Im Zentrum des Evangeliums
des heutigen Sonntags steht eine Zusage: Die Zusage Jesu an Petrus: „Du bist Petrus,
und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Ein gewaltiger Satz und ein Satz
mit großer Wirkung, denn er gilt bis heute als Grundstein und Wesensmerkmal unserer
Kirche. Dieser Zusage geht ein Beziehungsgeschehen voraus, in das wir als Hörer
des Evangelientextes mit hineingenommen werden. Dies beginnt damit, dass Jesus und
die Jünger in eine andere Region des Landes kommen. Jesus ist schon irgendwie öffentlich
bekannt bei vielen Menschen, aber die Vorstellungen „Was er für einer sei“ sind wohl
recht unterschiedlich. Dieser Frage geht Jesus nach, wenn er die Jünger fragt: „Für
wen halten die Leute mich?“ Wie sieht die Außen, die Fremdwahrnehmung aus? Die Rückmeldungen,
die er darauf erhält, sind unterschiedlich, sagen aber alle aus, dass die Leute Jesus
als großen besonderen Menschen, als Propheten, als „Außerordentlichen“ ansehen. Daraufhin
richtet Jesus den Blick auf seinen inneren Kreis, auf die Jünger, und stellt die Frage
nochmals mit Nachdruck: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Was habt ihr mitbekommen
von mir, was nehmt ihr wahr? Darauf antwortet Petrus mit dem zentralen Messiasbekenntnis:
„Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Jesus ordnet dieses Bekenntnis
des Petrus ein: „Selig bist du …; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart,
sondern mein Vater im Himmel.“ Petrus wird nicht zum Bekenner aus seiner eigenen Kraft,
aus seiner eigenen Erkenntnis heraus, sondern weil Gott ihm diese Erkenntnis schenkt.
Das erinnert mich an den Bericht vom Seewandel des Petrus, den wir am vorletzten
Sonntag gehört haben: hier wurde auch deutlich, dass Petrus nur auf dem Wasser gehen
kann, weil Jesus ihn an seiner Vollmacht teilhaben lässt, und Petrus dies nicht aus
eigener Glaubenskraft heraus vermag. Weil Gott dem Petrus die Messiaserkenntnis
schenkt, wird Petrus zum Grundstein, auf dem die Kirche steht. Nur deshalb, weil er
beschenkt wurde, kann er Fels sein. Ein weiteres Zeichen für die Vollmacht setzt Jesus
hinzu: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden
wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das
wird auch im Himmel gelöst sein.“ Auf den frühesten Darstellungen in der Kunst
sieht man beim Bild von der ewigen Stadt Jerusalem den Petrus mit diesem Schlüssel
als Zeichen der Vollmacht am Stadttor stehen und den Menschen Einlass gewähren. Das
neutestamentliche Bildwort von den Schlüsseln geht auf den Propheten Jesaja zurück,
hier heißt es: „Ich lege ihm die Schlüssel des Hauses David auf die Schulter. Wenn
er öffnet, kann niemand schließen, wenn er schließt, kann niemand öffnen.“ Im Neuen
Testament wurde diese Stelle auf Christus bezogen, der sich in der Geheimen Offenbarung
vorstellt: „So spricht der Heilige, der Wahre, der den Schlüssel Davids hat …“ Der
eigentliche Inhaber der Schlüsselgewalt ist also Christus, der über die Teilhabe oder
den Ausschluss vom himmlischen Jerusalem bestimmt. Petrus, als Vertreter der christlichen
Gemeinde, darf an dieser Vollmacht teilhaben. Er soll eine Kirche leiten, die allen
Menschen guten Willens offen steht. Petrus – und seine Nachfolger – tragen die Verantwortung
dafür, dass die Menschen mit der Lehre Christi bekannt werden und dass sie sich angezogen
fühlen von der Frohen Botschaft, die Christus gelehrt und vorgelebt hat. Diese
Verantwortung aber muss und kann Petrus nicht alleine tragen. An anderer Stelle des
gleichen Evangeliums spricht nämlich Christus der ganzen Gemeinde die Binde- und Lösegewalt
zu. Da heißt es: „Alles, was IHR auf Erden binden werdet – alles, was IHR auf Erden
lösen werdet.“ Die Gemeinschaft der Christen wird beteiligt, muss beteiligt werden,
jeder wird gebraucht. Und Binden und Lösen sind uns als Lebenshilfen vertraut und
erschließen sich schon rein sprachlich: wenn wir den Zwanghaften sehen, oder den von
Schuld, Leistungsdruck oder Angst Gefesselten, der Lösung braucht, Befreiung. Und
auf der anderen Seite der Haltlose, der Orientierungslose, der Unsichere braucht Bindung,
Bindung an einen Lebenssinn, an Gott. Grundprinzip ist dabei die „aufschließende Kraft“
der absoluten und unverlierbaren Liebe Gottes. In diesem Sinne hat jeder von uns
in gewisser Weise die Schlüssel des Gottesreiches in der Hand. Jeder von uns verfügt
über Möglichkeiten, anderen Menschen Zugänge zu erschließen oder zu verbauen, den
anderen noch weiter in die Enge zu treiben oder ihm neue Möglichkeiten und Weite zu
verschaffen. Hier liegt sicherlich Verantwortung, in einem mitmenschlichen Umgang,
der sich an Christus orientiert. Eine Sonntagsbetrachtung von Iris Müller, Theologin
und Supervisorin in Düsseldorf.