2008-08-28 16:43:30

Italien: Todesfahrt auf dem Mittelmeer


RealAudioMP3 Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer hält an. Vor Malta sind gestern mindestens 70 Afrikaner ertrunken, als ihr Schlauchboot mit Wasser vollief. Auch auf Lampedusa, der kleinen Mittelmeerinsel zwischen Tunesien und Sizilien, stranden jeden Tag weitere Migranten – unter ihnen immer mehr Frauen und Kinder. Und jeden Sommer werden es mehr. Allein vergangenes Wochenende sind 600 Afrikaner auf Lampedusa an Land gegangen. Der italienische Journalist und Menschenrechtler Gabriele del Grande, Gründer der Beobachtungsagentur „Fortress Europe“, beschreibt die Entwicklung des Flüchtlingsproblems folgendermaßen:
„Seit Anfang 2008 erleben wir einen Rückgang bei den Neuankünften in Spanien. Das Gegenteil gilt für Italien und Griechenland. Was die Opfer betrifft, haben wir es mit mehr Toten im Kanal von Sizilien zu tun. 400 dokumentierte Fälle gab es hier bisher in diesem Jahr – 2007 waren es insgesamt 560 Ertrunkene. Natürlich handelt es sich um eine ungefähre Zahl. Niemand kann überprüfen, wie viele Schiffbrüche es im Mittelmeer gibt. Wir können nur davon mit Sicherheit ausgehen: Wenn die Zahl der Flüchtlinge steigt, die es bis zu uns schaffen, dann steigt auch die Zahl der Ertrunkenen im Kanal von Sizilien.“
Gabriele del Grande ist Mitte 20. Letztes Jahr veröffentlichte er sein erstes Buch, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt: “Mamadous Fahrt in den Tod. Die Tragödie der irregulären Migranten im Mittelmeer“. Für diese Reportage folgte Gabriele del Grande der Spur der „Namenlosen“, die aus Verzweiflung ihre Heimat verlassen haben. Monatelang schritt er ihre Routen entlang des Mittelmeers ab, von der Türkei zum Maghreb und von dort bis zum Senegal. Del Grande versucht zu verstehen, wer die Menschen waren, die Schiffbrüchen zum Opfer fielen, oder der Hitze der Sahara, der Kälte in der Nacht, Lastwagenunfällen, den Minenfeldern und den Schüssen der Polizei. Er fragt, warum sie ihre Heimat verlassen und das Risiko des Todes auf sich nehmen. Aus all diesen Beobachtungen fügt er ein Puzzle zusammen, das über die Fakten weit hinausgeht – obwohl die Fakten Grundlage sind. Über die Herkunft der Flüchtlinge hat seine Organisation Folgendes beobachtet:
„Dieses Jahr gab es da eine Änderung. In den ersten sechs Monaten stammten die meisten Bootsflüchtlinge aus Somalia, gefolgt von Nigeria, Tunesien, Ghana, Eritrea, Äthiopien. Wie sehen also, dass weniger Menschen aus nordafrikanischen Ländern kommen, mit Ausnahme Tunesiens, Und andererseits ist die Zahl der politischen Flüchtlinge gestiegen, die auf diesen Routen kommen. Ein Migrant von drei auf Lampedusa wird als politischer Flüchtling anerkannt werden.“
Europa versucht sich gegen die Flüchtlingswelle aus Afrika immer mehr abzuschotten. Die sozialistische Regierung Zapatero in Madrid ließ etwa die beiden spanischen Enklaven in Marokko, Ceuta und Melilla, mit fünf Meter hohen Stacheldrahtzäunen umgeben, hinter denen Tag und Nacht schwerbewaffnete Polizisten patrouillieren. Auch deshalb versuchen es immer mehr Afrikaner über den Seeweg.
 
„Mit der zunehmenden Schließung der Spanien-Route, die stark kontrolliert wird, hat sich der Druck der Migranten in den letzten Jahren mehr und mehr auf die Mittelmeer-Route verlagert – vor allem auf Italien und Griechenland. Nun hat die Zahl der Patrouillen auf dem Mittelmeer aber auch zugekommen. Das heißt, die Boote weichen auf längere und damit gefährlichere Routen aus. Heute reist man drei bis fünf Tage auf dem Meer, in immer kleineren Booten, um den Patrouillen zu entkommen.“

Seit 2004 ist die europäische Grenzschutzagentur Frontex operativ. Sie ist speziell als Antwort auf die Welle der Bootsflüchtlinge entstanden. Aus menschenrechtlicher Sicht, sagt Gabriele del Grande, ist die Arbeit von Frontex zweifelhaft.

„Im Moment ist es bei den Frontex-Patrouillen so, dass sie im Kanal von Sizilien wenig oder gar nichts tun. Die Ziele von Frontex sind nicht erreicht, was etwa das Zurückdrängen der Boote an die libysche Küste betrifft - was übrigens ein schweres Risiko für die Immigranten wäre. Frontext vergisst manchmal, dass an Europas Grenzen nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge reisen, sondern eben auch politische Flüchtlinge. 90 Prozent aller illegalen Einwanderer, die sich heute in Italien aufhalten, sind regulär mit einem Touristenvisum im Flugzeug eingereist. Über das Meer kommen nur zehn Prozent der illegalen Einwanderung, aber 60 Prozent der rund 15 Millionen politischen Asylsuchenden. Diese Menschen nach Libyen oder in noch strengere Länder zurückzudrängen, heißt, sie in Länder abzuschieben, wo sie das Leben riskieren.“
(rv 28.08.2008 gs)

“Mamadous Fahrt in den Tod. Die Tragödie der irregulären Migranten im Mittelmeer“. Von Gabriele del Grande ist im Loeper Literaturverlag erschienen.








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