Mehr alte Menschen,
zurückgehende Geburtenziffern, soziales Leid – die sozialen Probleme moderner Gesellschaft
sind nur in Griff zu bekommen, wenn die Menschen im Rahmen bürgerschaftlichen Engagements
mithelfen. Doch wie kann die Bereitschaft zu sozialen Engagement gefördert werden?
Katholische Schulen haben in den 90er Jahren ein Programm entwickelt, mit dem ehrenamtliches
soziales Handeln Jugendlicher gefördert werden soll. Viele staatliche Schulen im In-
und Ausland haben das Programm übernommen. Michael Hermann mit einer Zwischenbilanz.
Das
Programm heißt Compassion – auf Deutsch: Mitlied, Erbarmen, Mitgefühl. 250 Schulen
in Baden-Württemberg, weitere in Bayern, Österreich, Tschechien und Litauen setzen
es um. Die Schüler gehen meist zwei Wochen in soziale Einrichtungen wie Altenheime,
Krankenhäuser oder Obdachlosenheime und setzen sich anschließend in den unterschiedlichsten
Schulfächern mit dem Erlebten auseinander. Wissenschaftlich betreut wird Compassion
vom Lothar Kuld. Der katholische Theologe lehrt an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
„In Deutschland ist es so, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen angibt,
soziales Engagement sei nichts für sie und sie würden es auch nicht einsehen, während
etwa 45 Prozent in der letzten Shell-Jugendstudie von 2006 angibt, sie würden sich
durchaus vorstellen können, sich sozial zu engagieren und es auch für sinnvoll halten.
Wir haben hier also sozusagen zwei ganz starke Blöcke. Und es gibt auch die Beobachtung,
dass die Verhaltensbereitschaft sich zu engagieren eher abgenommen hat. Aber sie ist
nicht verschwunden, sie ist vorhanden.“
Dabei, so Kuld, gibt es kaum Unterschiede
nach Bildungsniveau oder Migrationshintergrund. Eine wichtige Rolle spiele das Geschlecht.
Junge Frauen sind sehr viel eher bereit zu helfen als junge Männer. Die Bereitschaft
zu entwickeln und zu sichern, war ein Anliegen der katholischen Schulen in den 90er
Jahren. Damals sprachen alle von Globalisierung und wie sich die Schulen darauf einstellen
können. Lothar Kuld:
„Die freien katholischen Schulen haben gesagt, was
könnte unser Profil sein in dieser Schullandschaft? Wir machen etwas, was die anderen
nicht machen. Und dann sagen sie: Die Zukunftsaufgabe in einem Land wie Deutschland
wird das soziales Engagement sein. Denn wir werden immer mehr alte Menschen haben,
die auf Unterstützung angewiesen sind. Und Menschen, die hier asylsuchend sind. Wir
haben soziale Probleme. Wir haben Kinder, die betreut werden müssen, kranke Menschen.
Und wer setzt sich für die ein, die auch nicht mitkommen in diesem Prozess der Modernisierung?
Und deswegen wird die soziale Frage die pädagogische Frage der Zukunft sein und das
greifen wir auf.“
Die Ergebnisse von Compassion, so der Theologe Kuld,
sind vielversprechend:
„Und da hat sich gezeigt, dass an Schulen mit einem
Sozialprojekt, die Bereitschaft überhaupt über das Thema soziales Engagement nachzudenken,
nachhaltig sich stärkt und auch zunimmt im Laufe eines Schuljahres. Und auch noch
bei Nachbefragungen ein halbes Jahr später war das noch relativ stark, während an
Schulen ohne Sozialpraktika die Äußerungen in diesem Feld zurückgehen und sich innerhalb
des Jahres sogar halbieren.“
Hat die Bereitschaft zu sozialem Engagement
auch etwas mit der religiösen Grundeinstellung der Jugendlichen zu tun?
„Eindeutig
nein. Aber auch bei jungen Erwachsenen zeigt sich: Man ist bereit, sich zu engagieren,
wenn man es versteht und einsieht. Und da sehen Sie, dass das wieder etwas mit Lernen
zu tun hat. Die religiöse Motivation wird dabei nicht ins Feld gebracht. Sondern die
Jugendlichen sagen: Ich mache das, weil es mir Spaß macht, weil das was mit mir zu
tun hat, weil ich dabei vorkomme. Die religiöse Motivation ist es nicht. Man opfert
sich auch nicht. Sondern man ist eher pragmatisch. Vielleicht ist das sogar gut so.
Man setzt sich ein, weil man es einsieht und will; nicht weil man es muss.“