2008-06-30 16:44:09

'Menschen in der Zeit': Dieter Althaus - 50 Jahre. Ministerpräsident von Thüringen


RealAudioMP3 Der bekennende Katholik Dieter Althaus wurde am 29. Juni 1958 in Heiligenstadt im thüringischen Eichsfeld geboren, das als katholische Enklave in der DDR galt. Sein Vater zählte dort 1946 zu den Mitbegründern der CDU. Als Kultusminister brachte Althaus ein neues Schulgesetz ein, das sich an besonderen Werten orientierte. Dieter Althaus galt seit vielen Jahren als Favorit des überaus populären Regierungschefs Bernhard Vogel. 2003 wurde er dann in der Tat zum neuen Ministerpräsidenten des Freistaates gewählt.

* Herr Ministerpräsident, Sie sind im thüringischen Eichsfeld geboren, das als katholische Enklave in Ostdeutschland galt. Wie schwierig war es, in der DDR ein bekennender, junger Katholik zu sein?

'Es brauchte Mut, den Glauben auch außerhalb des Eichsfeldes zu bekennen und dann auch Grenzziehungen vorzunehmen, zum Beispiel im Blick auf die Karriere eben nicht in die SED einzutreten, bestimmte Entscheidungen nicht nachzuvollziehen, die der Staat gerne gehabt hätte. Aber es hat auch große Freude gemacht, sich einem solchen Bekenntnis verbunden zu wissen, nicht nur mit Eichselern und Eichselerinnen, sondern auch in de Weltkiche.'

*Sie waren immer schon durch Ihre Nähe zur katholischen Kirche aufgefallen. Welchen Grund würden Sie - außer der Erziehung Ihres Elternhauses nehme ich an - für diese innere Nähe angeben?

'Ich glaube, dass die geistige Verwurzelung, aus der auch ein hohes Maß an Spiritualität deutlich wird, etwas ganz Wichtiges ist, für eine offene freiheitliche Gesellschaft. Wenn ich im Dialog mit anderen Kulturen, mit anderen Religionen bestehen will, muss ich selbst eine Überzeugung haben, und muss sie auch leben. Und außerdem glaube ich persönlich, dass mir und auch meinem Umfeld der Glaube eine wichtige Orientierung gibt, die zu einem mir die Chance gibt, bei wichtigen Fragen des Lebens und des Alltags Antworten zu finden, aber auch ein hohes Maß an Gelassenheit mitgibt, in schwierigen Fragen zu wissen: es kommt nicht nur auf mich an und auf das, was ich tun kann, sondern wir sind eingebettet in eine Gesamtverantwortung, die von Gott getragen wird,'

*Sie waren beim Fall der Berliner Mauer 30 Jahre alt. Wie haben Sie diese historische Stunde, dieses politische Wunderwerk miterlebt?

'Ich war begeistert, ich wohne grenznahe, das heißt zu dieser Zeit eben nahe der Mauer, meine Familie ist traditionell immer eine Teilungsfamilie gewesen, das heißt, es gab viele Verwandte, die im freien Westen gelebt haben, und mit meiner Frau haben wir immer sehr gehofft, dass irgendwann - hoffentlich noch in unseren Lebzeiten - diese Mauer zerfällt. Als es so weit war, war ich einfach nur glücklich. Wir haben sofort mit den Kindern, mit der Familie insgesamt diese Grenze besichtigt, um auch deutlich zu machen, wie abstoßend und wie ausgrenzend und wie erniedrigend sie war. Und sofort haben wir auch begonnen, uns politisch zu engagieren für Freiheit und für die Neugestaltung der Gesellschaft'.

*Sie gehören der jungen deutschen Politikergeneration an. Welchen besonderen Erfahrungsschatz Ihres Vorgängers Bernhard Vogel haben Sie bewusst in Ihre eigene Politik einfließen lassen? Auf welchem Gebiet glauben Sie jedoch völlig eigenständig und politisch innovativ tätig zu sein?

'Bernhard Vogel war für mich immer einer der herausragenden Politiker in Deutschland, weil er seine geistigen Überzeugungen sehr menschlich, sehr glaubwürdig aber auch sehr nachhaltig in die praktische Politik übersetzt hat. Er schaut auf die Menschen, er hört ihnen zu. Das hat er auch in Thüringen getan und hat auch gerade auf uns, auf die jüngere, neue Generation geschaut. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar, dass er nicht nur gekommen ist, um Ratschläge zu geben und Verantwortung zu tragen, sondern vor allen Dingen auch gekommen ist, um Verantwortlichkeit bei uns zu ermöglichen. Ich selbst bemühe mich sehr stark darum, die Antworten zu finden: wie kann die soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert gestaltet werden. Es wird schwieriger, die Globalisierung hat erhebliche neue Risiken mit sich gebracht, aber auch Chancen. Wie man den sozialen Ausgleich in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft, die durch Arbeitsteilung rund um den Globus gekennzeichnet ist, sichern kann. Diese Antworten müssen noch gefunden werden und darum bemühe ich mich besonders, dass wir sozusagen die Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert formulieren'.

*Politisch profiliert haben Sie sich - auch bundesweit - schon als junger Kultusminister durch eine völlig neue Bildungspolitik. Thüringen ist ja eine relativ junge Demokratie. In Ihrer jüngsten Regierungserklärung steht ganz vorne der Satz: Bildung ist die beste Schule für Demokratie! Nun ist ja sowohl das natur- als auch geisteswissenschaftliche Weltbild, das unsere Zeit beherrscht, in Krise oder sagen wir in einen Umwandlungsprozess geraten. Welche Aufgaben müssen erfüllt werden, um hier, den christlichen Anforderungen entsprechend, politisch und menschlich gerecht zu werden?

'Zum einen, denke ich, muss die Bildung, die Grundfundamentierung bei jedem einzelnen gesichert und auch stabilisiert werden. Das heißt: das Selbstwertgefühl, aus sich selbst heraus eigenverantwortlich Freiheit zu gestalten. Zum zweiten gehört für mich zur Bildung, dass es nicht nur die Frage der Wissensvermittlung und der Wissensanwendung ist, sondern die Personalität so auszuprägen, dass ich in der Lage bin, durch geistige Orientierung mich selbst in bestimmten Entscheidungsprozessen orientieren zu können, aber auch für andere Orientierung zu sein und drittens, denke ich, dass Bildung heute noch stärker als historisch die Grundlage für soziale Gerechtigkeit legt. Denn je mehr wir selbst in der Lage sind, durch unsere Bildung und auch Ausbildung zur Profitabilität der Gesellschaft beizutragen, je besser gelingt es dann auch, den sozialen Ausgleich, die soziale Gerechtigkeit zu organisieren. Und deshalb hat Bildung Schlüsselfunktion'.       

*Alsbald mit der großen Politik vertraut, machten Sie auch eine zeitgemäße Familienpolitik zu einem Ihrer Schwerpunkte. Das heißt, Sie messen der Familie seit Jahren einen herausragenden Stellenwert im sozialen und gesellschaftspolitischen Ordnungsgefüge bei. Was bedeutet für Sie die Familie, sowohl unter dem gesellschaftspolitischen wie auch christlichen-sozialen Aspekt?

'Für mich ist die Familie - sowohl historisch wie für die Zukunft - die Grundlage einer jeden Gesellschaft. Hier wird Gemeinschaft gebildet, hier wird durch die familiäre Beziehung über die Generationen hinweg das Wesentliche grundgelegt, was für eine freiheitliche Gesellschaft für Solidarität, für Subsidiarität entscheidend ist. Und Familie muss auch in Zukunft den Kern der Gesellschaft ausmachen. Deshalb steht Ehe und Familie auch unter dem besonderen Schutz der Gesellschaft und muss auch weiter unter dem besonderen Schutz der Gesellschaft stehen. Der Herausforderung heute sind wir uns sehr bewusst. Natürlich wollen und sollen Familien die modernen Möglichkeiten nutzen, und deshalb müssen Beruf und Familie miteinander verbindbar sein. Dafür muss die Gesellschaft neue Antworten finden. Der Staat darf sich nicht an die Stelle der Familie setzen. Es bleibt so: die Familie schafft die Grundlage der Gesellschaft. Im christlichen Sinn, denke ich, ist die Familie auch die entscheidende Institution, um den Glauben zu leben und weiterzugeben. Dieses gelebte Vorbild in der Familie schafft, glaube ich, den entscheidenden Nährboden dafür, dass dann aus der Kinder- und der Jugendgeneration die erwachsene Generation erwächst, die ebenfalls durch ihre eigene Prägekraft den Glauben weitergibt. Insofern ist für mich auch für die geistige und geistliche Orientierung einer Gesellschaft die Familie ganz entscheidend'.

*Sie haben sich immer für eine stärkere Präsenz christlicher Grundsätze in der Politik ausgesprochen und sich dafür auch konkret eingesetzt. Auf welchen Gebieten sollen, müssen christliche Politiker besonders aktiv werden?

'Zum einen: das schon angesprochene Thema Familie. Wir müssen in der christlichen Politik auch deutlich machen, dass es nicht modern ist, Familie in Frage zu stellen, sondern dass es für die Zukunft der Gesellschaft entscheidend ist, die Familie zu stärken. Und auch deutlich zu machen, dass Familie Verantwortung für die Gesellschaft hat. Zum zweiten: in der Bildungspolitik. Ich glaube, dass gerade die christliche Verantwortung uns lehrt, dass wir die Stärken eines jeden erkennen müssen. Diese über Bildung zu entwickeln, heißt die Zukunft der Gesellschaft zu gewährleisten. Solidarität fundiert am Ende in einer Ausprägung über Bildung. Drittens, glaube ich, dass wir in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg gelernt haben, dass die Verbindung zwischen marktwirtschaftlicher Ordnung und sozialer Sicherung dann am besten gelingt, wenn wir uns an eine Werteordnung halten, die heißt: jeder trägt seine Verantwortung umfassend. Und diese aus der christlichen Gesellschaftslehre entwickelte Theorie ist also nicht nur eine christliche Theorie, sondern auch eine Gesellschaftstheorie, die in der Praxis umsetzbar ist. Auch das können und müssen Christen heute deutlich machen.

*Welchen Stellenwert räumen Sie der katholischen Soziallehre ein? Ist sie obsolet, ist sie den modernen Erfordernissen angepasst oder ist sie sogar zunkunftsweisend?

'Ich denke, sie ist zukunftsweisend, wenn wir noch einmal klar machen, dass in der katholischen Soziallehre Prinzipien gelten. Menschenwürde: unabdingbar für jeden und immer. Freiheit: unabdingbar für eine Gesellschaft, die den Einzelnen im Blick hat. Und Gerechtigkeit. Und wenn man daraus sogenannte Baugesetze ableitet, dann ergibt sich für diese Baugesetze, dass man immer darauf achten muss, wie kann man die Solidarleistung stärken, wie kann man die Eigenverantwortung, die Subsidiarität stärken, und wie kann man die Orientierung am Gemeinwohl erhalten und stärken. Und dann gibt es immer Antworten in der Zeit, genau aus diesen Baugesetzen heraus. Das heißt: natürlich gibt die katholische Soziallehre auch für die Zukunft, den Ordnungsrahmen für eine Gesellschaftspolitik, die die Menschen in Freiheit miteinander gestalten können, aber Antworten müssen neu gegeben werden. Die Orientierung und die Prinzipien bleiben erhalten'.

*Sie haben als gelernter Physiker, Mathematiker und Naturwissenschaftler mehrmals in erster Person das Thema der sogenannten Evolutionstheorie in die offene Diskussion gestellt: das ist interessant, weil dieses Thema ja immer wieder und immer mehr sowohl wissenschaftlich als auch theologisch hochkarätig zur Debatte steht. Glaube und Vernunft stehen sich wieder einmal gegenüber. Wo liegt die Wahrheit?

'Ich würde vielleicht sagen, für mich gilt das Credo: Gott macht, dass die Dinge wachsen und werden. Das heißt, Gott ist für mich nicht der Lückenbüßer bei noch offenen wissenschaftlichen Fragen, sondern die Wissenschaft erfüllt ihre Dimension der Gesellschaftserkenntnis und der Gesellschaftsgestaltung, und der Glaube seine Dimension. Man darf nicht gegeneinander diese Dimensionen ausspielen und man darf auch nicht diese Dimensionen einfach miteinander verbinden. Es gibt leider Naturwissenschaftler, die über ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu neuen Schöpfern werden wollen, also  der Meinung sind, sie selbst geben einen neuen Glauben vor. Das ist genau so falsch wie die Christen, die meinen, die naturwissenschaftlichen oder allgemeinwissenschaftlichen Erkenntnisse seien nicht gültig, weil ihre einfache Glaubensantwort hier eine offene Frage formuliert, sodass ich sowohl gegen den Kreationismus bin, der für mich ein Fundamentalismus ist, als auch gegen „Intelligent Design“ - also den lieben Gott als Lückenbüßer noch offener wissenschaftlicher Fragen zu setzen. Ich glaube, Evolution und der Glaube, wissenschaftliche Erkenntnisse der Welt und Religiosität und Glaube sind auch im 21. Jahrhundert nicht sich ausschließende Bereiche des gesellschaftlichen und menschlichen Lebens, sondern sogar sich bedingende Bereiche der Wirklichkeit'.

*Sie kommen aus dem Land einer großen Heiligen, der Heiligen Elisabeth von Thüringen: weltweit bekannt durch ihre sprichwörtliche Sorge um die Armen und Kranken. Was hat diese Frau aus dem 12. Jahrhundert einem Spitzenpolitiker unserer Zeit zu sagen?

'Es gibt Überzeugungen, die so bestimmend sind, dass sie - egal in welcher Situation - nicht aufgegeben werden dürfen. Die Radikalität, mit der die Heilige Elisabeth sowohl als Ehefrau die Familie gestärkt, gestützt und geprägt hat, überzeugt genau so wie die Radikalität, mit der sie nach dem Tod ihres Mannes Ludwig ihr soziales Engagement erhalten hat, obwohl ihr eine andere Karriere offen stand. Dafür hat sie den Abstieg sogar in Kauf genommen. Sie hat eine wirklich fast bedrohliche Veränderung in Kauf genommen, aber sie hat in den wenigen Jahren, in denen sie dieses Werk in die Welt gesetzt hat, so viel verändert, sodass ich glaube, dass das Sozialkaritative, das sich daraus entwickelt hat, bis heute gilt. Und das kann ein Beispiel sein, dass auch heute für die Politik gilt. Es gibt Grundsätze, die nicht aufgegeben werden dürfen, die sich auch nicht in Kompromissen ergehen dürfen, sondern die erhalten bleiben müssen. Das sind Grundprinzipien, die für menschliches Leben, für Solidarität, für Gerechtigkeit ganz entscheidend sind, und die muss man immer wieder verteidigen, aber auch immer wieder einsetzen'.

*Warum glauben Sie, hat Papst Benedikt XVI. ausgerechnet die Heilige Elisabeth als eine wahrhaft europäische Heilige bezeichnet?

'Sie hat ja eine erstaunliche europäische Geschichte geschrieben, aber auch dokumentiert in der eigenen Person, ihre Mutter aus Meran, ihr Vater aus Ungarn, geheiratet dann in Thüringen den Landgrafen Ludwig und damit eingespannt in das europäische Netzwerk der damaligen Macht. Aber sie hat gleichzeitig auch durch ihre Prägewirkung in Eisenach, in Marburg und auch anderen Stellen ein soziales Werk in die Welt gesetzt, das natürlich sich inzwischen europäisch und weltweit ausgeprägt hat. Deshalb ist die Heilige Elisabeth ad personam, aber auch durch ihr Werk wirklich eine europäische Heilige.'

Aldo Parmeggiani, Rom








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