2008-02-21 20:11:27

Im Kreuzfeuer: Gemischte Gefühle im und für den Kosovo


RealAudioMP3 Kosovo ist unabhängig. Einseitig erklärte die Region an der Grenze zu Albanien am 17. Februar die Unabhängigkeit. Um 15 Uhr 50 verlas Fatmir Sejdiu das entsprechende Dekret. Serbien sprach von einem unbegreiflichen Schritt, bar jeder Rechtsgrundlage. Mit sehr gemischten Gefühlen wird die Unabhängigkeitserklärung in der orthodoxen Kirche verfolgt. Der Heilige Stuhl ist zurückhaltend in der politischen Debatte, Papst Benedikt rief zu Besonnenheit und gegenseitigem Respekt.
Das aktuelle „Kreuzfeuer“ von Birgit Pottler liefert Hintergründe.


Auszüge daraus:


Schrittweise in die EU
Das Vorgehen Kosovos sei nicht normal, kritisierte der Außenamtsleiter des Moskauer Patriarchats. Es könne die Welt- und Europapolitik auf die Zeit vor und nach der Kosovo-Frage teilen, sagt Metropolit Kyrills. Der etablierte Weltkonsens nun gebrochen. In der Tat: Die USA waren und sind für die Unabhängigkeit, Russland und China dagegen. Serbien zieht seine Botschafter aus Ländern ab, die den Kosovo als Staat anerkennen. Szenarien, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der Vergangenheit anzugehören schienen. Doch EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering will keine weltpolitischen Kriegszenarien heraufbeschwören:
„Mein Eindruck ist, dass die Botschafter zur Berichterstattung nach Belgrad gebeten worden sind. Meine Empfehlung an die serbischen Partner ist, dass sie die Botschafter auch von anderen Ländern, die den Kosovo anerkennen, nicht dauerhaft abziehen, sondern nur zur Berichterstattung, was ja durchaus verständlich wäre. Aber die Botschafter sollen ihre Arbeit in den Hauptstädten dann wieder aufnehmen, in denen sie Aufgaben wahrzunehmen haben.“
Das Europäische Parlament hatte am Mittwoch eine ausführliche Debatte zur am Sonntag erfolgten Unabhängigkeitserklärung des Kosovo geführt. Die Europaabgeordneten bezeichneten diesen Schritt mehrheitlich als unausweichlich, riefen gleichzeitig aber zu Besonnenheit auf beiden Seiten auf.
„Wir müssen den Serben sagen, dass sie natürlich jetzt in einer schwierigen Situation sind, und dass wir natürlich auch für die serbische Position Verständnis haben. Wir müssen auch sagen, dass die serbische Zukunft in der Europäischen Union liegt, ebenso wie die Zukunft des Kosovo. Aber das ist natürlich ein weiter Weg. Es ist jetzt wichtig, dass wir Sympathie gegenüber beiden Seiten zum Ausdruck bringen.“
Sympathie alleine reiche zwar nicht, sei aber ein wichtiger Bestandteil der politischen Psychologie.
„Ohne eine solche positive Haltung gegenüber Serbien und dem Kosovo werden die Dinge sich schwer entwickeln. Jetzt muss man ein konkretes Angebot gegenüber Serbien machen, in Schritten an die Europäische Union zu kommen, und die Serben sollten bereit sein, diese Angebote zu akzeptieren.“



Kosovo als Zentrum Serbiens
Seit Entstehen des serbischen Staates um 1300 war das Kosovo fester Bestandteil des serbischen Staates. Ein geschichtlicher Abriss - auch um die ersten Funken des Kreuzfeuers nachzuvollziehen:


Am 28. Juni 1389, in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) war das serbische Heer und seine Verbündeten unter der Führung von Fürst Lazar den türkischen Truppen unterlegen. Kosovo, das Zentrum des mittelalterlichen serbischen Reiches, geriet im Jahre 1455 endgültig unter osmanische Herrschaft. Die Einnahme Kosovos 1912 wurde von den Serben als Wiedergutmachung eines historischen Unrechts empfunden. Nach den Balkankriegen von 1912/1913 wurde Kosovo in den serbischen Staat eingegliedert und kam 1918 als Teil Serbiens zum Königreich der Serben Kroaten und Slowenen, dem späteren Jugoslawien.


Mit der Entwicklung des Patriarchats von Pesch 1346 lag im Kosovo auch das kirchliche Zentrum Serbiens. Niederlage und der Tod des Fürsten Lazars wurden zum Kern serbischer Erinnerung. Das betont der langjährige deutsche Europa-Bischof Josef Homeyer:
„Lazar wird als Märtyrer für das Reich Gottes außergewöhnlich verehrt und gilt im historischen Bewusstsein des serbischen Volkes gleichsam als Stifter der serbischen Identität, die das serbische Volk während der 500-jährigen Osmanenherrschaft immer wieder aufgerichtet und zusammengehalten hat.“
Die Lazar-Verehrung und der sich um den Fürsten rankende Mythos gehören auch zu den geistigen Grundlagen für die Wiedererrichtung des serbischen Staates nach dem Zerfall des Osmanenreiches zu Beginn des 18. Jahrhunderts, sagt Hohmeyer.
„Entsprechend hat es im Kosovo hunderte von serbisch-orthodoxen Klöstern gegeben, und es gibt ja auch heute noch über 400 serbisch-orthodoxe Klöster im Kosovo, die die reiche geistliche Tradition Serbiens weiter tragen.“


„Auf der anderen Seite muss man einfach sehen, in den 500 Jahren osmanischer Herrschaft sind immer mehr muslimische Albaner in den Kosovo gekommen, ob freiwillig oder gezwungen. Als in den Balkankriegen 1912/13 Kosovo wieder dem serbischen Staat eingegliedert wurde, war die Bevölkerung des Kosovo inzwischen mehrheitlich muslimisch-albanisch. Es war unglücklich, dass es dann zu zunehmenden Ausgrenzungen, Verdrängungen der muslimischen Albaner kam. Das führte zu Protesten, Aufständen und Unabhängigkeitsbestrebungen der muslimischen Albaner im Kosovo. Als es dann 1999 unter Milosevic zu massiven Gegenmaßnahmen und schließlich zur Vertreibung der Albaner kam, intervenierte bekanntlich die NATO, das Kosovo wurde zum Protektorat der UNO.“
Wie viele Vertreter katholischer Organisationen in den in den vergangen Monaten ruft Hohmeyer zum Schutz der serbischen Minderheit und wirbt um Verständnis für beide Seiten.
„Zusammengefasst: Einerseits verständlich, dass Serbien das für seine Identität so ungemein bedeutsame Kosovo nicht aufgeben will. Andererseits muss man aber sehen, dass die Bevölkerungsmehrheit der muslimischen Albaner im Kosovo sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den Serben von Serbien bedroht fühlt und auf Unabhängigkeit drängt, ja besteht.“

 
(rv 21.02.2008 bp)








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