1. Das Thema des nächsten Welttags der Sozialen
Kommunikationsmittel „Die Medien am Scheideweg zwischen Selbstdarstellung und Dienst.
Die Wahrheit suchen, um sie mitzuteilen“ macht deutlich, wie wichtig die Rolle dieser
Instrumente im Leben der Menschen und der Gesellschaft ist. Es gibt in der Tat keinen
Bereich menschlicher Erfahrung – insbesondere angesichts des breiten Phänomens der
Globalisierung –, in dem die Medien nicht konstitutives Element der interpersonalen
Beziehungen sowie der sozialen, ökonomischen, politischen und religiösen Vorgänge
geworden sind. Diesbezüglich habe ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag vom vergangenen
1. Januar geschrieben: „Besonders die Massenmedien haben wegen der erzieherischen
Möglichkeiten, über die sie verfügen, eine spezielle Verantwortung, die Achtung der
Familie zu fördern, ihre Erwartungen und Rechte darzulegen und ihre Schönheit herauszustellen“
(Nr. 5).
2. Dank einer rasanten technologischen Entwicklung haben diese Medien
außergewöhnliche Möglichkeiten erworben, was gleichzeitig neue und ungeahnte Fragen
und Probleme aufwirft. Unbestreitbar ist der Beitrag, den sie für den Nachrichtenfluß,
für die Kenntnis der Fakten und die Verbreitung des Wissens leisten können: sie haben
z. B. entscheidend zur Alphabetisierung und zur Sozialisierung wie auch zur Entwicklung
der Demokratie und des Dialogs unter den Völkern beigetragen. Ohne ihren Beitrag wäre
es wirklich schwierig, das Verständnis unter den Nationen zu fördern und zu verbessern,
den Friedensgesprächen universale Geltung zu verschaffen, den Menschen die Grundversorgung
an Information zu garantieren und gleichzeitig den freien Meinungsaustausch vor allem
in bezug auf die Ideale der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit sicherzustellen.
Ja! Aufs ganze gesehen sind die Medien nicht nur Mittel zur Verbreitung der Ideen,
sondern können und müssen auch Instrumente im Dienst einer gerechteren und solidarischeren
Welt sein. Es besteht leider die Gefahr, daß sie sich in Systeme verwandeln, die darauf
abzielen, den Menschen Auffassungen zu unterwerfen, die von den herrschenden Interessen
des Augenblicks diktiert werden. Das gilt für eine Kommunikation zu ideologischen
Zwecken oder zur Plazierung von Konsumprodukten durch eine obsessive Werbung. Unter
dem Vorwand, die Realität darzustellen, ist man in Wirklichkeit bestrebt, verzerrte
Modelle persönlichen, familiären oder gesellschaftlichen Lebens zu legitimieren und
aufzuzwingen. Um die Quote, die sogenannte audience, zu erhöhen, zögert man gelegentlich
nicht, sich der Regelverletzung, der Vulgarität und der Gewaltdarstellung zu bedienen.
Schließlich ist es möglich, daß durch die Medien Entwicklungsmodelle vorgestellt und
unterstützt werden, die den technologischen Abstand zwischen den reichen und armen
Ländern vergrößern, statt ihn zu verringern.
3. Die Menschheit steht heute
an einem Scheideweg. Auch für die Medien gilt, was ich in der Enzyklika Spe salvi
über die Doppelgesichtigkeit des Fortschritts geschrieben habe, der unzweifelhaft
neue Möglichkeiten zum Guten bietet, aber auch abgründige Möglichkeiten des Bösen
öffnet, die es ehedem nicht gab (vgl. Nr. 22). Daher muß man sich fragen, ob es klug
ist zuzulassen, daß die Kommunikationsmittel einer wahllosen Selbstdarstellung unterworfen
sind oder in die Hände von Leuten gelangen, die sich ihrer bedienen, um die Gewissen
zu manipulieren: Sollte man nicht vielmehr sicherstellen, daß sie im Dienst der Menschen
und des Gemeinwohls verbleiben und „die moralische Bildung des Menschen, im Wachstum
des inneren Menschen“ (ebd.) fördern? Ihre außerordentliche Auswirkung im Leben der
Menschen und der Gesellschaft ist eine weithin anerkannte Gegebenheit; aber heute
muß die Wende herausgestellt werden, ja, ich würde sogar sagen, der wahre und eigentliche
Rollenwandel, dem sie begegnen müssen. In immer ausgeprägterer Weise scheint die Kommunikation
heute gelegentlich den Anspruch zu erheben, die Wirklichkeit nicht nur abzubilden,
sondern dank der ihr innewohnenden Macht und Suggestionskraft zu bestimmen. Es ist
z. B. festzustellen, daß bei manchen Gelegenheiten die Medien nicht für eine korrekte
Informationsfunktion benutzt werden, sondern die Ereignisse selbst „schaffen“. Dieser
gefährliche Wandel ihrer Funktion wird von vielen Seelsorgern mit Sorge wahrgenommen.
Gerade weil es sich um Realitäten handelt, die tiefe Auswirkungen in allen Bereichen
des menschlichen Lebens (moralisch, intellektuell, religiös, im Bereich der Beziehungen
und Gefühle, kulturell) haben und das Wohl der Menschen aufs Spiel setzen, ist zu
betonen, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch ethisch durchführbar ist.
Die Wirkung der Kommunikationsmittel auf das Leben der Zeitgenossen wirft daher unausweichlich
Fragen auf, die Entscheidungen und Antworten erwarten, die nicht länger aufgeschoben
werden können.
4. Die Rolle, die die sozialen Kommunikationsmittel in der Gesellschaft
eingenommen haben, muß heute als integrierender Bestandteil der anthropologischen
Frage betrachtet werden, die als schwerwiegende Herausforderung des dritten Jahrtausends
zutage tritt. Nicht unähnlich dem, was auf dem Gebiet des menschlichen Lebens, von
Ehe und Familie sowie im Bereich der großen Fragen der Gegenwart bezüglich Frieden,
Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung geschieht, stehen auch im Bereich der sozialen
Kommunikationsmittel grundlegende Dimensionen des Menschen und seiner Wahrheit auf
dem Spiel. Wenn die Kommunikation die ethische Verankerung verliert und sich der sozialen
Kontrolle entzieht, trägt sie am Ende nicht mehr der zentralen Stellung und der unverletzlichen
Würde des Menschen Rechnung; dabei läuft sie Gefahr, negativen Einfluß auf sein Gewissen
und seine Entscheidungen zu haben sowie letztlich die Freiheit und das Leben selbst
der Menschen zu bestimmen. Das ist der Grund, warum es unerläßlich ist, daß die sozialen
Kommunikationsmittel leidenschaftlich den Menschen als Person verteidigen und seine
Würde vollkommen achten. Einige denken, daß heute in diesem Bereich eine „Info-Ethik“
ebenso notwendig ist wie die Bio-Ethik im Bereich der Medizin und der wissenschaftlichen
Forschung, die mit dem menschlichen Leben zu tun hat.
5. Man muß vermeiden,
daß die Medien das Sprachrohr des wirtschaftlichen Materialismus und des ethischen
Relativismus werden, wahre Plagen unserer Zeit. Die Medien können und sollen hingegen
dazu beitragen, die Wahrheit über den Menschen bekannt zu machen und sie dabei vor
denen zu verteidigen, die dazu neigen, diese zu bestreiten oder auszulöschen. Man
kann sogar sagen, daß die Suche nach der Wahrheit über den Menschen und ihre Darstellung
die höchste Berufung der sozialen Kommunikation bilden. Zu diesem Zweck alle – immer
besseren und verfeinerten – Ausdrucksweisen zu nutzen, die den Medien zur Verfügung
stehen, ist eine begeisternde Aufgabe, die in erster Linie den in diesem Bereich Verantwortlichen
und Tätigen übertragen ist. Es ist jedoch eine Aufgabe, die in gewisser Weise uns
alle betrifft, weil im Zeitalter der Globalisierung wir alle Mediennutzer und Medienschaffende
sind. Die neuen Medien, insbesondere Telephon und Internet, sind dabei, die Kommunikationsformen
selbst zu modifizieren; vielleicht ist dies eine gute Gelegenheit, sie neu zu gestalten,
um – wie es mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. sagte – die wesentlichen und
unverzichtbaren Züge der Wahrheit über den Menschen besser sichtbar zu machen (vgl.
Apostolisches Schreiben Die schnelle Entwicklung, 10).
6. Der Mensch dürstet
nach Wahrheit, er ist auf der Suche nach der Wahrheit; das beweisen auch die Aufmerksamkeit
und der Erfolg, die viele Verlagsprodukte, Programme oder Fiction-Filme von Rang verzeichnen,
in denen die Wahrheit, die Schönheit und Größe des Menschen einschließlich seiner
religiösen Dimension anerkannt und gut dargestellt werden. Jesus hat gesagt: „Dann
werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8, 32).
Die Wahrheit, die uns frei macht, ist Christus, weil nur er in umfassender Weise auf
den Durst nach Leben und Liebe im Herzen des Menschen Antwort geben kann. Wer Christus
begegnet und von seiner Botschaft begeistert ist, verspürt den unbändigen Wunsch,
diese Wahrheit mit anderen zu teilen und mitzuteilen. „Was von Anfang an war, was
wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen,“ – schreibt der heilige Johannes
– „was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort
des Lebens. […] Das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.
Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn Jesus Christus. Wir schreiben
dies, damit unsere Freude vollkommen ist (1 Joh 1, 1-4).
Laßt uns den Heiligen
Geist anrufen, daß es nicht an mutigen Kommunikatoren und echten Zeugen der Wahrheit
mangelt, die in Treue zum Auftrag Christi und begeistert von der Botschaft des Glaubens
„sich zu Interpreten der heutigen kulturellen Erfordernisse zu machen wissen und sich
dafür einsetzen, dieses Zeitalter der Kommunikation nicht als Zeit der Entfremdung
und Verwirrung zu leben, sondern als kostbare Zeit für die Suche nach der Wahrheit
und für die Entwicklung der Gemeinschaft unter den Menschen und Völkern“ (Johannes
Paul II., Ansprache an die Teilnehmer einer Tagung der Kultur- und Medienschaffenden
Parabole mediatiche, 9. November 2002).
Mit diesem Wunsch erteile ich euch
allen von Herzen meinen Segen.
Aus dem Vatikan, am 24. Januar 2008, dem Gedenktag
des heiligen Franz von Sales.