schritt
zu halten, was man für die moderne Welt hielt – was zu „progressistischen“ Übertreibungen
geführt hat. Am rechten Spektrum hingegen gab es traditionalistische Fixierungen mit
der Folge, dass jene Denker nicht mehr in der Lage waren, mit der Gesellschaft zu
kommunizieren.
„Meiner Meinung nach versuchen die jungen katholischen Intellektuellen
in Frankreich, diese alten Gegensätze zu überwinden. Also weder eine totale Flucht
in die Welt, noch in die Fundamentalkritik, die nichts mehr mit der Realität zu tun
hat. Das ist vor allem Johannes Paul II. zu verdanken und Benedikt XVI.. Johannes
Paul II. durch seine Verurteilung des Kommunismus und seinen Erfahrungen im Osten,
wo er ja doch einige neue Geister geweckt hat. Er hat die Position des Katholiken
entkrampft und den Katholiken in Frankreich einen gewissen Stolz wiedergegeben. Und
Benedikt XVI. durch seine wirklich bewundernswerte intellektuelle Vertiefung dieses
neuen Denkens, das mit Johannes Paul II. seinen Anfang genommen hatte.“
Kritischer
sieht dies Michel Cool. Er ist Journalist, arbeitet beim Französischen Staatsradio
und ist Autor eines Buchs mit dem Titel „Die neuen Denker des Christentums“. Zwar
glaubt auch er an ein Wiedererstarken „katholischen Denkens“, gerade weil die liberale
französische Gesellschaft durch die Marginalisierung des Religiösen sich selber in
Gefahr bringt. Allerdings bleibe die Herausforderung bestehen, eine angemessene Sprache
in der heutigen Mediengesellschaft zu finden.
„Tatsächlich gibt es heute
das Problem, dass ein gewisser Typ katholischen Sprechens in unserer Gesellschaft
einfach nicht mehr ankommt. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, Christ zu
sein. Es hat auch ein Bruch kultureller Vermittlung gegeben. Es gibt Denkmuster, Sprachspiele
und Konzepte, die dem Menschen des 21. Jahrhunderts komplett unverständlich bleiben.
Das ist die Herausforderung: Man muss in der Lage sein, die großen Mysterien des Glaubens
erklären zu können, die philosophischen Vorstellungen zu erläutern, die das christliche
Abenteuer hervorgerufen haben durch eine Sprache, die den Menschen von heute verständlich
ist . Marcel Gauchet hat einmal gesagt: ‚Passt auf, die christliche Sprache droht
zu einer toten Sprache zu werden.’ Nun ich glaube nicht, dass das Christentum sterben
wird, ganz im Gegenteil. Dennoch ist es sehr wichtig, dass der katholische Intellektuelle
die Sprache des 21. Jahrhunderts sprechen kann, und das ist meiner Meinung nach keine
geringe Herausforderung!“
Die katholischen Intellektuellen von heute seien
allerdings anders als früher. Sie sind bescheidener geworden und wollen keine globalen
Visionen verteidigen, sagt Michel Cool. Auf ihre Weise wollen sie den Christen eine
denkerische Hilfestellung geben, um sich ein eigenes Weltbild bilden zu können. Katholische
Intellektuelle hätten gesellschaftlich ein wichtige kritische Funktion.
„Einen
guten katholischen Intellektuellen macht meines Erachtens diese wunderbare Fähigkeit
aus, frei zu bleiben, frei sogar der eigenen Kirche gegenüber – aber auch frei gegenüber
der eigenen Gesellschaft und ein kritisches Ferment zu sein. Ich denke da an Georges
Bernanos und Francois Mauriac: Sie haben sich niemals dem dominierenden Denken angeschlossen.
Diese Männer waren aufmüpfig und non-konformistisch. Die katholischen Intellektuellen
sind eine kritische Instanz: Das steht in der großen Tradition der Kirchenväter, ja
sogar der ersten Apostel.“
Benedikt XVI. wird seine Rede an die Kulturschaffenden
im frisch eingeweihten „Centre des Bernardins“ halten. Das in einem ehemaligen gotischen
Zisterzienserkloster untergebrachte Kulturzentrum steht für diese neue Lust am Debattieren
und am gesellschaftlichen Dialog. Das Zentrum wolle bewusst kein ausschließlich binnenkirchlicher
Ort sein, sagt der Kulturdirektor Vincent Aucant.
„Es gibt heute eine echte
Neugier für die Religion. Man erwartet von den Katholiken, dass sie sich zeigen, dass
sie sagen, was sie denken. Das sind gesamtgesellschaftliche Erwartungen. Das erklärt,
warum die öffentliche Hand so großzügig bei der Finanzierung mitgeholfen hat und so
viel Geld investiert hat. Das wäre vor zwanzig Jahren sicher nicht möglich gewesen.
Es gibt also eine Erneuerung dieses „Geistes der Laizität“, und das ist erst ein Auftakt,
wie der linksintellektuelle Regis Debray sagt. Man ist dabei, eine intelligente Laizität
zu entwickeln, das heißt eine offene und neugierige Laizität, und nicht eine Laizität,
die das Religiöse auf die Privatsphäre beschränkt.“
Benedikts
XVI. Wortmeldungen zum Thema Glaube und Kultur waren bisher meist recht prononcierte
Forderungen nach einem neuen Miteinander, denn er ist davon überzeugt: Glaube kann
nicht auf die Kultur verzichten, die Kultur aber auch nicht auf den Glauben. Die Rede
am Freitag wird daher dem neuerwachten Dialog in Frankreich – und sicher auch darüber
hinaus – einen wichtigen Impuls geben.