Der Berg der Verklärung - Hoffnung für junge Menschen
Am Mittwoch feiert
die Kirche das Fest „Verklärung des Herrn“: Die Bibel berichtet, wie Jesus mit drei
Jüngern „auf einen hohen Berg“ steigt. Beim Gebet sehen die Jünger ihn dort wie in
himmlisches Licht getaucht. Wo genau dieser „hohe Berg“ liegt, steht in der Bibel
nicht. Aber die alte christliche Tradition hat den auffälligen, kegelartigen Berg
Tabor in der Nähe von Nazareth als Ort der Verklärung ausgemacht. Wer dort hinpilgert,
trifft nicht nur auf ein paar Franziskaner, die die Kirche betreuen, sondern auch
auf ein Gruppe junger Männer mit harter Vergangenheit. Gabi Fröhlich hat sie besucht.
Auf dem Tabor drängen sich die Besucher. In Scharen ziehen sie an blühenden Büschen
vorbei zu der Kirche mit dem großen Verklärungsmosaik. Viele machen danach noch einen
Abstecher zu der „Tenda di Elija“: Der kleine Andenkenladen ist nach der Hütte benannt,
die Petrus laut biblischem Bericht für den Propheten hatte bauen wollen. Zwei junge
Italiener verkaufen dort Eis an die erhitzten Besucher, dazu Rosenkränze, Holzfiguren,
Postkarten usw. Niemand würde vermuten, dass die adretten, freundlichen Jungs ehemalige
Drogenabhängige sind: „Meine Geschichte ist die von tausenden Jugendlichen,
die in der Gemeinschaft Mondo X gelandet sind: Ich kam an, als ich von Drogen zerstört
war. Mein Leben war unerträglich geworden. Denn die Droge und der Alkohol töten den
Menschen spirituell. Glaube und moralische Werte sind das erste, was verloren geht.
Der 33-jährige Michele ist einer von hunderten junger Süchtiger, die in der
Gemeinschaft Mondo X – zu Deutsch Welt X – den Start in ein neues Leben versuchen.
Zusammen mit neun weiteren Aussteigern hilft er den Franziskanern bei der Betreuung
des Heiligtums auf dem Tabor. Gegründet wurde seine Gemeinschaft von dem Mailänder
Franziskaner Eligio Gelmini: „Das X steht für das Unbekannte im Menschen. Wir
wollen den Menschen aus seiner Selbstbespiegelung herausreißen und ihn dazu bringen,
in sein Herz zu schauen. Denn das wahre Antlitz des Menschen ist das Geheimnis seines
Herzens.“ Zehntausende junger Menschen hat der 77-jährige Priester seit der
Gründung der Gemeinschaft 1967 in ein drogenfreies Leben begleitet. Gerade ist er
zu Besuch bei seinen Schützlingen auf dem Tabor, derzeit dem einzigen Mondo X- Haus
außerhalb Italiens. Die Idee für die therapeutische Gemeinschaft beim Heiligtum stammt
von Kustos Pierbattista Pizzaballa selbst, dem obersten Franziskaner im Heiligen Land: „Ich
kenne Mondo X schon seit meiner Studentenzeit in Italien. Hier im Heiligen Land habe
ich dann festgestellt, dass viele unserer klassischen sozialen Aktivitäten wie Waisenhäuser
überholt waren. Gleichzeitig gibt es neue Formen der Armut, wie etwa die Drogensucht,
die auch in dieser Region grassiert. Da habe ich gedacht, dass wir uns irgendwie in
diesem Bereich engagieren sollten.“ Hinzu kommt, dass den Franziskanern als
Betreuern vieler Heiliger Stätten der Pilgeransturm über den Kopf zu wachsen beginnt.
Die jungen Männer von Mondo X sind da auf dem Tabor eine tatkräftige Hilfe: Sie pflegen
die malerischen Blumenbeete um die Kirche wie den Nutzgarten und halten das Gästehaus
mit insgesamt 50 Betten in Schuss; und die Jungs in der Küche versorgen Gruppen von
bis zu 170 Personen mit mehrgängigen Menüs „à la italiana“. Die treue Bewältigung
des Alltags gilt bei Mondo X als Weg in die innere Freiheit. Die straffe Arbeit wird
dabei unterbrochen von regelmäßigen Zeiten des Gebets. „Als ich zu Mondo X
kam, war mir egal, welche Art von Gemeinschaft das war. Ich brauchte einfach Hilfe
- ich spürte, dass ich unterging.“ ...sagt Adriano, der Leiter der Gruppe auf
dem Tabor. Er kam vor Jahren als Alkoholiker zu Mondo X: „Schon damals habe
ich etwas wie eine Stimme in mir gehört. Aber wenn dein Kopf nicht klar ist, hörst
du diese Stimme nur wie von weitem. In der Gemeinschaft habe ich nach und nach dieses
Rufen als Stimme Gottes erkannt. Heute weiß ich, dass er die einzige Kraftquelle meines
Lebens ist.“ Die Teilnahme am religiösen Angebot ist freiwillig. Niemand wird
zum Gebet gezwungen. Aber die meisten greifen dankbar nach diesem inneren Anker. Wichtig
sind aber auch der offene Austausch und der strenge Rhythmus: „Mondo X hilft
dem, der nie Regeln hatte, Regeln zu finden. Dem, der die Liebe mit etwas anderem
verwechselt hat, zu lieben – auch wenn das ein großes Wort ist. Aber zumindest, einander
zu respektieren. Und dann auch zu arbeiten: denn im Leben muss man arbeiten können.“ Trotz
mancher Anfangsschwierigkeiten sieht Kustos Pizzaballa das Experiment auf dem Tabor
als gelungen an. In einem zweiten Schritt soll nun ein Haus mit einheimischen Suchtaussteigern
eröffnet werden: Eine Gruppe arabischer Drogenabhängiger ist bereits zum Kennenlernen
von Mondo X nach Italien gereist. Sobald sie einigermaßen sicheren Tritt gefasst haben,
sollen sie den Franziskanern beim Heiligtum von Emmaus Kubeibe unter die Arme greifen.
Damit verbindet der Kustos auch eine spirituelle Botschaft: „Die beiden Jünger,
die entmutigt und verloren in Emmaus ankamen, haben dort in Christus beim Brotbrechen
einen neuen Anhaltspunkt für ihr Leben gefunden. Genauso ist die Botschaft des Tabor
für einen zerstörten Menschen voller Bedeutung: Am Ort der Verklärung können die jungen
Leute ihr wahres Antlitz wiederfinden, das von den Drogen verunstaltet wurde - nämlich
das Bild Gottes, das im Menschen aufleuchtet.“ (rv 06.08.2008 mc)