Sonntag Nachmittag
ist der neue Lateinische Patriarch von Jerusalem, Fuad Twal, feierlich in sein Amt
eingeführt worden. Am Samstag war Michel Sabbah in der Getsemani-Kirche in den Ruhestand
verabschiedet worden: 20 Jahre hatte er als erster Palästinenser das Patriarchenamt
inne gehabt. In Kirche und Gesellschaft wird der Wechsel mit Spannung beobachtet:
Sabbah galt als scharfer Kritiker der israelischen Politik. Wie wird der neue Patriarch
sich in dem brisanten Krisengebiet Heiliges Land positionieren? Gabi Fröhlich hat
Aussagen der beiden Kirchenmänner für eine Einschätzung zusammengesucht:
„Ich
habe schon erstmal ,Oh Gott’ gesagt, als ich von meiner Ernennung erfuhr. Es ist tatsächlich
eine große Herausforderung, sich der aktuellen Situation zu stellen.“ Fuad
Twal tritt schweres Erbe an: Von diesem Sonntag an ist der 67-Jährige Bischof der
Katholiken des westlichen Ritus in Israel, den Palästinensischen Gebieten, Jordanien
und Zypern. Diese sind eine Minderheit innerhalb der christlichen Minderheit in der
Region. Als Araber und Christen fühlen sie sich aufgerieben zwischen den Konfliktparteien
des Nahen Ostens, verlassen in Scharen ihre Heimat. Der Sitz des Patriarchen liegt
im christlichen Viertel der Altstadt Jerusalems, dessen Status als Teil Ostjerusalems
umstritten ist: Für die Einen wurde es widerrechtlich von Israel annektiert, ist für
die Anderen gehört es zur unteilbaren, ewigen Hauptstadt Israels. Damit ist schon
die Residenz des Patriarchen mitten auf der Konfliktlinie angesiedelt. Twal: „Je
näher der Augenblick der Amtsübergabe rückt, desto stärker werden mir meine Verantwortung
und die Schwere der Lage bewusst. Manchmal habe ich mich sogar gefragt, ob ich wirklich
am richtigen Platz bin. Aber wenn Gott mich hierhin gestellt hat, dann wird er hoffentlich
irgendwie mit mir auskommen. Vor allem setze ich dabei auf die Viele, die mich unterstützen:
Mehr noch als auf materielle Hilfe hoffe ich auf ihre Freundschaft und Gebete.“
Twal
weiß auch, wie sehr sein Vorgänger Sabbah das Patriarchenamt in den vergangenen 20
Jahren geprägt hat. Dazu meint Sabbah: „Mein Resümee ist: Es war ein Leben im
Konflikt. Ganz einfach. Dominiert von Nachrichten des Todes und des Hasses. Auf diesen
Konflikt musste ich reagieren. Ich habe versucht, zu sagen: Wir brauchen Frieden,
nicht Gewalt - wir brauchen Recht und Vergebung. Die Besatzung muss aufhören; die
Instabilität in unseren Beziehungen muss ein Ende haben. Wir brauchen Gerechtigkeit.
Das ist das Resümee.“ Michel Sabbah war klar. Fast gebetsmühlenartig verurteilte
er die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete und forderte den Westen
auf, im Nahostkonflikt nicht mit ungleichen Maßstäben zu messen. In seinen etwas monoton
und schnarrend vorgetragenen Predigten, Vorträgen oder Interviews fehlte so gut nie
das Ceterum Censeor: Frieden kann nur durch Gerechtigkeit erreicht werden. Sabbah: „Politik,
das ist die Luft, die wir atmen. Politik bedeutet: Dieser hat Hunger, jener wird getötet,
ein anderer wird gefangen genommen. Wenn dagegen aufzustehen bedeutet, Politik zu
machen, dann muss jeder Christ Politik machen. Jesus hat uns einen klaren Auftrag
für die Armen und Unterdrückten gegeben – das Evangelium ist dazu da, mit den Menschen
zu sein, und nicht irgendwo in der Luft.“ Für die arabischen Christen aller
Konfessionen war der Mann aus Nazareth mutiger Fürsprecher ihrer Anliegen. In der
israelischen Regierung hingegen war er naturgemäß nicht sonderlich gelitten – viele
warfen ihm erbost vor, sein Kirchenamt für palästinensisch-politische Zwecke zu missbrauchen.
Belastet wurden die Beziehungen zuletzt zunehmend durch die israelische Weigerung,
dem arabischen Klerus des Patriarchats Visa für freie Bewegung innerhalb der Diözese
auszustellen: Priester und Seminaristen wurden zum Teil monatelang an Grenzen oder
Checkpoints blockiert - sogar der Patriarch selbst kehrte einmal am Flughafen Tel
Aviv um, weil die Sicherheitskontrolleure seinen Diplomatenpass ignorierten und von
ihm verlangten, seinen Computer abzugeben. Sabbah: „Die Christen im Heiligen
Land haben eine besondere Berufung: nämlich Zeugen Jesu in seiner Heimat zu sein.
Es ist eine schwierige Berufung, die geistlichen Kampf erfordert. Man braucht Ausdauer
und Mut, um sich den zahllosen Schwierigkeiten zu stellen. Wir sagen unseren Gläubigen,
dass all die Probleme kein Grund zur Flucht sind, sondern eine Herausforderung, die
Gnade Gottes immer wieder neu zu erbitten und anzunehmen.“ Sabbah war herausfordernd,
auch in seiner Spiritualität. Dass dem gradlinigen, zumeist brummig wirkenden Palästinenser
schon vor 3 Jahren der frühere Kirchendiplomat und Erzbischof von Tunis als Koadjutor
zur Seite gestellt wurde, haben manche als Brüskierung gedeutet: Tatsächlich ist es
ungewöhnlich, dass der Vatikan einen Nachfolger so lange vor dem Ruhestand eines Bischofs
bestimmt. Sicher ist jedoch, dass mit der überraschenden Ernennung Twals einiger Wind
aus der Diskussion um die künftige Linie des Patriarchats genommen wurde: Dies also
ist der neue Mann in Jerusalem, und damit basta:
„Wir wollen ein anderes
Gut: nämlich DEN FRIEDEN. Wir können uns auf Dauer nicht mit den Brosamen der humanitären
Hilfe zufrieden geben – so sehr wie die auch derzeit brauchen. Diese Hilfen sind wie
ein Aspirin, das den Schmerz stillt aber die Krankheit nicht heilt. Der Konflikt dauert
nun schon Jahre, Jahre und Jahre, und es ist kein Ende in Sicht. Wir brauchen eine
gerechte und dauerhafte Lösung für alle Menschen dieses Landes.“ Wenn es um
den alles dominierenden Konflikt im Heiligen Land geht, dann unterscheiden Twals Aussagen
sich inhaltlich kaum von denen seines Vorgängers: Er bezeichnet die israelische Besatzung
als Unrecht und die Palästinenser als die Hauptleidtragenden. Soweit also nichts Neues
auf Patriarchenstuhl. Was jedoch tatsächlich anders klingt, ist der Ton: „Ich
möchte Patriarch sein. Punkt. Ich möchte Bischof sein. Ich werde zwar immer nach der
politischen Lage gefragt - und sicher geht die Politik auch uns Kirchenführer etwas
an, weil sie in starker Weise das Leben, die Würde und Sicherheit der Menschen bestimmt.
Aber ich möchte die spirituelle und ekklesiastische Dimension meines Amtes stärker
betonen als die politische.“ Der neue Mann auf dem Patriarchenstuhl macht unmissverständlich
klar, dass er die Beziehungen zur israelischen Regierung zu verbessern gedenkt: Vor
allem wünsche er sich einen „regelmäßigen und vertrauensvollen“ Austausch. Er möchte
eine Sprache sprechen, die alle Bewohner seiner Diözese verstehen können, ob nun Christen,
Juden oder Muslime. Dazu Twal: „Ich werde vor allem für alle beten. Wunder wirken
kann ich wohl nicht, aber geduldig säen. Die Kirche hat sich von jeher dadurch ausgezeichnet,
dass sie mit Geduld und Umsicht vorgegangen ist – voreiliges Sprechen schadet mehr,
als dass es nützt. Man muss zuhören können und die vielen verschiedenen Perspektiven
wahrnehmen, ohne sich jedoch zu scheuen, im richtigen Augenblick ein festes Wort zu
sprechen. Aber in allem möchte ich mich stärker auf die Seelsorge konzentrieren. Auch
die komplizierte Lage in dieser Region verweist uns ja auf die frohe Botschaft des
Evangeliums, auf das Geheimnis von Kreuz und Auferstehung. Darin liegen eine Freude
und ein Friede, die durch keine äußeren Umstände zerstört werden können. Ich bete
auch, dass eines Tages alle, Juden und Palästinenser, ihre Auferstehung erleben, ihren
Frieden und ihre Sicherheit finden werden.“
Ob dem Jordanier mit dem freundlichen
Auftreten dieser Drahtseilakt gelingen wird, darauf sind nicht nur die Christen im
Heiligen Land gespannt. (rv 21.06.2008 gfr/bp)