2008-08-30 12:08:59

Kommentar: Wissen ist nicht alles


RealAudioMP3 „Die Unkultur der schnellen Schuldzuweisung führt nicht zu neuen Erkenntnissen.“ Das betont Iwan Rickenbacher in seinem Kommentar der Woche bei Radio Vatikan. Der Schweizer Kommunikationsberater und ehemaliger Generalsekretär der Christdemokratischen Volkspartei mahnt vielmehr zur Einsicht, dass alles Wissen, Glauben und Hoffnung nicht ersetzen kann.
Wir dokumentieren hier den Kommentar von Iwan Rickenbacher im Wortlaut:

Am Mont Blanc sind am Wochenende mehrere Bergsteiger von einer Schnee- und Eislawine verschüttet worden. Für acht von ihnen, aus Deutschland, aus Oesterreich, aus der Schweiz besteht keine Hoffnung auf Überleben mehr. Meterdick liegen sie in den Schneemassen begraben und weitere Abstürze würden jene gefährden, die sie zu bergen versuchten.
Wenige Stunden nach dem Ereignis bewegt viele Menschen die Frage, wie dies geschehen konnte und nicht wenige versuchen, Schuldige für das tragische Unglück zu finden.


War die Route gut gewählt? Kannten die Bergführer den Berg und seine Tücken? Wurden allfällige Warnungen in den Wind geschlagen? Waren die Bergsteiger richtig ausgerüstet?
Erste Aussagen von Experten scheinen zu belegen, dass die von erfahrenen Berggängern geführten Gruppen auf einem viel begangenem Aufstieg bei normalem Bergwetter vom Unglück betroffen worden sind, von einem unvorhergesehenen Schicksal betroffen.
Schicksal, unvorhersagbares Ereignis, dies sind Begriffe, mit denen sich viele in unserer Zeit, in der so vieles machbar erscheint, schwer tun.
Krankheiten, an denen unsere Grosseltern mit hoher Wahrscheinlichkeit starben, werden erfolgreich bekämpft. Wissenschaftliche Instrumente lassen gefährliche Naturereignisse voraussagen und der Gentest erlaubt die Auslegeordnung der persönlichen Schwächen und Risiken und ermöglicht die präventiven Massnahmen, die den plötzlichen Zusammenbruch verhindern.
Und dann dies, eine Eislawine, die nicht der Regel folgt, ein Tornado mitten in Frankreich, wo es seit Jahrzehnten keinen todbringenden Wirbelsturm mehr gegeben hatte, und dies trotz aller Risikoberechnungen und Wahrscheinlichkeitskurven. Waren die Häuser, welche ihre Bewohner begruben, liderlich gebaut und welche Schuld trifft die Wettervorhersage, die nicht drastisch von der zerstörerischen Gewalt des angesagten Unwetters gewarnt hatte?


Dass Menschen verstehen wollen, warum solche Ereignisse eintreten, ist verständlich. Aus dem Verstehen können präventive Massnahmen entwickelt werden. Verstehen zu können braucht aber meistens Zeit und akribische Analyse. Diese Zeit wird nur dann eingeräumt, wenn akzeptiert wird, dass es Dinge gibt, die ohne persönliche Schuld von Einzelnen und von Institutionen vorerst unerklärbar bleiben.
Für viele ist diese Haltung in einer Zeit, in der man den Dingen in der Nanodimension auf den Grund zu gehen scheint, fast unvorstellbar. Die Antwort muss schnell her und am schnellsten geht es, wenn ein Schuldiger festgemacht werden kann.
Vor einigen Monaten starben in der Schweiz einige Gebirgsrekruten an einem andern Berg. Sie hatten ihre Tour nicht unter den besten Wetterbedingungen unternommen und der Weg führte an sehr kritischen Stellen vorbei, die schon andern Bergsteigern das Leben gekostet hatten. Noch ist nicht geklärt, was die jungen Männer und ihre auch noch jungen Führer, alles berggewohnte Menschen, bewogen hatte, an diesem Morgen den Berg zu besteigen. Ein vermeintlich Schuldiger ist von einem Teil der Öffentlichkeit schnell ausgemacht worden. Es war für einige der Verteidigungsminister, der es nach Meinung dieser Kritiker nicht verstehe, der Armee richtige Aufgaben zuzuweisen, damit junge Männer ihr Leben nicht auf militärisch unnötigen Touren aufs Spiel setzten.
Nein, die Unkultur der schnellen Schuldzuweisung führt nicht zu neuen Erkenntnissen. Sie verstellt im Gegenteil die Suche nach den wahren Gründen eines Geschehens und weckt Scheinhoffnungen in die Abwendung künftiger Schadensfälle. Vielleicht braucht es die bescheidene Einsicht, dass den Menschen viele Dinge verstellt bleiben, dass vieles unerklärbar bleibt und dass das immense Wissen, das wir uns angeeignet haben, den Glauben und die Hoffnung nicht ersetzen.
Mit diesem Beitrag verabschiede ich mich, liebe Hörerinnen und Hörer und wünsche Ihnen die Musse, die ich mir wegen dieser Sendung nehmen musste, wieder etwas hinter die Tagesereignisse zu gucken. Mir die Zeit zu nehmen, zu verstehen, bevor ich urteile und skeptisch zu bleiben, wenn zu schnelle Erklärungen angeboten werden, für die Kämpfe im Kaukasus, für die Regierungsbildung in Pakistan oder das Schicksal Tibets. Einiges werden wir nie ganz verstehen.


(rv 30.08.2008 bp)








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