Kardinal Karl Lehmann
tritt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zurück. Aus diesem Grund dokumentieren
wir hier noch einmal ein Interview, das unser Mitarbeiter Aldo Parmeggiani im Mai
2006 mit Lehmann über dessen Leben und Denken führte. Anlass war Lehmanns 70. Geburtstag.
Karl
Lehmann wurde am 16. Mai 1936 in Sigmaringen als Sohn des Volksschullehrers Karl Lehmann
und seiner Frau Margarete geboren. Nach seiner Schulzeit studierte Lehmann zwischen
1956 und 1964 Philosophie und Theologie in Freiburg und Rom. 1963 wurde er in der
Ewigen Stadt von Julius Kardinal Döpfner zum Priester geweiht. Karl Lehmann erwarb
sich Doktorentitel in Philosophie und Theologie. Als Assistent von Karl Rahner arbeitete
er an den Universitäten München und Münster, erlebte aber auch das Zweite Vatikanische
Konzil in Rom aus nächster Nähe mit. 1983 wurde Prof. Dr.Dr. Karl Lehmann zum Bischof
von Mainz geweiht und vier Jahre später zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz
gewählt. Ein Amt, das er ununterbrochen bis heute wahrnimmt. 2001 wurde Bischof Karl
Lehmann von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt.
*Was ist geschehen?
Es wird allgemein wieder von einer Zunahme der Zahl der Katholiken, der Kircheneintritte
gesprochen. Handelt es sich um eine Momentaufnahme oder um einen richtigen und wahren
Trend?
“Es ist schon bei der schnelllebigen Zeit ein Stück weit die Gefahr,
dass es eine Momentaufnahme sein könnte, zumal eine Erneuerung dieses religiösen Interesses
nicht automatisch in die Kirche führt. Aber wir haben viele Anknüpfungspunkte: - das
Leiden und vorbildliche Sterben von Johannes Paul II., die Art und Weise, wie der
jetzige Papst das Amt fortführt, der Weltjugendtag, auch die große Gestalt von Roger
Schütz ist noch immer am Horizont und auch die Nachdenklichkeit von Intellektuellen
wie Habermas, Pera oder wer immer, weisen in diese Richtung.- Die Frage geht ja bis
in die Politik hinein; woher nehmen eigentlich die Menschen die Motive, um größere
Änderungen ihres individuellen und ihres kollektiven Lebens bewerkstelligen zu können?
Das alles sind so Hinweise, auch vielleicht einzelne Faktoren, wenn man die bündeln
kann, dann könnte schon sein, dass dieser Trend nachhaltiger erfolgen wird.“
*Sie
kennen die Zeichen der Zeit besser als viele andere Menschen. Was brauchen die Menschen
heute, um sich von der Kirche angezogen zu fühlen, sich in ihr womöglich geborgen
zu fühlen? Wie stehen die Chancen, dass die Kirche heute wieder zur ersten Adresse
wird?
“Die Menschen spüren, dass wir mit vielen Wandlungen unseres gesellschaftlichen
und individuellen Lebens rechnen müssen. Vieles wird anders, vieles wird vielleicht
auch etwas enger. Es wird uns auch mancher Verzicht abverlangt, und deswegen kommt
die Frage schon etwas dringlicher: was macht eigentlich unser Leben überhaupt aus?
Was ist der Sinn des Lebens? Man sucht deswegen inmitten dieser Wandlungen auch nach
einer verlässlichen Orientierung und da, glaube ich, hat Religion eine neue Chance,
zumal man auch sieht, dass es eben Lebensrätsel des Menschen gibt, wie Leid und Tod,
aber auch das Glück, - die in einem größeren Zusammenhang gesehen werden müssen.“
*Kommen wir zur Jugend: Da gibt es einerseits ein offenkundiges Desinteresse
an kirchlichen Angeboten, eine steigende Zahl junger Menschen, die ohne Bezug zu Glaube
und Religion aufwachsen, andererseits eine offene Sinnsuche, eine wachsende Neugierde
bei vielen Jugendlichen auf Religion, wie nicht zuletzt der Weltjugendtag in Köln
gezeigt hat. Auf den Punkt gebracht: hat die Kirche der Jugend etwas zu sagen und
umgekehrt, sagt die Jugend auch etwas der Kirche?
“Beides ist wichtig und
richtig. Die Jugend hat der Kirche etwas zu sagen, das würde ich sogar an die erste
Stelle setzen. Und die Kirche hat der Jugend etwas zu sagen. Die Jugend hat ja oft
heute das Gefühl, sie geht in eine dunkle Zukunft hinein. Umso wichtiger ist es, dass
sie einen verlässlichen Sinn in ihrem Leben hat, sodass sie auch weiß: Œes gibt eine
Begleitung in meinem Leben. Komme was da wolle¹. Auf der anderen Seite: die Kirche
muss immer das Evangelium den einzelnen Generationen verkünden. Das hat nichts zu
tun mit einem modischen Sichanpassen, sondern das hat damit zu tun, dass man die Botschaft
immer ausrichten muss am konkreten Menschen. Da lernt man eben von dem, was junge
Menschen heute als wichtige Dinge in ihrem Leben empfinden. Da kann man von ihnen
durchaus lernen, weil sie auch nicht nur alte Werte unter Umständen etwas kritisch
beiseite legen, sondern die Jugend entdeckt auch neue Werte. Ich denke, dass die Verantwortung
für die Welt und die Schöpfung, die Armut und ihre Not in der Welt, die Ethik auch
für die fernen Völker, die Dinge sind, für die junge Leute heute besonderes Interesse
empfinden.“
*Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden, Menschenwürde: ethische
Grundbegriffe, die zu Schlagwörtern geworden sind. Kann man sagen, dass die Soziallehre
der katholischen Kirche zu einem neuen Nachdenken über diese etwas strapazierten Grundbegriffe
führen kann?
“Ganz sicher. Ich glaube auch, dass das in mehreren Sprachen jetzt
neu erschienene Kompendium der Soziallehre der Kirche mit sehr gut ausgewählten Zeugnissen
und Kernstellen aus der Soziallehre eine Hilfe an die Hand gibt. Aber wir spüren auch,
dass wir in unserem Zusammenleben viel stärker noch auf diese Grundkräfte angewiesen
sind: Zusammenhalt der Generationen, aber auch der Zusammenhalt unter sehr unterschiedlichen
Menschen und ihren sehr unterschiedlichen Lebenschancen. Wir haben ja manchmal ein
starkes Auseinandergehen von unten und von oben und von verschiedener Schichten und
Klassen. Wenn man an die Langzeit-Arbeitslosen denkt, auch unter den Jugendlichen,
und auf der anderen Seite auf die immensen Gewinne, die gemacht werden: das darf nicht
zu weit auseinandertriften! Insofern ist es ganz wichtig, dass man als Kirche mithilft,
damit diese Grundkräfte zusammenbleiben.“
*In Deutschland und in Europa leben
heute durch Zuwanderung mehrere Kulturen nebeneinander. Kulturen, in denen verschiedene
Wertvorstellungen herrschen. Wie geht die Kirche mit diesen Differenzen um? Welche
Gefahren aber auch welche Chancen können sich daraus ergeben?
“Die Kirche musste
sich ja immer schon zurechtfinden. Wenn sie wirklich Weltkirche ist. Sodass verschiedene
Kulturen, verschiedene Sprachen, verschiedene Menschen in ihr wirklich zu Hause sind.
Deswegen ist es ja schon eine gewisse Sensation, wenn zum Beispiel die Bibel zwar
in griechischer und hebräischer Sprache geschrieben ist, auch andere Kulturräume und
Sprachen wie die lateinische, die romanische, die germanische, die slawische Sprache
sozusagen erobert hat. Wir sind eigentlich nie an eine bestimmte Kultur oder an eine
bestimmte Form der Gesellschaft gebunden. Das ist ja auch das wirklich Katholische:
dass es für alle ein Heimatrecht gibt. Natürlich gibt es auch Probleme. Es ist zwar
schnell gesagt: in der Kirche gibt es keine Ausländer. Wenn man aber richtig in unsere
Gemeinden hineinschaut, dann tun sich die Leute, mit allem, was fremd ist und fremd
erscheint, schwer. Wir müssen für die sogenannte Integration mehr leisten. Dazu gehört
auch, dass wir viel mehr besorgt sind, dass die Menschen wenn sie bei uns länger
bleiben zunächst einmal unsere Sprache lernen. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten
wird das eine ganz wichtige Frage werden: Dass wir uns hier stärker öffnen. Das steht
nicht im Widerspruch dazu, dass wir uns auch etwas mehr Gedanken machen und uns programmatisch
fragen müssen, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Man spricht in Deutschland zur
Zeit von einer Leitkultur. Es ist kein ungefährliches Wort. Weil auch Platz sein muss
für andere Kulturen, die nicht untergeordnet, unterbewertet werden dürfen.“
*Weltweit
gesehen: bringt die Globalisierung die Kulturen einander näher oder besteht die Gefahr
eines Kulturkampfes zwischen den verschiedenen Gesellschaftssystemen und Religionen?
“Auch
wenn gerade in letzter Zeit viele neue Spannungen entstanden sind, ob das der Karikaturenstreit
ist oder andere Ereignisse wie die Todesstrafe für einen konvertierten Muslim in Afghanistan,
so glaube ich selber nicht an einen Zusammenstoß in einem militärischen Sinne. Manche
Fachleute sind der Meinung, dass für den islamistischen Fundamentalismus vielleicht
sogar ein gewisser Zenith schon überschritten sein könnte. Sicher bin ich mir nicht.
Sorgen mache ich mir eher darüber, dass eine relative Minderheit Millionen von Menschen
manipuliert und auf die Strasse bringen kann. Aber ich glaube nicht an einen Crash
der Kulturen.“
*Ihr Wahlspruch lautet:“State in fide“ Steht fest im Glauben.
War und ist dieser Leitspruch auch heute noch der Schlüssel zu Ihrem Suchen und Finden?
“Ich
glaube, dass man den Glauben immer wieder vertiefen muss, denn bleiben kann man im
Glauben nur, wenn man ihn vertieft. Das ist unbedingt notwendig. Ich glaube, dass
der Mensch, selbst wenn er durch eine Zeit geht, wo ihm der Glaube schwer fällt, ihm
dann doch treu bleibt. Für die große christliche Tradition war es immer auch selbstverständlich,
dass der Mensch manchmal auch durch die Nacht geht, durch die Wüste, dass Gott auch
manchmal den Menschen verborgen bleiben kann. Gott suchen ist ein ganz entscheidender
Auftrag im alten Testament und auch in der Mystik, sodass ich sagen würde: Steht fest
im Glauben ist eine notwendige Ermutigung für mich.“
*Zu Ihrem 70. Geburtstag
eine ganz besondere Frage: Die Frage nach dem Glück. Sie haben darüber gerade einen
Essay geschrieben. Sagen Sie uns Herr Kardinal, was ist das, wonach sich alle Menschen
sehnen? Was ist das Glück?
“Das ist zunächst einmal die Erfüllung der verschiedenen
Sehnsüchte des Menschen. Man möchte eine Erfüllung haben, die bleibt, und die einem
nicht wieder genommen werden kann. Man weiß ja auch um das Zufällige und das Okkasionelle
des Glücks. Schon der Heilige Augustinus sagt in einer seiner Schriften: es gäbe zu
seiner Zeit 188 verschiedene Definitionen von Glück! Wenn es in dieser Zeit damals
schon eine solche Vielfalt gegeben hat, um wieviel mehr haben wir heute eine unglaubliche
Bandbreite des Glückverlangens. Mir kommt es darauf an, dass man das Œkleine¹ Glück
des Menschen nicht schlecht redet: Wenn einer am Abend im Alltag seines Lebens zufrieden
sein kann, wenn er Freude hat an Kindern, wenn er Freude hat am Gelingen seiner Arbeit,
wenn er getragen wird von der Liebe in einer Familie und in einer Ehe, dieses kleine
Glück ist für die allermeisten Menschen zunächst der Boden, wo sie Glück erfahren.
Und wenn dieses Glück gut ist, dann kann es auch helfen, das große Glück zu erfahren:
nämlich dass wir nicht mehr enttäuscht werden, dass wir nicht nur glücklich sind für
den Moment, sondern selig für immer.“
* Hatten Sie in Ihrer Jugend einmal
den Wunsch, etwas anderes zu werden? Sie sind ein bedeutender Kirchenmann geworden,
aber hatten Sie noch andere Ziele vor Augen?
“Ja, ich habe bis ein halbes Jahr
vor dem Abitur noch nicht gewusst, dass ich Priester werden will. Ich wusste, dass
ich einen Beruf ausüben möchte mit zwei Zielen: ich wollte erstens konkret mit Menschen
zusammenarbeiten, mein Vater war Zeitlebens ein begeisterter Lehrer, davon habe ich
also irgendwo etwas mitbekommen. Und zweitens wollte ich einen Beruf ausüben, wo es
um die Sinnfragen des Menschen geht: woher kommt der Mensch, wohin geht der Mensch,
was ist mit dem Leib, was ist mit der Seele? Wie wird der Mensch glücklich? Ich hatte
einen wunderbaren Lehrer in Deutsch und Philosophie und Französisch. Von dem habe
ich über diese Fragen fast mehr gelernt, als in der Religion allein. Ich hätte also
auch Philosophie studieren können, Lehrer werden können. Aber eines Tages hatte ich
den Eindruck: diese beiden Dinge, Menschennähe und Sinnfrage kannst du vielleicht
am besten erreichen, wenn du Priester wirst.“
* Sie sind nicht nur Theologe,
Wissenschaftler und Hochschullehrer und Philosoph, Sie sind auch ein Mann der schönen
Künste: Welche Form der Kunst liegt Ihnen, Ihrem Wesen am nächsten? Literatur, Musik,
Malerei, Theater?
“Also leider ist im Alltag für diese schönen Dinge zu wenig
Zeit, aber ich lese gerne, auch wenn ich Abends müde bin, noch eine Gedicht. Ich lese
gerne gut geschrieben Historie, Gott sei Dank haben wir heute Historiker, die gut
schreiben können, ich erfreue mich ganz besonders an gelungener Malerei und Plastik,
ich bin da kein Spezialist, auf diesem Gebiet freue ich mich, ein Laie sein zu dürfen,
ich gehe auch ab und zu gerne ins Theater. Kirche und Kultur haben immer eng zusammengehört.
Das darf man auch heute nicht auseinander sprengen.“
* Muss im Leben eigentlich
alles mit Vernunft hinterfragt werden oder gibt es etwas, das einfach ohne kritische
Nachfrage angenommen werden kann?
“Für mich ist beides wichtig: für mich ist
wichtig, dass man ein Fundament hat, auf dem man steht, was den ganzen Menschen angeht.
Das sind die Emotionen, das ist die Vernunft, das ist der Wille, das ist das Handeln,
Dazu gehört von Kindheit an schon das, was die Psychologie in unserer Zeit das Urvertrauen
des Menschen nennt. Ich brauche eine Urzuversicht zum Leben, einJa zum Leben. Das
ist ein Geschenk, wenn man als Mensch immer wieder dieses JaSagen behalten kann. Trotz
gegenteiliger Erfahrungen. Für mich ist wichtig, dass das nicht nur so ein Gefühl
aus dem Bauch heraus ist, dass das einfach nicht nur Lebensinstinkt ist, sondern dass
man das auch begründen kann. Dass man anderen Auskunft geben kann, was einem trägt.
Alles, was mir wichtig ist, möchte ich auch, dass andere es kennen lernen. Deshalb
gehört für mich das Begründen und das Verstehen zum Menschen.“
* Sie haben
viele wichtige Auszeichnungen erhalten, weltweit. Unter anderem auch den Orden wider
den tierischem Ernst. Für einen Kardinal nicht alltäglich. Welchen Stellenwert messen
sie dem Humor bei?
“Ich bin eigentlich kein so witziger Mensch. Deswegen wundere
ich mich selbst, dass ich so einen Orden bekommen habe. Aber wichtig ist für mich,
dass man lachen kann. Richtig lachen können, setzt schon auch voraus, eine richtige
Distanz zu den Dingen zu haben. Setzt voraus, dass man eine gewisse Distanz hat zu
den Dingen im Leben, dass man sich nicht verkrallt in einzelnen Dingen, von denen
man nicht mehr los kommt. Insofern ist eine Leichtigkeit des Daseins notwendig, die
man glaube ich am Ende doch nur hat, wenn man weiß, ja, ich sag¹s Mal mit der Bibel:
Gott ist größer als unser Herz.Und das schenkt uns denk ich mir ein Vertrautsein
mit den Dingen, das gibt uns aber auch eine Distanz, wo man dann auch selbst Mal über
sich lachen kann.“
*Zu Ihrer Biografie gehört auch Ihr besonderes Verhältnis
zum Vatikan. Wie fühlt sich ein Bischof, wenn er in Rom manchmal eine andere Haltung
vorfindet, als die eigene? Ich spreche hier etwa Ihre Position zu den Themen Kommunion
an Wiederverheiratete, die Schwangerenberatung, Domus vitae an, die seinerzeit als
Hindernis für Ihre dann später erfolgte Kardinalswürde interpretiert wurde.
“Für
mich liegt das sehr viel tiefer. Ich habe in den Jahren 1957 bis 1964 in Rom studiert.
Ich habe den Aufbruch hin bis zum 2. Vatikanischen Konzil als junger Mensch mitbekommen.
Der Aufbruch war genau so wichtig wie das Konzil selber. Ich habe das Glück gehabt,
dass ich dann ein Jahr lang Pius XII., die ganze Zeit von Johannes XXIII., Paul VI.
und so fort erleben konnte. Dadurch, dass ich Assistent wurde bei Karl Rahner, habe
ich auch das Glück gehabt, dass ich vom Konzil etwas mehr mitbekommen konnte, aus
einer gewissen Nähe, wenn auch nicht aus einer intimen Kenntnis. Von da aus gesehen,
hat sich mein Verständnis von Theologie und von Kirche von Anfang an an der Weltkirche
orientiert, zu der der Papst ganz zentral gehört. Wenn es deswegen gelegentlich einmal
ich würde es gar nicht Konflikte, sondern Meinungsverschiedenheiten nennen gegeben
hat über die Gestaltung einzelner Fragen und Probleme, dann darf das den ganz fundamentalen
Konsens, den ich mit der Kirche, den ich mit den Päpsten, den ich mit den Verantwortlichen
in Rom habe, nicht verdecken. Das wäre einfach gar nicht wahr. Für die Medien sind
natürlich nurschlechte¹ Nachrichten interessant, deswegen steht das immer wieder im
Vordergrund. Ich war mir aber etwa bei der Schwangerenberatung oder bei der Frage
Geschiedene-Wiederverheiratete immer klar, dass wir einen Vorschlag machen, dass wir
aber nicht letztgültig entscheiden über diesen Vorschlag. Und dass ich auch weiß,
dass man uns Einwände machen kann. Deswegen habe ich auf jeder Pressekonferenz vor
den endgültigen Entscheidungen immer wieder gesagt, ich weiß auch, dass anders entschieden
werden könnte, als ich es selber sehe. Aber ich empfand es auch als meine Aufgabe
und meine Sendung, bestimmte Dinge, die den Menschen auf den Nägeln brennen, zu Bewusstsein
zu bringen, also Vorschläge zu machen. Und ich bin auch sehr gut damit gefahren. Der
verstorbene Papst und auch der jetzige Papst haben mir es nie übel genommen, dass
ich Freiheit und Respekt schließlich auch im Gehorsam gesucht habe, aber auch die
Entscheidung angenommen habe. Beides zusammen gehört für mich zur richtigen Kirchlichkeit.“
*Die
Kirche gibt dem Gewissen eine Stimme. Dieser bildhafte Ausspruch klingt wie ein Fanal
und stammt aus einer Ansprache von Papst Benedikt XVI., vor wenigen Tagen. Welche
Stimme muss oder soll dieses Gewissen im Neuen Jahrtausend haben?
“Das Gewissen
ist so sagt das 2. Vatikanische Konzil einmal ist das Heiligtum des Menschen. Ohne
Gewissen, ohne einen ethischen Kompass in unserem Leben, können wir uns in dieser
Welt noch weniger zu Recht finden, als je. Und deswegen ist die Pflege des Gewissens,
das Wachrütteln des Gewissens, das Schärfen des Gewissens, eine ganz wichtige Aufgabe
der Kirche. Das Gewissen ist zwar unvertretbar. Keiner kann an meiner Stelle entscheiden,
wenn es um das Gewissen geht. Keine Autorität in der Welt kann das. Ich finde es großartig,
dass es in der Geschichte der Kirche und in der Geschichte des Denkens so ist, dass
auch ein irriges Gewissen bindet. Und das die Kirche sich dazu stellen konnte. Thomas
von Aquin hat gesagt: Auch ein irriges Gewissen bindet. Das zeigt, wie hoch man das
Gewissen als Heiligtum des Menschen eingeschätzt hat. Aber auch im Gewissen ist man
nicht ein Robinson im Meer der Welt. Sondern, da muß man sich orientieren, sensibel
werden. Deswegen gibt es die zehn Gebote. Deswegen gibt es viele andere Gesetze ich
sage nicht so gern Gesetze, das Wort hat einen schlechten Klang aber im Alten Testament
sind alle Gesetze Weisungen, Pfade zum Leben, und nicht einfach nur Verbote. Das braucht
man, um auch das Gewissen, gerade auch in seiner Einmaligkeit nicht verkommen zu lassen.
Auch das Gewissen muss sich orientieren, auch das Gewissen braucht Leuchttürme, dann
erst kann es auch wirklich gelingen, einen einmaligen Spruch des Gewissens zu vollziehen.“
…
Zum Schluss dieses Gesprächs, vielleicht die allerwichtigste Frage: Worin besteht
das bleibende Geheimnis Gottes?
“Das bleibende Geheimnis Gottes besteht für
mich darin, dass Er immer frischer und immer reicher ist, als alles was in unserem
Leben auf uns zukommt und was uns vielleicht manchmal im Augenblick etwas behext und
einnimmt. Zu wissen, besonders um Gottes Liebe zum Menschen, dass Er besonders durch
seinen Sohn zu den Menschen gesprochen hat, das kann nicht überholt werden. Da bin
ich also in dem Sinne konservativ, dass ich sage: Jesu Leben, sein Wort und sein Werk
sind das Äußerste und das unwiederholbare Zeichen Gottes für die Welt. Und dafür sich
einzusetzen, ist ein Leben wert.“