Iwan Rickenbacher: „Ihr sollt Zeugnis geben…“ Wochenkommentar für Radio Vatikan
2. August 2008
Wie in andern Ländern
ruht in der Sommerzeit auch in der Schweiz der politische Betrieb weitgehend. Der
Bundesrat, das heisst die schweizerische Landesregierung geht in corpore in die Ferien
und dies zum Leidwesen jenes Teils der Medienschaffenden, die regelmässig über das
Bundesgeschehen berichten. Die Versuchung ist gross, die Nachrichtenflaute aus
der Politik mit irgendwelchen Scheinereignissen zu überbrücken. Sommertheater nennt
man hierzulande die aufgeblähten Geschichten, die spätestens mit dem Beginn des Parlamentsbetriebs
wieder verschwinden. Dieses Jahr aber ist es ganz anders. Die höchstgestellte
Militärperson, der Chef der Armee, kaum ein halbes Jahr eingesetzt, musste auf Grund
privater Verfehlungen sein Amt zur Verfügung stellen. Die Medien hatten publik gemacht,
dass der in seinem Beruf als untadelig geltende Offizier nach der Trennung von seiner
früheren Lebenspartnerinnen die Frau über Internet in ihrer Integrität erheblich verletzt
haben soll. Der bestqualifizierte Militär musste sich vorhalten lassen, dass er eine
Vorbildsfunktion wahrzunehmen habe, dass gravierende Vorfälle im Privatleben die Glaubwürdigkeit
im Beruf tangieren würden. Die Botschaft würde nicht mehr geglaubt, wenn der Botschafter
diskreditiert sei.
Man kann sich zurückversetzt fühlen in die Zeit vor
das frühe 17. Jahrhundert, wie es noch keine Massenmedien gab und die Menschen über
Ereignisse ausserhalb des eigenen Lebenskreises meist nur über mündliche Überlieferung
erfuhren. Da war es sehr entscheidend, wer die Person war, welche die Botschaft übermittelte.
Wichtige Botschafter, nämlich die, welche von Stadt zu Stadt, von Regent zu Regent,
von Bischof zu Bischof die Nachricht übermittelten, mussten sich zuerst ausweisen,
akkreditieren, bevor man ihre Botschaft glaubte. Ein Relikt dieser Zeit ist der Austausch
von Botschaftern zwischen den Staaten. Dann aber, im deutschen Sprachraum um 1600,
erschienen die ersten Zeitungen, zweihundert Jahre später begann mit dem Telegrafen
die elektronische Übermittlung und eine gewisse Zeit lang wurden die Medien selbst
zum Träger der Wahrheit. Wenn mein verstorbener Vater den schweizerischen Landessender
einschaltete, um die Nachrichten zu hören, so war das, was er hörte, für ihn und für
uns die Wahrheit schlechthin. Und die Zeitung, die er las, die hatte er abonniert,
weil sie seiner Weltanschauung entsprach. Dieser Glaube an die Objektivität der
medialen Übermittlung ist gründlich erschüttert worden. Wir alle haben die Erfahrung
gemacht, wie Tatsachen durch Bilder und Worte verschleiert werden können und was zwischen
entfernten Ereignissen und ihrer medialen Darstellung hier und jetzt alles geschehen
kann. Und allmählich finden wir uns wieder mit den Menschen früherer Zeiten, die zuerst
den Boten kennen wollten, bevor sie die Botschaft als wahrhaftig anerkannten. Viele
Konsumentinnen und Konsumenten wollen beim Kauf der Lebensmittel den Produzenten kennen.
Warenhäuser kennzeichnen ihre Produkte mit Label, die durch reputierte Vereinigungen
verliehen werden und zum Beispiel bekunden, dass faire Löhne gezahlt worden sind.
Und Wählerinnen und Wähler entscheiden sich weniger für programmatische Phrasen, sondern
richten sich auf überzeugende Personen aus. Die Ära der Funktionäre, die nur an ihrer
spezifischen beruflichen Kompetenz gemessen werden, ist wahrscheinlich am Abklingen.
Und dies nicht nur in der Schweiz und bei der Besetzung hoher Stellen in der Verwaltung
oder in der Armee. Wenn Papst Benedikt mit deutlichen Worten zwischenmenschliche
Verfehlungen von Amtsträgern in der Kirche bedauert und die Vorgesetzten an ihre Verantwortung
erinnert, dann bekundet er die Einsicht, dass auch die christliche Botschaft durch
glaubwürdige Botschafterinnen und Botschafter vermittelt werden muss, wenn sie die
Herzen der Menschen erreichen will. (rv 02.08.2008 mc)