Italien: Seelsorger, Gewalt kommt aus Gesellschaft
Ausschreitungen nach
dem Tod eines jungen Fußballfans erschüttern Italien: Ein Polizist hatte am Sonntag
an einer Autobahnraststätte versehentlich einen Fan erschossen. Daraufhin randalierten
Hooligans in Bergamo und Mailand, in Rom drangen sie in eine Polizeikaserne ein und
zündeten Autos an. Zu diesen Krawallen kann auch die Kirche nicht schweigen. „Wir
stehen den Familien des Getöteten bei“, erklärte der Generalsekretär der Italienischen
Bischofskonferenz (CEI), Giuseppe Betori, am Montag. Die Frage nach der Verantwortung
überlasse die Kirche den Behörden. Es war ein schwarzer Sonntag im Land des Fußballweltmeisters,
gerade weil die Krawalle nichts mit dem Spiel auf dem Platz zu tun hatten. Der Lazio-Fan
wurde aus Versehen getötet, und die Randalierer in den Stadien und Städten hatten
kein Interesse mehr am Fußball. Don Leonardo Biancalani, Pfarrer in der Toskana und
Torhüter der italienischen Klerikernationalmannschaft: „Das Problem liegt tief,
anthropologisch und kulturell. Wenn der Mensch sich nicht ändert, wenn wir uns nicht
alle an gewisse Regeln halten, wenn wir in der Gesellschaft den Sport nicht schlicht
als Fest sehen, geschieht eine Tragödie. So wie gestern. Und ich glaube nicht, dass
damit alles vorbei ist.“ Es ist der zweite Todesfall im italienischen Fußball
in diesem Jahr. Die Gewalt rund um die Stadien und die so genannten Ultras bekommen
weder Vereine noch Politik in den Griff. Die Gesellschaft neige zur Gewalt, zitierten
die Tageszeitungen am Montag Italiens Staats- und Senatspräsidenten. Doch die soziale
Ungerechtigkeit und breite Unzufriedenheit, vor allem bei jungen Italienern, bietet
Nährboden für die Randale: Einmal mehr bringen Kirchenvertreter das jetzt auf die
italienische Tagesordnung. Der Bischof von Arezzo, Gualtieri Bassetti: „Die
Entscheidungen junger Menschen scheinen uns oft ohne Sinn, denn es fehlt ihnen im
Leben an Orientierung. Sie haben die Werte nicht wirklich verinnerlicht.“ Bassetti
erfuhr als einer der ersten von dem Tod des 28-Jährigen, seine Bischofskirche liegt
unweit der Autobahn. Der Bischof feierte gerade Gottesdienst mit Jugendlichen: „Die
Eltern, aber auch wir Pfarreien müssen die jungen Menschen mit höheren Werten erziehen,
stattdessen wir banalisieren alles. Eltern laufen ja geradezu Gefahr ihre Kinder zu
„kaufen“, weil sie ihnen alles schenken, als Ersatz für die Zeit, die sie nicht für
sie haben. Wir stehen vor einer Generation, die in dieser Hinsicht große Lücken hat.“ Sport
könne Werte vermitteln, ja, aber das, was die italienische Gesellschaft erlebe, sei
kein Spiel mehr, sondern eine gefährliche Mutation. Die Reaktionen der Ultras, gleich
welcher Schalfarbe, könne man nur verurteilen. Aber wer hat Schuld? Nicht nur die
Politik, aber auch nicht nur die Randalierer. Don Biancalani: „Wir müssen alle
unser Gewissen prüfen; Priester, Journalisten, jeder in seinem Bereich. Wir müssen
leisere Töne anschlagen, und wir müssen diese – ich weiß nicht einmal, wie ich sie
nennen soll – diese Vollidioten, besser: diese Verbrecher, isolieren. Denn sie ruinieren
eines der schönsten Dinge, die wir haben. Das sage ich aus ganzem Herzen.“ Arrezzos
Bischof segnete am Montag Morgen den Leichnam des jungen Tifoso. „Das Leben darf
nie auf einem Altar geopfert werden, schon gar nicht im Sport, denn es ist mehr wert
als jeder Wettkampf.“ Die Nationalmannschaft der italienischen Kleriker spielt
am Dienstag im Gefängnis von Parma gegen die Mannschaft der Häftlinge.Nur
ein Zeichen, sagt der Nationaltorhüter Biancaloani, aber immerhin: „Es gibt auch
einen anderen Fußball, weniger medialisiert, der Werte vermitteln will. Vielleicht
sind wir eine Stimme in der Wüste, aber in dieser Wüste wollen wir schreien.“ (rv
12.11.2007 bp)