Irritationen auf jüdischer Seite wegen der Karfreitags-Fürbitte für den alten Messritus
sollte man „nicht als Ausdruck von Überempfindlichkeit abtun“. Das schreibt Kardinal
Walter Kasper in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Allerdings
helfe in dieser Situation nur eine ehrliche Auseinandersetzung weiter, so der Präsident
des Päpstlichen Einheitsrates, in dessen Zuständigkeit der katholisch-jüdische Dialog
fällt.
„Lasst uns auch beten für die Juden, dass unser Gott und Herr ihre
Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als Retter aller Menschen erkennen.“ So
lautet die von Benedikt XVI. neu formulierte Karfreitags-Fürbitte für die Juden im
alten, „außerordentlichen“ Messritus von 1962, den der Papst vor einigen Monaten rehabilitierte.
Nicht wenige jüdische Organisationen stoßen sich an dieser Formulierung, die eigentlich
eine Besserung gegenüber der früheren Version darstellen sollte. Kardinal Kasper schreibt,
dass nicht nur Juden, sondern auch viele Katholiken die frühere Fassung als „anstößig“
empfunden hätten.
Freilich hätten auch die neuen Formulierungen zu neuen Irritationen
geführt. Diese seien „auf jüdischer Seite weithin nicht rational, sondern emotional
begründet“, beobachtet Kasper. Er warnte davor, die Irritationen als Ausdruck von
Überempfindlichkeit abzutun. „Kollektive Erinnerungen an Zwangskatechesen und Zwangsbekehrungen“
seien bei vielen Juden nach wie vor lebendig; sie betrachteten eine „Judenmission“
deshalb als existenzbedrohend. So bedürfe es im jüdisch-christlichen Verhältnis noch
immer eines hohen Maßes an Sensibilität.
Die eigentlich kontroverse Frage
lautet für Kasper, ob Christen für die Bekehrung von Juden beten sollen und ob es
eine Judenmission geben kann. In dem neu formulierten Gebet sei zwar nicht von „Bekehrung“
die Rede, sehr wohl allerdings komme das Wort in der – unverändert gebliebenen – Überschrift
der Fürbitte vor. Viele Juden hätten den neuen Text „mit der Brille dieser Überschrift
gelesen, was die beschriebenen Reaktionen hervorrief“.
Kasper hebt in seinem
Text für die Zeitung den Unterschied zwischen einer „gezielten und organisierten Mission“
einerseits und christlichem Zeugnis andererseits hervor. Der Ausschluss der gezielten
Judenmission bedeute nämlich nicht, dass die Christen die Hände in den Schoß legen
sollten. Selbstverständlich sollten sie dort, wo es angebracht ist, Zeugnis geben
von ihrem Glauben. Es wäre „unredlich“, wenn Christen "bei der Begegnung mit jüdischen
Freunden von ihrem Glauben schweigen oder ihn gar verleugnen würden“.
Kasper
weist überdies darauf hin, dass der Papst die Karfreitagsfürbitte im alten, nicht
jedoch im neuen Ritus von 1970 verändert habe. Das zeige, dass die Kirche mit der
neuen Formulierung nicht hinter das II. Vatikanische Konzil zurückgehe. - Das nachkonziliare
Römische Messbuch von 1970 hat nach Anordnung des Papstes als „ordentlicher“ Usus
zu gelten. Die dort formulierte Karfreitagsfürbitte führt auf jüdischer Seite nicht
zu Irritationen. Die überwiegende Mehrheit der römisch-katholischen Gläubigen sowie
auch Benedikt XVI. selbst feiert den Gottesdienst nach dem neuen Messbuch. (FAZ,
21.02.2008 gs)