Seit Jahren ist das
Thema Sterbehilfe in der Schweiz Gegenstand kontroverser öffentlicher Diskussionen.
Doch in den vergangenen Tagen kam es zu einer neuen Wendung: Nach der Suizidbeihilfe
für zwei Deutsche auf einem Auto-Parkplatz in der Schweiz steht die Sterbehilfeorganisation
„Dignitas“ sowie die Schweizer Regelung im Feuer der Kritik. Deshalb ist das Thema
der heutigen Kreuzfeuer-Sendung: Sterbehilfe – Selbstmordhilfe. Das Schweizer Modell:
Schande oder Vorbild für Europa? Durch die Sendung führt Mario Galgano.
Definitionssache In
der komplexen Diskussion über die Sterbehilfe ist eine genaue Unterscheidung der verschiedenen
Begriffe sehr wichtig. Von passiver Sterbehilfe wird gesprochen, wenn auf medizinische
Maßnahmen verzichtet wird oder diese abgebrochen werden und dadurch das Lebensende
eintreten kann. Aktive Sterbehilfe kann es schon sein, wenn medizinische Handlungen,
die Linderung von Leiden, wie Schmerzen oder Atemnot zum Ziel haben, dabei aber die
Verkürzung des Lebens in Kauf nehmen.
Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz In
der Schweiz gibt es zwei Sterbehilfeorganisationen. Die Organisation Exit steht aber
weniger in den Schlagzeilen, weil sie „nur“ in der Schweiz tätig ist und einzig mit
Schweizern zu tun hat. Anders die Organisation Dignitas. Sie bietet auch sterbewilligen
Personen aus dem Ausland ihre Dienste an. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Sterbetourismus“.
Das klingt zynisch, ein Gesetz, das ihn verbietet, gibt es jedoch nicht. Auf der Homepage
von Dignitas steht: Wer an einer unfehlbar zum Tode führenden Krankheit oder
an einer unzumutbaren Behinderung leidet und seinem Leben und Leiden deshalb freiwillig
ein Ende setzen möchte, kann als Mitglied von DIGNITAS den Verein darum ersuchen,
ihm beim Freitod behilflich zu sein. Eine offizielle Stellungnahme möchte der
Gründer von Dignitas, Ludwig A. Minelli nicht geben. Uns schrieb er folgende E-Mail: Ich
arbeite nicht mit Sendern eines nicht demokratischen "Staates" zusammen, der von einem
Diktator geleitet wird, der als unvernünftig eingeschätzt werden muss: Wer glaubt,
aus einer Jungfrau krieche etwas raus, bevor etwas reingekrochen ist, hat nicht alle
Tassen im Schrank. Mit freundlichen Grüssen; Ludwig A. Minelli Die
beiden großen Schweizer Sterbehilfeorganisationen Dignitas und Exit begleiten rund
300 Menschen jährlich in den Freitod. Unter den Motiven für die Wahl einer Freitodbegleitung
stehen die Angst vor Schmerzen, die Angst vor Abhängigkeit und die Angst, seinen Angehörigen
zur Last zu fallen. Es scheint fast, als ob Schweizer nicht „sterben“ können. Dazu
sagt der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz und Präsident der bischöflichen
Ethikkommission, Kurt Koch. „Ich denke, dieses Angebot zum assistierten Suizid
– also zur so genannten Sterbehilfe wie Dignitas das versteht, löst das Problem am
falschen Ort. Wir müssen alles daran setzen, dass Menschen menschenwürdig sterben
können und ich denke, die große Herausforderung an den Staat kommt von daher, dass
wir viel zu wenig Palliativmedizin haben. Das ist die eigentliche Alternative zum
assistierten Suizid.“ Die Schweizer Bischöfe haben in einem Pastoralschreiben
im Juni 2002 Stellung genommen zur Beihilfe zum Suizid. Wegen ihrer Nähe zur Tötung
auf Verlangen lehnen sie sie kategorisch ab. „Die schlimmste Reaktion auf dieses
Dokument kam vom Leiter von Dignitas, der mit einer nun wirklich unter der Gürtellinie
befindlichen Wörtern dieses Dokument disqualifiziert hat. Die Diskussion ist leider
in der Öffentlichkeit nicht so aktuell von der ethischen Seite her, wie das eigentlich
sein müsste.“ Bischof Koch fordert daher von der Politik eine klare Regelung. „Wir
verstehen unter Sterbehilfe eindeutig Hilfe beim Sterben und nicht Hilfe zum Sterben,
das heißt all das, was hilft einem Menschen das Sterben menschenwürdig zu vollziehen,
hat unsere Unterstützung. Aber die aktive Sterbehilfe und der assistierte Suizid sind
in unseren Augen ein Verhalten, das ethisch nicht ist und gesellschaftspolitisch verhängnisvolle
Konsequenzen haben wird.“
Dignitas auf Wohnungssuche Die Suizidbeihilfeorganisation
„Dignitas“ geriet in den vergangenen Wochen mehrfach in die Schlagzeilen. Minelli
suchte nach neuen Räumlichkeiten zur Suizidbeihilfe. Dignitas zog ihre „Kunden“ von
einer Wohnung zur nächsten und schlussendlich wurde die Suizidbeihilfe sogar auf Autoparkplätzen
inszeniert. Für den Schweizer Theologen und Sozialethiker Markus Zimmermann-Acklin
ist das Problem nicht der Ort, sondern… „die Tatsache, dass bei uns in der Schweiz
die Beihilfe zum Suizid durch Sterbehilfegesellschaften durchgeführt wird und nicht
durch Ärztinnen und Ärzte sowie nicht in unseren Krankenhäusern. Das ist ein sehr
wesentlicher Unterschied zu der Situation in den Niederlanden, wo nur Ärzte eine Suizidbeihilfe
leisten dürfen. Ein weiterer Punkt, den ich ganz wichtig finde, betrifft die Kompetenz
derjenigen, die tatsächlich zum Sterben helfen. Was sind das für Menschen, die das
durchführen? Kürzlich wurde beispielsweise bekannt, dass ein Student seine Ausbildung
damit finanziert hat. Dieser Student hat eigenartigerweise auch Theologie studiert.“ Ein
großer Teil der Sterbewilligen kommt aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland. Die
unterschiedliche Regelung macht sich in diesem Bereich sehr stark bemerkbar, so der
Sozialethiker Zimmermann-Acklin. „In der Schweiz steht eigentlich im Bezug auf
die Suizidbeihilfe, die im Moment im Rampenlicht der Aufmerksamkeit steht, eine liberale
Grundhaltung im Vordergrund. Selbst im Parlament findet sich kaum jemand, der an dem
grundsätzlichen Recht rütteln möchte, dass jeder Mensch die Freiheit hat, sich das
Leben zu nehmen und zwar wenn er oder sie das möchte. Aber die Diskussion in Deutschland
verläuft grundsätzlich anders als in der Schweiz. Hauptsächlich geht es darum, dass
in Deutschland die Praxis der Beihilfe zum Suizid nach wie vor ein vollkommenes Tabuthema
ist. Hier in der Schweiz haben wir eine Praxis und insbesondere auch die Tatsache,
dass Werbung für Beihilfe für Suizid auch im Ausland gemacht wird und dies insbesondere
in Deutschland.“
Passive Sterbehilfe in der Schweiz Passive Sterbehilfe
wird in der Schweiz häufiger praktiziert als in anderen europäischen Ländern. Am seltensten
werden lebensverlängernde Behandlungen dagegen in Italien abgebrochen. Dies zeigt
eine Studie, die zwischen Oktober 2000 und September 2003 in sechs europäischen Ländern
durchgeführt wurde. Sind die Schweizer liberaler als andere Europäer, Bischof Koch? Für
den Sozialethiker Markus Zimmermann-Acklin ist auch die Haltung der Gesellschaft nicht
zu vergessen. „Das große Problem, das wir zu diskutieren haben, ist, ob es sich
nicht um eine Banalisierung des Sterbens handelt. Wenn es problematisch wird, dann
gehe ich halt auf diese Weise aus dem Leben, statt mich mit den anstehenden Problemen
auseinanderzusetzen. Sei das ich selbst als Betroffener aber auch die Familie und
das Umfeld. Der Begriff Sterbehilfe würde ich reservieren für das breite Problem.
Die Suizidbeihilfe ist das umstrittenste Projekt aber betrifft nur im Verhältnis zu
den insgesamt betroffenen Menschen nämlich drei Viertel aller Schweizer sterben mit
irgendwelcher Sterbehilfe aber Suizidbeihilfe beträgt höchstens 300 Menschen pro Jahr.“
Die
Position der katholischen Kirche Die katholische Kirche hat immer wieder zum
Thema Sterbehilfe ihre Stimme erhoben. Der Katechismus der katholischen schreibt in
der Nummer 2277: Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht
nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres
Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott,
dem Schöpfer, schuldet. Der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, Bischof
Elio Sgreccia, fügt hinzu. „Ein vatikanisches Dokument zur Sterbehilfe von 1980
sprach von Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit von therapeutischen Maßnahmen,
die ein akutes Leiden beseitigen sollten. Doch neben den Therapien bedarf ein Patient
auch der Pflege, d.h. Lebensunterstützung, Schmerzbekämpfung. Diese Pflegemaßnahmen
sind keine Maßnahmen zur Heilung, denn ein Komapatient im vegetativen Zustand wird
nicht in jedem Fall wieder gesund. Auf die Pflegemaßnahmen allerdings hat jeder Mensch
ein Recht. Ein Neugeborenes genauso wie ein Sterbender, nochmals Therapie und Pflege
sind nicht dasselbe. Pflege dient dazu, Leiden zu mildern. Es besteht die Möglichkeit,
moralische Pflicht die bis zu letzt anzuwenden. So lange, wie es der Patient Flüssigkeit
und Nahrung aufnehmen kann.“ Aus der Sicht des katholischen Lehramtes ist der
Suizid eine schwere Verfehlung gegen das biblische Dreifachgebot der Eigenliebe, der
Nächstenliebe und der Gottesliebe. Es wird aber zugestanden, dass es Faktoren geben
kann (z.B. Angst vor Qualen), die wie es heißt „die Verantwortlichkeit des Selbstmörders
vermindern“, so der Katechismus der katholischen Kirche. „Hinter manchen Formulierungen
über die Würde des sterbenden Menschen verbergen sich Haltungen aktiver Sterbehilfe.
Niemals dürfen wir aus Mitleid ein Leben abbrechen, das erhalten werden kann. Die
therapeutischen Maßnahmen, die auf die Heilung im engen Sinn ausgerichtet sind, müssen
nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit angewandt werden. doch wir dürfen unter
keinen Umständen ein Leben beenden. Auch wenn absehbar wäre, dass es nur noch kurz
dauert oder wir nichts mehr tun können.“
Sterbehilfe
bleibt umstritten Sterbehilfe in der Schweiz bleibt umstritten. Für die einen
ist die liberale Haltung ein Segen für andere birgt sie unweigerlich Gefahren und
Respektlosigkeit gegenüber dem menschlichen Leben und die Würde des Sterbens. Fest
steht, Töten ist auch in der Schweiz verboten. Es ist strafbar gemäss Artikel 111
des Schweizerischen Strafgesetzbuches, denn der Schutz des menschlichen Lebens gehört
zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. "Große Sorge" äußerte Papst Benedikt XVI.
zur Debatte über eine aktive Sterbehilfe. Das sagte er am 7. September 2007 anlässlich
seiner Östrerreich-Reise. „Um eine humane Sterbebegleitung durchzusetzen bedarf
es freilich struktureller Reformen in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems
und des Aufbaus palliativer Versorgungssysteme. Es bedarf auch konkreter Schritte,
in der psychischen und seelsorglichen Begleitung schwerkranker und sterbender, der
Familienangehörigen, der Ärzte und des Pflegepersonals. Die Hospizbewegung leistet
hier großartiges. Jedoch kann nicht das Ganze Bündel solcher Aufgaben an sie delegiert
werden. Viele andere Menschen müssen bereit sein bzw. in ihrer Bereitschaft ermutigt
werden, sich die Zuwendung zu schwerkranken und Sterbenden Zeit und auch Geld kosten
zu lassen.“