Benedikt XVI. ist
auch als Papst vor allem Theologe – auch dieser Enzyklika merkt man es an. Immer wieder
finden sich in der Enzyklika geistesgeschichtliche Exkurse, die zum Dialog einladen.
Wir haben mit Prof. Elmar Salman OSB gesprochen . Er ist Professor für Systematische
Theologie und Mystik in Sant’Anselmo in Rom, der Hochschule der Benediktiner. Salmann
sieht in der Enzyklika vor allem eine Einladung zum Nachdenken:
„Benedikt
XVI. hat verschiedene Strategien, uns die christliche Hoffnung schmackhaft zu machen.
Fast wie bei einem guten Koch werden verschiedene Gerichte einem dargereicht, um einen
Geschmack zu finden an der Hoffnung und an der heute ja allgemein obsoleten Vorstellung
vom Ewigen Leben und vom Gericht und von einem endgültigen Beisein bei Gott.“
Was
ist die Enzyklika Rückbesinnung oder eher Zeitdiagnose?
„Die Not mit diesem
Glauben beschreibt er gut, so dass wir uns auch angesichts der Überlängung unserer
Lebensgeschichte, der Widerspruch in unserer Haltung zum Sterben, all das wird mit
Empathie und hellsichtig aufmerksam beschrieben, und angesichts dessen versucht der
Papst in verschiedenen Anhängen, uns die Augen zu öffnen für die Möglichkeiten der
christlichen Botschaft durch Rückgriff auf die Schrift und durch eine genauen Lektüre
des Hebräerbriefs, durch ein Zurückgreifen auf die Väter und durch ein Hellsichtigwerden
für die Widersprüche der neuzeitlich ermatteten Haltung zum Leben und erst recht zur
Hoffnung. Und er nimmt dann eine ganze Reihe kleiner Hoffnungsmotive auf, die sich
bei Kant, bei Adorno, in der Frankfurter Schule und auch in unserer eigenen Lebensgestalt
finden. Ich denke, dieser meditative, nachzeichnende gesprächshafte Umgang mit Wirklichkeit,
der hier und da eine Tür öffnet zum Ewigen, das scheint mir eine sehr gute Methode
zu sein.“
Der Stil der päpstlichen Lehrschreiben hat sich offenbar verändert?
„Wie
fast alles, was der Papst schreibt, hat auch diese Enzyklika einen angenehmen Tonfall
einen Gestus, der einen einlädt, verglichen mit den Enzykliken und Lehrschreiben früherer
Zeiten findet man einen anderen Stil. Es fällt auf, dass der Papst niemals das Lehramt
zitiert – außer den Katechismus – dass niemand verurteilt wird, sondern dass eine
einladende Darlegung der christlichen Hoffnung in einer Landschaft ausgebreitet wird.
Dieser Tonfall macht das Ganze zu einer Meditation zu einer mal mehr geistlichen,
mal mehr zu einer intellektuellen Meditation und zu einem weisenden Gespräch, das
uns einführen möchte in die Dimensionen der christlichen Hoffnung.“
Bereits
die erste Enzyklika hat ja ein großes Echo gefunden...
„Hier ist noch mehr
ein phänomenologischer, ein nachdenklicher Ton angeschlagen, der noch mehr Freiraum
und – gerade weil er von einer großen Autorität kommt – sehr viel Beachtung finden
wird. Ich denke das Beachtenswertende und Aufmerkenlassende ist, dass hier die letzte
große autoritative Instanz, die es in dieser Welt gibt, und die ja auch sonst durchaus
autoritär aufzutreten weiß, doch eine so einlässliche, zum Gespräch einladende Art
über ein großes Thema des Christentum zu sprechen gefunden hat.“
Was ist
Ihrer Meinung nach der Kern der Enzyklika?
„Das Staunen darüber, was in
einer alten Welt Christentum neu, frisch, unverbraucht und unvermutet zu bedeuten
hätte. Die Einladung, das Christentum, seine Botschaft neu zu entdecken mit Augen,
die so tun, als ob sie es noch nie gesehen hätten: Darin scheint mir – gerade bei
der Hoffnungsenzyklika das Pathos zu liegen. Und damit kommt er mit einem Strom der
Neuzeit überein, der Benedikt im Grunde mit Habermas sich hat verstehen lassen – nämlich
mit der kantischen Wende, Christentum weniger vom Grundfundament herkommend zu deuten,
sondern als Hoffnungsgestalt, die ein neues Pathos ermöglicht, aber auch eine Mitfreude
und ein Mitleiden aus dem Grund der Hoffnung in die Verwandlungsmächtigkeit des Glaubens.“
Benedikt
setzt sich ja ausführlich mit der Neuheit des Christentums gegenüber der Antiken Kultur
auseinander. Vielleicht weil die damalige Situation mit der heutigen zu vergleichen
ist?
„Sicherlich sieht der Papst mit den Augen des Augustinus und seiner
Schrift vom Gottesstaat auf die Antike, gerade auf die römische Antike, eher negativ
und kritisch; während er ja die griechische Antike eher positiv aufnimmt. Da ist etwas
Ähnliches zu sehen wie in seiner Haltung der Neuzeit gegenüber. Es wird die römische
Antike in ihrer Hoffnungslosigkeit schwarz gemalt, um dann das Licht des neuen Christentums
umso stärker erstrahlen zu lassen. Das ist nicht ohne Berechtigung, aber doch wiederum
sehr einseitig. Umgekehrt liegt in der patristischen Annäherung (Augustinus, Maximus
Confessor u.a.) eben auch das Leuchtende, was ich – gerade mit der Entdeckung des
Christentums – als „Neuheitserlebnis“ des Christentums in seiner symbolischen Gestalt
bezeichnen möchte.“
Viele empfinden die Gegenwart als „hoffnungslos“. Woran
liegt das?
„Ich vermute, dass seit dem Wegfall des Horizonts der Ewigkeit
und eines Himmels, der weiter reicht, als unsere Horizonte, wir dazu neigen, unser
endliches Leben zu überfrachten mit Erwartungen und damit auch mit Verpflichtungen.
Wir meinen, uns unendlich verwirklichen zu müssen und ebenso unendlich verantwortlich
zu sein für uns und für die halbe Welt. Damit kommt ein Überlastungseffekt zustande,
der uns atemlos macht. Unendlich sich verwirklichen und dem andren gerecht werden
wollen, dazu braucht es unendliche Kommunikation, Mobilität, Wachheit, Sensibilität
– alles in sich sehr große und gute Dinge, dem wir aber kaum noch gerecht werden können.
Deswegen gibt es da so einen Schiffsschaukeleffekt zwischen Hysterie, Hinter allem
Herlaufen, alles was man nicht „mitnimmt“, dem man nicht gerecht wird, als Mangel
empfinden – Sozusagen ein Mangel am Lob der Grenze, weil diese als Einschränkung erlebt
wird und nicht als Segen. Das scheint mir unsere Verdammnis zu sein. Weil wir dann
aber in unsrer Hysterie den Dingen nicht hinterherkommen, fallen wir in Depressivität.
Nachdem erst alles etwas bedeutet hat (vgl. das Zeichensystem Umberto Ecos), bedeutet
uns – weil uns das nicht gelingt – am Ende gar nichts mehr etwas, verliert alles seine
Kontur und seinen Verheißungscharakter. Dieses Hin- und Herschaukeln zwischen hysterisch
und depressiv meine ich gehört zum Stigma postmoderner Kultur und Lebenserfahrung.
Darin, dagegen und damit richtet die christliche Hoffnung eine Art Relativitätstheorie
auf: Nämlich dass alle Dinge wirklich und nur Symbol sind. Wirklich:
Sie haben einen Kern, der uns von weitem zukommt, eine Substanz, etwas Wesentliches
in ihrer Umgrenztheit und zugleich sind sie Ausstand und Verheißung auf Größeres.
Und nur Symbol: Nichts darf in dieser Welt überfrachtet werden. Das hätte der
Papst vielleicht noch etwas vertiefen können.
Tut das der Papst denn nicht,
wenn er über die „Substanz“ der Hoffnung nachdenkt – über die seinsmäßige Begründung
der Hoffnung?
„Er hätte seinen Impuls vielleicht etwas stärker mit einer
Phänomenologie der Jetztzeit verbinden können. Das sind zwei Parallelen, die sich
nur schwerlich schneiden in seinem Lehrschreiben. Wir haben ja eine Unendlichkeit
in unserem Begehren, wie in unsrer Verantwortlichkeitsethik – und wir werden von beidem
zerrieben. Von beidem spricht auch der Papst. Wenn man das Große aufnimmt und das
Verzweifelte, und dann die Hoffnungsgestalt des Christentums da heraus vorsichtig
entwickelte, dann würde man in keiner Weise etwas gegen das Lehrschreiben sagen, sondern
mit ihm und über es hinaus noch plausibler machen.“
Es fällt auf, dass Papst
Benedikt mehrere große Gestalten des Christentums anführt!
„Ich denke,
dass wir die großen Freundschaften der Geistesgeschichte in der Theologie vernachlässigt
haben. Ich selbst wünsche mir schon lange eine „Stilgeschichte“ des Christentums,
wie es sich faktisch in der Frömmigkeit, im Alltag, in der Kultur, in den Orden, in
den Ehen und Familien verwirklicht, Wir haben bisher nur Dogmen- und Moralgeschichte
betrieben, während eine solche Stilgeschichte eben auch an Biographien ansichtig wird.
Wie verwirklicht sich Christentum unter erschwerten Lebensbedingungen. Hier ist dann
auch vom Leiden die Rede, wie bei den beeindruckenden Lebensschicksalen der Fall ist.
Von denen der Papst spricht. Ich hätte mir allerdings in der Enzyklika auch eine Biographie
eines tatkräftigeren Lebens gewünscht, eines Lebens, das unserer kleinen Alltagserfahrung
näher wäre. Aber die Grundoptik, mit vielen Lebensgeschichten in einen engen Kontakt
zu stehen, viele Freundschaften zu knüpfen mit Gestalten der Glaubens- und Geistesgeschichte,
scheint mir verheißungsvoll.“
Benedikt wird sehr leidenschaftlich bei den
Fragen um die „Letzten Dinge“. Er sagt, dass die Gerechtigkeit eines der stärksten
Argumente für ein Leben nach dem Tod ist.
„Das ist seit Horkheimer, seit
der Theologie nach Johann Baptist Metz sicher einer der entscheidenden Punkte: Wie
kann ich dem Leben gerecht werden. Das ist nicht nur politisch, sondern auch in der
Lebensökonomie des Einzelnen ja so. Wie kann ich wahre Einsicht in mein Leben gewinnen.
Wie kann man dem Leben des Einzelnen – dem Großen wie dem Erlittenen – gerecht werden.
Bis hin zur Spitze, wie es zwischen Täter und Opfer stehen wird. Und wer könnte da
je wägen? Wir sind dem Leben ja in keiner Weise gewachsen, wir werden ja nicht einmal
uns selbst gerecht – geschweige denn den anderen. Diesen Gedanken muss man in seiner
Tiefendimension sehen– nicht einfach als eine ausgleichende Gerechtigkeit, sondern
als eine‚hebendes’, die Wahrheit eines jeden Lebens in seinen unendlichen Vernetzungen
gerecht werdenden und ansichtig werden lassenden Gerichtes, eines Antlitzes Gottes,
das ein jedes Leben leuchten lässt: Das scheint mir ein sehr tiefer Gedanke zu sein.“
Fragen
an den Fachtheologen – es sind ja in der Enzyklika ja auch einige theologische Einzelfragen
angesprochen, von denen man nicht mehr so viel spricht. Die Fürbitte für die Toten,
aus der Frömmigkeitsgeschichte das „Aufopfern“ von Ungemach. Das ist doch ungewöhnlich…
…und
als Stachel im Fleisch und als Widerhaken mit Blick auf unsere allzu häufig humanistisch
psychohygienische Art, mit Cristentum umzugehen, wohltuend – wenn man sozusagen nicht
sofort dran glauben muss. Ich bin sehr dafür, dass man aus dem Motivschatz des Christentums
Altes und Neues hervorholt und auch Einiges, das uns zu denken gibt in seiner Widerständigkeit,
auch wenn es uns im Moment schwer erschwinglich und erreichbar erscheint. Der
Tonfall, in dem es hier geschieht, der ja auch der Streitbarkeit der Dinge inne ist,
scheint mir angemessen. Wenn auch der Anweg einer ersten Plausibilisierung, dass die
Toten nicht fallengelassen werden, sondern zur Gemeinschaft gehören, das Utopische
daran, ist durchaus einleuchtend dargelegt. Auch der Gedanke, dass Leid nicht nur
steril in sich versinkt, nicht nur mich betrifft, sondern in eine neue Ökonomie des
Mitsammen, des Sich Mitfreuens und Mitleidens gehört. Dazu gehört auch der Gedanke
der Mitfreude am Wachstum des Anderen. Es wird im Christentum zu viel vom Mitleid
gesprochen, während doch der Grundgestus der Pädagogik, der Kultur und der Zusammenarbeit
von Menschen das Hebende ist, die Mitfreude am Wachstum meiner und deiner Freiheit
und unseres Zusammen. Das wirft auch ein Licht auf die Ewigkeit: Das Ewige als der
Ort, wo wir uns endlich ohne Ressentiment freuen können am Wachstum vieler.
Gefällt
ihnen die Enzyklika?
„Es ist ähnlich wie bei der Stadt Rom! Wenn man durch
die Stadt Rom geht, da passt nichts zusammen, und doch erhellt sich alles miteinander.
Man geht durch 2500 Jahre Geschichte, und darin wird eine Haltung erweckt, die ich
urban nennen möchte. Es darf vieles nebeneinander stehen und man bekommt einen Sinn
für Geschichte, für Gegenwart, aber auch für die Entwicklungsmächtigkeit und möglicherweise
für die Zukunftsverheißung des Lebens. Und etwas Ähnliches geschieht in dieser
Enzyklika. Wenn man sie als Landschaft durchstreift, dann geschieht genau das, was
sie benennt und beschreibt – nämlich es wird Geschmack an der Hoffnung gegeben, gerade
in der vielschichtigen Streifzügen in die Vergangenheit und in die Gegenwart – auch
in dem, was nicht ganz zusammenpasst, auch in dem, was etwas aneinander stößt: Wenn
man es so, spaziergangartig, peripathetisch nebeneinander lässt, dann bewirkt die
Enzyklika genau das, was sie sagt, ist also ein kleines Sakrament, denn sie bewirkt
Freude an der Hoffnung.“