Papst Julius
II. legte im April 1506 den Grundstein für den Neubau des Petersdoms. Die bis heute
größte Kirche der Welt war das folgenreichste Bau- und Ausstattungsprojekt der frühen
Neuzeit. Zum 500. Jahrestag hat der renommierte Münchner Kunstverlag Hirmer ein neues
Standardwerk zum Petersdom vorgelegt: St. Peter in Rom 1506 - 2006. Der Band vereint
Beiträge zu einer internationalen Tagung, die 2006 in Bonn stattfand, und wurde jüngst
im Vatikan vorgestellt. Daniela Venner war dabei.
Viele Rom-Pilger berichten
davon: Der erste Besuch im Petersdom ist eine Schule des Staunens. Was muss dieser
Raum erst für Pilger vergangener Jahrhunderte gewesen sein? Wir wissen es nicht. Wir
können nur versuchen, es zu erraten – wie es die an der Universität Tor Vergata lehrende
Kunsthistorikerin Claudia Conforti hier tut.
”…leggendo numerosi saggi di
questo volume si può capire la complessità che ha comportato la costruzione di un
edificio che ha delle dimensioni immense ancora oggi. Immaginiamoci aspetto alla Roma
dell’inizio dell’500: una città costituita sopratutto da case piccole di un paio uno
o due piani sulle quali troneggiavano monumenti in rovina dell’antichità, costruire
un edificio di queste dimensioni che gareggiava e superava i più grandi edificidell’impero antico.”
”Der Petersdom ist ein außerordentlich
komplexer Bau. Noch heute imponiert er, schon allein durch seine Dimensionen. Stellen
wir uns das Rom des 16. Jahrhunderts vor: eine Stadt, die vor allem durch niedrige
Häuser und Überreste antiker Monumente gekennzeichnet war und in der nun ein Bauwerk
entstand, dessen Ausmaße selbst die übertraf, die als größten des antiken Reiches
galten.“
Über den Petersdom zu arbeiten, gilt unter Kunsthistorikern
als Sisyphosarbeit. Fachliteratur über die größte Kirche der Welt entsteht seit 600
Jahren. Wenn „Sankt Peter 1506-2006“ noch Neues zu sagen hat, verdankt er das seinem
spezifischen Zugang, erklärt der Kunsthistoriker und Renaissance-Spezialist Ingo Herklotz:
„Die
ganze Mythen- und Legendenbildung um diese Basilika herum spielt eine große Rolle.
Die Historiographie, die über diese Kirche bereits im 16./17. Jahrhundert entstanden
ist, wird jetzt selbst wieder Gegenstand der historischen Untersuchung. Also die Rezeptionsgeschichte
dieser Kirche spielt in der Tat eine nicht zu übersehende Rolle, und das sind erfreuliche
und neue Zugriffe, bei denen man auch eine Menge an unbekannten Fakten und unbekannten
intellektuellen Kontexten zutage fördern kann.“ Was am Petersdom
heute noch fasziniert, ist – abgesehen von der schieren Größe – die historische Kontinuität
des Baus. Die sinnfällig für die gesamte katholische Kirche steht – für Wahrheit,
Tradition und Zuverlässigkeit. So sollte im Neubau der Basilika ab 1506 bewahrt werden,
was immer man bewahren konnte. Die Architekten retteten halb Alt-Sankt Peter nach
Neu-Sankt Peter hinüber. “Nicht nur die Reliquien werden natürlich
in neue Altäre gesetzt, die berühmte Veronikareliquie, das Schweißtuch, oder die Lanzenspitze,
mit der Christiseite geöffnet worden ist.Das Gleiche gilt auch etwa für einzelne
Papstgräber. Denken sie an das berühmte Grab von Pollaiuolo für Sixtus IV. oder auch
an das für Innozenz VIII., das für Paul III., also alles Dinge, die schon in der alten
Basilika gestanden haben und in der neuen wieder zur Aufstellung kommen.“ Andere
Details von Neu-Sankt Peter greifen die Ausstattung von Alt-Sankt Peter gestalterisch
auf – sie variieren sie mit den modernsten und gewagtesten Mitteln ihrer Zeit. “Man
weiß, das die großen, sich drehenden Säulen, die Schraubensäulen, die Bernini in Bronze
errichtet hat, für den neuen Hauptaltar etwa um 1630 einen anderen Typ von Säulen
aus Marmor imitieren, die Konstantin schon an der frühchristlichen Altarabschrankung
eingesetzt hatte. Das heißt also, ganz deutlich nimmt Bernini noch immer Bezug auf
die alte, auf die frühchristliche Kirche und er bemüht sich, im archäologischen Sinne,
in antiquarischem Sinne diesem Vorbild zu folgen.“
Wenn
es so etwas wie ein Leitmotiv im Petersdom gibt, dann ist es ohne Zweifel der dauernde
Hinweis auf den Apostel Petrus, dessen Gebeine im Boden unter der gewaltigen Kuppel
ruhen.
“Das Petrusgrab steht im Mittelpunkt der Basilika, ist heute überbaut
von dem riesigen, bronzenen Altarbaldachin, den Gian-Lorenzo Bernini errichtet hat.
Das ist noch immer der Blickfang, wenn man heute in die Kirche hinein kommt.“
Über
Jahrhunderte hinweg griffen die Künstler, die dem Petersdom seine Gestalt gaben, das
petrinische Motiv immer wieder auf.
“Darstellungen der Schlüsselübergabe
an Petrus nach Matthäus - eine ganz entscheidende Stelle für den päpstlichen Primaten
- kann man in der Basilika mindestens vom 8./9. Jahrhundert bis ins 16./17. Jahrhundert
und bis in die Gegenwart hinein verfolgen.“ Keine andere Kirche
auf der Welt inszeniert das Gedenken an den Heiligen Petrus naturgemäß so wie Sankt
Peter. Das Bauprogramm des Petersdoms ist quasi eine steingewordene Legitimierung
des Papstamtes.
“Da ist das Grab, da ist der riesige Altaraufbau, da sind
die Vierungspfeiler mit den großen Statuen, die um den Heiligen Petrus herum inszeniert
sind. Da haben wir dann die berühmte Cathedra, für die Bernini ebenfalls einen neuen
Altar errichtet hat, das ist also der Cathedra-Altar im Scheitel der Apsis. Hier soll
Petrus früher auf dem Thron gesessen haben. Dieser Thron ist im Zentrum heute nicht
mehr zu sehen, aber im Zentrum dieses großen Cathedra-Altars verborgen, also eine
ganz bedeutende Petrus-Reliquie, die man hier wiederverwendet hat und in einer Weise
inszeniert hat, die augenfällig ist, die einmalig ist.“ „Sankt
Peter 1506-2006“ enthält trotz der buchstäblichen Tonnen an Vorgängerliteratur auch
noch Neuigkeiten. Sie sind das Ergebnis akribischer Recherchen und demontieren mitunter
jahrhundertealte Mythen, erzählt Ingo Herklotz. “Seit dem 17. Jahrhundert,
gibt es das Gerücht, das sie auch in vielen wissenschaftlichen Büchern wiedergegeben
sehen können, Bernini, der für Urban gearbeitet hat, habe für seinen großen Bronzebaldachin
die Bronze vom Pantheon benutzt. Die Geschichte lief anders und das ist eine sehr
kuriose Anekdote. Tatsächlich hat Urban das Pantheon seiner antiken Metallverkleidung
beraubt, aber was wollte er damit machen: er wollte Kanonen aus diesem Metall gießen
lassen. Das war eine Profanierung dieses altehrwürdigen Bauwerks, die zu einem Aufschrei
in der Bevölkerung geführt hat und es entstand damals das berühmte „was die Barbaren
nicht gemacht haben - im Hinblick auf die Profanierung der antiken Stadt - das machen
nun die Barberini“. Und das war nun etwas, was Urban VIII. nicht auf sich sitzen lassen
konnte. Er ließ nun das Gerücht verbreiten, die Bronze sei nicht für die Kanonen geplant,
sondern für den neuen Baldachin über dem Grab des heiligen Petrus.Wie nun
aber aufgrund der Fabbrica-Dokumente unserer amerikanische Kollegin bewiesen werden
konnte, ist tatsächlich nichts von der Pantheonbronze, aber auch gar nichts, für den
neuen Baldachin gebraucht worden, sondern in der Tat wurden diese Metallelemente jener
Funktion zugeführt, die Urban von Anfang an im Sinn hatte, nämlich der Herstellung
von Kanonen.“ Was der Petersdom für die Architektur der nachfolgenden
Jahrzehnte in Italien und anderswo bedeutete, können wir heute noch kaum ermessen.
Fest steht: Die Wirkung des Monuments war nachhaltig. Claudia Conforti: …è
stato in un certo senso il laboratorio della riorganizzazione architettonica dell’architettura
della città, ma non solo di Roma, ma per tutto il mondo cattolico e anche cristiano
in generale.“
”Der Bau der Petersbasilika ist in gewissem Sinne als
Meilenstein der architektonischen Umstrukturierung, nicht nur von Stadt Rom, sondern
auch der gesamten katholischen Welt und des Christentums im Allgemeinen zu sehen.“ (rv
43.05.2008 gs)