2007-11-15 16:39:10

KREUZFEUER:
Sterbehilfe in der Schweiz


RealAudioMP3 Seit Jahren ist das Thema Sterbehilfe in der Schweiz Gegenstand kontroverser öffentlicher Diskussionen. Doch in den vergangenen Tagen kam es zu einer neuen Wendung: Nach der Suizidbeihilfe für zwei Deutsche auf einem Auto-Parkplatz in der Schweiz steht die Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ sowie die Schweizer Regelung im Feuer der Kritik. Deshalb ist das Thema der heutigen Kreuzfeuer-Sendung: Sterbehilfe – Selbstmordhilfe. Das Schweizer Modell: Schande oder Vorbild für Europa?
Durch die Sendung führt Mario Galgano.

Definitionssache
In der komplexen Diskussion über die Sterbehilfe ist eine genaue Unterscheidung der verschiedenen Begriffe sehr wichtig. Von passiver Sterbehilfe wird gesprochen, wenn auf medizinische Maßnahmen verzichtet wird oder diese abgebrochen werden und dadurch das Lebensende eintreten kann. Aktive Sterbehilfe kann es schon sein, wenn medizinische Handlungen, die Linderung von Leiden, wie Schmerzen oder Atemnot zum Ziel haben, dabei aber die Verkürzung des Lebens in Kauf nehmen.

Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz
In der Schweiz gibt es zwei Sterbehilfeorganisationen. Die Organisation Exit steht aber weniger in den Schlagzeilen, weil sie „nur“ in der Schweiz tätig ist und einzig mit Schweizern zu tun hat. Anders die Organisation Dignitas. Sie bietet auch sterbewilligen Personen aus dem Ausland ihre Dienste an. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Sterbetourismus“. Das klingt zynisch, ein Gesetz, das ihn verbietet, gibt es jedoch nicht. Auf der Homepage von Dignitas steht:
Wer an einer unfehlbar zum Tode führenden Krankheit oder an einer unzumutbaren Behinderung leidet und seinem Leben und Leiden deshalb freiwillig ein Ende setzen möchte, kann als Mitglied von DIGNITAS den Verein darum ersuchen, ihm beim Freitod behilflich zu sein.
Eine offizielle Stellungnahme möchte der Gründer von Dignitas, Ludwig A. Minelli nicht geben. Uns schrieb er folgende E-Mail:
Ich arbeite nicht mit Sendern eines nicht demokratischen "Staates" zusammen, der von einem Diktator geleitet wird, der als unvernünftig eingeschätzt werden muss: Wer glaubt, aus einer Jungfrau krieche etwas raus, bevor etwas reingekrochen ist, hat nicht alle Tassen im Schrank.
Mit freundlichen Grüssen; Ludwig A. Minelli
Die beiden großen Schweizer Sterbehilfeorganisationen Dignitas und Exit begleiten rund 300 Menschen jährlich in den Freitod. Unter den Motiven für die Wahl einer Freitodbegleitung stehen die Angst vor Schmerzen, die Angst vor Abhängigkeit und die Angst, seinen Angehörigen zur Last zu fallen. Es scheint fast, als ob Schweizer nicht „sterben“ können. Dazu sagt der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz und Präsident der bischöflichen Ethikkommission, Kurt Koch.
„Ich denke, dieses Angebot zum assistierten Suizid – also zur so genannten Sterbehilfe wie Dignitas das versteht, löst das Problem am falschen Ort. Wir müssen alles daran setzen, dass Menschen menschenwürdig sterben können und ich denke, die große Herausforderung an den Staat kommt von daher, dass wir viel zu wenig Palliativmedizin haben. Das ist die eigentliche Alternative zum assistierten Suizid.“
Die Schweizer Bischöfe haben in einem Pastoralschreiben im Juni 2002 Stellung genommen zur Beihilfe zum Suizid. Wegen ihrer Nähe zur Tötung auf Verlangen lehnen sie sie kategorisch ab.
„Die schlimmste Reaktion auf dieses Dokument kam vom Leiter von Dignitas, der mit einer nun wirklich unter der Gürtellinie befindlichen Wörtern dieses Dokument disqualifiziert hat. Die Diskussion ist leider in der Öffentlichkeit nicht so aktuell von der ethischen Seite her, wie das eigentlich sein müsste.“
Bischof Koch fordert daher von der Politik eine klare Regelung.
„Wir verstehen unter Sterbehilfe eindeutig Hilfe beim Sterben und nicht Hilfe zum Sterben, das heißt all das, was hilft einem Menschen das Sterben menschenwürdig zu vollziehen, hat unsere Unterstützung. Aber die aktive Sterbehilfe und der assistierte Suizid sind in unseren Augen ein Verhalten, das ethisch nicht ist und gesellschaftspolitisch verhängnisvolle Konsequenzen haben wird.“

Dignitas auf Wohnungssuche
Die Suizidbeihilfeorganisation „Dignitas“ geriet in den vergangenen Wochen mehrfach in die Schlagzeilen. Minelli suchte nach neuen Räumlichkeiten zur Suizidbeihilfe. Dignitas zog ihre „Kunden“ von einer Wohnung zur nächsten und schlussendlich wurde die Suizidbeihilfe sogar auf Autoparkplätzen inszeniert.
Für den Schweizer Theologen und Sozialethiker Markus Zimmermann-Acklin ist das Problem nicht der Ort, sondern…
„die Tatsache, dass bei uns in der Schweiz die Beihilfe zum Suizid durch Sterbehilfegesellschaften durchgeführt wird und nicht durch Ärztinnen und Ärzte sowie nicht in unseren Krankenhäusern. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied zu der Situation in den Niederlanden, wo nur Ärzte eine Suizidbeihilfe leisten dürfen. Ein weiterer Punkt, den ich ganz wichtig finde, betrifft die Kompetenz derjenigen, die tatsächlich zum Sterben helfen. Was sind das für Menschen, die das durchführen? Kürzlich wurde beispielsweise bekannt, dass ein Student seine Ausbildung damit finanziert hat. Dieser Student hat eigenartigerweise auch Theologie studiert.“
Ein großer Teil der Sterbewilligen kommt aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland. Die unterschiedliche Regelung macht sich in diesem Bereich sehr stark bemerkbar, so der Sozialethiker Zimmermann-Acklin.
„In der Schweiz steht eigentlich im Bezug auf die Suizidbeihilfe, die im Moment im Rampenlicht der Aufmerksamkeit steht, eine liberale Grundhaltung im Vordergrund. Selbst im Parlament findet sich kaum jemand, der an dem grundsätzlichen Recht rütteln möchte, dass jeder Mensch die Freiheit hat, sich das Leben zu nehmen und zwar wenn er oder sie das möchte. Aber die Diskussion in Deutschland verläuft grundsätzlich anders als in der Schweiz. Hauptsächlich geht es darum, dass in Deutschland die Praxis der Beihilfe zum Suizid nach wie vor ein vollkommenes Tabuthema ist. Hier in der Schweiz haben wir eine Praxis und insbesondere auch die Tatsache, dass Werbung für Beihilfe für Suizid auch im Ausland gemacht wird und dies insbesondere in Deutschland.“

Passive Sterbehilfe in der Schweiz
Passive Sterbehilfe wird in der Schweiz häufiger praktiziert als in anderen europäischen Ländern. Am seltensten werden lebensverlängernde Behandlungen dagegen in Italien abgebrochen. Dies zeigt eine Studie, die zwischen Oktober 2000 und September 2003 in sechs europäischen Ländern durchgeführt wurde. Sind die Schweizer liberaler als andere Europäer, Bischof Koch?
Für den Sozialethiker Markus Zimmermann-Acklin ist auch die Haltung der Gesellschaft nicht zu vergessen.
„Das große Problem, das wir zu diskutieren haben, ist, ob es sich nicht um eine Banalisierung des Sterbens handelt. Wenn es problematisch wird, dann gehe ich halt auf diese Weise aus dem Leben, statt mich mit den anstehenden Problemen auseinanderzusetzen. Sei das ich selbst als Betroffener aber auch die Familie und das Umfeld. Der Begriff Sterbehilfe würde ich reservieren für das breite Problem. Die Suizidbeihilfe ist das umstrittenste Projekt aber betrifft nur im Verhältnis zu den insgesamt betroffenen Menschen nämlich drei Viertel aller Schweizer sterben mit irgendwelcher Sterbehilfe aber Suizidbeihilfe beträgt höchstens 300 Menschen pro Jahr.“

 
Die Position der katholischen Kirche
Die katholische Kirche hat immer wieder zum Thema Sterbehilfe ihre Stimme erhoben. Der Katechismus der katholischen schreibt in der Nummer 2277: Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet.
Der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, Bischof Elio Sgreccia, fügt hinzu.
„Ein vatikanisches Dokument zur Sterbehilfe von 1980 sprach von Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit von therapeutischen Maßnahmen, die ein akutes Leiden beseitigen sollten. Doch neben den Therapien bedarf ein Patient auch der Pflege, d.h. Lebensunterstützung, Schmerzbekämpfung. Diese Pflegemaßnahmen sind keine Maßnahmen zur Heilung, denn ein Komapatient im vegetativen Zustand wird nicht in jedem Fall wieder gesund. Auf die Pflegemaßnahmen allerdings hat jeder Mensch ein Recht. Ein Neugeborenes genauso wie ein Sterbender, nochmals Therapie und Pflege sind nicht dasselbe. Pflege dient dazu, Leiden zu mildern. Es besteht die Möglichkeit, moralische Pflicht die bis zu letzt anzuwenden. So lange, wie es der Patient Flüssigkeit und Nahrung aufnehmen kann.“
Aus der Sicht des katholischen Lehramtes ist der Suizid eine schwere Verfehlung gegen das biblische Dreifachgebot der Eigenliebe, der Nächstenliebe und der Gottesliebe. Es wird aber zugestanden, dass es Faktoren geben kann (z.B. Angst vor Qualen), die wie es heißt „die Verantwortlichkeit des Selbstmörders vermindern“, so der Katechismus der katholischen Kirche.
„Hinter manchen Formulierungen über die Würde des sterbenden Menschen verbergen sich Haltungen aktiver Sterbehilfe. Niemals dürfen wir aus Mitleid ein Leben abbrechen, das erhalten werden kann. Die therapeutischen Maßnahmen, die auf die Heilung im engen Sinn ausgerichtet sind, müssen nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit angewandt werden. doch wir dürfen unter keinen Umständen ein Leben beenden. Auch wenn absehbar wäre, dass es nur noch kurz dauert oder wir nichts mehr tun können.“

 
Sterbehilfe bleibt umstritten
Sterbehilfe in der Schweiz bleibt umstritten. Für die einen ist die liberale Haltung ein Segen für andere birgt sie unweigerlich Gefahren und Respektlosigkeit gegenüber dem menschlichen Leben und die Würde des Sterbens. Fest steht, Töten ist auch in der Schweiz verboten. Es ist strafbar gemäss Artikel 111 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, denn der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Staates.
"Große Sorge" äußerte Papst Benedikt XVI. zur Debatte über eine aktive Sterbehilfe. Das sagte er am 7. September 2007 anlässlich seiner Östrerreich-Reise.
„Um eine humane Sterbebegleitung durchzusetzen bedarf es freilich struktureller Reformen in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems und des Aufbaus palliativer Versorgungssysteme. Es bedarf auch konkreter Schritte, in der psychischen und seelsorglichen Begleitung schwerkranker und sterbender, der Familienangehörigen, der Ärzte und des Pflegepersonals. Die Hospizbewegung leistet hier großartiges. Jedoch kann nicht das Ganze Bündel solcher Aufgaben an sie delegiert werden. Viele andere Menschen müssen bereit sein bzw. in ihrer Bereitschaft ermutigt werden, sich die Zuwendung zu schwerkranken und Sterbenden Zeit und auch Geld kosten zu lassen.“

 
(rv 15.11.2007 mg)







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