Nach massiven Bürgerprotesten
und der Verhängung des Ausnahmezustands hat der georgische Staatspräsident Michail
Saakaschwili für den 5. Januar eine vorgezogene Präsidentenwahl angekündigt. Ursprünglich
war der Urnengang für Ende 2008 geplant. Saakaschwili kündigte an, den Ausnahmezustand
in den kommenden Tagen aufheben zu wollen. Hunderte Soldaten hatten zuvor das Zentrum
der Hauptstadt Tiflis besetzt. Die frühere Sowjetrepublik Georgien durchläuft eine
schwierige Zeit des Übergangs, über die Hälfte der Bevölkerung lebt derzeit unterhalb
der Armutsgrenze. Für den Osteuropa-Experten von „Kirche in Not“, Marko Tomashek,
ist die Situation in Georgien nur durch den historischen Kontext zu erklären. „Als
Georgien Teil der Sowjetunion war, bestimmten die Russen, wer die Macht in Tiflis
hat. Jetzt ist das Land unabhängig. Die Macht muss irgendwie ausgeübt werden, doch
die Georgier haben keine Vorbilder und keine lange demokratische Tradition. Sie möchten
das, können das aber nicht durchführen. Denn es gibt ein paar mächtige Leute, die
sich ihnen entgegenstellen. Trotzdem bin ich zuversichtlich.“
Das
gewaltsame Vorgehen gegen die Opposition und die Verhängung des Ausnahmezustands stießen
im Westen auf heftige Kritik. Die Schwierigkeiten waren aber bereits in den vergangenen
Monaten latent.
„Als ich im letzten Mai in Georgien war, haben wir vor allem
die kleine katholische Minderheit besucht, aber wir haben natürlich auch gefragt,
wie es den Georgiern geht, und da waren durchaus kritische Töne zu hören. Daher ist
diese politische Entwicklung für mich eigentlich keine Überraschung.“
Die
überwiegende Mehrheit der Georgier gehört der georgisch-orthodoxen Kirche an. Einige
Auseinandersetzungen mit der russisch-orthodoxen Kirche scheinen noch weiterhin präsent
zu sein. Die Kirchen spielen, so Tomashek, eine Schlüsselrolle bei der Lösung des
innenpolitischen Konflikts.
„Die Georgier sind auf der Suche nach ihren
eigenen Werten, und da kommt die Kirche gleich ins Spiel, weil sie in der Geschichte
immer Trägerin der Identität des Volkes war. Der Besuch des Ökumenischen Patriarchen
Bartholomaios I. in Georgien vom 12. bis 16. Oktober war meiner Meinung nach ein Versuch,
sich und die Georgier aus der Isolation hinauszuführen. Dieser Besuch könnte nun im
Innern der georgischen Gesellschaft die Zusammenarbeit mit anderen Orthodoxen und
Konfessionen möglich machen, deren Angehörige sich auch als Georgier fühlen.“