2007-11-07 18:30:28

Bauen gegen den Papst - Das "dritte Rom"


RealAudioMP3 Wer heute als Besucher nach Rom kommt und durchs Stadtzentrum streift, kann auf den ersten Blick drei verschiedene Schichten der Stadt ausmachen, die verschiedenen Epochen und gesellschaftlichen Verhältnissen angehören: Da gibt es das Rom der Antike, das Rom der Päpste, Stichwort: Barock, und schließlich das Rom des 19. Jahrhunderts. Letzteres, das Rom des 19. Jahrhunderts, ist in rasend kurzer Zeit entstanden, nämlich binnen weniger Jahrzehnte nach 1870, als italienische Truppen den Kirchenstaat einnahmen und dessen Hauptstadt Rom eroberten. Was dann städtebaulich geschah, war teils ein Bauen gegen die Päpste, zum anderen ein permanenter Rückgriff auf ihr architektonisches Vokabular. Die in Zürich lehrende Kunsthistorikerin Britta Hentschel hat sich mit dem „dritten Rom“ beschäftigt.

„Generell ist bis heute die Übermacht der katholischen Kirche gegeben“, sagt Britta Hentschel mit Bezug auf die urbane Gestaltung Roms. Denn die Innenstadt ist beherrscht von Kardinalspalazzi der Renaissance, barocke Kirchen, von päpstlicherseits angelegte Straßenschneisen und bescheideneren Wohnhäuser des 17. Jahrhunderts. Nur wenige Ausnahmen fallen ins Auge – etwa das blitzweiße Marmor-Monument des „Vittoriano“, das sich vor dem antiken Rom aufbaut und den Spottnamen „Schreibmaschine“ trägt. Britta Hentschel:

„Das Viktorianum wird geboren mit dem Tod von Viktor Emmanuel 1878, es ist ein vom Volk gewünschtes Denkmal. Am Hügel des Kapitols - was wichtig ist, weil das Kapitol immer in Opposition zum Vatikan stand - lehnt sich jetzt dieses große Monument an und erinnert eher an antike Formen, eher an das Forum Romanum, das dahinter liegt, aber zu dem Zeitpunkt noch kaum ausgegraben war. Man versucht mit dieser überragenden Größe der Kuppel von Sankt Peter ein optisches Gegengewicht zur Stadt zu setzen. auch heute wenn man vom Gianicolo auf die Stadt blickt, sieht man, dass das die beiden Elemente sind, die die Silhouette dominieren.“

Gegengewicht zum Vatikan – das war das Bauprogramm des geeinten Italien in Rom nach 1870. Der neue Staat unter dem König Vittorio Emanuele besetzte schon existierende Gebäude und versuchte, sie neu zu kodifizieren. Bestes Beispiel: Der Quirinalspalast.

„Der Quirinalspalast war bis dahin die Sommerresidenz der Päpste und wird vom dritten Rom, vom italienischen Nationalstaat, nun genutzt als Königsresidenz. Den Vatikan selber besetzt man nicht, das wollte man von vornherein nicht, man wollte ihn seine Souveränität zugestehen, hätte ihm auch größeres Territorium zugestanden, als es heute der Fall ist, der Papst selber hat aber abgelehnt. Der Quirinal hat sich angeboten durch diesen direkten Bezug zum Vatikan, die direkte Gegenüberstellung zwischen altem Regime und neuem Regime, und bot auch mit dieser Vielzahl von Zimmern auch die besten räumlichen Möglichkeiten für den Königshof. Es ging darum, den Papst jeden Tag herauszufordern, ihm vor Augen zu führen, wer der neue Herr in Rom ist!“

Sankt Peter bleibt vom italienischen Nationalstaat verschont, aber eines der markantesten Gotteshäuser Roms erfährt eine Umdeutung: das Pantheon.

„Das Pantheon ist ja kein katholischer Bau, sondern ein Bau der Antike, ein Tempel Hadrians für alle Götter, dieser Mechanismus ist schon viel früher eingetreten, das Papsttum hat sich den Bau einverleibt, die Kirche, und hat ihn in ein Gotteshaus umgewandelt. Und jetzt kommt das dritte Rom, der italienische Nationalstaat, und man entscheidet, dort die Grablege des italienischen Königshauses zu installieren. 1878 wird im Pantheon der erste gesamtitalienische König Viktor Emanuel begraben.“

Gleichzeitig startet der italienische Staat praktisch unter den Augen der Päpste, die nach 1870 den Vatikan fast 60 Jahre lang nicht verlassen sollen, eine Bilderkampagne. Drei Viertel der Heiligen- und Andachtsbilder, die Roms Straßen schmücken, verschwinden. Und parallel dazu sucht Italien seine eigenen Helden:

„Im gleichen Zug beginnt man der eigenen Helden erst mal zu finden, die findet man in den Ketzern, wie Galilei, Giordano Bruno, Cola di Rienzo: all die Leute, die gegen den Papst in der Vergangenheit operiert haben, werden nun als die neuen Heroen des italienischen Nationalstaats gefeiert, zusätzlich zu den eigenen großen Persönlichkeiten des Risorgimento wie Garibaldi oder Camillo Cavour, denen hier in Rom dann große Denkmäler gesetzt werden.“

Dennoch konnte und wollte das geeinigte Italien im Rom des ausgehenden 19. Jahrhunderts natürlich nicht gegen die eigene Geschichte anbauen. Die großen Wohnviertel, die nun bis zur Zeit des Faschismus entstehen, nehmen nicht nur Bezug auf antike Mietskasernen, die so genannten insulae, sondern auch auf die Repräsentations-Architektur der Renaissance-Palazzi. Im historischen Rom zu bauen, war eine klare Entscheidung der jungen italienischen Demokratie. Rom könnte heute aber auch ganz anders aussehen – es könnte sogar anderswo SEIN.

„Man hat damals auch Haussmann, den französischen Stadtplaner, der Paris komplett umgebaut hat, eingeladen, um der neuen italienischen Regierung beiseite zu stehen. Und Haussmann schlägt erstaunlicherweise eine Satellitenkapitale auf dem Monte Mario vor, das heißt hinter dem Vatikan, außerhalb der Stadt. Mit der Entscheidung, in Rom selber zu bauen, dh im Kontext der katholischen Kirche, heißt auch, sich stilistisch mit ihr irgendwie auseinanderzusetzen.“

Letzten Endes ist Italien mit dem römischen Baugut der Antike und der Päpste für damalige Zeiten vergleichsweise sanft umgegangen. So entstanden mehrere große Straßenschneisen, die durch das Dickicht der Innenstadt geschlagen wurden. Und dafür versetzten die Architekten ganze Palastfassaden, um sie nicht zu zerstören. Britta Hentschel:

„Meines Erachtens geht es darum, dass man sich als die rechtmäßigen Erben inszeniert. Dass man mit Rom eine solche Schatzkiste geerbt hat, dass man jetzt diese Juwelen nicht zerstören möchte, sondern man möchte sich selbst als die rechtmäßige historische Konsequenz präsentieren. Mit dieser Rücksichtnahme gibt man auch ein Signal - andererseits inszeniert man sich als der Erbe dieser großen kulturellen Tradition.“
(rv 07.11.2007 gs)








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