Hat der Mensch ein „Recht zu sterben“? Ja, das hat er, betont der Kölner Verfassungsrechtler
Wolfram Höfling, Vorstandsmitglied der Deutschen Hospiz Stiftung. Höfling hat an dem
zweitägigen Kongress der päpstlichen Akademie für das Leben teilgenommen, der am Dienstag
im Vatikan zu Ende ging.
„Recht zu sterben“, das klingt nach Relativismus.
Das klingt nach stillschweigendem Einverständnis mit der Suizidbeihilfe und nach „Ja
zur aktiven Sterbehilfe auf Wunsch des Kranken“. Wolfram Höfling rückt zurecht. Der
Katholik, Verfassungsrechtler und Exponent der Hospizbewegung in Deutschland sagt:
Das Recht zu sterben ergibt sich als logische Folge aus der Verfassung.
„Die
Verfassungen nicht nur in Deutschland, sondern weitgehend in Europa, kennen ein Recht
auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. Diese Grundrechtspositionen haben eine
doppelte Funktion: Sie wollen zum einen die Integrität sichern, also den Schutz vor
Übergriffen anderer, vor Fremdbestimmung. Zugleich wollen sie aber auch die Selbstbestimmung
des Einzelnen über seine körperliche Integrität schützen.“
Wenn man das
zu Ende bedenkt, bedeutet das etwa für den medizinischen Kontext, dass ein Arzt jemanden
nur dann behandeln darf, wenn der betreffende Patient diesen Übergriff auf seinen
Körper zulässt.
„Und da muss man sich vorstellen, wenn ein Patient sagt,
ich möchte nicht weiter behandelt werden oder künstlich ernährt werden, dann muss
der Arzt einem solchen Wunsch folgen. Der Wille des Patienten ist das Entscheidende
im Arzt-Patienten-Verhältnis, auch dann, wenn der Arzt selbst glaubt, es sei ganz
sinnvoll noch weiterzubehandeln und wenn in Befolgung dieses Wunsches der der Patient
stirbt. Insofern gibt es schon ein starkes Recht über diese Selbstbestimmungskomponente
des Rechtes auf Leben, das dann in letzter Konsequenz zu einem Recht auf Sterben wird.“
Gibt
es im Umkehrschluss eine Pflicht zu leben? Das zu beantworten, ist auch aus katholischer
Sicht schwer, sagt Wolfram Höfling.
„Die Vorstellung von der Heiligkeit
und Unverfügbarkeit des Lebens, die Vorstellung, das Leben sei ein Geschenk Gottes,
ist natürlich eng verbunden mit der Vorstellung, jede einzelne Person habe auch eine
Verpflichtung gegenüber sich selbst. Zum Beispiel, sorgsam mit diesem Leben umzugehen.
Das ist in der Tat ein Konflikt mit dieser verfassungsrechtlichen Situation, die sagt,
wenn es eine reflektierte Entscheidungsfindung gibt und jemand sagt: Ich will nicht
mehr, dann ist egal, ob das aus katholischer Perspektive eine sinnvolle Entscheidung
ist, dann muss der Arzt dem folgen.“
Eine solche Entscheidung eines Patienten
ist für die Kirche naturgemäß schwer zu akzeptieren. Das wurde etwa deutlich am Fall
des Italieners Piergiorgio Welby. Der unheilbar kranke Muskelschwund-Patient entschied
2007 nach mehreren Jahren des Leidens: Schluss mit den lebenserhaltenden Behandlungen.
Welby starb, die katholische Kirche Italiens verweigerte ihm ein kirchliches Begräbnis
und der Arzt musste vor Gericht. Grund: Das italienische Rechtssystem betont eher
die „Pflicht zu leben“ als das „Recht zu sterben“.
„Für die deutsche verfassungsrechtliche
Lage wäre das eindeutig: Die Zwangsernährung oder Zwangsbeatmung, also die Pflicht
am Leben zu bleiben, kann mir kein anderer aufoktroyieren.“
Nicht wenige
Zeitgenossen scheinen heute mit dem Begriff der „Würde des Menschen“, auf den Papst
Benedikt so wie seine Vorgänger in der Debatte um Lebensschutz dauernd zurückgreifen,
nicht mehr viel anfangen zu können. „Dignitas“, Würde, nennt sich etwa jene Einrichtung
in der Schweiz, die sterbewilligen Menschen aktiv beim Selbstmord „hilft“, ohne nach
den Gründen ihrer Entscheidung zu fragen. Auch die „Würde des Menschen“ ist Gegenstand
von Staatsverfassungen - deren Aufgabe es schließlich ist, menschliche Grundrechte
zu garantieren. Wie nun definieren Gesetze die „Würde des Menschen“? Im Grund handelt
es sich um einen Begriff der Gegenseitigkeit, führt Verfassungsrechtler Höfling aus.
„Alle Mitglieder einer Gesellschaft anerkennen sich wechselseitig als gleich
würdig und gleich würdige Mitglieder dieser Gesellschaft. Und nie – das ist ja die
besonders deutsche Variante, es ist kein Zufall, dass wir das in der deutschen Verfassungals
erste in der Welt im Ersten Artikel haben als Reaktion auf eine Vergangenheit, wo
es das nicht gab – nie darf jemand sich anmaßen, über die Zugehörigkeit aufgrund von
„Lebenswert-Qualifikationsurteilen“ zu entscheiden.“
Hier gibt die Verfassung
außerordentlich wichtige Anhaltspunkte für die schwierigen medizinischen Entscheidungen
am Lebensende eines Menschen.
„Man wird dann eben nicht mehr „in dubio
pro dignitate“ ausspielen können gegen das Leben. Niemals wird man sagen können unter
der geltenden deutschen Verfassung und auch der europäischen, dass das Leben an sich
ein Zustand sein kann, der unwürdig ist.“
Wenn es um den Schutz des Menschen
am Ende seines Lebens geht, ist auch die katholische Morallehre noch in Entwicklung,
sagt Höfling. Der Verfassungsrechtler und Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung wundert
sich beispielsweise über die Position des Vatikans zum Thema Hirntod. Der Heilige
Stuhl setzt nämlich den Hirntod eines Menschen mit seinem effektiven Tod gleich.
„Aus
meiner Sicht ist das Problem der Gleichsetzung der Hirntod-Diagnose mit dem Ende des
menschlichen Lebens ein großes Problem, und das müsste auch für die katholische Kirche
ein großes Problem sein.“
Denn bei einem hirntoten Menschen handle es sich
schließlich um einen Menschen,
„der im übrigen noch viele Lebensfunktion
hat, sonst wäre er auch für die Transplantationsmedizin nicht tauglich – ein lebendes
Herz, ein funktionierender Blutkreislauf, bis hin zu Schwangerschaften, die zu einem
Kind führen können. Wer in diesem Zustand die Folge sieht, dass jemand, der kein Gehirn
mehr hat, nicht mehr lebend ist, der bewegt sich nahe an einem Lebensqualitätsurteil.
Und wie das mit den existenziellen Aussagen der katholischen Moraltheologie in Übereinstimmung
zu bringen ist, ist für mich ein kleines Rätsel. Da wäre es nicht schlecht, wenn die
katholische Kirche in einem weiteren Diskussionsprozess bleibt.“ (rv 27.02.2008
gs)