Impotenz als Ehehindernis: Gottgewollt oder alter Zopf?
Impotenz als Hindernis
für eine kirchliche Ehe betrifft verhältnismäßig wenige Menschen. Das ist aber kein
Grund, sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, ob diese Regelung gut oder schlecht
ist, ob sie rechtens oder Unrecht ist. Denn von außen betrachtet liegt offenbar eine
Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor. So wie im Fall von Viterbo, der
letzte Woche durch die Medien ging: Der Pfarrer und dann der Bischof verweigerten
einem jungen Mann und seiner Verlobten die kirchliche Eheschließung, weil der 25-Jährige
nach einem Unfall querschnittgelähmt und damit impotent ist.
Tatsächlich besagt
die Kirche: Wer sexuell impotent ist, kann keine gültige Ehe eingehen. Denn:
„Die
Geschlechtsgemeinschaft ist für die Ehe spezifisch“,
erklärt der Kirchenrechtler
P. Nikolaus Schöch OFM, Zweiter Ehebandverteidiger an der Apostolischen Signatur,
also dem Höchstgericht der Katholischen Kirche hier in Rom:
„Die Ehe ist
der einzige Ort, in dem man nach katholischer Morallehre legitim seine Geschlechtlichkeit
ausüben kann, und die Bedeutung des Geschlechtsverkehrs in der Ehe ergibt sich auch
aus der Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft. Denn jede Ehe ist auf Nachkommenschaft
hingeordnet, weil dies einen wesentlichen Ehezweck darstellt. Das Gattenwohl und die
Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft zählen zu den wesentlichsten Ehezwecken,
warum die Institution Ehe vom Schöpfer eingerichtet worden ist.“
Kinder
sind also nach heutigem katholischem Verständnis nicht der einzige Ehezweck. In der
Ehe findet die Liebe ihren Platz, Liebe gleichsam mit Großbuchstaben, im umfassenden
seelischen und leiblichen Sinn.
„Die Ehe verfolgt auch den Zweck, beide
Partner gegenseitig durch die Geschlechtsverschiedenheit und ihre umfassende Gemeinschaft
zu ergänze. Dh die Partner ergänzen sich gegenseitig in dieser intimen Lebensgemeinschaft,
die alle Bereiche umfassen soll, und damit dient die Ehe wesentlich dazu, das Wohl
jedes der beiden Partner zu erreichen.“
Sexualität hat also einen ausgezeichneten
Platz im ehelichen Leben, und das Fehlen von Sexualität kann zur schweren Last werden,
an der so manche Ehe bereits gescheitert ist. Für die Gültigkeit einer Ehe ist allerdings
nicht entscheidend, dass Mann und Frau über die Jahre ein erfüllendes Sexualleben
haben. Für das Ein-Fleisch-Werden, von dem die Bibel spricht, stellt das Kirchenrecht
quasi nur eine Mindestanforderung, dass nämlich die Ehe vollzogen wird, das heißt,
dass es zu einem Geschlechtsverkehr kommt. Deshalb:
„Wichtig ist, dass
die Beischlafsfähigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung gegeben ist.“
Hier
öffnen wir eine kurze Parenthese. Nie ist die Kirche so weit gegangen zu sagen: Unfruchtbarkeit
eines Menschen schließt ihn von der Ehe aus. Sterilität ist – im Gegensatz zur Impotenz
– KEIN Ehehindernis. Die Kirche schreibt den Eheleuten nicht vor,
„ dass
Nachkommen dann tatsächlich gezeugt werden müssen, denn es kann sein, dass jemand
steril ist, aber dennoch gültig heiraten kann, sofern sein Partner davon informiert
ist. Das heißt, der Partner muss wissen im Fall der Sterilität, dass diese vorliegt,
und dann ist die Ehe dennoch gültig.“
Kehren wir kurz zum Fall von Viterbo
zurück: Nicht wenige Kirchenrechtler haben, zu diesem Verdikt des Bischofs befragt,
gemeint, sie hätten wohl anders entschieden. Wir können und wollen den konkreten Fall
nicht aufrollen, es geht uns ums Prinzip. Muss, darf, kann der Pfarrer einem Querschnittgelähmten
die Eheschließung verweigern? Pater Schöch, er ist übrigens auch Kommissar für die
Auflösung nichtvollzogener Ehen an der Sakramentenkongregation, stellt klar:
„Ees
ist im Zweifel IMMER zugunsten der Eheschließung zu entscheiden.“
Zweifel
können etwa bestehen, ob der heiratswillige Mann mit 100prozentiger Sicherheit beischlafsunfähig
ist.
„Eine rein vermutete oder wahrscheinliche Beischlafsunfähigkeit ist
nicht ausreichend dafür, dass die kirchliche Eheschließung den Partnern verweigert
wird.Und wenn die Unfähigkeit zum ehelichen Akt besteht, kann die Ehe nur
dann verboten werden, sofern diese Unfähigkeit auf Dauer vorliegt, das heißt medizinisch
nach moralisch erlaubten Mitteln nicht heilbar ist und mit Sicherheit vorliegt.“
Das
erklärt übrigens, warum wir bei Impotenz als Ehehindernis ausschließlich über Impotenz
mit körperlich-organischen Ursachen reden. Hat die Impotenz seelische Ursachen, kann
sie kein Ehehindernis sein.
„Psychische Impotenz gibt es auch als solche,
aber die ist dann sehr schwer als dauerhaft nachzuweisen und wird dann als Hindernisgrund
nicht anerkannt.“
Pater Schöch resümiert: „Im Zweifelsfall
darf die Eheschließung nicht verweigert werden. Wichtig ist, dass der Pfarrer verpflichtet
ist, nachzufragen, und unter gegebenen Umständen kann er die Partei natürlich auch
darum bitten, ein medizinisches Attest vorzulegen. Aber im Verweigerungsfall wird
er sich schwer tun, Gewissheit zu haben über das Vorliegen der Impotenz.“
In
anderen Worten: Verweigert das Paar, ein Attest vorzulegen, muss der Pfarrer die beiden
trauen.
Zeit für einen Ausflug in die Praxis. Ein Paar kommt zum Traugespräch,
und der Pfarrer hat den Verdacht, dass einer der beiden impotent sein könnte. Was
tut er? Das haben wir den Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner gefragt.
„Meistens wird darüber in der Praxis eher wenig geredet und es wird diskret
hinweggegangen über solche Fragestellungen, auch wenn die später in den Akten vorkommen,
ob es Ehehindernisse gibt, aber man lotet ja letztlich auch nicht alles aus, sondern
nimmt den Wunsch nach einer kirchlichen Feier rund um diese Bündnis von Mann und Frau
freudig entgegen und tut das beste, was die Kirche eigentlich tun kann. Wenn eine
gewisse Unsicherheit vorhanden ist, ist das nicht eine primäre Aufgabe des Seelsorgers,
hier eine Inquisition zu machen, zumal das ja eher eine medizinische Frage ist und
keine pastorale.“
Ähnlich sieht es der Münsteraner Kirchenrechtler Klaus
Lüdicke: „Das bedeutet in der Praxis, hier bei uns in Deutschland
und ganz allgemein und durchgehend, dass ein Pfarrer, wenn er seinen Generalvikar
fragt, wie er sich verhalten soll, IMMER die Auskunft kriegt, du kannst es nicht genau
wissen, ob es unheilbar ist, trau die Leute."
Zwischenstand: Impotenz
ist aus Sicht der Kirche ein Ehehindernis. Aber die Sache wird in der Praxis nicht
so heiß gegessen, wie sie gekocht ist. Im Zweifel für den Angeklagten, im Zweifel
Liebe vor Sex. Dennoch stellt der juristische Sachverhalt, also: Ausschluss eines
auf diese Weise behinderten Menschen von der Ehe, von außen betrachtet, eine schwere
Diskriminierung behinderter Menschen vor dem Kirchenrecht dar. Und: gibt es nicht
auch sehr erfüllende Sexualität für beide Partner, selbst wenn keine Penetration stattfindet?
Hier
stellt sich die Frage: Müssen die Paragraphen des Kirchenrechtes in diesem Punkt so
bleiben, wie sie sind? Die Geschichte des Kirchenrechts ist voller Revisionen – auch
zu viel umfassenderen dogmatischen Fragen. Die Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine
Demel erinnert an den alten Glaubensgrundsatz, dass niemand außerhalb der katholischen
Kirche des ewigen Lebens teilhaftig werden könne. Dieses Dogma war seinerzeit eingeleitet
mit den sehr verbindlichen Worten: „Die Kirche glaubt fest, bekennt und verkündet“
– und doch hat das II. Vatikanische Konzil diesen Grundsatz aufgegeben. Impotenz als
Ehehindernis aufzugeben – ginge das? Klaus Lüdicke sagt ja.
„Das Ehehindernis
richtet sich nach dem Ehebegriff. Der Ehebegriff ist aber durch das II. Vatikanum
sehr stark verändert worden, besser gesagt, die Kirche hat dazugelernt, Ehe zu verstehen,
und sie müsste im Grund diesen Kanon im Kodex diesem Verständnis von Ehe anpassen.“
Hier
nähern wir uns freilich einer theologischen Grundfrage. Laut kirchlicher Auffassung
ist Impotenz ein Ehehindernis göttlichen Rechts – und damit nicht änderbar. Denn die
Sexualität ist der Ehe und NUR der Ehe eingeschrieben, und sie ist in der göttlichen
Ordnung grundgelegt. Hier kann der Kirchenrechtler nicht von außen her argumentieren.
„Ich würde das nicht an der Diskriminierung von Behinderten aufhängen,
ich würde es am Eheverständnis als solchem aufhängen. Es ist einfach nicht mehr richtig,
aus der Tatsache, dass zwei Menschen miteinander keinen Geschlechtsverkehr vollziehen
können, einen Mangel der Ehe abzuleiten.“
Vor dem Konzil sah die Kirche
die Ehe als einen Vertrag. Dieser Vertrag beinhaltete das Recht der Eheleute auf den
Körper des anderen, weswegen etwa auch mehr Toleranz für Vergewaltigung in der Ehe
bestand. Den Wechsel in der Anschauung dessen, was eine Ehe ist, was unabdingbar dazugehört,
und was zweitrangig ist, diesen Wechsel vollzog das Konzil mit der Konstitution „Gaudium
et spes“. Dieses spricht erstmals über die Ehe mit einer anderen Zugangsweise.
„nämlich
die Ehe als Personengemeinschaft zwischen zwei Menschen, die ihr Schicksal miteinander
teilen wollen, und zwar ein sich-einander-Schenken so, wie sie sind, und nicht so,
wie sie sein sollten. Das heißt, dass im Eheverständnis des II. Vatikanums Sexualität
nicht Gegenstand des Ehevertrages ist, von einem Ehevertrag ist auch gar nicht mehr
die Rede, sondern von einem Bund zwischen den Partnern, und dass von daher die Frage,
in welcher Form die Partner einander ihre Zuneigung ausdrücken, ob sie offen sind
für Nachkommenschaft, ob sie Sexualität durch Geschlechtsverkehr zum Ausdruck bringen
wollen oder in anderer Weise, ihnen eigentlich überlassen ist. Sodass von daher die
Sexualität und schon gar der Geschlechtsverkehr gar nicht mehr diese Rolle im Eheverständnis
spielt, wie das in der alten Konzeption der Fall war.“
Wie zentral ist
Geschlechtsverkehr für die Ehe? Subjektiv betrachtet, nicht besonders. Als völlige
Hingabe an den Partner und als Ausdruck umfassender Liebe hat Sexualität hundert Gesichter.
Das sagt auch P. Nikolaus Schöch vom Höchstgericht der katholischen Kirche.
„Das
stimmt natürlich, es gibt ja auch Erfahrungsberichte von zT extrem behinderten Personen,
manche sind querschnittsgelähmt bis zu den Halswirbeln, können nur nicken und kaum
sprechen, sind getraut worden, und behaupten, sie würden ein erfüllendes und beglückendes
Eheleben führen. Das ist eine subjektive Erfahrung und kann keineswegs in Zweifel
gestellt werden, denn dazu gibt’s genug Erfahrungsberichte. Nur entspricht eine solche
Gemeinschaft nicht mehr dem kirchlichen Eheverständnis, wo die Beischlafsfähigkeit
als Ausdruck der vollständigen Vereinigung der Partner, welche auch biblisch grundgelegt
ist, dass die beiden ein Fleisch werden, dass nach dem Schöpferwillen, wie in der
Genesis bereits grundgelegt worden ist, die beiden Partner in der Ehe ein Fleisch
werden, was dann auf diese vollständige Art und Weise nicht mehr gegeben ist. Wobei
keineswegs bezweifelt werden soll, dass subjektiv erfüllende Lebensgemeinschaft möglich
ist.“
Wer bestimmt, was volle Sexualität ist? Und: wie demütigend ist
es für einen impotenten Menschen, der Kirche nicht zu genügen, wenn es um die Ehe
geht? Wir hätten dazu gerne mit einer katholischen Behindertenorganisation gesprochen
und haben es bei der Caritas Deutschland versucht. Dort hat man sich allerdings zu
diesen Fragen noch keine Meinung gebildet. Die Kirche selbst sagt jedenfalls soviel:
Eine Lebensgemeinschaft ohne Sexualität, ohne Geschlechtsverkehr kann durchaus legitim
sein, auch für Behinderte, aber das ist dann keine Ehe. Paul Michael Zulehner:
„Wir
geraten damit natürlich auch in die Nähe, warum wir nicht akzeptieren, dass zB homosexuelle
Paare eben auch eine Eheschließung vornehmen, und da sind wir in der Kirche halt durchaus
der Meinung, dass die Ehe schon etwas mit der Reproduktion des Lebens zu tun hat,
und wo das von Haus aus ausgeschlossen ist, soll es doch menschenwürdige andere Formen
von Bündnissen und Verbindungen geben, meinetwegen auch kirchliche Segensfeiern, und
man sollte nicht sagen, wenn jemand dann nicht ins Reproduktionsmodell Ehe und Familie
einsteigt, dass er deswegen diskriminiert ist. Wir müssen eine größere Vielfalt von
Lebensformen nebeneinander zur Verfügung haben in einer Gesellschaft und auch kirchlich
wertschätzen, dann würde der Druck auf die Menschen sinken, die nicht im Sinn des
Eherechts heiraten können, dass man denen die Würde nicht mindert und sie diskriminiert.“
Pater Schöch steht einer Abschaffung des Ehehindernisses Impotenz abwartend
gegenüber. Er führt aber auch ein rein quantitatives Element ins Feld.
„Es
ist durchaus eine lebhafte Debatte, obwohl Impotenz als Ehenichtigkeitsgrund ja sehr
selten geworden ist, wir haben in der Rota-Judikatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts
die Impotenz als Haupt-Nichtigkeitsgrund. Das ist gegenwärtig ein sehr seltener Nichtigkeitsgrund
geworden, wegen des medizinischen Fortschritts, zum andern weil es sich oft um Partner
im fortgeschrittenen Alter handelt, und die fechten die Gültigkeit ihrer Ehe nicht
an, denn sie haben kein Interesse, dass ihre Ehe für nichtig erklärt wird, denn sie
leben glücklich zusammen. Also ist die Zahl der Fälle, in denen die Ehe für nichtig
erklärt wird wegen Impotenz sehr selten.“
Hier ist die Rückseite des Ehehindernisses
Impotenz angesprochen. Weil Impotente nach gegenwärtiger Rechtslage keine gültige
Ehe eingehen können, sind die Ehen, die sie schließen, nichtig: So eine Ehe kann annulliert
werden. Würde nun die Kirche nach langen Beratungen übereinkommen, das Ehehindernis
Impotenz zu streichen, dann fiele dieser Grund für eine Annullierung weg. Klaus Lüdicke.
„Wenn man konsequenterweise sagt, mit dem II. Vatikanum ist das kein Ehehindernis
mehr, sondern nur noch ein Mangel, wenn einer dem anderen das verschweigt zb, also
ihn darüber täuscht, oder wenn die Partner nichts davon gewusst haben und jetzt in
einem Irrtum über eine Eigenschaft waren, die das eheliche Zusammenleben schwer stören
kann, wie es in einem anderen Kanon des Kodex heißt, dann müsste man sagen: Impotenz
- kein Nichtigkeitsgrund mehr, und also auch keine Ehenichtigkeitserklärung, wenn
Partner damit nicht fertig werden. Das wäre dann die Kehrseite der Medaille.“
Lüdicke:
„Die kritischen Stimmen nehmen zu, ja. Wer sich mit diesem Thema befasst,
und man befasst sich einem Thema ja nur, wenn man es geändert haben möchte, die Stimmen
mehren sich, die da für eine Änderung des Gesetzes plädieren.“
Schöch:
„Natürlich geht die kirchliche Lehre davon aus, dass
es einen Fortschritt geben kann in der Erkenntnis des Schöpferwillens, in der Erkenntnis
des Naturrechts, das ja immer unvollständig erkannt wird, und es kann im Lauf der
Zeit einen Fortschritt geben.“
Das heißt, die Streichung des „Impotenz-Paragraphen“
aus dem Kirchenrecht könnte in Zukunft geschehen, sagt Pater Schöch. Bis es eventuell
eines Tages soweit ist, rät der Pastoraltheologe Zulehner zu einer pragmatischen Lösung.
„Solange die Sache nicht ausgereift ist, und mir scheint sie noch nicht
ausdiskutiert zu sein, sollte man eher eine großzügige Praxis haben und sagen, wenn
eines der Eheziele so eindeutig ist wie die Liebe der beiden zueinander und es eine
gewisse Unsicherheit in der Zeugungsfähigkeit gibt, was ja viele andere Paare heute
auch nicht wissen, ob sie das nicht sind, dann sollte man eher hinweggehen zunächst
einmal. Ich denke dass das Sonderfälle sind, wo man pastoraltheologisch gerade um
der Wertschätzung und des Lebensrechtes von Behinderten willen eine gewisse Flexibilität
haben kann.“