2008-08-09 13:14:18

Der Gang Jesu auf dem Wasser (Mt 14,22-33) - Betrachtung von Iris Müller (Düsseldorf)


RealAudioMP3 Das Evangelium des heutigen Sonntags berichtet uns eine sehr eindrückliche Geschichte, die mit einer dramatischen Situation beginnt und auf diesem Niveau bleibt:
Wenn wir uns mit unserer Vorstellung mitten in die beschriebene Szene hineinbegeben, finden wir uns in der Mitte der Nacht wieder – es ist schon die vierte Nachtwache; Dunkelheit, Gegenwind, der das Wasser aufpeitscht und das Boot hin und her wirft, Erschöpfung nach einem langen Tag. Eine gespenstische Situation, düster. Die Jünger haben Angst und sehen Gespenster: kein Wunder, vermutlich gehen die Nerven mit ihnen durch, der Schlafmangel macht sich bemerkbar, alles ist bedrohlich und sie sehen Schreckensbilder – Gespenster.
Sie warten auf Jesus, der sich zurückgezogen hatte, der allein sein wollte. Und nun, in dieser stürmischen Nacht widerspricht er allen Erwartungen. Statt mit dem Boot zu ihnen zurückzukehren, geht er über das Wasser. Und es geschieht das, was immer passiert, wenn man eine bestimmte Erwartung hat, wie etwas sein wird, und es ist dann ganz anders: Man versteht es zunächst nicht. So geht es auch den Jüngern: sie erkennen ihn nicht, ihn, der ihnen vertraut ist. Er sprengt dermaßen die Grenzen alles Vorstellbaren und aller Erwartungen, aller „normalen Naturgesetzmäßigkeiten“ – er tut etwas, was schlichtweg nicht geht – er geht über das Wasser.
Und die Jünger schreien vor Angst. Sie schreien wie Kinder, die in der Dunkelheit, in der Nacht nach der Mutter oder dem Vater rufen, weil sie allerlei Beängstigendes erleben. Und auf diese kindliche Reaktion reagiert Jesus wiederum entsprechend: beruhigend, väterlich sagt er: Habt Vertrauen. Ich bin es; fürchtet euch nicht! Ich höre den Zuspruch daraus: ich bin da! Habt keine Angst mehr! Es ist gut! Er sieht ihre Angst, er erkennt sie und versteht sie auch, aber er fordert sie dazu auf, gegen die Angst anzugehen und sich daran zu erinnern, dass sie ihm vertrauen.
Die Reaktion des Petrus bleibt ganz in dieser Linie: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Sagt er. Vielleicht ein wenig großspurig, übermütig, vermutlich will er beweisen, wie sehr er der Angst widersteht, wie sehr er nun vertraut.
Petrus erkennt Jesus wie die Mutter oder den Vater – er redet ihn mit „Herr“ an – und antwortet mit grenzenlosem Vertrauen: „Wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Vielleicht könnte man ergänzen „ich will nahe bei dir sein“.
Seine Aussage „Herr, wenn du es bist“ weist daraufhin, dass Petrus den Vollmachtsanspruch Jesu zum einen voll und ganz akzeptiert, und zum anderen auch sein Leben und seine Entscheidungen daran ausrichten wird.
Man kann es sich richtig vorstellen: Petrus ist völlig begeistert von der Idee, sein Vertrauen in die Vollmacht Jesu unter Beweis zu stellen. Es bleibt keine Zeit zum Zweifeln, er stürzt sich in die Situation, die real betrachtet völlig leichtsinnig ist. Wie ein Kind, das sich voller Vertrauen in die ausgebreiteten Arme fallen lässt. Es geht hier nicht um das Vertrauen auf eigenes Können, vermutlich auch nicht darum, es Jesus gleichtun zu wollen. Nein, er will sich jetzt und ganz und sofort in die Hand Jesu geben. Und Jesus nimmt den Ball an, er fordert ihn auf: Komm!
Petrus steigt also mutig aus dem Boot aus und geht los - und merkt plötzlich, dass er in eine Situation geraten ist, die seine Möglichkeiten übersteigt. Einige Schritte ist er wahrhaftig über das Wasser gegangen, aber dann droht das Wunder schief zu gehen. Petrus nimmt die Realität wahr, er spürt die Heftigkeit des Windes, er steht im Wasser und er bekommt im wahrsten Sinne des Wortes „kalte Füsse“. Das Unausweichliche passiert: mit der steigenden Angst, versinkt er immer tiefer, das Wasser steht ihm fast bis zum Hals, und Petrus schreit um Hilfe: „Herr, rette mich!“ Erwartungsgemäß, und mit der ihm gegebenen Vollmacht, rettet Jesus den Jünger. Er streckt die Hand aus und ergreift ihn. Seine Antwort lautet: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“
Damit wechseln die Beschreibungen des Verhaltens des Petrus sehr schnell und sehr heftig. War er zunächst der vorbildliche, glaubensstarke Jünger, der im Vertrauen auf Jesus alles wagt, den sicheren Boden verlässt, wirklich „aussteigt“, das tut, was menschliche Möglichkeiten und Fähigkeiten grundsätzlich übersteigt, so steht er nun nach dieser Wende bei seinen Versuchen über das Wasser zu gehen, als ein „kleingläubiger“ Versager da - einer, der um sein Leben fürchtet und um Rettung schreit.

Was mir bei dieser Geschichte besonders nachgeht ist die Frage, wodurch gerät Petrus in diese fatale Situation? Durch sein Vertrauen, seinen Glaubensmut, seine Beherztheit – oder durch seinen mangelnden Glauben, wie es so oft vermutet wird.
Ich meine wir dürfen nicht vergessen: Jesus ist und bleibt der Herr der Geschichte. Er ist es, der Petrus über das Wasser gehen lässt und nicht etwa die eigene Glaubenskraft des Petrus, die ein solches Wunder bewirken könnte.
Ist es aber dann wirklich so, dass Petrus sich die Gefahr des Ertrinkens ganz selbst zuzuschreiben hat? Ebenso wie nur Jesus dem Petrus die Vollmacht gibt über das Wasser zu gehen, so kann Petrus auch nur im Wasser versinken, weil Jesus es zulässt. Petrus ist ganz von der Vollmacht Jesu abhängig.
Die Spannung liegt in dem Feld zwischen der Beistandszusage Jesu und dem Zweifel hier des Petrus, der Jünger oder der Christen allgemein. Die Frage lautet doch im letzten: worauf verlasse ich mich in der Ausrichtung meines Lebens als Glaubender, als Christ, nämlich entweder auf mein eigenes Können, dass im normalen Leben natürlicherweise durch viele Zweifel bedroht ist, oder verlasse ich mich auf die Zusage Jesu und seinen Beistand, der lautet: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“
Wenn wir auf unsere eigenen Erfahrungen schauen, dann zeigt sich sicherlich, dass die Grenzen zwischen Glaube und Vertrauen auf der einen Seite und Zweifel im Glauben und Scheitern auf der anderen Seite fließend ineinander übergehen. Die Botschaft dieser Geschichte „des Gangs des Petrus über das Wasser“ sagt aus, dass bei aller Kritik Jesu am Kleinglauben, die Jünger, die Menschen in der Nachfolge, in allen Lebenssituationen von der Macht Jesu, des Sohnes Gottes, getragen werden. Das gilt genauso für den über alle irdischen Grenzen hinaus über das Wasser schreitenden Petrus als auch für den durch Lebensrealitäten bedrängten und von Zweifeln gepackten Jünger. Glaubende Menschen dürfen sich von Jesus getragen wissen, auch dann wenn der Glaube ins Wanken oder in die Krise gerät.
Das Wunder erweist sich am Ende am stärksten als Jesus den Petrus am Arm packt und ihn rettet. Das ist die eigentliche Zusicherung für jeden einzelnen von uns.

(rv 09.08.2008 mc)







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