Ghana/D: 50 Jahre Entwicklungshilfe - Was ist schief gelaufen?
Wie effizient ist
Entwicklungshilfe in Afrika? Über diese Frage diskutierten in dieser Woche die Teilnehmer
einer Internationalen Konferenz in Ghanas Hauptstadt Accra. Über 1.000 Experten aus
zahlreichen Geber- und Empfängerländern wollten überprüfen, ob das Ziel der vor einigen
Jahren verabschiedeten „Pariser Erklärung“ erreicht worden ist, nämlich die Zahl der
Armen auf der Welt bis zum Jahr 2010 drastisch zu verringern. In Deutschland hat
der Gründer der Menschenrechtsorganisation „Cap Anamur“, Rupert Neudeck, die Konferenz
zum Anlass genommen, eine radikale Änderung der internationalen und besonders der
deutschen Entwicklungshilfepolitik zu fordern. Und Neudeck ist nicht der einzige Kritiker...
Entwicklungshilfe
in Deutschland und der Welt, so sagen die Unterzeichner der von Rupert Neudeck aufgesetzten
„Bonner Erklärung“, basiert auf der Gleichung „Mehr Geld gleich mehr Entwicklung“.
Aber diese Gleichung gehe nicht auf. Im Gegenteil: Die Entwicklungspolitik habe in
den letzten 50 Jahren auf ganzer Linie versagt, stellt Wilfried Pinger fest. Pinger
ist ehemaliger entwicklungspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion und
hat Neudecks Erklärung mit unterschrieben. Die Ursache für die schlechte Bilanz der
Entwicklungshilfe sieht er darin, „dass man meinte, Entwicklung
könnte man über staatliche Strukturen, insbesondere in Afrika, bewirken. Und das hat
sich als irrige Meinung erwiesen. Warum? Weil die Staatsmänner, die so genannten Eliten,
weil die, die das Sagen haben, da, wie sich gezeigt hat, an dem Schicksal der Armen
und Ärmsten nicht interessiert sind, sondern an ihrem eigenen Fortkommen und ihrem
Egoismus und daraus müssen die Konsequenzen gezogen werden.“
Ähnlich sieht
das auch Volker Mönikes. Er ist als Beobachter für die Hilfsorganisation Misereor
in Accra und fordert, dass eine Reform der Entwicklungshilfe daher auf der politischen
Ebene ansetzen müsse: „Ohne diese politischen Änderungen wird es
nicht gehen. Es wäre aber falsch zu sagen, dass man die politischen Veränderungen
abwarten muss, bevor Entwicklungshilfe dann wieder greifen kann. Im Gegenteil: Ich
glaube, es muss Bestandteil von Entwicklungshilfe sein, die Kräfte zu stärken, die
sich in den Ländern für diese politischen Veränderungen einsetzen. Das sind z.B. die
Kirchen, das sind viele Nichtregierungsorganisationen. Allerdings dies mit Nachdruck,
mit großer Kraft und auch mit dem Mut zu manchmal unangenehmen Auseinandersetzungen.
Die Zeit, wo Diktatoren Komplimente von uns bekommen, muss ein und für alle Mal vorbei
sein.“
Doch bei solchen politischen Forderungen dürfe keineswegs Schluss
sein, betont Wilfried Pinger. Denn die Probleme mit korrupten Politikern und die Behinderungen
durch die Bürokratie hätten eine viel fundamentalere Ursache: „Es
ist so, dass „Hilfe zur Selbsthilfe“ immer das Motto war, in Wirklichkeit aber nicht
praktiziert worden ist. Über 80 % der Mittel sind in diese ineffizienten und korrupten
staatlichen Strukturen gegangen und unten, bei den Armen und Ärmsten, ist kaum etwas
angekommen. Was muss geschehen? Man muss das Verhältnis umkehren, es müssen also mindestens
80 % unmittelbar an die gehen, um die es geht, nämlich die Armen und Ärmsten.“ Und
trotzdem: Es sei der richtige Weg, den Ärmsten und Armen zu ermöglichen, sich selbst
zu helfen. Das beste Beispiel hierfür seien die Kleinstkredite, die der Friedensnobelpreisträger
Mohammed Yunus in Bangladesh an Bedürftige vergibt. Dieses Beispiel müsse Schule machen,
so Pinger – und zwar schnell: „Wenn wir ganz konsequent jetzt unsere
Mittel in die Selbsthilfestrukturen geben – und das ist möglich –, dann haben wir
noch eine gute Chance, dieses Ziel entweder zu erreichen bis zum Jahr 2015 oder diesem
Ziel jedenfalls wesentlich näher zu kommen. Aber es ist jetzt Halbzeit!“
„Hilfe
zur Selbsthilfe“ – das ist auch das große Thema der Konferenz in Ghana. Zumindest
auf dem Papier. Denn, so kritisiert Misereor-Beobachter Volker Mönikes: „So
wie wir es beobachten, wird da über viele technische Fragen gesprochen, aber wir sehen
nicht, dass der Wille, wirklich die Entscheidung über das, was mit Entwicklungshilfemitteln
und Entwicklungshilfe geschieht, an die Armen zu geben, besteht. Nach wie vor sind
ganz große Organisationen, die sich dazwischen hängen, sind Bürokratien, die die Mittel
verwalten, und es sind eben nicht die Menschen selbst, die überhaupt nur wüssten,
was an Entwicklungshilfe in ihre Länder kommt. Die Antwort auf ihre Frage folgt daraus:
Es kommt darauf an, dass der Prozess transparenter gemacht wird, dass die Menschen
wissen: Was kommt in unser Land? Wofür können wir es einsetzen und mitbestimmen, wo
die Prioritäten sind.“
Dazu könnten auch die Kirchen ein großes Stück beitragen.
Denn kirchliche Hilfsorganisationen hätten gegenüber anderen, und das heißt besonders
gegenüber staatlichen Entwicklungshilfeprojekten einen entscheidenden Vorteil, sagt
Mönikes, nämlich „dass wir nahe, ganz ganz nahe bei den Menschen
sind. Kirchen, ob katholisch oder evangelisch, gehen bis in die letzten Verästelungen
der Dörfer, sie kommen in Bereiche, auch in den Städten, wo staatliche Entwicklungshilfe
nie ankommt, weil Bürokratien kein Interesse daran haben, an die wirklich Allerärmsten
heranzugehen. Und darüber hinaus – und das ist der zweite wichtige Aspekt – sind Kirche
glaubwürdige Partner. Sie werden ernst genommen aufgrund ihrer moralischen Haltung,
sie werden ernst genommen auch deshalb, weil sie selbst in vielerlei Hinsicht versuchen,
selbst zu verwirklichen und zu zeigen, was auf der anderen Seite gefordert wird: ein
gewisses Maß an Bescheidenheit, ein gewisses Maß auch an Denken in kleineren Strukturen
und nicht das großprotzige Auftreten.“ (domradio/rv 05.09.2008
wh)