Werte Zuhörer! Die Sonntage im Juni beschäftigen uns mit der Frage der Berufung
und Sendung. Am vorigen Sonntag ging es darum, dass das Bekenntnis zum Glauben in
Verleumdung und Verfolgung führen kann. An diesem Sonntag feiern wir das Hochfest
der Heiligen Apostel Petrus und Paulus. Dieses Fest wurde im alten römischen Kalendarium
mit drei Gottesdiensten begangen und war fast so prunkvoll wie Ostern. Die Kirche
als Schlüssel zum Himmel wird uns dabei vor Augen geführt. Dieses Thema ist in
der heutigen Zeit schwierig geworden. Die Kirche steht von allen Seiten in der Kritik.
Von der einen Seite wird die Kirche kritisiert, weil sie in vielen Reformfragen der
Konzilszeit nicht so vorangekommen ist, wie man damals erwartete. Die Aufhebung des
Pflichtzölibats und das Frauenpriestertum, die Ehe- und Sexuallehre und das Demokratiedefizit
bleiben bis heute für viele ein Stein des Anstoßes. Von der anderen Seite wird
die Kirche kritisiert, weil sie sich dem modernen Zeitgeist zu sehr angenähert habe,
die Liturgie nicht mehr feierlich und geistlich genug sei, der Klerus und die Sakramente
nicht mehr genug geachtet würden, und die Verkündigung nicht mehr daran erinnert,
dass unser sündiger Lebenswandel uns in die Hölle bringen kann. Die Zeiten harter
Auseinandersetzungen um Bischofsernennungen und Kirchenkurs sind inzwischen einer
gewissen Lethargie gewichen. Die Kirchen sind leer geworden, die Gemeinden sind mehrheitlich
im Seniorenalter, ihre Pfarrer auch. Umstrukturierungen und Einsparungen stören die
letzte gemeindliche Ruhe. Ein Katholikentag ist da ein kurzes Aufflackern, eine vergängliche
Erinnerung an heitere Kirchenzeiten – danach geht es weiter wie gehabt, kein Aufbruch
in Sicht. Alles in allem schlechte Vorzeichen, um am Hochfest dieses Sonntags die
Kirche zu feiern. Aber vielleicht eine Chance, sie neu zu entdecken. Im Evangelium
hören wir: Du bist Petrus, auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, sie ist
unüberwindlich, weil ihr die Schlüssel zum Himmel übergeben sind. – Wieder stoßen
wir auf ein heute schwieriges Thema: Die Kirche als Schlüssel zum Himmel. Die Zeiten
sind Gott sei Dank vorüber, wo man Menschen um ihres Heiles Willen in die Kirche zwingen
wollte. Dennoch sitzt die Angst vor kirchlicher Repression, allein seligmachender
Vollmacht und moralisch bedrückender Autorität tief. Zugleich gibt es viele junge
Menschen, die sich der Kirche heiter und vorbehaltlos anvertrauen. Sie sind in einer
Zeit aufgewachsen, wo die Eltern die besten Freunde ihrer Kinder sind und für sie
alles tun. Autorität ist für diese Jungen ein Ermöglichungsraum, eine Chance zu geschützter
und geförderter Selbstentfaltung. So sehen diese jungen Menschen auch die Kirche:
als förderlichen Raum der Selbstentfaltung. Versuchen wir, diesem Grundgedanken theologisch
nachzugehen. Die Kirche ist der Schlüssel zum Himmel, also zum Reich Gottes, das
mitten unter uns schon angefangen hat und im Jenseits seine Vollendung findet. Das
bedeutet erstens: Die Kirche kennt die Spielregeln des Reiches Gottes. Sie sind der
Schlüssel zu einem guten und geglückten, zu einem frohen und erfüllten Leben. Das
Problem dabei: Sie entsprechen nicht dem, was uns als „ganz normal“ erscheint. Als
ganz normal erscheinen uns die Spielregeln unserer gesellschaftlichen Kultur; und
die sind allgemein menschlich. Ganz normal sind diese drei: Selbstdarstellung, Eigennutz
und Bequemlichkeit. Das Problem dabei: Was uns Menschen als ganz normal erscheint,
ist nur durch Sünde, also auf Kosten anderer zu haben. Diese Tatsache hat die Erbsündenlehre
theologisch zu beschreiben gesucht: Als Menschen werden wir automatisch hineingeboren
in eine Logik des Lebens, die uns daher ganz normal erscheint, die aber durch Sünde
verwirklicht ist. Und weil es ganz normal ist, auf Kosten anderer zu leben, gibt es
so viel Elend in der Welt. Das Evangelium unseres christlichen Glaubens stellt uns
dagegen eine andere Logik vor, jene der Liebe. Diese ist nur durch Umkehr zu haben,
die immer neu unternommene Umkehrung jener Werte, die das Leben ausmachen. Die
Logik der Liebe, die Logik des Reiches Gottes ist durch drei andere Leitmarken geprägt:
Gerechtigkeit, Schöpfungsfrieden und heitere Gelassenheit (wie wir im Römerbrief 14,17
lesen können). Gerechtigkeit ist das Gegenteil von Bequemlichkeit: sich nicht ausruhen
auf dem, was man hat; sondern sich dafür einsetzen, dass alle, mit denen wir zu tun
bekommen erhalten, was für sie gut ist. Schöpfungsfrieden ist das Gegenteil von Eigennutz:
nicht nehmen was man kriegen kann, sondern wie ein Gärtner sorgend, fördernd, geduldig
und dankbar mit Menschen und mit dem Leben umgehen. Heitere Gelassenheit ist das Gegenteil
von Selbstdarstellung: nicht die eigene Oberfläche zum Glänzen bringen, sondern betend
und arbeitend seiner persönlichen Berufung folgen und dadurch von innen heraus zum
Strahlen kommen. Die Umkehr von der normalen zu dieser wunderbaren Lebenslogik
ergibt sich nicht von selbst. Sie muss erlernt, eingeübt, ausgeübt, immer neu errungen
werden. Darin zeigt sich der zweite Wesenszug von Kirche: In der Kirche können wir
vielfältige Gemeinden und Gemeinschaften, Orte und Gelegenheiten finden, um uns in
diese Spielregeln des glückenden Lebens einzuüben. Und dort, wo diese kirchlichen
Orte fehlen, müssen sie neu gegründet werden. Denn uns Menschen erscheint das normal,
was wir am häufigsten sehen und empfinden, denken und tun. Je mehr Zeit wir demnach
damit verbringen, in der Logik des Reiches Gottes zu leben, desto normaler erscheint
sie uns. Die Kirche ist jener Ort, wo wir dieser Normalität des Reiches Gottes
begegnen können. Und falls wir den Eindruck hätten, das sei bei uns allzu selten:
was hindert daran zu arbeiten, dass es besser wird? Das ist besonders wichtig für
Kinder, Jugendliche und neu Bekehrte, die in der Gemeinde einüben was es heißt, auf
das Reich Gottes sein Leben zu bauen. Das ist genauso wichtig für jene, die ihr Christsein
im Alltag bewähren. Sie finden in der Gemeinde Gleichgesinnte, wo man sich in den
immer neuen Fragen und Herausforderungen der Kultur untereinander abstimmt, wie die
Reich Gottes-Logik darauf anzuwenden ist. Drittens schließlich: In der Kirche
begegnet uns in Segen und Sakrament Gott selbst. Hier können wir unter Seinen Augen
ausspannen, Erholung finden, neue Kraft tanken. Hier feiern wir in der Eucharistie
die Freude der Erlösten. Hier nehmen wir in Brot und Wein Gott selbst in uns auf und
werden so von innen heraus verwandelt. Hier gelangen wir durch die Verkündigung zu
immer tieferer Einsicht in die Logik der Liebe. Hier sind wir aufgehoben, wenn wir
an der Umkehr wieder einmal gescheitert sind. In Gott finden wir Versöhnung und Kraft
zu einem neuen Aufbruch. Mit dem Konzil haben wir gelernt, dass wir nicht bloß
die Kirche besuchen und in ihr aus der Hand des Priesters alle Gnaden empfangen. Wir
haben gelernt, dass wir als pilgerndes Gottesvolk selbst die Kirche sind. Wie weit
die Kirche also ein wunderbarer Ort ist, wo sich die Logik der Liebe verwirklicht
und uns immer neu dazu inspiriert, hängt von uns ab. Alle Kirchenkritik mag berechtigte
Punkte ansprechen, die ihre Wichtigkeit haben. Entscheidend sind sie nicht. Entscheidend
ist, wieviele Christinnen und Christen als Volk Gottes die Umkehr zur Logik des Reiches
Gottes wagen. Wenn unsere Gemeinden von dieser Logik geprägt sind, wenn dort Gerechtigkeit,
Schöpfungsfrieden und heitere Gelassenheit eingeübt werden, dann ist die Kirche durch
keinen Ungeist zu überwinden. Alles hängt also von uns ab. Und alle Kirchenkritik
muss sich zuerst an uns selbst wenden. Das ist die eine Seite. Am Hochfest der Heiligen
Apostel Petrus und Paulus feiern wir aber vor allem eine andere Seite: Gott ist der
Herr der Kirche. ER hat sie gebaut. Durch IHN ist sie unüberwindlich. ER gründet in
ihr ein Stück Himmel auf Erden, das durch die Heiligen schon bis in den Himmel reicht.
Und die Heiligen sind es, die uns durch ihr Vorbild und ihre Fürsprache den Weg zum
Himmel ebnen – hier und im Jenseits. Ihnen einen festlichen Sonntag!