Eine Sendung von Aldo Parmeggiani
vom 29. Juli 2008
Prof. Dr. Paul Kirchhof
ist 1943 in Osnabrück geboren. Berufstätig wurde der junge Kirchhof zunächst in der
akademischen Lehre. 1981 erhielt der deutsche Jurist und Rechtswissenschaftler einen
Ruf an den Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Universität Heidelberg. Im November
1987 wurde Kirchhof als bisher jüngster Bundesverfassungsrichter nach Karlsruhe gewählt.
Maßgeblich wirkte er besonders in der Sozialpolitik, sozusagen als Förderer der klassischen
Familie. Bei seinen Überlegungen zur Staatstheorie thematisierte Kirchhof auch die
einer Verfassung zu Grunde liegenden Werte, wozu der bedeutende Verfassungsrechtler
ausdrücklich das Christentum zählt. Kirchhof hält Werte für unabdingbar, das sie keine
Verfassung selbst garantieren könne. Ein ganz anderes Amt nahm Kirchhof im Oktober
2004 mit der Berufung in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank an.
*Herr Professor
Kirchhof: Die Phöinizier haben das Geld erfunden, aber warum eigentlich nur so wenig?
Darf ich diese berühmte Frage des österreichischen Dichters Nestroy an Sie weitergeben?
' Das ist eine sehr erhellende Frage, weil sie bewußt macht, dass ein Wirtschaftsgut,
also auch das Geld nur wertvoll ist, wenn es rar ist. Wenn wir alle genug Geld hätten,
hätten wir eine Inflation. Das bedeutet, dass in diesem Wirtschaftssystem eigentlich
jeder zu wenig Geld hat. Selbst der Millionär hat das subjektive Empfinden, das könnte
mehr sein. Und das ist der Antrieb unseres Wirtschaftsystems, jeder strengt sich an,
um mehr zu erwerben. Das ist aber auch das Risiko dieses Systems, weil eine Kultur
des Maßes verloren zu gehen droht'.
* Sie sind Richter: in jedem Gerichtssaal
steht der Spruch: 'Das Gesetz ist für alle gleich'. Ist es das?
' Das ist
der Anspruch und dieser Anspruch ist für jeden, auch den nachdenklichsten und sorgfältigsten
Richter, schwer zu verwirklichen. Und zwar deshalb, weil alle Menschen verschieden
sind. Alt und jung, arm und reich, Mann und Frau, Inländer und Ausländer. Jetzt sagt
der Gleichheitssatz: Ich muss unterscheiden, die Rechtsfolge je nach Verschiedenheit
der Menschen und nach ihrem Recht, diese Verschiedenheit in Freiheit nähren zu dürfen.
Also alt und jung heißt: der Junge kann noch keine Verträge schließen, der Volljährige
kann sie schließen. Aber etwa in der Menschenwürde sind sie gleich. Arm und reich
sind in der Menschenwürde gleich, im Steuersystem verschieden. Mann und Frau sind
im Wahlrecht, bei der Geschäftsfähigkeit, bei der Menschenwürde gleich, bei der Bundeswehr,
beim Schutz der Mutterschaft, sind sie verschieden. Inländer und Ausländer sind in
allen Statusfragen, Existenzminimum, Recht auf Leben, Anspruch auf Würde gleich, im
Wahlrecht sind sie verschieden. Dieser Gleichheitssatz sagt: wir müssen je nach betroffenem
Lebensbereich und je nach der gemeinten Rechtsfolge die Wirklichkeit so aufnehmen,
wie sie in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit rechtserheblich ist. Und das ist
über die Jahrhunderte hin ein ganz großer, ein nie gänzlich erfüllbarer Auftrag'.
*Sie sind ein bekennender Katholik. Wie tragfähig ist unser Glaube, wie innovativ
zeitnah unsere Theologie?
'Ich glaube gerade unsere Gegenwart, in der die Kulturen
aufeinanderprallen, in der wir das Problem eines weltweiten Terrorismus haben, in
der die Weltoffenheit der Märkte die unterschiedliche Verteilung der Güter bewußt
macht, zeigt sich dieser Glaube als die Antwort auf unsere Zukunft. Der Grundgedanke
- dass jeder Mensch die gleiche Würde hat, kommt aus Griechenland und aus dem Judentum
- hat aber im Christentum seine wesentliche Ausprägung erfahren. Der Mensch ist Ebenbild
Gottes, Gott ist Mensch geworden. Wenn man diesen Gedanken einmal aufnimmt, sprengt
es einem fast den Kopf! Das heißt: jeder Mensch kann diesen Gott eine Heimat geben!
Das ist ja ein radikaler Gleichheits- und Freiheitssatz, wie es ihn in der Rechtsgeschichte
als solchen noch nie gegeben hat! Und er ist gegenwärtig, wo wir in der Offenheit
der Welt die Verschiedenheit der Menschen aber auch der Völker, der Gruppen, der Kulturen
empfinden, aktueller denn je.'
*Das radikalste Gleichheits- und Freiheitsgesetz
steht in der Kernbotschaft der christlichen Lehre. Sie sagten es eben: Die Würde eines
jeden Menschen ist unantastbar. Ist sie das auch, wenn wir unsere Blicke auf China,
auf Afrika, auf Guantanamo richten?
' Wenn etwa im deutschen Grundgesetz im
Artikel 1 steht: die Würde ist Unantastbarkeit, ist das ein postulierendes 'ist'.
Es sagt nicht, dass es kein Unrecht in der Welt gäbe, es ist ein Sollensatz, der sagt:
in jeder Region dieser Welt ist für jeden Menschen seine Würde unantastbar zu stellen,
durch Staatsgewalt, durch Wirtschaft, durch Kultur. Und insofern müssen wir uns in
diesem 'ist' bewußt machen, dass hier etwas beschrieben wird, was nicht zur Verfügung
eines Rechts, nicht zur Verfügung einer verfassungsgebenden Gewalt, nicht zur Verfügung
eines Gesetzgebers steht. Jeder Mensch hat - weil er Mensch is -, die gleiche Würde.
Der Nobelpreisträger und der Taugenichts haben die gleiche Würde'.
*Ist eine
freiheitliche Demokratie ohne das Religöse denkbar? Ich meine, bleibt eine säkulare
Gesellschaft im Grunde auf Verankerung in den letzten Sinnfragen des Menschen angewiesen?
' Darauf, zwei Antworten: erstens, das Freiheitsprinzip ohne innere Bindung
wird nicht gelingen. Wenn jeder in Freiheit die Grenzen des Rechts zu seinem Vorteil
ausnutzt, dann werden wir so viel Rechtskorrekturen und soviel Überwachung brauchen,
dass letztlich das Freiheitsprinzip zu Grunde geht. Zweitens: das Prinzip der Freiheit
beantwortet ja nicht die Sinnfrage. Jeder freie Mensch, der denken kann, fragt aber
nach seinem Woher und Wohin, nach dem Ursprung und Ziel seiner Existenz, nach dem
Sinn seines Lebens. Und diese Antwort empfängt er nicht von einer freiheitlichen Rechtsordnung,
sondern von Institutionen, die Sinn stiften, die -wie das Christentum - 200 Jahre
über diese Fragen nachgedacht haben und ihre Erfahrungen an unsere Gegenwart weitergeben'.
*Lange Zeit waren Sie Mitglied des Zentralkommitees der Deutschen Katholiken
und haben sich mit politischen, philosophischen und religiösen Fragen befaßt. Welche
ist die politische, welche die philosophische und welche die religiöse Grundfrage
Nummer 1?
'Ich glaube die politische Grundfrage Nummer eins ist, dass wir
die Würde eines jeden Menschen - wir haben darüber gesprochen - anerkennen. Das ist
das Zentrum aller Politik. Wenn es uns gelänge, dieses Zentrum weltweit zu vermitteln,
als individuelle Würde, nicht als Würde einer Gruppe, einer Sippe, eines Stammes,
dann hätten wir politisch eine Maxime, die für Weltfrieden und Freiheit steht. - Philosophisch
werden wir fragen müssen, wie wir ein Konzept des menschlichen Denkens entwickeln
und verbreiten, das über die Generationen hinweggeht. Wir haben gegenwärtig eine Ausbeutung
der Zukunft zu Gunsten der Gegenwart. Das ist unser Bildungssystem, das ist unser
Rentensystem, das ist die Staatsverschuldung. Wir denken in der Gegenwart und - das
ist in der Demokratie angelegt - die in Legislaturperioden denkt. Das ist die Perspektive,
die Philosophie muss uns wieder veranlassen, viel weiter in die Zukunft zu gehen.
Und die Religion? Sie wird uns weiterhin lehren, dass jeder Mensch eine Verantwortlichkeit
hat, die auch dann eingefordert wird, wenn er sich unter Menschen unbeobachtet glaubt.
Also ein Gewissen und ein Wissen gegenüber dem Höheren, dem Transzendenten, das gegenwärtig
ist und damit Handlungsmaßstäbe setzt, die nicht von parlamentarischer Kontrolle oder
vom Rechnungshof oder von der Gerichtsbarkeit abhängt, sondern die im Innern des Menschen
wurzeln, in seinem Menschsein eigen sind.'
* Der Mensch hofft, plant, entwickelt
Visionen, er verspürt einen Wissensdrang für das 'Danach', späht ins Jenseits, versucht,
wie Sie sagen, den Vorhang ins Unbekannte etwas beiseite zu schieben. Aber immer wieder
nagt der Zweifel an ihmŠ.Sie sind Rechtswissenschaftler, Herr Kirchhof: sagt die Wissenschaft
das Richtige? Der Glaube das Wahre? Kann das Wahre auch das Falsche sein? Das ist
natürlich in erster Linie auch eine philosophische Frage.
' Ich empfinde keinen
Gegensatz von Glaube und Wissen, wie es gegenwärtig vielfach behauptet wird. Wir haben
es in Deutschland im vergangenen Jahr wieder beglückend erlebt, dass unsere beiden
Nobelpreisträger, Physik und Chemie, auf die Frage, ob sie gläubig seien, diese Frage
bejaht haben. Der eine fragt nach dem Mikrokosmos im Menschen,und er sagt: wir können
sehr viel Neues etwa in der Gentechnik erkennen und erklären, aber wenn wir fragen,
warum das funktioniert, kann der Mensch keine Antwort geben. Und das setzt sein Glaube
an. Er weiß also, dass in diesem ungeheuren wissenschaftlichen Erfolg er nur ein kleines
Stückchen des Mehrwissens gegangen ist und dahinter steht etwas Größeres, etwas Erhabeneres.
das er sich nicht erschließen kann. Und der andere,der in den Makrokosmos des Weltalls
schaut, der sagt: wir können uns den Gestirnen, die die Welt umgeben, etwas annähern,
aber dahinter ist eine große Wand und dahinter die Unendlichkeit. Das heißt: der Wissende,
der nachdenklich forschende Mensch, ist sich der Begrenztheit seines Wissens und seiner
Forschungsmöglichkeiten bewußt, und deswegen kommt er zum Glauben. Das wissen wir
auch bei Max Planck und bei Einstein: viele, sehr viele große wissenschaftliche Forscher
lehren uns, dass Wissen Glauben bedingt und Glauben einen wissenschaftlichen Glauben
enthält'.
*Sind die Ansprüche, die die Vernunft an den Glauben richtet, geringer
als jene, die der Gkaube an die Vernunft richtet?
' Ich glaube, beides bedingt
sich wechselseitig, weil beides zum Menschen gehört. Es gibt nicht einen nur glaubenden
Menschen,er will die Realität, die Rationalität sich erschließen und erfahren. Es
gibt aber auch nicht einen nur rationalen Menschen, weil jeder denkende Mensch, der
Sinnfrage letztlich nicht ausweichen kann und nicht ausweichen will'.
* Auf
welchem Gebiet - wenn überhaupt - öffnen sich die großen Problemzonen zwischen Wissen
und Glauben, zwischen Glauben und Wissen? Hat die Kirche mit ihrem unfehlbaren Lehramt
Nachholbedarf?
'Zunächst einmal sehen wir das unfehlbare Lehramt heute sehr
viel nüchterner. Es ist notwendig, das wissen wir, etwa vom Organisationsrecht her.
Wer eine Weltfirma organisieren will, die ihren ganz schlichten Auftrag hat, Autos
zu verkaufen, die braucht einen Chef. Es ist klar, es muss eine Autorität geben, die
dieses Unernehmen weltweit zusmmenhält. Und wenn es jetzt eine Institution gibt, die
Antworten auf die letzten Sinnfragen geben will - und das soll weltweit wirksam sein
- als Garant des Friedens, als Vermittlung eines Menschenbildes, das in der Würde
gründet, als eine Gewährleistung der Freiheit, auch der Religionsfreiheit, dann kann
das nur organisiert werden, in dem nach sorgfältiger Beratung 'ex cattedra' und nach
Ausschöpfung aller der Kirche möglichen Erkenntnisse, letztlich einer der Sprecher
die Autorität für diese Kirche ist. Ich meine, wir haben gerade in unserer Weltoffenheit,
die wir gegenwärtig glücklicherweise erleben dürfen, mehr denn je Verständnis dafür,
dass eine Weltorganisation einen zentralen Sprecher braucht. Insofern ist da kein
Nachholbedarf oder kein Modifikationsbedarf, es sind selbstverständlich - aber das
ist gute Kirchentradition - die Aussagen die mit dieser hohen Autorität formuliert
werden, immer sehr sorgfältig vorher gprüft und gedacht'
*Wie haben Sie bis
jetzt das relativ junge Pontifikat Papst Benedikt XVI. erlebt?
' Also ich
habe es erlebt als ein Beginn 'Deus caritas est' - das fand ich ganz großartig. Wir
haben in Deutschland den Weltjugendtag erlebt, der der deutschen Kirche - gerade bei
den jungen Menschen, und daruaf kommt es an - einen gewaltigen Impuls gegeben hat.
Wir haben jüngst gelesen, über die Friedensbotschaft des Papstes. Sicherlich eine
große Aussage auf die bedrängenden, dramatischen Fragen unserer Gegewart. Mir steht
selbstverständlich als schlichtes Mitglied dieser Kirche keine abschließende Beurteilung
zu, aber das sind doch Impulse, die aufhorchen lassen, die das Kirchliche beleben,
die auch einen Blick in eine weite Zukunft werfen, in der praktische Kirchlichkeit
und große Theologie Hand in Hand gehen'.