Für unsere Reihe 'Menschen
in der Zeit' hat Aldo Parmeggiani diesmal Kardinal Angelo Sodano vors Mikrofon gebeten.
Der Kardinaldekan feiert am 23. November seinen 80. Geburtstag.
Kardinal
Angelo Sodano wurde am 23. November 1927 in Isola d`Asti in der Region Piemont als
zweites von sechs Kindern geboren. Das Umfeld, in dem der junge Angelo Sodano aufwuchs,
war tief religiös geprägt. 1950 empfing er die Priesterweihe. Neun Jahre später ging
er nach Rom und nahm zwei Studien auf, die er jeweils mit dem Doktorat abschließen
sollte: Kirchenrecht an der Päpstlichen Lateran-Universität und Theologie an der Päpstlichen
Universität Gregoriana. Gleichzeitig besuchte der junge Priester die Päpstliche Diplomatenakademie.
Danach trat er direkt in den Dienst des Heiligen Stuhls ein. In seiner Amtszeit als
Nuntius in Chile machte Angelo Sodano sich durch erfolgreiche Verhandlungen im Grenzstreit
zwischen Argentinien und Chile im Beagle-Kanal-Konflikt einen Namen. In der Pinochet-Ära
wandte er sich wiederholt gegen die Gewaltakte des Regimes und setzte sich vehement
für die Menschenrechte ein. Sodano war von 1991 bis 2006 Kardinalstaatssekretär der
römischen Kurie und ist seit zwei Jahren Kardinaldekan.
* Eminenz,
Sie haben über 15 Jahre lang - länger als alle Ihre Vorgänger der jüngeren Kirchengeschichte
- das Amt des Kardinalstaatssekretärs innegehabt. Sie sind bis 2006 der engste Mitarbeiter
sowohl von Papst Johannes Paul II. als auch von Papst Benedikt XVI. gewesen. Wenn
Sie Rückschau halten auf diese wichtige Zeit Ihres Lebens, welche persönlichen und
kirchlichen Erinnerungen würden Sie als die wichtigsten bezeichnen?
'Es ist
immer schwierig, über sich selbst in Kürze eine Bilanz zu ziehen. Wie Sie schon sagten,
war ich mehr als 15 Jahre lang Kardinalstaatssekretär. Ich möchte aber auch daran
erinnern, dass ich schon vorher als Priester und später als Bischof über 30 Jahre
lang im Dienst des Papstes, des Heiligen Stuhls und der Weltmission stand. Ich habe
meine Diözese Asti in der Lombardei verlassen und bin nach zwei Jahren Akademie in
den Dienst des Heiligen Stuhls getreten. Papst Johannes XXIII. sandte mich nach Quito
in die Nuntiatur nach Ecuador. Das war der Beginn meiner langen diplomatischen Laufbahn;
es ging weiter in die Nuntiaturen Uruguays und Chiles, dann wieder zurück ins Staatssekretariat
bis hinauf zum Amt des Kardinalstaatssekretärs, zu dem mich der unvergessene Papst
Johannes Paul II. berufen hatte. Ich habe - wie jeder gute Christ, jeder Laie, Priester,
Bischof oder Kardinal - versucht, der Kirche zu dienen. Dieser Geist, das kann ich
hier vor dem Herrn, der mich geleitet hat, bezeugen, war immer so etwas wie mein Polarstern.'
*Hat
der Dienst, den Sie, auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen geleistet haben,
eher einen 'politischen' Charakter gehabt oder kann er auch als, sagen wir, ein besonderer
kirchlicher Pastoraldienst bezeichnet werden?
'Die Worte des Herrn: 'Im Haus
meines Vaters gibt es viele Wohnungen' haben mir immer gut gefallen. Das heißt, auch
in der Kirche gibt es verschiedene Tätigkeiten, und alle zielen auf den einen Punkt:
auf unseren Vater, auf das 'Dein Reich komme', adveniat regnum tuum. Papst Johannes
Paul II. gab bei der Kurienreform 1988 seinem Apostolischen Schreiben den Namen: 'Pastor
Bonus'. Das heißt, er rief die Kurie dazu auf, sich an Christus, dem guten Hirten,
zu orientieren. Und so habe ich meinen Dienst in diesem Geist ausgerichtet. Als ich
mein Amt als Kardinalstaatssekretär beendet hatte, überreichte ich allen meinen Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen unserer Abteilung ein Buch von mir mit dem Titel: 'Der Sauerteig
des Evangeliums – Die Gegenwart des Heiligen Stuhls im Leben der Völker'. Denn genau
das ist der wahre Zweck der Präsenz des Heiligen Stuhls im internationalen Kontext:
Die Verbreitung der christlichen Botschaft. Jesus hat uns gesagt: 'Was ihr mit euren
Ohren vernommen habt, verkündet es von den Dächern'. Also eine Form der Verkündigung
auch von der Warte der internationalen Bühne aus. Denn allein durch das Evangelium
Christi können die Völker Rettung finden. Ich dachte an diese Worte Jesu, als ich
in New York vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in Genf, in Straßburg,
vor dem Europarat und auf anderen internationalen Tagungen sprach. Es handelt sich
um eine besondere Art der Verkündigung des Evangeliums: Manchmal fällt die Saat auf
fruchtbaren Boden, manchmal nicht. Aber das ist Mission!'
*Der Staatsekretär
ist der erste Mitarbeiter des Papstes. Können Sie uns den spezifischen Aufgabenbereich
beschreiben, den Sie als Kardinalstaatsekretär, also als Regierungschef der Kirche,
betreuten?
'Nun, wie aus den Apostolischen Konstitutionen 'Pastor Bonus' und
'Regimini ecclesiae' Papst Pauls VI. und aus der gesamten Tradition des Heiligen Stuhls
hervorgeht, ist der Staatssekretär der erste Mitarbeiter des Papstes, sowohl 'ad intra'
für die Kirche, als auch 'ad extra' für die Beziehungen zu den einzelnen Staaten.
Innerhalb der Kirche arbeitet er mit allen Einrichtungen in der Römischen Kurie, die
den Papst in seiner Mission unterstützen, eng zusammen. In der Römischen Kurie gibt
es rund 30 solcher Organismen - Kongregationen, Päpstliche Räte, Gerichte, Verwaltungen,
Kommissionen - durch die der Papst enge Beziehungen zu den Bischöfen in aller Welt,
zu den religiösen Kongregationen und mit allen katholischen Laienbewegungen unterhält.
Der Staatssekretär muss der erste Ansprechpartner auf all diesen Arbeitsgebieten sein.
Dann gibt es die Arbeit 'ad extra', also die Kontakte zu den anderen Staaten und internationalen
Organisationen. Heute unterhält der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen zu 178
Staaten. Es handelt sich um langsame, kontinuierliche, manchmal im Stillen geleistete
Arbeit, wie es die Methode der Diplomatie vorschreibt, um die Beziehungen zu den zivilen
Behörden aufrecht zu erhalten, und um auf diese Weise auch die geistige Fortentwicklung
der Völker zu fördern. Ich habe versucht, dieser Arbeit besondere Wichtigkeit zuzuschreiben,
indem ich die Kontakte durch Besuche oder Empfänge von Staatsmännern, Regierungschefs,
Botschaftern aus der ganzen Welt förderte, damit dieser 'Sauerteig des Evangeliums'
auch in das Leben der einzelnen Völker immer mehr eindringen kann'.
*Gerade
auf dem Gebiet der Beziehungen zu den einzelnen Staaten gab es während des langen
Pontifikats Johannes Paul II. und folglich auch in Ihrer Zeit als Kardinalstaatsekretär
einschneidende Entwicklungen: Die Zahl der Staaten, mit denen der Vatikan diplomatische
Beziehungen aufnahm, wuchs in steigendem Maße. Können Sie etwas Näheres zu diesen
Entwicklungen auf diesem Gebiet sagen?
'Besonders gerne erinnere ich mich an
die Zusammenarbeit mit jenen Staaten in Osteuropa, die bis 1990 unter kommunistischer
Herrschaft standen. Ich konnte zusammen mit dem Heiligen Vater Johannes Paul II. die
Freude erleben, wie in all diesen Ländern wieder diplomatische Beziehungen aufgebaut
wurden. Denken Sie daran, dass es zur Zeit der alten Sowjetunion keine einzige päpstliche
Vertretung gab: jetzt gibt es sogar sechs davon! In Russland, Weißrussland, Ukraine,
Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dann gibt es Vertretungen in Kasachstan, Tadschikistan,
Usbekistan und so weiter, eine Vertretung in den baltischen Staaten. Die Päpstlichen
Gesandten sind also überall verstreut. Weiters sind in Mittel- und Osteuropa sechs
neue Nuntiaturen und ebenso viele in den Balkanländern entstanden: das sind insgesamt
18 neue Nuntiaturen, die es uns erlauben, in beachtlicher Weise präsent zu sein. Auch
wurde in diesen Jahren versucht, durch ein neues Statut die Gegenwart des Heiligen
Stuhls noch mehr in die Organisation der Vereinten Nationen miteinzubinden: In einer
eigens dafür einberufenen Abstimmung erhielt der Heilige Stuhl von allen Mitgliedstaaten
der Vereinten Nationen einen besonderen Status zuerkannt, anders als andere Organisationen:
eben weil der Heilige Stuhl nicht nur eine Weltreligion vertritt, sondern auch einen
Staat. Wir haben versucht, die Kontakte mit der EU zu intensivieren und uns in die
große Debatte über die Zukunft Europas eingeschaltet, indem wir bei der EU in Brüssel
eine Nuntiatur eingerichtet haben. Ich habe so gut ich konnte alles getan, um die
drei großen europäischen Institutionen besser zu koordinieren: die Europa-Union, den
Europarat in Straßburg und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
die frühere Konferenz von Helsinki, die jetzt ihren Sitz in Wien hat. Manchmal wird
gleichzeitig dieselbe Arbeit geleistet, wie in drei konzentrischen Kreisen, und muss
dann immer wieder alles neu studieren neu definieren. Viele Regierungen haben mir
für die Präsenz und meine Bemühungen um eine Reorganisation gedankt. Wie Sie sehen,
war die Kontaktarbeit erheblich und ich muss hier Menschen erwähnen, die mir dabei
sehr geholfen haben: zuerst Erzbischof Tauran als Sekretär für die Verbindungen zu
den Staaten und dann Erzbischof Lajolo'.
*Eines der Hauptziele des Heiligen
Stuhls für die Menschheit ist der Frieden auf der Welt. Welche Entwicklungen waren
auf diesem Gebiet in diesen vergangenen Jahren die wichtigsten?
'Es waren sehr
schwierige, von großen, internationalen Spannungen gekennzeichnete Jahre. Denken wir
nur an das Drama im Balkangebiet. Ich selbst begleitete Papst Johannes Paul II. am
Ende des Krieges nach Sarajewo und wurde zum Zeugen der Tragödie einer von unnützen
Massakern in die Knie gezwungenen Stadt. Dann gab es die großen Kriege in Afrika,
den Krieg an den Großen Seen, ein vergessener Krieg, der viele Hutu und Tutsi das
Leben gekostet hat. Dann weitere kleinere und größere Konflikte, denken wir an die
Toten in Ost-Timor und vor kurzem in Darfur. Das Problem des Friedens war immer schon
eine Hauptsorge des Heiligen Stuhls und auch von mir selbst. Ich habe alles getan,
um mir die siebte Tugend des Evangeliums zu verdienen: 'Selig die Friedensstifter'.
*Was
sagen Sie über Italien? Allein schon durch die geografische 'Nähe' ist der Heilige
Stuhl mit diesem Land ja besonders eng verbunden.
'Ja, im Verlauf der letzten
15 Jahre habe ich viele Kontakte mit allen Regierungschefs Italiens gehabt: die Beziehungen
sind problemlos und herzlich, sie beruhen ja auf den mittlerweile bewährten Lateranverträgen.
Jeder Tag, der vergeht, zeigt, wie weise die Einführung der Lateranverträge gewesen
war, sichern sie doch wirklich eine echte Zusammenarbeit im wahrsten Sinn des Wortes,
im Respekt der beidseitigen Autonomie. Es besteht also ein herzliches Verhältnis im
Interesse der großen Anliegen der Katholiken in Italien: des Lebens, der Familie,
der Schule. Aber auch bei den großen internationalen Fragen, die gemeinsam bearbeitet
werden. Ich muss sagen: Im Allgemeinen besteht mit allen Ministern und Außenministern
ein wirklich herzliches Verhältnis'.
*Eine etwas persönlichere Frage: An welches
Ereignis in Ihrer langen Laufbahn erinnern Sie sich mit besonderer Genugtuung, mit
besonderer Dankbarkeit? Welches Ereignis wird Ihnen am meisten in Erinnerung bleiben?
'Sie
stellen mir eine Frage, die mich ein wenig verlegen macht! Sehr gut in Erinnerung
geblieben ist mir zum Beispiel - gleich Anfang meines Amtes als Staatssekretär -
die Reise nach Moskau im Jahre 1990. Ich musste nach dem Fall des Kommunismus die
diplomatischen Beziehungen für den Heiligen Stuhl vorbereiten. Am Anfang stand eine
lange und fruchtbare Begegnung mit dem damaligen Präsidenten Gorbatschow. Daraus folgte
später die Reise dieses Staatschefs nach Rom. Es war der Anfang einer neuen Seite
im Buch der Geschichte mit dem Russland von heute. Mit Rührung erinnere ich mich auch
an meinen Besuch in Indien, in Kalkutta, als Päpstlicher Legat anlässlich des Todes
von Mutter Teresa. Ich erinnere mich natürlich an die vielen Reisen von Papst Johannes
Paul II.: Ich begleitete ihn insgesamt 53 Mal, angefangen von 1991 in Fatima am 13.
Mai zum 10. Jahrestags des Attentats bis zum letzten Besuch in Lourdes, am Fest Maria
Himmelfahrt im Jahre 2004. Es waren wirklich wunderschöne Augenblicke. Eine ganz besonders
tiefe Erinnerung habe ich an die Agonie und den Tod dieses großen Papstes, der mich
als Mitarbeiter an seiner Seite wollte. Es waren Tage intensiven Schmerzes für mich,
wie für uns alle, und sie werden mir unauslöschlich in Erinnerung bleiben. Was die
kirchlichen Ereignisse betrifft, an die ich mich besonders gerne erinnere, ist der
Besuch in Kasachstan im Jahre 2003. Hier galt es, in der Hauptstadt eine neue Hierarchie,
ein neues kirchliches Leben aufzubauen, Erzbischöfe, Bischöfe und Apostolische Legaten
einzusetzen. Es ist dem Heiligen Stuhl - auch durch meinen persönlichen Einsatz -
gelungen, mit diesem Land sogar einen Vertrag abzuschließen, einen Vertrag, der ein
Beispiel für künftige Verträge mit islamischen Ländern sein könnte. Dies sind die
kleinen und großen Erinnerungen, die in mein Herz eingeschrieben sind'.
*Eminenz,
Sie sind heute der Dekan des Kardinalkollegiums: Würden Sie uns kurz die Bedeutung
dieses Amtes beschreiben?
'Im Kodex des Kirchenrechts werden zwei beratende
Einrichtungen des Papstes genau beschrieben: die Bischofssynode und das Kardinalkollegium.
Ich breche kein Geheimnis, wenn ich sage, dass bei der Vorbereitung dieses Kodex'
darüber beraten wurde, welches der beiden man an die erste Stelle setzen solle. Man
entschied sich schließlich für die Bischofssynode, weil diese vielleicht die Basis
der Universalkirche besser vertritt. Also, die Bischofssynode und das Kardinalkollegium
sind beratende Organe des Papstes: Die Bischofssynoden wirken in ihren synodalen Voll-,
General-, Spezial- oder Lokalversammlungen. Das Kardinalkollegium wirkt in seinen
Konsistorien - ordentlichen wie außerordentlichen - sowie in seinen informellen Versammlungen.
Der Heilige Vater Papst Benedikt XVI. will dem Kardinalkollegium – das richtigerweise
im Laufe der Jahrhunderte den Namen 'Senat des Papstes' zuerkannt bekam - neuen Elan
geben. Ich werde mich also besonders dafür einsetzen, dass die Kardinäle über die
dringendsten Probleme der Kirche unterrichtet werden, ich werde sie öfters einberufen,
damit wir uns auch persönlich besser kennen lernen. Auf diese Weise kann ich weiterhin
mein Körnchen am großen Ideal und Werk des Papstes beitragen, ein Werk, das selbst
von Kritikern immer mehr geschätzt wird. Eine gute Stimme, unabhängig von politischen
Strömungen, eine Stimme für das Wohl der Menschheit. Meine Vorgänger, der unvergessene
Kardinal Casaroli, schrieb am Ende seines Lebens ein Buch: 'Für die Kirche und für
die Welt'. Es zeigt die Synthese seines Lebens auf, ein Leben für die Entwicklung,
für den Frieden, für die Eintracht; Ich glaube, auch mein Wirken wird immer zum Ziel
haben: Für die Kirche und für die Welt'.
*Ein besonderes Wort bitte noch für
unsere Hörerinnen und Hörer?
'In all diesen Jahren war ich dem Wirken und Tun
von Radio Vatikan immer sehr nahe. Ich konnte das viele Gute verfolgen, das Radio
Vatikan weltweit vollbringt. Ich wünsche allen Mitarbeitern weiteren Erfolg und Einsatz.
Auch eure Arbeit kann man als pastorale Arbeit bezeichnen, denn sie steht im Dienste
der Verbreitung des Reiches Gottes. Ich erinnere mich an jene Stimme Papst Pius XI,
bei der Einweihung von Radio Vatikan, diese schöne, lateinische Sprache: 'Ut Verbum
Dei clarificetur et diffundatur'. So wünsche auch ich Radio Vatikan, dass es weiterhin
das Wort Gottes und die Tätigkeit des Heiligen Stuhls in alle Welt verkündet'.
Aldo
Parmeggiani, Radio Vatikan (rv 18.11.2007 ap)