2007-12-12 19:05:24

D/Vatikan: Die rechte Hand von Pius XII.


RealAudioMP3 Manche sagen, sie war die mächtigste Frau im Vatikan bis auf den heutigen Tag: Schwester Pascalina Lehnert. Die bayerische Ordensfrau wirkte 40 Jahre als Haushälterin an der Seite von Eugenio Pacelli, dem Nuntius in Deutschland und späteren Papst Pius XII. In akribischen Recherchen hat die Augsburger Historikerin Martha Schad Neues und Erstaunliches über Sr. Pascalina zutage gebracht.

Sie waren ein ungleiches Paar, der vornehme römische Adlige Eugenio Pacelli und die energische bayerische Schwester Pascalina. Ihr langer gemeinsamer Weg begann 1918, als Pacelli Nuntius in München war. Er suchte zur Aushilfe eine Haushälterin und erhielt den Rat,
 
„er möge doch in Altötting bei den Schwestern vom Heiligen Kreuz darum bitten, dass eine der Schwestern für vier Wochen nach München kommen sollte und den Haushalt in Schwung bringen sollte, und da hat man nun Sr. Pascalina, die Josephine Lehnert hieß, auserwählt, weil sei eine tüchtige junge Nonne war.“

So tüchtig, dass sie sieben Jahre später den Umzug des Nuntius von München nach Berlin organisierte. Und da, erklärt Martha Schad,
 
„beginnt etwas, was erstaunt: Dass er diese junge Schwester nach Berlin schickt, sie soll dort Ausschau halten nach einem guten Haus und das Haus auch einrichten, bis er nach Berlin gehen würde. Das macht sie alles selbständig. Da beginnt ein großes Vertrauen in die Tatkraft dieser jungen Schwester.“

1929, neuer Umzug, ähnliches Spiel: Pacelli steigt zum Kardinalstaatssekretär auf und geht nach Rom. Sr. Pascalina organisiert für ihren Chef, einen ausgesprochenen Deutschland-Fan, deutsche Möbel für den Vatikan. Sie sucht sie aus, schickt sie über die Alpen, richtet ihm die Wohnung im Apostolischen Palast ein.
 
„Man muss bedenken, sie ging nach Rom und konnte kein Wort italienisch. Das hat sie aber schnell gelernt!“

Ein Detail, das Sr. Pascalina vielleicht besser als alles andere charakterisiert. Zupackend und energisch war sie, und dabei gescheit und diskret. Nicht immer diplomatisch. Ein Organisationsgenie, eine, die scheinbar jede Kleinigkeit im Kopf behielt. Kurz und gut - eine Spitzenkraft. Nicht einmal bei seinen Auslandsreisen etwa nach Nord- und Südamerika mochte der Kardinalstaatssekretär auf sie verzichten. Sr. Pascalina hat selbst ein Buch über ihre Zeit an der Seite Eugenio Pacellis geschrieben: „Ich durfte ihm dienen“. Kein Wort verliert sie darin über ihre Reisen mit dem Kardinalstaatssekretär.

„Sie beschreibt sie sehr genau, und da hab ich mich gefragt, wie kann man so eine Reise so genau beschreiben, wenn man nicht dabei war. Nun bin ich die einzige, die wochenlang im Archiv der Schwestern in Menzingen gesessen ist, und da sind die Briefe, die Sr. Pascalina auf hoher See geschrieben hat. Die Schwester und der Kardinalstaatssekretär sind nicht auf dem gleichen Schiff nach Nordamerika gereist, das kann man aber nur nachweisen, wenn man ihre Briefe liest, die sie auf hoher See geschrieben hat, übrigens auch einen Brief auf Englisch an die Mutter Oberin nach Menzingen. Sie hat sich Englisch selbst beigebracht und schreibt am Ende dieses Briefes, ich schreibe Ihnen auf Englisch, verehrte Mutter Oberin, damit Sie auch einmal etwas zum Lachen haben.“

Im Februar 1939 stirbt Papst Pius XI. Der zweite Weltkrieg steht bevor. Die Kardinäle wählen aus ihrer Mitte Eugenio Pacelli zum neuen Papst – den langjährigen Nuntius in Deutschland. Und wieder sehen wir: Pacelli kann und will auf die bewährte Kraft an seiner Seite nicht verzichten. Auch wenn es sich dabei um eine Frau handelt. Denn 1939 ist es unerhört, dass in der päpstlichen Wohnung drei Ordensfrauen zugegen sind. Alle drei aus Deutschland. Haushaltsmanagerin: Sr. Pascalina Lehnert.
 
„Das schreibt sie mal in einem Brief: Der Heilige Vater sagte immer über mich, Madre Pascalina geht nicht – sie schwebt. Also sie war dezent, diskret und wirklich die einzige aus seiner direkten Umgebung, die ihm Anweisungen geben durfte. Sie sah sehr oft, wie erschöpft er von Audienzen zurückkam, sie hat sich dann um ihn gekümmert, seine Hand desinfiziert, wo der Ring zum Küssen an dieser Hand war - sie war immer für ihn da.“

Der Jesuitenpater Peter Gumpel hat Sr. Pascalina persönlich gut gekannt – seit 1948. Gumpel betreut als Relator den Seligsprechungsprozess von Pius XII., er hat Pascalina wiederholt als Zeugin befragt.
 
„Ich möchte eine Sache betonen: Mitunter hat man gesagt, sie sei Sekretärin vom Papst gewesen. Das kann man in dieser Form nicht sagen. Es stimmt, dass sie mitunter Sachen für den Papst abgeschrieben hat, als Schreibkraft. Aber ihre eigentliche Aufgabe war Haushälterin vom Papst.“

Allerdings: die Grenzen zwischen Haushalt, Sekretariat, Assistenz waren im Fall von Sr. Pascalina fließend, meint Martha Schad herausgefunden zu haben.
 
„Ich habe ja Briefe, da schreibt Pascalina nach München an Kardinal Faulhaber oder nach Menzingen ins Mutterhaus, ich habe Ihr Anliegen mit dem Heiligen Vater besprochen und ich darf Ihnen folgendes von ihm mitteilen. Sie war also schon eine Mittlerin zwischen dem Heiligen Vater und vielen, die mit Bitten zu ihm kamen.“

Pater Gumpel hat Sr. Pascalina als freundlich, höflich und korrekt in Erinnerung.
 
„Es ist allerdings auch richtig, und das weiß ich aus den Prozessakten, dass Mutter Pascalina eine sehr energische Persönlichkeit war und Schlampereien nicht vertrug. Wenn jemand eine Verabredung mit dem Papst hat und er kommt eine Stunde zu spät, das ging Mutter Pascalina gegen den Strich. Und sie war eine einfach Persönlichkeit, die es auf sich genommen hat, den Leuten klipp und klar ins Gesicht zu sagen, was sie von manchen Sachen dachte! In vielen Fällen wohl zu recht. Eine andere Frage ist, ob das diplomatisch immer sehr geschickt war.“

Diplomatisch geschult war dagegen Pascalinas Vorgesetzter, Papst Pius XII. Bis heute werfen ihm Kritiker vor, er habe zu Hitlers Judenverfolgung geschwiegen. Pascalina wurde Zeugin eines echten Gewissenskampfes des Papstes. In ihrem Buch schreibt sie:

(Aus: Ich durfte ihm dienen: Erinnerungen an Papst Pius XII. Sr. M. Pascalina Lehnert. Verlag Johann Wilhelm Naumann, 3. Auflage 1983, S.117.)

„Mit Grauen erinnere ich mich an jenen Morgen im August 1942, als die Zeitungen in großen Schlagzeilen die Schreckensnachricht brachten, dass der öffentliche Protest der holländischen Bischöfe gegen die unmenschliche Verfolgung der Juden Hitler dazu veranlasst hätte, in der Nacht 40.000 Juden verhaften und vergasen zu lassen. [...] Man brachte die Morgenzeitungen in das Arbeitszimmer des Heiligen Vaters. [...] Er las nur die Überschriften und wurde kreidebleich. Zurückgekehrt von den Audienzen […] kam der Heilige Vater […] mit zwei großen, engbeschriebenen Bogen in der Hand in die Küche, wo die einzige Möglichkeit war, am offenen Feuer etwas zu verbrennen, und sagte: „Ich möchte diese Bogen verbrennen, es ist mein Protest gegen die grauenhafte Judenverfolgung. Heute Abend sollte er im Osservatore Romano erscheinen. Aber wenn der Brief der holländischen Bischöfe 40.000 Menschenleben kostet, so würde mein Protest vielleicht 200.000 kosten. Das darf und kann ich nicht verantworten. So ist es besser, in der Öffentlichkeit zu schweigen und für diese armen Menschen, wie bisher, in der Stille alles zu tun, was menschenmöglich ist.“

Während des Krieges schuf Pius ein Warenmagazin im Vatikan, um die Bedürftigen zu versorgen. Als Verwalterin setzte er wiederum die Person ein, auf die er sich am meisten verlassen konnte: Sr. Pascalina.
 
„Heute würde man das ein logistisches Genie nennen, das ist unglaublich! Ich habe nur noch gestaunt, als ich all diese Briefe in München gelesen habe. Während des Krieges hat sie sich um Italien und Rom gekümmert, und nach dem Krieg dann das große Hilfsprogramm für das völlig zerstörte Deutschland, und wenn man das liest, kann man nur sagen: Sie saß Tag und Nacht in ihrem kleinen Kabäuschen, sie ist sogar mit einem Lastwagen durch Rom gefahren, um Klöster zu versorgen mit Essen und Kleidung, wo viele Juden und Verfolgte untergebracht wurden, ebenso wie in Castelgandolfo.“

Kein Wunder, dass Mutter Pascalina in Rom eine allseits bekannte Größe war. „La papessa“ nannten manche sie angeblich, „die Päpstin“. Pater Gumpel glaubt, ihr Einfluss auf den Papst sei übertrieben worden.
 
„Ich entsinne mich eines Falles aus den Prozessakten, dass ein ausländischer Kardinal im Magazin zu Mutter Pascalina ging und sagte, sie möchte beim Papst dafür ein gutes Wort einlegen, er möchte gern Kardinalpräfekt einer römischen Kongregation werden. Mutter Pascalina hat das mit Empörung abgewiesen. Sie sehen daran, dieser Kardinal hat vermutlich gehört, ja wenn ich mit Mutter Pascalina rede, dann kommt das schon in Ordnung, aber das war nicht so. Insofern kann man nicht von einer mächtigen Persönlichkeit reden, das sind so Kombüsengerüchte, die hier mitunter kursieren.“

Martha Schad:
„Da gab es auch viel Eifersucht auf die Frau, die der Papst - ich behaupte das jetzt nach den vielen Recherchen – in alles mit einbezogen hat.“

Pater Gumpel:
„…und dahinter steckt zum guten Teil etwas, was man bis auf den heutigen Tag im Vatikan bei manchen findet – dass sie sagen, naja das ist `ne Frau, `ne Schwester, das wird von oben herunter behandelt – das ist falsch. Und dass dadurch auch manche Stimmung gegen Mutter Pascalina entstanden ist, weil es in der damaligen Zeit unerhört war, dass überhaupt eine Frau im Vatikan wohnte, das ist richtig. Aber das ist nicht ihre Schuld.“

Pius dem XII. war ein langes Pontifikat beschieden. Pacelli und Pascalina wurden nebeneinander alt. 1958 starb der Papst.
 
„Was ich unglaublich finde, ich nenne es den letzten Liebesdienst, sie durfte ihn waschen und kleiden für den Sarg. Wer 40 Jahre miteinander lebt und arbeitet und gute und schlechte Zeiten miteinander lebt – für den der übrig bleibt, ist es schon ein schweres Schicksal.“

Für Mutter Pascalina beginnt eine schlimme Zeit. Pater Gumpel:
 
„Manche Leute haben sich an ihr gerächt und sie sehr von oben herab behandelt, nicht gegrüßt und solche Sachen. Und sie war in der Hinsicht empfindlich und hat sehr darunter gelitten. Mitunter hat sie sich wirklich bei mir ausgeweint.“

Pascalina überlebte Pius um 25 Jahre. Sie starb 1983 bei einer Reise in Wien. Ihre letzte Ruhestätte befindet sich auf dem deutschen Friedhof im Vatikan. –

Martha Schads Buch „Gottes mächtige Dienerin – Schwester Pascalina und Papst Pius XII.“ ist im Herbig Verlag erschienen.
(rv 12.12.2007 gs)









All the contents on this site are copyrighted ©.