Ein US-Rabbiner verteidigt den Papst. In der „Tagespost“ äußert sich Rabbi Jacob Neusner
über die Karfreitags-Fürbitte „für die Juden“, die Benedikt XVI. für den so genannten
alten Ritus auf Latein umformuliert hat. Viele Kritiker hatten aus dem neuen Text
indirekt einen Aufruf zur Bekehrung der Juden herausgelesen. Neusner – mit dem sich
der Papst in seinem Jesusbuch ausführlich auseinander gesetzt hat – schreibt wörtlich:
„Israel betet für die Nichtjuden, also sollten die anderen Monotheisten – einschließlich
der katholischen Kirche – gleiche Rechte haben, ohne dass jemand sich dadurch verletzt
fühlte.“
Wir dokumentieren hier den Essay von Rabbi Jacob Neusner. Quelle
ist die in Würzburg erscheinende „Tagespost“.
Monotheistische
Logik
DT vom 23.02.2008 Von Rabbi Jacob Neusner
Israel betet
für die Nichtjuden, also sollten die anderen Monotheisten – einschließlich der katholischen
Kirche – gleiche Rechte haben, ohne dass jemand sich dadurch verletzt fühlte. Jedes
andere Verhalten gegenüber den Nichtjuden würde diesen den Zugang zu dem einen Gott
verwehren, den Israel aus der Torah kennt. Das katholische Karfreitagsgebet bringt
dieselbe großherzige Geisteshaltung zum Ausdruck, die für das Gebet des Judentums
charakteristisch ist. Gottes Reich öffnet seine Tore der gesamten Menschheit, und
wenn die Israeliten für das baldige Kommen von Gottes Reich beten, dann bringen sie
die gleiche großherzige Geisteshaltung zum Ausdruck, die den Text des Papstes für
das Gebet für die Juden – besser das „heilige Israel“ – am Karfreitag kennzeichnet. Lassen
Sie mich das erklären. Die Anhaltspunkte für die Theologie des Judentums gegenüber
den Nichtjuden möchte ich aus dem normalen Gottesdienst in der Synagoge ableiten,
der dreimal am Tag abgehalten wird. Der Text entstammt dem Buch „The Authorised Daily
Prayer Book of the United Hebrew Congregations of the British Empire” (London 1953),
dem offiziellen Gebetbuch der Vereinigten Jüdischen Gemeinden des Britischen Königreichs,
das die englische Übersetzung eines Gebets für die Bekehrung der Nichtjuden enthält,
welches an jedem Tag im Jahr dreimal den öffentlichen Gottesdienst beschließt. Dieser
Text ist für alle Gottesdienste des Judentums einheitlich. In ihm dankt das heilige
Volk Israel (nicht zu verwechseln mit dem Staat Israel) Gott dafür, dass er Israel
von anderen Völkern unterscheidet. Im Gebet bittet das heilige Israel darum, dass
die Welt vervollkommnet wird, wenn die gesamte Menschheit den Namen Gottes anruft
und weiß, dass jeder vor Gott sein Knie beugen muss. Das Gebet „An uns ist es,
den Herrn aller Dinge zu preisen“ dankt Gott dafür, dass er Israel von anderen Völkern
der Welt unterscheidet. Israel hat sein eigenes „Schicksal“, das darin besteht, sich
von den anderen Völkern zu unterscheiden. Gott wird darum gebeten, „die Erde von den
Gräueln zu befreien, wenn die Welt unter der Herrschaft des Allmächtigen vervollkommnet
sein wird“. Dieses Gebet für die Bekehrung „aller Gottlosen auf der Erde“, die „alle
Bewohner der Erde“ sind, wird im normalen Judentum nicht einmal im Jahr, sondern jeden
Tag gesprochen. Es findet seine Entsprechung in der Passage des Gebets der achtzehn
Benediktionen, in der Gott gebeten wird, „die Herrschaft des Hochmuts“ zu unterbinden.
Wir könnten sagen, dass im normalen Judentum zu Gott gebetet wird, er möge die Völker
erleuchten und seinem Reich zuführen. Als ob diese Hoffnung unterstrichen werden sollte,
folgt dem Gebet „An uns ist es“ das Kaddisch: „Sein Reich erstehe in eurem Leben in
euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und in nächster Zeit“.
Ich kann nicht erkennen, wie diese Gebete sich in ihrer Geisteshaltung oder in ihrer
Absicht von dem in der Diskussion stehenden Gebet unterscheiden. Diese Abschnitte
aus den normalen, täglichen Gottesdiensten des Judentums lassen keinen Zweifel daran,
dass das heilige Israel, wenn es sich zum Gebet versammelt, Gott darum bittet, die
Herzen der Nichtjuden zu erleuchten. Die eschatologische Sicht findet Nahrung bei
den Propheten und ihrer Vorstellung von einer einzigen und vereinten Menschheit und
umgreift die gesamte Menschheit in einer offenen Geisteshaltung. Die Verurteilung
der Götzenverehrung bietet dem Christentum oder dem Islam, die schweigend übergangen
werden, keinen großen Trost. Die Gebete flehen zu Gott, er möge das Kommen seines
Reiches schnell herbeiführen. Sie bilden das Gegenstück zu dem Gebet, welches darum
bittet, „dass beim Eintritt der Fülle der Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet
wird“. Die bekehrenden Gebete des Judentums und des Christentums haben ein gemeinsames
eschatologisches Zentrum und wollen allen Völkern die Tür zum Heil offen halten. So
wenig wie das Christentum und der Islam Anstoß am israelitischen Gebet nehmen, sollte
auch das heilige Israel keinen Einwand gegen das katholische Gebet erheben. Beide
Gebete, sowohl das „An uns ist es“ als „Lasst uns auch beten für die Juden“, erfassen
die Logik des Monotheismus und seine eschatologische Hoffnung.
Der Autor
ist Professor für Geschichte und Theologie des Judentums am Bard College in New York
und Verfasser des Buches „Ein Rabbi spricht mit Jesus“, auf das Papst Benedikt XVI.
in seinem Jesus-Buch häufig Bezug genommen hat.
(Übersetzung aus dem Englischen
von Claudia Reimüller)