Die Situation im indischen
Bundesstaat Orissa bleibt angespannt – weiterhin sind Zehntausende Christen auf der
Flucht vor fanatischen Hindus. In Neu Delhi demonstrierten Christen, für kommende
Woche haben die Bischöfe aus Solidarität mit den Opfern einen landesweiten Fasten-
und Gebetstag ausgerufen. Kirchenvertreter werfen der Regierung des nordöstlichen
Bundesstaat vor, nichts gegen die Übergriffe zu unternehmen. Kardinal Telesphore Placidus
Toppo von Ranchi sprach uns gegenüber von über 100 Toten und einer unbestimmten Zahl
von Vermissten. Wir haben am vergangenen Freitag den Bischof von Poona, Valerian
d´Souza, gesprochen und ihn nach den Hintergründen befragt. Wie haben die Christen
in anderen Landesteilen Indiens auf die Übergriffe reagiert?
„Die Christen
in Indien sind schockiert. Es gibt kein Recht und Ordnung im Bundestaat Orissa. Die
Situation ist den staatlichen Kräften über den Kopf gewachsen. Um nur ein paar Zahlen
zu nennen: Seit dem 24. August gibt es 26 Tote, 41 Kirchen oder Kapellen sind völlig
zerstört. 249 Häuser zerstört, vier Klöster, fünf Studentenheime, sechs andere Gebäude
und unzählige Fahrzeuge ruiniert. So suchen die Christen, die im allgemeinen arm sind,
Zuflucht in den Wäldern. Das ist das Bild von heute!“
Was sind denn die Hintergründe
dieser Exzesse?
„Die Entstehung dieses Konflikts geht weit zurück. Im Bezirk
Kandhamal in Orissa gibt es hauptsächlich zwei Gruppen: Die Volksstämme und die Dalits,
die früher die „Unberührbaren“ genannt wurden. In diesem armen Gebiet gibt es seit
eh und je Zankerei wegen Eigentumsfragen bei Grundstücken, und wegen der großen Armut.
Und die jüngste Verschärfung ist durch politische Spiele entstanden. Die Dalits sind
zum guten Teil Christen geworden, und die Volksstämme wurden Hindus; diese waren ursprünglich
nicht Hindus sondern Animisten. Radikale, militante Hindus haben als Ziel, die zum
Christentum konvertierten zum Hinduismus zu bekehren. Ein Viertel der Bevölkerung
ist Christen. Außerdem glaubt jede Gruppe, dass die jeweils anderen die staatlich
gewährten Privilegien wegnehmen will. So war es schon seit Jahren ein Pulverfass,
das zu jeder Zeit explodieren konnte. Und jetzt ist es explodiert.“
Würden
Sie denn sagen, dass das eher ein sozialer Konflikt ist, oder ein religiöser?
„Zuerst
war es ein sozialer Konflikt, und jetzt ist es ein sozialer und religiöser Konflikt
geworden. Es ist eine Vermischung da.“
Gibt es auch in anderen Teilen von Indien
solche Probleme?
„Im Großen und Ganzen gibt es diese Probleme nicht. Der Inder
ist im Grunde genommen sehr tolerant. Aber die radikalen Hindus glauben, dass Christen
vor allem die Menschen bekehren wollen. Sie wollen uns nicht abkaufen, dass wir eine
Verwandlung des Herzens wollen. Alle Christen – leider Gottes – werden in Indien in
einen Topf geworfen. So muss man leider sagen, dass die christlichen Sekten draufgängerisch
und aggressiv sind, und die großen christlichen Kirchen werden dafür in Haftung genommen.
Vieles was die tun, fällt auf uns zurück.“
Sie würden sagen, dass die evangelikalen
Sekten auch ein Grund darstellen, dass es zu diesen Übergriffen kommt?
„Ja,
ganz klar. Wenn die predigen, dass die Hindus in die Hölle kommen und dass sie Götzen
verehren – die predigen auch, dass wir Katholiken in die Hölle kommen werden – das
kommt nicht gut an.“
Letzte Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
„Natürlich
wünschen wir uns alle, dass wir als Kinder Gottes in Frieden und Eintracht leben können.
Das ist das Erbe Mahatma Gandhi! Wir nehmen seinen Namen sehr oft in den Mund, aber
wir vergessen, was er uns hinterlassen hat: Dass wir in Frieden und Eintracht leben
wie Brüder und Schwestern. Das wäre meine Hoffnung!”