2008-06-28 17:46:59

Sonntagsbetrachtung

Frau Professor Maria Widl, Erfurt
28.06.2008



Werte Zuhörer!
Die Sonntage im Juni beschäftigen uns mit der Frage der Berufung und Sendung. Am vorigen Sonntag ging es darum, dass das Bekenntnis zum Glauben in Verleumdung und Verfolgung führen kann. An diesem Sonntag feiern wir das Hochfest der Heiligen Apostel Petrus und Paulus. Dieses Fest wurde im alten römischen Kalendarium mit drei Gottesdiensten begangen und war fast so prunkvoll wie Ostern. Die Kirche als Schlüssel zum Himmel wird uns dabei vor Augen geführt.
Dieses Thema ist in der heutigen Zeit schwierig geworden. Die Kirche steht von allen Seiten in der Kritik. Von der einen Seite wird die Kirche kritisiert, weil sie in vielen Reformfragen der Konzilszeit nicht so vorangekommen ist, wie man damals erwartete. Die Aufhebung des Pflichtzölibats und das Frauenpriestertum, die Ehe- und Sexuallehre und das Demokratiedefizit bleiben bis heute für viele ein Stein des Anstoßes.
Von der anderen Seite wird die Kirche kritisiert, weil sie sich dem modernen Zeitgeist zu sehr angenähert habe, die Liturgie nicht mehr feierlich und geistlich genug sei, der Klerus und die Sakramente nicht mehr genug geachtet würden, und die Verkündigung nicht mehr daran erinnert, dass unser sündiger Lebenswandel uns in die Hölle bringen kann.
Die Zeiten harter Auseinandersetzungen um Bischofsernennungen und Kirchenkurs sind inzwischen einer gewissen Lethargie gewichen. Die Kirchen sind leer geworden, die Gemeinden sind mehrheitlich im Seniorenalter, ihre Pfarrer auch. Umstrukturierungen und Einsparungen stören die letzte gemeindliche Ruhe. Ein Katholikentag ist da ein kurzes Aufflackern, eine vergängliche Erinnerung an heitere Kirchenzeiten – danach geht es weiter wie gehabt, kein Aufbruch in Sicht.
Alles in allem schlechte Vorzeichen, um am Hochfest dieses Sonntags die Kirche zu feiern. Aber vielleicht eine Chance, sie neu zu entdecken. Im Evangelium hören wir: Du bist Petrus, auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, sie ist unüberwindlich, weil ihr die Schlüssel zum Himmel übergeben sind. – Wieder stoßen wir auf ein heute schwieriges Thema: Die Kirche als Schlüssel zum Himmel. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorüber, wo man Menschen um ihres Heiles Willen in die Kirche zwingen wollte. Dennoch sitzt die Angst vor kirchlicher Repression, allein seligmachender Vollmacht und moralisch bedrückender Autorität tief.
Zugleich gibt es viele junge Menschen, die sich der Kirche heiter und vorbehaltlos anvertrauen. Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, wo die Eltern die besten Freunde ihrer Kinder sind und für sie alles tun. Autorität ist für diese Jungen ein Ermöglichungsraum, eine Chance zu geschützter und geförderter Selbstentfaltung. So sehen diese jungen Menschen auch die Kirche: als förderlichen Raum der Selbstentfaltung. Versuchen wir, diesem Grundgedanken theologisch nachzugehen.
Die Kirche ist der Schlüssel zum Himmel, also zum Reich Gottes, das mitten unter uns schon angefangen hat und im Jenseits seine Vollendung findet. Das bedeutet erstens: Die Kirche kennt die Spielregeln des Reiches Gottes. Sie sind der Schlüssel zu einem guten und geglückten, zu einem frohen und erfüllten Leben. Das Problem dabei: Sie entsprechen nicht dem, was uns als „ganz normal“ erscheint. Als ganz normal erscheinen uns die Spielregeln unserer gesellschaftlichen Kultur; und die sind allgemein menschlich. Ganz normal sind diese drei: Selbstdarstellung, Eigennutz und Bequemlichkeit.
Das Problem dabei: Was uns Menschen als ganz normal erscheint, ist nur durch Sünde, also auf Kosten anderer zu haben. Diese Tatsache hat die Erbsündenlehre theologisch zu beschreiben gesucht: Als Menschen werden wir automatisch hineingeboren in eine Logik des Lebens, die uns daher ganz normal erscheint, die aber durch Sünde verwirklicht ist. Und weil es ganz normal ist, auf Kosten anderer zu leben, gibt es so viel Elend in der Welt. Das Evangelium unseres christlichen Glaubens stellt uns dagegen eine andere Logik vor, jene der Liebe. Diese ist nur durch Umkehr zu haben, die immer neu unternommene Umkehrung jener Werte, die das Leben ausmachen.
Die Logik der Liebe, die Logik des Reiches Gottes ist durch drei andere Leitmarken geprägt: Gerechtigkeit, Schöpfungsfrieden und heitere Gelassenheit (wie wir im Römerbrief 14,17 lesen können). Gerechtigkeit ist das Gegenteil von Bequemlichkeit: sich nicht ausruhen auf dem, was man hat; sondern sich dafür einsetzen, dass alle, mit denen wir zu tun bekommen erhalten, was für sie gut ist. Schöpfungsfrieden ist das Gegenteil von Eigennutz: nicht nehmen was man kriegen kann, sondern wie ein Gärtner sorgend, fördernd, geduldig und dankbar mit Menschen und mit dem Leben umgehen. Heitere Gelassenheit ist das Gegenteil von Selbstdarstellung: nicht die eigene Oberfläche zum Glänzen bringen, sondern betend und arbeitend seiner persönlichen Berufung folgen und dadurch von innen heraus zum Strahlen kommen.
Die Umkehr von der normalen zu dieser wunderbaren Lebenslogik ergibt sich nicht von selbst. Sie muss erlernt, eingeübt, ausgeübt, immer neu errungen werden. Darin zeigt sich der zweite Wesenszug von Kirche: In der Kirche können wir vielfältige Gemeinden und Gemeinschaften, Orte und Gelegenheiten finden, um uns in diese Spielregeln des glückenden Lebens einzuüben. Und dort, wo diese kirchlichen Orte fehlen, müssen sie neu gegründet werden. Denn uns Menschen erscheint das normal, was wir am häufigsten sehen und empfinden, denken und tun. Je mehr Zeit wir demnach damit verbringen, in der Logik des Reiches Gottes zu leben, desto normaler erscheint sie uns.
Die Kirche ist jener Ort, wo wir dieser Normalität des Reiches Gottes begegnen können. Und falls wir den Eindruck hätten, das sei bei uns allzu selten: was hindert daran zu arbeiten, dass es besser wird? Das ist besonders wichtig für Kinder, Jugendliche und neu Bekehrte, die in der Gemeinde einüben was es heißt, auf das Reich Gottes sein Leben zu bauen. Das ist genauso wichtig für jene, die ihr Christsein im Alltag bewähren. Sie finden in der Gemeinde Gleichgesinnte, wo man sich in den immer neuen Fragen und Herausforderungen der Kultur untereinander abstimmt, wie die Reich Gottes-Logik darauf anzuwenden ist.
Drittens schließlich: In der Kirche begegnet uns in Segen und Sakrament Gott selbst. Hier können wir unter Seinen Augen ausspannen, Erholung finden, neue Kraft tanken. Hier feiern wir in der Eucharistie die Freude der Erlösten. Hier nehmen wir in Brot und Wein Gott selbst in uns auf und werden so von innen heraus verwandelt. Hier gelangen wir durch die Verkündigung zu immer tieferer Einsicht in die Logik der Liebe. Hier sind wir aufgehoben, wenn wir an der Umkehr wieder einmal gescheitert sind. In Gott finden wir Versöhnung und Kraft zu einem neuen Aufbruch.
Mit dem Konzil haben wir gelernt, dass wir nicht bloß die Kirche besuchen und in ihr aus der Hand des Priesters alle Gnaden empfangen. Wir haben gelernt, dass wir als pilgerndes Gottesvolk selbst die Kirche sind. Wie weit die Kirche also ein wunderbarer Ort ist, wo sich die Logik der Liebe verwirklicht und uns immer neu dazu inspiriert, hängt von uns ab. Alle Kirchenkritik mag berechtigte Punkte ansprechen, die ihre Wichtigkeit haben. Entscheidend sind sie nicht. Entscheidend ist, wieviele Christinnen und Christen als Volk Gottes die Umkehr zur Logik des Reiches Gottes wagen. Wenn unsere Gemeinden von dieser Logik geprägt sind, wenn dort Gerechtigkeit, Schöpfungsfrieden und heitere Gelassenheit eingeübt werden, dann ist die Kirche durch keinen Ungeist zu überwinden.
Alles hängt also von uns ab. Und alle Kirchenkritik muss sich zuerst an uns selbst wenden. Das ist die eine Seite. Am Hochfest der Heiligen Apostel Petrus und Paulus feiern wir aber vor allem eine andere Seite: Gott ist der Herr der Kirche. ER hat sie gebaut. Durch IHN ist sie unüberwindlich. ER gründet in ihr ein Stück Himmel auf Erden, das durch die Heiligen schon bis in den Himmel reicht. Und die Heiligen sind es, die uns durch ihr Vorbild und ihre Fürsprache den Weg zum Himmel ebnen – hier und im Jenseits.
Ihnen einen festlichen Sonntag!



























All the contents on this site are copyrighted ©.