Die Predigt Benedikts XVI. in Brindisi im Volltext
Papst Benedikt hat an diesem Sonntag eine Messe im Hafen von Brindisi gefeiert.
Hier dokumentieren wir seine Predigt in einer eigenen Arbeits-Übersetzung. „Liebe
Brüder und Schwestern,Im Mittelpunkt meiner Reise nach Brindisi feiern wir an diesem
Tag des Herrn das Geheimnis, das Quelle und Höhepunkt des Kirchenlebens ist. Wir feiern
Christus in der Eucharistie - sein größtes Geschenk aus seinem göttlichen und menschlichen
Herzen, das geteilte und verteilte Brot des Lebens, damit wir ein einziger Leib mit
ihm und unter uns werden. Ich grüße euch alle recht herzlich, die ihr an diesen so
symbolträchtigen Ort gekommen seid, der Hafen nämlich, der die Reisen von Petrus und
Paulus in Erinnerung ruft. Mit Freude stelle ich fest, dass so viele Jugendliche anwesend
sind, die diese Nacht für uns gebetet haben, um sich auf den heutigen Gottesdienst
vorzubereiten. Und ich grüsse auch euch, die ihr durch das Radio oder Fernsehen geistig
mit uns verbunden seid. Ich richte meinen Gruss auch in besonderer Weise an den Oberhirten
dieser geliebten Kirchgemeinde, Bischof Rocco Talucci, und danke ihm für die freundlichen
Worte, die er am Anfang dieser Messe an mich gerichtet hat. Ich grüsse auch die anderen
Bischöfe aus Apulien, die mit uns in brüderlicher Eintracht verbunden sein wollten.
Ich bin besonders glücklich, dass auch der Metropolit Gennadios anwesend ist, an den
ich meinen Gruss richte, womit ich auch alle orthodoxen Gläubigen und anderen Christen
erreichen will. Das mache ich von jener Ortskirche aus, die seit jeher ökumenisch
ausgerichtet ist und uns darin bestärkt, für die volle Einheit aller Christen zu beten.
Ich grüsse auch die Vertreter ziviler und militärischer Behörden, die an dieser Liturgie
teilnehmen. Ihnen wünsche ich alles Gute für ihren Dienst. Meine Gedanken gehen auch
zu den Priestern und Diakonen, den Ordensleuten und allen Gläubigen. Einen besonderen
Gruss richte ich an die Kranken und Gefängnisinsassen, denen ich mein Gebet versichere.
Ein Danke und Friedenswunsch an alle, und für die ganze Stadt Brindisi!
„Für
die Einheit aller Christen beten“
Die Bibeltexte, die wir an diesem
elften Sonntag im Jahreskreis gehört haben, helfen uns, die Wirklichkeit der Kirche
zu verstehen. Die Erste Lesung erinnert uns an den geschlossen Bund am Sinai bei der
Flucht (des Volkes Israel) aus Ägypten. Das Evangelium besteht aus der Berufung und
der Mission der Apostel. Wir finden hier sozusagen die „Verfassung“ der Kirche vor:
wie kann man die darin ausgedrückte Einladung nicht verstehen, die an jede Gemeinschaft
gerichtet ist - ihrer eigenen Berufung zu folgen, und mit eigenem Schwung wie beim
Sinai! Es handelt sich um eine der wichtigsten Etappen in der Heilsgeschichte, einen
jener Momente, die die Geschichte selber betreffen, in der die Grenze zwischen Altem
und Neuem Testament verschwindet und sich stattdessen das Gesicht Gottes zeigt. Das
Sichtbarwerden der Befreiung aller Menschen durch die Heiligung des Volkes, dem Gott
vorschlägt, „sein Besitz zu werden unter allen Völkern“. Unter dieser Sichtweise ist
das Volk gerufen, „eine heilige Nation“ zu werden. Und das nicht nicht nur im moralischen
Sinne verstanden, sondern ... vor allem in seiner eigenen ontologischen Bedeutung,
in seinem Sein als Volk. In welcher Weise man die Identität dieses Volkes verstehen
sollte, zeigt sich im Laufe der Zeit in den Ereignissen der Heilsgeschichte bereits
im Alten Testament; das wurde dann vollständig mit der Ankuft Jesu Christi verwirklicht.
Das heutige Evangelium zeigt uns einen wichtigen Augenblick dieser Offenbarung.
Dann nämlich, als Jesus die Zwölf Jünger zu sich ruft, die symbolisch die Stämme Israels
darstellen, die auf die zwölf Söhne Jakobs zurückgehen. Daher lässt er uns durch die
Betonung seiner neuen Gemeinschaft der Zwölf erkennen, dass er gekommen ist, um das
Vorhaben des himmlischen Vaters zu verwirklichen, auch wenn erst an Pfingsten die
Kirche sichtbar werden sollte: als nämlich die Zwölf „voll des Heiligen Geistes“ das
Evangelium in allen Sprachen verkündeten. Da wurde die Universalkirche sichtbar, findbar
in einem einzigen Leib des auferstandenen Christus, der das Haupt ist, von ihm selbst
zu allen Nationen gesandt, bis ans Ende der Welt.
Für das Reich des Lebens
arbeiten
Der Stil Jesu ist unverkennbar: es ist der typische Stil Gottes,
der es liebt. die größten Dinge in armer und einfacher Art zu tun. Die Bedeutung der
Bundes-Erzählungen im Buch Exodus macht im Evangelium dem einfachen und diskreten
Stil Platz, der aber eine enorme Kraft der Erneuerung beinhaltet. Es ist die Logik
des Reich Gottes, das nicht zufällig durch den kleinen Samen dargestellt wird, der
dann ein grosser Baum wird. Der Bund in Sinai ist begleitet von kosmischen Zeichen,
die den Israeliten Angst machten; der Beginn der Kirche in Galiläa kommt hingegen
ohne diese Zeichen aus, hier zeigen sich vielmehr die Milde und den Mitleid des Herzens
Jesu Christi. Doch sie künden einen anderen Kampf an, eine andere Bestürzung, die
von den Kräften des Bösen stammen. Den Zwölf – wie wir gehört haben – gab Er „die
Kraft, die bösen Geister zu vertreiben und jegliche Krankheiten zu heilen“. Die Zwölf
müssen mit Christus zusammenarbeiten, um das Reich Gottes zu schaffen... Konkret bedeutet
dies, dass die Kirche wie Christus und mit ihm gerufen ist, für das Reich des Lebens
zu arbeiten und die Herrschaft des Todes zu besiegen, damit in der Welt Gott als Sieger
dasteht. Möge Gott siegen, der die Liebe ist.
„Auch die Apostel waren
nicht perfekt“
Das ist der Plan Gottes: in der Menschheit und dem gesamten
Kosmos seine Liebe zu verbreiten, die Leben schafft. Ein Projekt, das allerdings der
Herr einzig durch den Respekt unserer Freiheit gewährt, weil die Liebe an sich nicht
ein Zwang ist. Die Kirche ist deshalb, in Christus, der Begegnungs- und Besprechungsraum
der Liebe Gottes. In dieser Sicht zeigt sich die Kirche offenkundig als heilig und
missionarisch, was zwei Seiten von ein und derselben Medaille sind: denn nur als heilige
Kirche, und das heißt voll der Gottesliebe, kann sie ihre Mission erfüllen, und es
ist gerade dadurch, dass Gott sie ausgewählt hat und als sein Eigentum geheiligt hat.
Auf das Verhältnis „Heiligkeit und Mission“ wird eure Ortskirche, liebe Brüder und
Schwestern, im Augenblick geprüft, bei der Diözesansynode. In diesem Zusammenhang
ist es wichtig, daran zu erinnern, dass auch die zwölf Apostel nicht perfekt waren
und dass sie keineswegs wegen ihrer tadellosen moralischen und religiösen Seiten ausgewählt
wurden. Sie waren sicherlich Gläubige, voll des Enthusiasmus und Eifers, doch gekennzeichnet
durch die Grenzen ihrer Menschlichkeit, die manchmal sehr schlimm waren. Jesus rief
nicht, weil sie bereits Heilige waren, sondern damit sie es werden konnten. Das gilt
auch für uns. Für uns Christen alle. In der Zweiten Lesung haben wir die Zusammenfassung
des Apostels Paulus gehört: „Gott zeigt uns seine Liebe - als wir noch Sünder waren,
ist Christus für uns gestorben.“ Die Kirche ist die Vereinigung der Sünder, die aber
an die Liebe Gottes glauben und sich von ihm verändern lassen, und somit werden sie
heilig.
„Christliches Mitleid ist keine Frömmelei“
Im
Lichte dieses von der Vorsehung vorbestimmten Wortes Gottes bestätige ich heute mit
Freude den Weg eurer Kirche. Es handelt sich um einen Weg des Heiligseins und der
Mission, über den nachzudenken euer Erzbischof euch eingeladen hat, in seinem jüngsten
Hirtenbrief: es ist ein Weg, den er selber ausgiebig erprobt hat im Lauf seiner Pastoralbesuche
und die er nun bei der Diözesansynode einbringen möchte. Das heutige Evangelium sagt
uns, wie die Mission aussehen sollte, das heißt die innere Ansicht, die sich dann
im gelebten Sein widerspiegelt. Das kann nur von Jesus kommen: der Stil des „Mitleides“.
Der Evangelist unterstreicht dies, indem er auf das Erbarmen Christi für das Volk
hinweist: Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren
müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und nach der Berufung der
Zwölf kehrt diese Haltung nochmals zurück...: Er gehe zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israel. In diesen Worten hört man die Liebe Christi für sein Volk, insbesondere
für die Kleinen und Schwachen. Das christliche Mitleid hat nichts zu tun mit Frömmelei,
mit der Ausnutzung. Vielmehr ist es ein Synonym für Solidarität und Teilen und ist
von der Hoffnung getragen. Entsteht nicht aus der Hoffnung jenes Wort Jesu an die
Aposteln: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe“? Dies ist die Hoffnung, die
auf der Ankunft Christi beruht und die in letzter Hinsicht mit seiner Person übereinstimmt
und mit seinem Geheimnis der Errettung, wie das in hervorragender Art und Weise der
vierte italienische Kirchenkongress herausgearbeitet hat, der in Verona stattfand:
Der auferstandene Christus ist „die Hoffnung der Welt“.
„Die Kirche –
ein großes Seminar“
Von der Hoffnung getragen, in der ihr gerettet
worden seid, auch ihr, Brüder und Schwestern dieser alten Kirche von Brindisi, seid
Zeichen und Mittel des Mitleids, der Barmherzigkeit Christi. Dem Bischof und den Priestern
wiederhole ich mit Inbrunst die Worte des göttlichen Meisters: Heilt Kranke, weckt
Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst
sollt ihr geben. Dieser Auftrag ist auch heute in erster Linie an euch gerichtet.
Der Geist, der in Christus und in den Zwölf herrschte, ist derselbe, der in euch wirkt
und der euch ermöglicht, bei eurem Volk und in diesem Territorium die Zeichen des
Reiches der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens zu verbreiten, die kommen, oder
besser gesagt, die bereits in der Welt sind. Doch die Mission Jesu kann für das Volk
Gottes auf verschiedene Arten geschehen, und zwar durch die Gnade der Taufe und der
Firmung. Ich denke an die geweihten Personen, die Armut, Jungfräulichkeit und Gehorsam
geschworen haben; ich denke an die christlichen Paare und an euch, gläubige Laien,
die im täglichen Kirchenleben mitmachen, aber auch im Alltagsleben als Einzelne oder
als Mitglieder eines Vereins. Liebe Brüder und Schwestern, ihr alle seid die Empfänger
des Wunsches Christi, den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
Dieser Wunsch, der ein Gebet sein möchte, lässt uns an die Seminaristen und an das
neue Bistumsseminar erinnern; das lässt uns dazu hinleiten, dass die Kirche gewissermaßen
ein großes Seminar ist, beginnend bei der Familie bis hin zu den Pfarreien, den Vereinen
und den Bewegungen im apostolischen Dienst. Alle in der Wahrheit der Charismen und
der Dienste sind dazu gerufen, im Weinberg des Herrn zu arbeiten.
Liebe Brüder
und Schwestern aus Brindisi, geht den bisherigen Weg weiter in diesem Geist. Es beschützen
euch eure Patrone, der Heilige Leucio und der Heilige Oronzo, die beide im zweiten
Jahrhundert aus dem Orient herkamen, um dieses Land zu befruchten mit dem Wort Gottes.
Die Reliquien des Heiligen Theodor von Amasea, die in der Basilika von Brindisi aufbewahrt
sind, mögen euch daran erinnern, das Leben Christus zu schenken, was die effektivste
Predigt ist. Der Heilige Lorenz, Sohn dieser Stadt, wurde ein Gefährte von Franz von
Assisi, Apostel des Friedens in einem vom Krieg getränkten Europa; er möge euch die
wahre Brüderlichkeit schenken. Für euch alle bete ich um den Schutz der seligen Jungfrau
Maria, Mutter der Hoffnung und Stern der Evangelisierung. Die Heilige Jungfrau möge
euch immer beschützen in der Liebe Christi, damit ihr reiche Früchte bringt, zum Ruhme
Gottes, des Vaters, und für die Rettung der Welt. Amen.“
Zum Schluss der
Messfeier betete Papst Benedikt mit den Anwesenden noch das Angelus-Mittagsgebet.
Dabei sagte er nach unserer eigenen Übersetzung:
„Liebe Brüder und Schwestern,
bevor
wir den Gottesdienst beenden, möchte ich meinen Dank all jenen aussprechen, die mit
so grosser Sorgfalt und durch die musikalische Umrahmung mitgeholfen haben. Ich danke
all jenen, die meine Reise hierher organisiert haben und ihren Beitrag leisten, damit
alles gut geht: ich denke da an die verschiedenen Lokalbehörden, die Sicherheitskräfte,
die Freiwilligen und euch, Einwohner von Brindisi. Euch alle lade ich ein, wie jeden
Sonntag, mich beim Angelus-Gebet zu begleiten. Dem Ort, wo wir uns befinden, der Hafen,
hat viele symbolische Bedeutungen. Jeder Hafen bedeutet Empfangsbereitschaft, Schutz,
Sicherheit; er spricht von einer langerwarteten Anlegestelle nach einer Fahrt, die
vielleicht lang und schwierig war. Doch er spricht auch von Abfahrten, von Projekten
und Erwartungen, von der Zukunft. Insbesondere ist der Hafen von Brindisi ein wichtiger
Knotenpunkt im Mittelmeerraum und gegenüber dem Orient - und darum ist er auch ein
Stützpunkt der Vereinten Nationen, die hier wichtige Aufgaben im humanitären Bereich
durchführen. „Für die Zusammenarbeit der Völker“ - Friedensappell
des Papstes
Von diesem so malerischen Ort aus, nicht weit weg von jenem
Land, das von Calimera als „Guten Tag“ Italiens bezeichnet wurde, möchte ich nochmals
meine christliche Botschaft erneuern, dass die Völkern zusammenarbeiten und Frieden
stiften, insbesondere jene Regionen, die sich an den äußeren Enden des Mittelmeeres
befinden: Ich meine die alte Wiegestätte des Nahen und Mittleren Ostens. Und es gefällt
mir, dies mit den Worten zu tun, die ich vor zwei Monate in New York vor der UNO-Vollversammlung
gesagt habe: „Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft und ihrer Institutionen,
gestützt auf den Respekt der Prinzipien, die das Fundament der internationalen Ordnung
sind, darf nie als unerwünschter Eingriff in die Souveränität verstanden werden. Im
Gegenteil – es ist die Gleichgültigkeit oder der fehlende Einsatz, die einen wahren
Schaden anrichten. Was man wahrlich braucht, ist eine tiefere Suche, um die Konflikte
zu verhindern, indem alle diplomatischen Wege erforscht werden...“
Von dieser
Ecke Europas aus, die auf das Mittelmeer blickt, zwischen Orient und Okzident, wenden
wir uns nochmals dem Angesicht Marias zu, der Mutter, die den „Weg - Odegitria –
zeigt, uns Jesus schenkt, dem Weg des Friedens. Wir bitten sie mit all jenen Titeln,
die in den Wahlfahrtsorten Apuliens angebracht sind; und insbesondere hier, von diesem
antiken Hafen aus, beten wir zu ihr als dem „Hafen der Rettung“ für jeden Menschen,
für die gesamte Menschheit. Ihr mütterlicher Schutz möge die Stadt und die Region,
Italien, Europa und die gesamte Welt vor den Stürmen bewahren, die den Glauben und
die echten Werte bedrohen; möge sie den jungen Generationen die Ängste nehmen, um
den Weg des Lebens mit christlicher Hoffnung zu gehen. Maria, Hafen der Rettung, bitte
für uns!“