2007-11-12 15:24:22

Italien: Seelsorger, Gewalt kommt aus Gesellschaft


RealAudioMP3 Ausschreitungen nach dem Tod eines jungen Fußballfans erschüttern Italien: Ein Polizist hatte am Sonntag an einer Autobahnraststätte versehentlich einen Fan erschossen. Daraufhin randalierten Hooligans in Bergamo und Mailand, in Rom drangen sie in eine Polizeikaserne ein und zündeten Autos an. Zu diesen Krawallen kann auch die Kirche nicht schweigen. „Wir stehen den Familien des Getöteten bei“, erklärte der Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz (CEI), Giuseppe Betori, am Montag. Die Frage nach der Verantwortung überlasse die Kirche den Behörden.
Es war ein schwarzer Sonntag im Land des Fußballweltmeisters, gerade weil die Krawalle nichts mit dem Spiel auf dem Platz zu tun hatten. Der Lazio-Fan wurde aus Versehen getötet, und die Randalierer in den Stadien und Städten hatten kein Interesse mehr am Fußball. Don Leonardo Biancalani, Pfarrer in der Toskana und Torhüter der italienischen Klerikernationalmannschaft: „Das Problem liegt tief, anthropologisch und kulturell. Wenn der Mensch sich nicht ändert, wenn wir uns nicht alle an gewisse Regeln halten, wenn wir in der Gesellschaft den Sport nicht schlicht als Fest sehen, geschieht eine Tragödie. So wie gestern. Und ich glaube nicht, dass damit alles vorbei ist.“
Es ist der zweite Todesfall im italienischen Fußball in diesem Jahr. Die Gewalt rund um die Stadien und die so genannten Ultras bekommen weder Vereine noch Politik in den Griff. Die Gesellschaft neige zur Gewalt, zitierten die Tageszeitungen am Montag Italiens Staats- und Senatspräsidenten. Doch die soziale Ungerechtigkeit und breite Unzufriedenheit, vor allem bei jungen Italienern, bietet Nährboden für die Randale: Einmal mehr bringen Kirchenvertreter das jetzt auf die italienische Tagesordnung.
Der Bischof von Arezzo, Gualtieri Bassetti: „Die Entscheidungen junger Menschen scheinen uns oft ohne Sinn, denn es fehlt ihnen im Leben an Orientierung. Sie haben die Werte nicht wirklich verinnerlicht.“ Bassetti erfuhr als einer der ersten von dem Tod des 28-Jährigen, seine Bischofskirche liegt unweit der Autobahn. Der Bischof feierte gerade Gottesdienst mit Jugendlichen: „Die Eltern, aber auch wir Pfarreien müssen die jungen Menschen mit höheren Werten erziehen, stattdessen wir banalisieren alles. Eltern laufen ja geradezu Gefahr ihre Kinder zu „kaufen“, weil sie ihnen alles schenken, als Ersatz für die Zeit, die sie nicht für sie haben. Wir stehen vor einer Generation, die in dieser Hinsicht große Lücken hat.“
Sport könne Werte vermitteln, ja, aber das, was die italienische Gesellschaft erlebe, sei kein Spiel mehr, sondern eine gefährliche Mutation. Die Reaktionen der Ultras, gleich welcher Schalfarbe, könne man nur verurteilen. Aber wer hat Schuld? Nicht nur die Politik, aber auch nicht nur die Randalierer. Don Biancalani: „Wir müssen alle unser Gewissen prüfen; Priester, Journalisten, jeder in seinem Bereich. Wir müssen leisere Töne anschlagen, und wir müssen diese – ich weiß nicht einmal, wie ich sie nennen soll – diese Vollidioten, besser: diese Verbrecher, isolieren. Denn sie ruinieren eines der schönsten Dinge, die wir haben. Das sage ich aus ganzem Herzen.“
Arrezzos Bischof segnete am Montag Morgen den Leichnam des jungen Tifoso. „Das Leben darf nie auf einem Altar geopfert werden, schon gar nicht im Sport, denn es ist mehr wert als jeder Wettkampf.“
Die Nationalmannschaft der italienischen Kleriker spielt am Dienstag im Gefängnis von Parma gegen die Mannschaft der Häftlinge. Nur ein Zeichen, sagt der Nationaltorhüter Biancaloani, aber immerhin: „Es gibt auch einen anderen Fußball, weniger medialisiert, der Werte vermitteln will. Vielleicht sind wir eine Stimme in der Wüste, aber in dieser Wüste wollen wir schreien.“
(rv 12.11.2007 bp)








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