Menschenrechtler und
die tibetische Exilregierung befürchten ein „Massaker unvorstellbaren Ausmaßes“. Bei
den seit dem 10. März andauernden Protesten in Tibet sollen bereits 300 Menschen umgekommen
sein, berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Die chinesischen
Behörden haben den Protestierenden ein Ultimatum gestellt, sich bis Montag Mitternacht
freiwillig zu stellen. Währenddessen hatten sie bereits am gestrigen Sonntag mit Razzien
in Lhasa begonnen. Lhasa wurde von der chinesischen Polizei mittlerweile abgeriegelt,
Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen. Adelheid Dönges, Tibetreferentin
der IGFM und seit 1992 Mitglied der Tibet-Unterstützungsgruppe, sitzt in München,
hat aber noch Kontakt nach China: „Die Situation ist absolut katastrophal.
Es wird ein massives Massaker an Tibetern befürchtet. Am Sonntag wurden alle ausländischen
Berichterstatter und Medienvertreter vernommen, das von ihnen aufgenommene Beweismaterial
wie Bilder und Videos wurde konfisziert oder zerstört. Alle Touristen werden ausgewiesen.
Das heißt ab heute gibt es keine ausländischen Zeugen in Tibet mehr. Damit können
die Chinesen Tibeter umbringen oder massakrieren, wie es ihnen passt.“
Eine
Ausgangssperre sowie zahlreiche Kontrollpunkte an den Zufahrtswegen zur Stadt und
das weitere Aufstocken der chinesischen Truppen sollen das Aufkommen neuer Proteste
verhindern. Während des Telefonats mit Adelheid Dönges veröffentlichte das Kashag,
das Kabinett der Tibetischen Exilregierung eine weitere Erklärung. Sie übersetzte
direkt: „Seit dem 10. März kamen zu stets an Zahl und Intensität
wachsenden Demonstrationen in diversen Teilen Tibets, die mit extremer Brutalität
niedergeschlagen wurden. ... Die Tibetische Regierung-im-Exil appelliert dringend
an die internationale Gemeinschaft, darunter die Vereinten Nationen, Regierungen weltweit,
Parlamente, Menschenrechts- und Tibet-Unterstützergruppen, die chinesische Führung
aufzufordern, sofort die Repression einzustellen, und alle jene, die festgenommen
wurden, freizulassen und den Verletzten die notwendige medizinische Versorgung zukommen
zu lassen. Wir drängen insbesondere den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen,
unverzüglich eine Ermittlungskommission in alle betroffenen Gebiete Tibets zu entsenden,
um eine weitere Verschlimmerung der Lage zu verhindern.“
Das kompromisslose
Vorgehen der chinesischen Polizei ähnelt laut IGFM fatal der Situation in Lhasa 1989,
als wegen der Proteste der Unabhängigkeitsbewegung das Kriegsrecht verhängt worden
war. Unter den 300 Toten befänden sich hauptsächlich Mönche aus den Klöstern Sera
und Drepung. Man hörte ununterbrochen Schüsse in der Nähe der Klöster, berichteten
Exiltibeter. Adelheid Dönges: „Die Chinesen versuchen die Berichterstattung völlig
zu verfälschen. Der Protest ging von friedlich protestierenden Mönchen aus. Sicherheitskräfte
haben auf sie geschossen, was die Tibeter natürlich aufbrachte, schließlich wurde
mit Steinen geworfen. Die chinesische Berichterstattung stellt die Tibeter als gewalttätig
hin. Dass sie selbst Menschen umgebracht und erschossen haben, wird ausgeblendet.
Es gab sogar Stimmen, dass Polizisten sich als Mönche verkleidet und die Menge zusätzlich
aufgehetzt haben.“
Die Menschenrechtsorganisation kritisierte die Vertuschungspolitik
Chinas, Gespräche und Diplomatie hätten bislang nicht gefruchtet. Dönges: „Das
einzige was nützen würde, wäre massiver Druck. Wenn alle Sportler die Olympiade boykottieren
würden – das würde China treffen.“ Das Internationale Olympische Komitee solle
nach einem alternativen Austragungsort der Spiele suchen. Das religiöse Oberhaupt
der Tibeter, der Dalai Lama selbst, hatte sich am Wochenende jedoch für die Spiele
ausgetragen, allerdings mit einen „guten Gastgeber“. Ein Boykott der Olympischen Spiele
in Peking wäre nach Auffassung des vatikanischen Asien-Experten Bernardo Cervellera
die falsche Antwort auf die Gewalt in Tibet. Der Verzicht auf die Teilnahme könne
eine Form sein, die Hände in Unschuld zu waschen, warnte der Chef des Pressedienstes
Asianews. Auch der deutsche katholische Sportpfarrer Hans-Gerd Schütt ist gegen einen
Boykott Spiele in Peking. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) müsse aber angesichts
der Tibet-Krise die „offene Wunde“ der Menschenrechtsverletzungen klar und deutlich
kritisieren. (rv/pm 17.03.2008 bp)