2008-01-17 15:23:52

Dialog ist unmodern?


RealAudioMP3 Dozenten und Studenten bringen den Papst zum Schweigen. Benedikt sagt Besuch an römischer Universität ab. Wie dialogfähig ist die moderne Gesellschaft? Unsere Sendereihe „Kreuzfeuer“ beleuchtet die Vorfälle an der Hochschule La Sapienza, ihre Hintergründe und die Folgen, ein Sendung von Birgit Pottler.


„Nach den bekannten Ereignissen dieser Tage hinsichtlich des Besuchs des
Heiligen Vaters in der Universität ,La Sapienza', der auf Einladung des Rektors am Donnerstag, 17. Januar, erfolgen sollte, hielt man es für opportun, den Termin zu verschieben. Der Papst wird aber den vorbereiteten Text übermitteln.“ Vier Zeilen, veröffentlicht am Dienstag Nachmittag. Wenige Worte, die einen ganzen Schwall nach sich zogen.

Schaden für Freiheit und Demokratie
Staatspräsident Giorgio Napoletano schrieb in seinem Entsetzen über die „unzulässigen Manifestationen der Intoleranz“ und „beleidigende Aussagen“ persönlich an den Papst. Im Senat entbrannte noch am Abend eine Debatte, weniger über religiöse Fragen, als denn über die fragwürdige Zukunft einer intoleranten Gesellschaft. Mit Protesten, die einem Redeverbot des Papstes gleichzusetzen sind, tauchten „Schreckensgespenster aus der Vergangenheit“ wieder auf, sagte zum Beispiel der italienische Forschungsminister Fabio Mussi. „Was an der Universität La Sapienza passiert ist, ist schlimm. Schlimm und absolut falsch. Das ist gegen das Wesen der Universität, gegen ihren Auftrag…“ Intoleranz schade der Demokratie und der Freiheit sagt der Chef der neuen Demokratischen Partei, Walter Veltroni. Fraktionsführer Antonello Sorò kritisiert vor allem die Rolle der Professoren. Sie seien schlechte Lehrmeister und ihr Verhalten schüre Extremismus. Oppositionsführer Silvio Berlusconi und andere Vertreter des Mitte-Rechts-Bündnisses mischen in ihr Entsetzen über die Vorfälle an der Sapienza Angriffe auf die politische Linke. Die Regierung sollte sich einer strengen Gewissenprüfung unterziehen. Mit antiklerikaler Stimmungsmache hätten viele Parteien überhaupt erst das Klima für ein solches Redeverbot für den Papst geschaffen. Pier Ferdinando Casini: „Wehe einer Gesellschaft, die im Namen des Unilateralismus die großen spirituellen Stimmen unserer Zeit zum Schweigen bringt. Diese Gesellschaft ist arm dran, ist unweigerlich dem Untergang bestimmt“, sagt Pier Ferdinando Casini, Chef der Christdemokraten. Francesco Cossiga früherer Ministerpräsident und Senator auf Lebenszeit fügt an: „Wenn eine Universität intolerant ist, bedeutet das das Ende der Redefreiheit und der Freiheit überhaupt.“
„Wir leben unter dem Faktor ,I’“, brachte es Bischof Rino Fisichella auf eben diesen Punkt. Der Rektor der stets besonders papstnahen Lateranuniversität nannte: Ignoranz, Intolleranz und - auch die beginnt im Italienischen mit I - laizistische Unnachgiebigkeit.
Der Vatikanische Kulturminister, Erzbischof Gianfranco Ravasi, meldete sich als erster aus dem Vatikan zu Wort. In erster Linie sei das kein Problem mit dem Papst oder der Religion, sondern ein Tiefpunkt für die Kultur Überhaupt: „Kultur bedeutet von Natur aus Begegnung und Dialog, und in bestimmten Momenten eben auch Dissonanz. Wenn daraus reine Ablehnung wird, ohne die Möglichkeit einer direkten Begegnung, kann das niemals kulturell genannt werden. In diesem Fall haben wir es mit kulturellem Fundamentalismus zu tun….“


Was war geschehen? Papst Benedikt hätte auf Einladung der ältesten staatlichen Universität Roms, der größten Europas obendrein, der La Sapienza-Universität, dort einen Festvortrag zur Eröffnung des Akademischen Jahres halten sollen. Universitätsdozenten hatten den Rektor zum Rückzug der Einladung aufgefordert, Studenten hatten sich ihnen angeschlossen und schließlich das Rektorat besetzt.
Der Papst habe als Kardinal im Jahr 1990 einmal den Prozess gegen Galileo Galilei gerechtfertigt - das war der Vorwurf, mit dem 67 von 4.500 Dozenten die Proteste losgetreten hatten. Der Vatikan hatte dagegengehalten, Benedikt hat lediglich darauf hingewiesen, dass einige Historiker heute dem damaligen Prozess eine gewisse Berechtigung zusprechen. In dem kritisierten Aufsatz spricht Ratzinger auch von einem „veränderten Klima“ gegenüber Galilei. Dazu kamen in den letzten Wochen dann die - periodisch auftretenden - Vorwürfe zur päpstlichen Haltung gegen Abtreibung, homosexuelle Partnerschaften und Embryonenforschung.

Wie ist das möglich? Eine Frage, die sich nicht nur die italienische Hochschullandschaft stellen muss, meint der Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Christoph Markschies: „Eine Universität muss ja eigentlich dazu anhalten, dass Texte gründlich gelesen werden. Dass es über eine längere Zeit möglich war, eine völlig entstellte Fassung der Rede des Papstes zu verbreiten und damit Stimmung zu machen - das dürfte ja eigentlich an einer Universität nicht passieren; das sind schlichteste Boulevard-Gesetze. Das ist, glaube ich, eine Sache, auf die man aufpassen muss: dass die Wissenschafts-Berichterstattung sehr viel gründlicher und solider gemacht wird, damit solchen Entstellungen von Anfang an etwas entgegengesetzt werden kann.“

Minderheit will nicht
An der Sapienza geschah das wohl nicht in ausreichendem Maß. „No Pope“, steht auf den Plakaten und „Der Papst ist gegen die Universität!“. Durchgestrichene Petersdomkuppeln wehen auf Bettücher gemalt aus den Fenstern; daneben: „Hast Du’s nicht kapiert? Wir wollen dich nicht“. Die Sicherheit wäre bei einem Papstbesuch garantiert gewesen, zu 1000 Prozent, hatte der Innenminister verkündet.
Universiätsrektor Renato Guarini hatte den Besuch des Papstes gegen die protestierenden Professoren und Studenten entschieden verteidigt. Nach der Absage trat er vor die Presse: „Ich nehme die Entscheidung des Heiligen Stuhls zur Kenntnis und akzeptiere sie, wenn auch mit großem Bedauern. Das Treffen mit dem Papst wäre ein wichtiger Moment für Gläubige und Nichtgläubige gewesen, eine Gelegenheit zum Nachdenken über die ethischen und gesellschaftlichen Probleme. Das Hören auf die Stimme eines Gelehrten, der zu den Themen unserer Zeit Stellung nimmt, wäre ein Antrieb für die Gewissensfreiheit und alle, die sich weltlicherseits mit den Problemen des Lebens beschäftigen.“
Der Papst hätte die Einladung der Sapienza sehr gerne angenommen, schrieb Kardinalstaatsekretär Tarcisio Bertone tags darauf an den Rektor und übermittelte herzliche Grüße. Da es aber nach den Ereignissen an den Bedingungen für einen „würdigen und ruhigen Empfang“ fehle, „wurde es für angebracht gehalten, den geplanten Besuch zu verschieben, um keinen Anlass für Demonstrationen zu bieten, die für alle unerfreulich gewesen wären“. Der Vatikan - daran lässt Bertone im Schreiben an den Sapienza-Rektor keinen Zweifel, sieht hinter den Protesten die Initiative einer „absoluten Minderheit“.
Die ersten Reaktionen der Studenten? Entsetzen im Einen, Siegesstimmung im anderen Lager. Einer der Dozenten versucht nach der massiven Kritik Seitens der Politik abzuschwächen. Es sei eine Ehre für eine Universität, ein Staats- oder Kirchenoberhaupt zu empfangen. Nur war der Anlass schlecht gewählt, sagt der Unterzeichner der ersten Protestnote. Der Eröffnungsvortrag eines akademischen Jahres – das sich an der Sapienza übrigens schwerpunktmäßig dem Thema Todesstrafe widmen soll – sei einem Mitglied des Uni-Lehrkörpers vorbehalten. Das überlasse man keinem anderen, sei er nun Staats- oder Religionschef.


Auf der Suche nach Wahrheit
Bis dato wusste noch niemand, was der Papst zur Eröffnung des Akademischen Jahres geplant hatte. Sein Vortrag wurde dem Sapienza-Rektor übermittelt und am späten Mittwoch Nachmittag veröffentlicht. Der Kardinalstaatssekretär hatte ausdrücklich betont, der Text sei vom Papst persönlich vorbereitet worden.
Was ist Wahrheit? Diese Grundfrage stellt Benedikt XVI. in dem nicht gehaltenen Vortrag an der römischen Sapienza-Universität. Kein einziges Mal nennt er konkrete Vorfälle oder Diskussionen der italienischen Gesellschaft; er hinterfragt vielmehr die Grundlage für den kulturellen Diskurs und Fortgang überhaupt. Das Wort Wahrheit fällt 25 Mal. Eingangs betont das Kirchenoberhaupt explizit den laizistischen Charakter der Universität, die jedoch auf einen Papst zurück geht. Er fragt auch: Was kann und soll der Papst in der Universität sagen?
Der Wissenschaftler Benedikt beleuchtet wie erwartet erneut den Zusammenhang von Glaube und Vernunft, betont aber, dass er - anders als in Regensburg - an der römischen Universität in erster Linie als Bischof von Rom sprechen sollte. Benedikt nimmt Abstand von kirchlichen Fehlhandlungen im Laufe der Geschichte - ohne jedoch Namen wie Galileo Galilei oder Giordano Bruno zu nennen.


Kernsätze
Der Mensch will erkennen – er will Wahrheit. Aber Wahrheit meint mehr als Wissen: Die Erkenntnis der Wahrheit zielt auf die Erkenntnis des Guten.
Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Aber zugleich gilt, dass die Geschichte der Heiligen, die Geschichte der vom christlichen Glauben her gewachsenen Menschlichkeit diesen Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert und damit auch zu einer Instanz für die öffentliche Vernunft macht.
Die christliche Botschaft sollte von ihrem Ursprung her immer Ermutigung zur Wahrheit und so eine Kraft gegen den Druck von Macht und Interessen sein.
Die Gefahr der westlichen Welt – um nur davon zu sprechen – ist es heute, dass der Mensch gerade angesichts der Größe seines Wissens und Könnens vor der Wahrheitsfrage kapituliert. Und das bedeutet zugleich, dass die Vernunft sich dann letztlich dem Druck der Interessen und der Frage der Nützlichkeit beugt, sie als letztes Kriterium anerkennen muss.
Von der Struktur der Universität her gesagt: Die Gefahr ist, dass die Philosophie sich ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr zutraut und in Positivismus abgleitet; dass die Theologie mit ihrer an die Vernunft gewandten Botschaft ins Private einer mehr oder weniger großen Gruppe abgedrängt wird.
Was hat der Papst an der Universität zu tun oder zu sagen? Er darf gewiss nicht versuchen, andere in autoritärer Weise zum Glauben zu nötigen, der nur in Freiheit geschenkt werden kann. Über seinen Hirtendienst in der Kirche hinaus und vom inneren Wesen dieses Hirtendienstes her ist es seine Aufgabe, die Sensibilität für die Wahrheit wach zu halten; die Vernunft immer neu einzuladen, sich auf die Suche nach dem Wahren, nach dem Guten, nach Gott zu machen.

Am Donnerstag Mittag wurde der Text im Audimus Maximus der Sapienza verlesen. Um Ausschreitungen zu vermeiden, waren zur Feier lediglich immatrikulierte Studierende zugelassen worden. Drinnen gab es Standing Ovations, Proteste und Pfiffe vor den Toren des Universitätsgebäudes. Einem Bischof wurde der Zugang zur Kapelle verwehrt.
Politiker verschiedener Couleur hatten bei der Akademischen Festveranstaltung das Wort ergriffen. Rektor Renato Guarini stellte fest: Die Erfahrungen der vergangenen Tage hinterlassen große Bitternis. In unserer Universität muss die Diskussion darüber anhalten. Gewaltsame Proteste sind in jeder Form unakzeptabel. Alle müssen Raum bekommen, egal welcher Ansicht sie sind.“ Mittelinks-Mann Walter Veltroni an die Adresse der Dozenten: „Wer in einer Universität wie dieser lehrt, weiß genau, dass es niemals und unter keinen Umständen geschehen darf, dass die Intoleranz jemandem das Wort verbietet. … Schon gar nicht, wenn es um Themen wie die grundlegenden Rechte des Menschen geht und davon eine Persönlichkeit wie Benedikt XVI. spricht, der für Millionen Menschen in aller Welt eine spirituelle, kulturelle und moralische Autorität ist.“

Sachlichkeit oberstes Gebot
Die Kirche werde an dem Dialog mit der Wissenschaft unabdingbar festhalten. Das erklärte inzwischen der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Angelo Bagnasco. Das Miteinander von Glaube und Vernunft - da ist der Erzbischof einer Meinung mit Benedikt - gehörten zum genetischen Erbgut des christlichen Glaubens. Missverständnisse seien gerade bei ethischen oder religiösen Themen nahezu unvermeidbar, Sachlichkeit sei daher in allen Debatten das oberste Gebot. Das derzeitige politische wie kulturelle Klima zeige, wie sehr die ganze Gesellschaft eben diese Sachlichkeit brauche.
Wie steht es im Universitätskontext mit der Freiheit der Meinungen? Dazu Markschies von der Humboldt, interessanterweise Kirchengeschichtler: Freiheit von Wissenschaft und Nebeneinander von verschiedenen Wissenschaften ist immer ein Bedrohtes, nur das ist bislang nie auf Kosten der Freiheit des Wortes gegangen.
Und pikanterweise hat Josef Ratzinger diesen umstrittenen und falsch verstanden Ausspruch zu Galileo Galilei einmal auch an der Sapienza selbst getan, in einem Referat am 15. Februar 1990. Auch Johannes Paul II. und Paul IV. hatten die sogenannte Universität 1 ihrer Bischofsstadt ihrerseits besucht.


Alarmzeichen
Paolo Mieli, Herausgeber der auflagenstärksten italienischen Tageszeitung “Corriere della Sera” klagt an. Diese Dialogverweigerung jetzt bringe ganz Italien in Misskredit – weltweit. „Unserem Land macht das keine Ehre. Auch nicht der positiven Seite der laizisistischen Kultur, die absolut nichts mit Intoleranz und Redeverbot zu tun hat, erst Recht nicht in einer Universität. Was passiert ist, ist eine Schande für das Land und jeden, der – wie ich – einer laizistischen Weltanschauung anhängt. Dieses Verhalten ist untragbar. Das hat nichts mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung oder dem Recht zu Kritik zu tun.“
Die Sorgen um die Zukunft der Gesellschaft sind berechtigt, meint - eben mit dem Blick aus dem Ausland- der Humboldt-Rektor: „Dass Universitäten auch Macht haben, eine Gesellschaft ins Chaos zu stürzen oder zum besseren zu beraten, das haben wir Ende der 60 Jahre gesehen. Deswegen finde ich das immerhin ein erfreuliches Zeichen, dass alle erkennen, dass jemand nicht reden kann und daran gehindert wird, ist ein ganz ernstes Alarmzeichen.
Der kommende Sonntag soll das Blatt wenden: Der Vikar des Papstes für das Bistum Rom, Kardinal Camillo Ruini, hat dazu aufgerufen, am Sonntag besonders zahlreich zum traditionellen Angelus-Gebet auf den Petersplatz zu kommen. Nicht nur die Gläubigen, sondern alle Römer, sollten dem Papst ihre Solidarität zeigen. Die große Mehrheit der Parteien hat sich dem Aufruf angeschlossen. Keine Abstimmung, aber immerhin ein Dialogangebot mit den Füßen…


(rv/varie 17.01.2008 bp)










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