Gegen den erbitterten
Widerstand der Opposition hat das türkische Parlament am Mittwochabend das so genannte
Stiftungsgesetz verabschiedet. Es weitet die Eigentumsrechte der christlichen Kirchen
aus, wenn es aus ihrer Sicht auch nicht der erhoffte „große Wurf“ ist. Das Gesetz
passierte das Plenum mit den Stimmen von 242 der 314 anwesenden Abgeordneten. Vorangegangen
war eine heftige Debatte, in der Abgeordnete der Opposition der regierenden AKP den
„Ausverkauf nationaler Interessen an die Christen und Juden“ vorwarfen.
Das
neue Stiftungsgesetz sieht unter anderem die Rückgabe enteigneten Besitzes an kirchliche
Stiftungen vor. Die Regierungsfraktion hatte das Gesetz schon einmal im November 2006
verabschiedet; die Umsetzung scheiterte aber am Veto des damaligen Staatspräsidenten
Ahmet Sezer. Diesmal aber gilt die Unterschrift des neuen Präsidenten Abdullah Gül
als sicher. Auch bei den christlichen Kirchen herrscht aber wenig Begeisterung über
die Neuregelung. Sie beklagen vor allem, dass sie nur „kürzlich“ – das heißt seit
den siebziger Jahren – enteignete Immobilien vom Staat zurückfordern können. Zudem
ist keine Restitution von Immobilien vorgesehen, die vom türkischen Staat seither
an Dritte veräußert wurden. Die christlichen Kirchen sind – ebenso wie die Jüdische
Gemeinschaft – in der Türkei mangels Rechtspersönlichkeit in Form vieler „frommer
Stiftungen“ organisiert, wie es der islamischen Vorstellung der „wakf“ entspricht.
Vor 1914 zählten diese Stiftungen – vor allem solche der orthodoxen Kirche – zu den
größten Grundeigentümern im Osmanischen Reich. Es geht bis heute um Tausende Grundstücke
und Gebäude, deren Wert vorsichtig mit 150 Milliarden Dollar beziffert wird. Mit dem
Gesetz erfüllt die Türkei eine der Forderungen der Europäischen Union für einen Beitritt
Ankaras. Die EU hat die Achtung der Religionsfreiheit und die Einhaltung der Menschenrechte
als Prioritäten für Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bezeichnet.
Doch auch nach dem Parlamentsentscheid vom Mittwochabend bleibt die Lage der christlichen
Kirchen in der Türkei prekär, weil der Staat die Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen
Status für die Kirchen verweigert. (kap 21.02.2008 sk)