Eher offensiv erinnert
die Kirchenführung in diesen Tagen an ein heikles Jubiläum: Vor vierzig Jahren wurde
„Humanae Vitae“ veröffentlicht, die Enzyklika zum Thema Familienplanung, die dem damaligen
Papst Paul VI. viel Häme und Widerspruch eintrug. In dem Text bekräftigte der Papst
die kirchliche Tradition im Bereich Ehe und Familie und wandte sich gegen künstliche
Verhütungsmittel. Maria Luisa Di Pietro unterrichtet Bioethik an Roms Katholischer
Universität; sie sagt:
„Paul VI. hat in diesem Text vor dem Risiko einer tiefgehenden
Banalisierung der Sexualität gewarnt. Gerade was diesen Punkt betrifft, ist seine
Enzyklika heute sehr aktuell... Die schärfsten Angriffe richteten sich u.a. auf die
Umsetzbarkeit der Lehre von „Humanae Vitae“; noch heute denken viele, das sei gar
nicht machbar... Paul VI. hat die Aufmerksamkeit neu auf die Begriffe Körperlichkeit,
Sexualität, Zusammenleben und verantwortliche Elternschaft gelenkt. Er sieht die Person
als Ganzheit, im Respekt vor dem Paar und vor der Frau. Das ist eine Botschaft voller
Hoffnung – ein großes Erbe, das er uns hinterlassen hat.“
„Authentisches Zeichen
des Widerspruchs“ – so hat die Vatikanzeitung „L`Osservatore Romano“ die Enzyklika
vor zwei Tagen in einem Leitartikel genannt. Ihr Direktor Giovanni Maria Vian bekräftigt,
die Kirche habe ein Recht, sich beim Thema Sexualität zu Wort zu melden:
„Paul
VI. selbst hat zwei Tage nach Veröffentlichung der Enzyklika auf diesen Einwand geantwortet.
Die Kirche äußert sich nach seinen Worten „als Expertin in Sachen Humanität“. Natürlich
richtet sich die Enzyklika zunächst einmal an die Katholiken – aber sie wertet die
Ehe als natürliches Gut und spricht damit eine allgemeine Wahrheit über den Menschen
aus.“
Außerhalb des Vatikans sind in den letzten vierzigen Jahren die kritischen
Stimmen nicht verstummt, die dem Lehrschreiben vorwerfen, lebensfremd zu sein und
den Eheleuten unnötige Vorschriften für ihr Sexualleben zu machen. Auch innerhalb
der katholischen Kirche sind diese Klagen nicht verstummt, bestätigt der Tübinger
Moraltheologe Dietmar Mieth:
„Es ist wohl mehr so, dass es bei der Frage der
künstlichen Verhütung eben um ein Begründungsdefizit geht, das eben auch dazu geführt
hat, dass diese Norm in der Kirche nicht so rezipiert worden ist, wie man das in der
Kirche wohl erwartet hat. Das Begründungsdefizit lag erst einmal darin, dass man sich
auf die naturrechtliche Basis begeben hat und den Zweck der ehelichen Vereinigung
über die Nachkommenschaft über den Sinn der Liebe gestellt hat, was im Prinzip in
der Enzyklika Humanae Vitae umgekehrt anvisiert ist.“ Humanae Vitae unterscheide
zwischen dem Sinn der Liebe und dem Zweck von Fruchtbarkeit, so Mieth. Das habe ja
erst ermöglicht, dass es so etwas wie eine Zeitplanung in der Empfängnisregelung gibt.
Das Problem ist nach Meinung des Moraltheologen:
„Dass man das nicht durchgeführt
hat mit Blick auf die künstlichen Mittel, das ist naturrechtlich schwach begründet,
sagen die Moraltheologen. Und die Begründung, die in Familiaris Consortio 1981 nachgeschoben
worden ist unter Johannes Paul II., nämlich dass man auch die Potenzialität, Vater
und Mutter zu werden anerkennen müsse im ehelichen Akt, scheint relativ weit hergeholt
zu sein. Es gibt da einen Begründungsdefizit, und ich könnte mir durchaus vorstellen,
dass der Papst das auch einsieht und etwas vorsichtig damit umgeht, und dass er auch
sieht, dass weltweit in der katholischen Kirche diese Norm der Enpfängnisregelung
nicht rezipiert worden ist. Und die Rezeption gehört eigentlich dazu, dass eine Norm
nicht nur gültig ausgesprochen worden ist, sondern auch in Geltung ist.“
Positiv
ist nach Meinung von Mieth zu bewerten, dass die Enzyklika manche Entwicklung in der
Reproduktionsmedizin gleichsam „prophetisch“ vorhergesehen habe – Stichwort In-Vitro-Fertilisation,
Klonen und andere Biotechnologien. Aber ob das letzte Wort in der Frage der künstlichen
Verhütung gesprochen ist, zieht Mieth in Zweifel.
„Ich denke ein anderer Weg
wäre sicherlich, das Thema noch einmal tiefer zu behandeln und dabei nicht nur diejenigen
zu Wort kommen zu lassen, die diese Norm bestätigen, sondern dass man auch eine freiere
Form findet, mit der man einen Diskurs in der Kirche zustande bringt, der vielleicht
eine Lösung anvisieren kann.“