Terror und Chaos machen
krank: Im Irak leiden gemäß einer Studie des irakischen Gesundheitsministeriums 35
Prozent der Menschen unter psychischen Störungen. Gewalt in den Familien und Alkoholismus
haben zugenommen. Der Grund für den Anstieg ist die Sicherheitslage im Land in den
vergangenen Jahren. Am meisten leiden diejenige, die vom sozialen Umfeld ausgeschlossen
werden. Dies sind vor allem Angehörige von Minderheiten wie beispielsweise die Christen.
Die
Christen im Irak bilden von jeher nur eine religiöse Minderheit, die einer andersgläubigen
Mehrheit gegenübersteht. Kirchengeschichtlich entstammen sie überwiegend dem syrischen
oder aramäischen, daneben vor allem dem armenischen Christentum. Zwar kämpfen seit
2005 die schiitischen und sunnitischen Muslime im Irak über die Machtstellung im Land.
Die Christen werden dabei als muslimische Feinde angesehen. Der lateinische Erzbischof
von Bagdad, Bischof Jean-Benjamin Sleiman, möchte deshalb den Dialog untereinander
fördern.
„Die Gewalt scheint in unserem Land wie eine Welle im offenen Meer
zu sein. Sie steigt und sinkt ständig. Der Anstieg wird vor allem durch die Weigerung
zum Dialog verursacht. Der Anstieg der Gewaltwelle überrascht dann alle. Es gibt dann
noch ein weiteres beängstigendes Phänomen: Die unkontrollierbare Angriffe auf unschuldige
Menschen. Das hat sich in letzter Zeit sehr stark verbreitet.“
Dennoch
verbreiten US-amerikanische Medien – gestützt auf Pressemeldungen ihrer Regierung
– die Nachricht, dass die Gewaltwelle im Irak sinkt.
„Es geht nicht darum,
ob es statistisch gesehen mehr oder weniger Gewalt gibt. Tatsache ist, dass im Augenblick
keine Lösungen angegeben werden, wie wir aus dieser Sackgasse wieder rauskommen. Es
gibt kein Anzeichen, dass man für die Wiederversöhnung arbeitet. Das wäre sehr wichtig.
Denn die Ruhe und Ordnung wird in einigen wenigen Quartieren einzig durch die massive
Präsenz von Soldaten hergestellt. Das ist aber keine Lösung.“
Die
Zahl der noch im Irak verbliebenen Christen könne nicht exakt festgestellt werden,
jedoch sollen Schätzungen zufolge mehre hunderttausend Christen geflohen sein. Der
lateinische Erzbischof von Bagdad ist besorgt.
„Das ist eine dramatische
Angelegenheit. Es herrscht viel Ungerechtigkeit gegenüber den irakischen Christen.
Die Vergabe von Visa scheint willkürlich zu sein. Es gibt nämlich Fälle, bei denen
Iraker ein Ausreisevisum erhalten haben, obwohl sie es eigentlich nicht nötig hätten.
Denn den Christen wird allgemein gesagt, sie sollten weggehen. Wer das fordert, möchte
vielleicht das Leben der Christen sichern. Doch es wäre wünschenswert, wenn alle mehr
für Gerechtigkeit und Frieden in diesem Land unternehmen würden.“
Die christliche
Minderheit im Irak, die rund drei Prozent der Gesamtbevölkerung von 27 Millionen Menschen
stellt, befürchtet eine „religiösen Säuberung“. Stattdessen braucht das Land andere
Zustände, so Bischof Sleiman.
„Wenn hier endlich Gerechtigkeit und Frieden
herrschen würde, dann würde man nicht mehr zwischen Muslime, Juden und Christen unterscheiden.
Doch stattdessen herrscht hier ein kollektiver Narzissmus. Jedes Quartier bietet nur
einer Gruppe Zuflucht und schottet sich von den anderen ab. Das Problem der Christen
im ganzen Nahen Osten zeigt ein ähnliches Phänomen auf größerer Ebene.“
Der
Westen ist also gefordert, mehr für den Irak zu tun. Der Einfall der USA und die Präsenz
der ausländischen Soldaten sind längerfristig keine Lösung, so Jean-Benjamin Sleiman.
„Den
Krieg alleine zu führen, ist einfach, doch den Frieden alleine wieder herzustellen,
ist unmöglich. Es braucht einen breiten Konsens auf internationaler Ebene, um die
Situation im Irak zu verbessern. Ich glaube, dass die Kirche viel dazu beitragen kann.
Sie ist – theologisch gesehen – für die Herstellung des Friedens da.“