2008-01-12 16:41:37

Sonntagsbetrachtung zu "Erscheinung des Herrn"
von Aurelia Spendel OP


RealAudioMP3 In der alten Pilgerstadt Autun in Burgund, deren Anfänge – wie könnte es anders sein in dieser Gegend? – in römischer Vergangenheit zu suchen sind, – dominiert eine prächtige Kathedrale, hoch über den Häusern das Stadtbild. Ihr bischöflicher Bauherr, Étienne Bâgé, wollte mit seinem ehrgeizigen Projekt vor allem anderen einer theologisch-kirchenpolitischen Idee von höchster Brisanz unmissverständlich Ausdruck verleihen. In Stein übersetzt erstand vor den Augen des Betrachters sein Anspruch, der in den zurück liegenden Jahrhunderten mehr und mehr der Anspruch fast der ganzen kirchlichen Leitungselite geworden war, niemand anderem untertan sein zu müssen als Gott allein. Dem Gottes-Dienst war kein Welt-Dienst vorzuziehen. Der ausschließlichen Gottzugehörigkeit widersprachen jede Weltanhänglichkeit und jeder weltliche Herrschaftsanspruch.

Étienne Bâgé war glühender Anhänger der zunächst monastisch, also auf das Klosterleben ausgerichteten Reform der berühmten Benediktinerabtei von Cluny. Kirchliche Unabhängigkeit war ein zentrales Wort ihrer Vision. Vorherrschaft der geistlichen vor der weltlichen Macht ein anderes. Von ihrer dritten, 1088 (eintausendachtundachtzig) bis 1130 (eintausendeinhundertdreißig) errichten Abteikirche, die vor dem Bau von St. Peter in Rom die größte Kirche der Christenheit war, ließ sich der Bischof von Autun 1120 (eintausendeinhundertzwanzig) inspirieren, als seine eigene Kathedrale in langer Baugeschichte Gestalt zu gewinnen begann. Ausdrucksstarke, weite Räume sollten die Menschen beheimaten und erheben in der Gegenwart Gottes, in der Frömmigkeit persönlichen Gebetes und im Glanz liturgischen Feierns.

2. Wie aber führt man Menschen an die Geheimnisse des Glaubens heran, Menschen, die weder lesen noch schreiben können und die – selbst, wenn sie es beherrschten – kaum je eine Bibel zur Verfügung hätten? Man erzählt, erzählt Geschichten, erzählt in Bildern. Theologie nicht auf Pergament und Papyrus, sondern in Stein und Form, gemeißelte Verkündigung.

Die Steinmetzarbeiten der Kathedrale von Autun zählen zu den herausragenden Werken romanischer Kunst in Burgund und darüber hinaus. In Portalen und an Kapitellen ist zu bewundern, was auf dem Fundament des theologischen Konzeptes ihres Gründerbischofs und durch die Kunstfertigkeit seiner Künstler entstanden ist.

In der Vierung, jenem Punkt der Architektur, an der sich Langhaus und Querhaus treffen, fallen der ausdrucksstarke Reichtum und die künstlerische Qualität der biblischen Darstellungen auf den Sandsteinkapitellen besonders ins Auge.

3. Und hier findet sich auch jene Szene, die das vielleicht bekannteste Werk der Kathedrale zeigt. Das zweite Kapitel des Matthäusevangeliums beschreibt die Szene so: Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurück zu kehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land. - Mt 2, 12 -

Die Rede ist von den Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern gefolgt waren, das Kind in der Krippe gefunden und es angebetet hatten, und sich nun in der letzten Nacht vor dem Heimweg noch einmal schlafend stärken.

Vielleicht kennen Sie dieses Relief: Drei Männer, ohne Oberkleid, durch die unterschiedlich gestalteten Kronen auf ihren Häuptern als Könige zu identifizieren, liegen eng aneinander geschmiegt auf einem gemeinsamen Bettgestell. Eine einzige Decke bedeckt die drei; seine reich gefältete Form und der prächtige Saum erinnern an einen herrscherlichen Mantel. Zwei der Männer schlafen, einer schaut mit weit geöffneten Augen – wohin, enthüllt sich nicht. Über ihm leuchtet ein Stern. Ein Engel berührt behutsam mit dem linken Zeigefinger seinen auf der Decke liegenden nackten Arm, den seiner anderen Hand auf den blumenförmigen Stern gerichtet.

4. Die Intimität der Darstellung kann dem Betrachter, der Betrachterin den Atem verschlagen. Unwillkürlich verstummt das Reden vor diesem stillen Bild. Drei Menschen, vertrauensvoll schlafend, schutzlos in ihrer fast nackten Wehrlosigkeit, drei Menschen, die über Wissen, Macht und Einfluss verfügen, mehr als tausend andere und doch verletzlich ihrem Traumbild ausgesetzt. In ihrer Dreiheit als unterschiedliche Personen sind sie doch einander ergänzend, Repräsentanten verschiedener Phasen menschlicher Entwicklung. Auch wenn belegt ist, dass unter mittelalterlichen Pilger- und Reiseverhältnissen selbst vermögende Personen in einem Zimmer und sogar in einem Bett schlafen mussten, nimmt dieses Moment dem autunschen Kapitell nichts an Zartheit und Einmaligkeit. Denn hier geht es um mehr und um anderes als um die getreue Widergabe zeitbedingter Verhältnisse.

Hier geht es um geteilten Glauben, um gemeinsame Hoffnung und um ein und dieselbe, verbindende Liebe. Keiner der Weisen hätte isoliert, im Streit oder in der Gleichgültigkeit den anderen gegenüber seinen Weg gehen können. Keiner von ihnen hätte alleine vor dem Kind niedergefallen und es aus reinem Herzen anbeten können. Sie gehören zusammen. Diese Zusammengehörigkeit geht so weit, dass sie heute ein gemeinsames Grab im Goldglanz des Drei-Königen-Schreins von Köln gefunden haben.

5. Solch geteilter Glaube, der andere Menschen nahe an den eigenen heran lässt, der sich aussetzt und sich traut, wehrlos zu sein, der die Intimität der Gottesbeziehung nicht wie eine Beute verteidigt und nicht wie einen Raub versteckt, ist ein starker, kreativer Glaube. Er beugt sich nicht lächelndem Wellnessdruck, jagt keiner spirituellen Leichtigkeit nach. Solcher Glaube ist wach, scheut nicht die Mühsal seiner Verantwortung vor der Vernunft. Solcher Glaube entlarvt mit traumwandlerischer Sicherheit, das Gerede vom Untergang der Kirche als Angst vor den notwendigen Niedergang überholter Formen und Vorstellungen. Gemeinsamer Glaube in liebender Intimität hofft auf Gott, auf ihn allein, auf seine Barmherzigkeit, seine Nähe und seine überraschende, fragende, ins Leben rufende Gegenwart.

6. Die Kathedrale von Autun ist dem heiligen Lazarus geweiht, dem Bruder der Martha und der Maria, die Jesus dienten, als er bei ihnen zu Gast war. Lazarus war der Todgeweihte, der aus seinem Grab herauskam, als Jesus ihn rief. Nicht die Macht der Vernichtung hatte das letzte Wort, nicht das Gefängnis ewiger Dunkelheit sollte Recht behalten. Leben und Liebe in der Gestalt des Fleisch gewordenen, unter uns erschienen göttlichen Wortes erwiesen sich als gültig und ewig. Für diese Überzeugung ist die Kathedrale von Autun ein symbolischer Ort, der der Befreiung von allen Mächten in Stein gehauen das Wort redet, wenn Menschen wie Herodes andere missbrauchen, sie verdrehen für ihre üblen Machenschaften, die sie hineinziehen wollen in die eigene Angst vor dem Verlust von Macht, Kontrolle, Dominanz.

7. Autun ist ein Verkehrsknotenpunkt. Von hier aus führen uralte Wege nach Norden und Süden, nach Osten und Westen. Es sind Wege, die stellvertretend stehen für alle Pfade, auf denen Pilgerinnen und Pilger nach dem König des Friedens suchen. Ihnen soll die Erfahrung der Weisen aus dem Morgenland zur Kraftquelle werden: Es bewahrt vor dem Irrweg, bringt ans Ziel und sicher wieder heim, wenn der Glaube geteilt wird, wenn ihn eine gemeinsame Decke in der Kälte der Nacht schützen darf.

So wünsche ich Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, auf dem Weg Ihres Lebens einen Stern, der sie zum Aufbruch animiert, einen Ort, an dem Sie das Kind finden werden, leere Hände, damit Gott sie füllen kann mit seinem Licht und einen Engel, die Sie neue Wege gehen heißt. Stecken Sie ohne Bedenken mit Gott und allen Menschen guten Willens unter einer Decke.








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