Der Mensch hat viele kleinere oder größere Hoffnungen, Tag um Tag – verschieden in
den verschiedenen Perioden seines Lebens. Manchmal kann es scheinen, daß eine dieser
Hoffnungen ihn ganz ausfüllt und daß er keine weiteren Hoffnungen braucht. In der
Jugend kann es die Hoffnung auf die große, erfüllende Liebe sein; die Hoffnung auf
eine bestimmte Stellung im Beruf, auf diesen oder jenen für das weitere Leben entscheidenden
Erfolg. Wenn aber diese Hoffnungen eintreten, zeigt sich, daß dies doch nicht alles
war. Es zeigt sich, daß er eine darüber hinausreichende Hoffnung braucht. Daß ihm
nur etwas Unendliches genügen könnte, das immer mehr sein wird als das, was er je
erreichen kann. In diesem Sinn hat die Neuzeit die Hoffnung auf die zu errichtende
vollkommene Welt entwickelt, die durch die Erkenntnisse der Wissenschaft und einer
wissenschaftlich fundierten Politik machbar geworden schien. So wurde die biblische
Hoffnung auf das Reich Gottes abgelöst durch die Hoffnung auf das Reich des Menschen,
die bessere Welt, die das wirkliche ,,Reich Gottes’’ sein würde. Dies schien endlich
die große und realistische Hoffnung zu sein, derer der Mensch bedarf. Sie konnte –
für einen Augenblick – alle Kräfte des Menschen mobilisieren; das große Ziel schien
allen Einsatzes wert. Aber im Lauf der Zeit zeigte sich, daß diese Hoffnung immer
weiter davonläuft. Es wurde den Menschen zunächst bewußt, daß es vielleicht eine Hoffnung
für die Menschen von übermorgen ist, aber keine Hoffnung für mich. Und so sehr zur
großen Hoffnung das ,,Für alle’’ gehört, weil ich nicht gegen die anderen und nicht
ohne sie glücklich werden kann, so ist umgekehrt eine Hoffnung, die mich selber nicht
betrifft, auch keine wirkliche Hoffnung. Und es zeigte sich, daß dies eine Hoffnung
gegen die Freiheit ist, denn der Zustand der menschlichen Dinge hängt in jeder Generation
neu von der freien Entscheidung dieser Menschen ab. Wenn sie ihnen durch die Verhältnisse
und die Strukturen abgenommen würde, wäre die Welt doch wieder nicht gut, weil eine
Welt ohne Freiheit keine gute Welt ist. So ist zwar der stete Einsatz dafür nötig,
daß die Welt besser wird, aber die bessere Welt von morgen kann nicht der eigentliche
und genügende Inhalt unserer Hoffnung sein. Und immer tut sich dabei die Frage auf:
Wann ist die Welt ,,besser’’? Was macht sie gut? Nach welchem Maßstab bemißt sich
ihr Gutsein? Und auf welchen Wegen kann man zu diesem ,,Guten’’ kommen? Noch einmal:
Wir brauchen die kleineren oder größeren Hoffnungen, die uns Tag um Tag auf dem Weg
halten. Aber sie reichen nicht aus ohne die große Hoffnung, die alles andere überschreiten
muß. Diese große Hoffnung kann nur Gott sein, der das Ganze umfaßt und der uns geben
und schenken kann, was wir allein nicht vermögen. Gerade das Beschenktwerden gehört
zur Hoffnung. Gott ist das Fundament der Hoffnung – nicht irgendein Gott, sondern
der Gott, der ein menschliches Angesicht hat und der uns geliebt hat bis ans Ende:
jeden einzelnen und die Menschheit als ganze. Sein Reich ist kein imaginäres Jenseits
einer nie herbeikommenden Zukunft; sein Reich ist da, wo er geliebt wird und wo seine
Liebe bei uns ankommt. Seine Liebe allein gibt uns die Möglichkeit, in aller Nüchternheit
immer wieder in einer ihrem Wesen nach unvollkommenen Welt standzuhalten, ohne den
Elan der Hoffnung zu verlieren. Und seine Liebe ist uns zugleich Gewähr dafür, daß
es das gibt, was wir nur dunkel ahnen und doch im tiefsten erwarten: das Leben, das
,,wirklich’’ Leben ist.