Die Kolumne des Botschafters: Christliche Erziehung
Deutschlands Botschafter beim Heiligen Stuhl, Hans-Henning Horstmann, zur deutschen
Bildungsreform und dem Stellenwert christlicher Erziehung heute: Sehr
verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,
am 21. August hat Bundeskanzlerin
Merkel ihre Bildungsreise begonnen. Bis zum 9. Oktober wird sie sich in Kindertagesstätten,
in Grundschulen, Gymnasien, Universitäten und anderen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen
persönlich im unmittelbaren Gespräch über die Bildungssituation in Deutschland unterrichten.
Die Bundeskanzlerin wird vor allem Institutionen besuchen, die sich durch innovative
pädagogische Ansätze auszeichnen. Von diesen Institutionen können wichtige Impulse
für die Reform des deutschen Bildungssystems ausgehen.
Am 22. Oktober werden
Bundes- und Länderregierungen auf einem Nationalen Bildungsgipfel in Dresden beraten,
wie der bereits begonnene Reformweg künftig weiter geht. Die Ende letzten Jahres veröffentlichte
PISA-Studie zeigt, dass erste Schritte in die richtige Richtung gesetzt wurden, z.B.
hat sich die Lesefähigkeit deutscher Schüler verbessert.
Die konfessionellen
und privaten Bildungseinrichtungen haben in Deutschland nicht nur Tradition, sondern
Zukunft: Die Nachfrage wächst seit Jahren. Der Katholischen Kirche wächst aufgrund
ihrer jahrhundertealten Erfahrungen in diesem Prozess besondere Bedeutung zu. Derzeit
gibt es in Deutschland insgesamt 872 katholische Schulen in freier Trägerschaft, die
sich sowohl bei Eltern als auch bei Schülern großer Beliebtheit erfreuen. Gründe sind
unter anderem: die hochwertige (weil homogene) Qualität des Lehrerkollegiums, die
enge Zusammenarbeit von Schule und Elternschaft und die Wertevermittlung.
In
unserer Internet-, Handy-, Video- und Fernsehgesellschaft ist es für Eltern wichtig,
dass sich ihre Kinder gerade auch in der Schule mit Werte- und Glaubensfragen auseinandersetzen.
Auch die Politik erkennt dies: In Berlin gibt es z.B. ein Volksbegehren „ProReli“,
das die Wiedereinführung von Religion als ordentliches Unterrichtsfach fordert.
Mich
persönlich beeindruckt das weltweite Netz katholischer Bildungsinstitutionen, und
wir stellen fest, dass die Nachfrage nach katholischer Erziehung und Bildung in allen
Kontinenten, gerade auch in Asien und in nichtchristlichen Staaten wächst.
Die
Päpstliche Kongregation für das katholische Bildungswesen genießt auch in Deutschland
hohes Ansehen. Bei wichtigen bildungspolitischen Reformversuchen wie dem Bologna-Prozess
arbeitet diese Kongregation eng mit europäischen Bildungspolitikern zusammen.
Lange
Zeit schien es ausgeschlossen, dass Kirche und Staat beim Thema Bildung jemals an
einem Strang ziehen würden. Denn die Geschichte der Bildung ist auch die Geschichte
von Auseinandersetzungen um Lehrinhalte zwischen christlich-katholischen und weltlichen
Institutionen und Instanzen. Nachdem die Kirche über Jahrhunderte hinweg in Europa
das Bildungsmonopol besessen hatte, wurde das religiöse Schulwesen, das sich vor allem
auf die Übermittlung von Glaubensinhalten konzentrierte, im Zuge von Humanismus und
Reformation nach und nach von einem Schulwesen mit allgemeinen Bildungsinhalten ersetzt.
Die Kirche musste in den folgenden Jahrhunderten ihre Monopolstellung im Bezug auf
die Bildung Stück für Stück aufgeben.
Eines der bekanntesten Ereignisse, bei
dem auch das Tauziehen um den Einfluss auf Bildungs- und Lehrinhalte an Schulen zwischen
der Kirche auf der einen und einer weltlichen Instanz auf der anderen Seite eine sehr
wichtige Rolle spielte, ist als „Kulturkampf“ in die deutsche Geschichte eingegangen.
Die Auseinandersetzungen zwischen Papst Pius IX. und Bismarck von 1871 bis 1878 verdrängten
die katholische Kirche aus dem preußischen Bildungswesen. 130 Jahre später hat sich
das Bild gewandelt: Politiker und Bürger fordern christliche Bildungsinhalte und fördern
sie finanziell und durch persönliches Engagement.
Die „Bildungsreise“ der
Bundeskanzlerin ist ein Signal, dass die Reformen gerade im Erziehungs- und Bildungssystem
einen neuen Impuls erhalten. Die Steigerung des Leistungsniveaus, eine bessere Vernetzung
von Schule und Gesellschaft, eine Minderung der Quote von Schulabbrechern und insbesondere
die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in das Schulsystem
sind entscheidende Zielsetzungen.
Bund und Länder werden ihre Koordinierung
und gleichzeitig die Vielfalt der Erziehung, Ausbildung und Bildung in Deutschland
verstärken. Die konfessionellen und Privatschulen sind notwendige Voraussetzung, dass
der lange Weg zu einer "Bildungsrepublik" von Erfolg gekrönt wird.
Deutschland
hat als entscheidende Ressource gut ausgebildete Menschen. Wir wollen ein Land der
Ideen bleiben. Deshalb ist es notwendig, dass in unserem Land mit einer starken Bildungstradition
der begonnene Weg von allen gesellschaftlichen Kräften gefördert wird. Und Bildung
ist weitaus mehr als Wissensvermittlung. Eine gute Bildung verankert Werte und kann
dazu beitragen, dass in einer Welt der Beliebigkeit die Kohäsionskräfte in unserer
Gesellschaft wachsen. (rv 25.08.2008 gs)