Papst Benedikt XVI. würdigt den verstorbenen deutschen Theologen, Kardinal Leo Scheffczyk.
Der im Dezember 2005 Verstorbene sei ein "unvorstellbar gelehrter und fleißiger Mensch"
gewesen, der zugleich, "eine große Einfachheit in der Lebensführung bewahrt" habe.
Das sagte Benedikt im Gespräch mit einem Journalisten, das von der Nachrichtenagentur
Zenit und der Tageszeitung "Die Welt" veröffentlicht worden ist. In dem Interview
verrät der Papst auch, dass er als Leiter der Glaubenskongregation dem damaligen Papst
Johannes Paul Scheffczyk für die Ernennung zum Kardinal vorgeschlagen habe. Wir dokumentieren
hier das Interview; Quelle ist Zenit. * Heiliger Vater, haben Sie Erinnerungen
an Leo Scheffczyk aus Ihrer Freisinger Seminarzeit? "Ja, natürlich. Ich habe
am 3. Januar 1946 dort begonnen, und Leo Scheffczyk als Heimatvertriebener war auch
da. Er steht noch sehr deutlich vor mir als ein stiller und sozusagen feinnerviger
Mann. Natürlich war der Abstand zwischen den Kursen sehr groß: Wir waren ganz am Anfang,
er war am Ende des Theologiestudiums - er hatte ja in Breslau schon den größeren Teil
der Theologie studiert -, sodass es kaum persönliche Kontakte geben konnte. Aber trotz
seiner Zurückhaltung - fast muss ich sagen, seiner Scheu - und seiner großen Demut
war er doch uns allen bekannt. Im Dezember 1946 wurden er und seine Kurskollegen zu
Diakonen geweiht, und als Diakone mussten sie auch im Dom predigen. Dadurc h ist uns
der ganze Weihekurs sozusagen zu Gesicht, zu Ohren und zu Herzen gekommen. Unter
ihnen gab es zwei herausragende Prediger, die miteinander „wetteiferten“, nämlich
Leo Scheffczyk und Alfred Läpple. Beide waren wirklich große und auch wortmächtige
Prediger. Bei Scheffczyk ist uns aufgefallen, wie sprachlich feinsinnig er war, wie
er mit bedachten Bildern und wirklich gewählten Formulierungen umging - ganz anders
als heute, wo man sich nicht mehr so sehr um die Sprache müht. Zugleich aber war er
als Prediger auch theologisch tief und reich: So wurde uns klar, dass Scheffczyk ein
Mann nicht nur von rhetorischer und sprachlicher, sondern auch von hoher denkerischer
und theologischer Qualität ist. Wir sahen daher ihn und auch seinen Kurskollegen Alfred
Läpple an als zwei Leute, von denen man noch hören wird. Dies zusammenfassend,
würde ich daher als Erinnerung aus der Freisinger Zeit festhalten : Scheffczyk trat
in Erscheinung als ein sehr diskreter, stiller, fast eher scheuer Mensch, dem man
aber auch die Innerlichkeit ansah, und als ein herausragender Prediger und verheißungsvoller
Theologe." * Sie sind Leo Scheffczyk in Ihrer Tätigkeit als Professor, als Erzbischof
von München und Freising und als Präfekt der Glaubenskongregation immer wieder begegnet.
Wie erinnern Sie sich an diese Begegnungen? "Nach seiner Priesterweihe 1947
wurde Leo Scheffczyk zunächst Kaplan in Grafing und in Traunwalchen - ganz in der
Nähe unserer Heimat. Aber damals sind wir wenig gereist: Man wusste nur, dass er dort
im Einsatz ist, aber wir begegneten uns dort nicht weiter. Schon bald ist er zum Studium
freigestellt worden; er hat bei seinem Breslauer Lehrer Franz Xaver Seppelt promoviert,
bei dem auch ich Kirchengeschichte gehört hatte. Dann ist er zur Dogmatik übergegangen,
und man erfuhr alsbald, dass er in Königstei n Dogmatik dozierte. Wir sind dann, glaube
ich, ungefähr gleichzeitig Professoren geworden - er in Tübingen und ich in Bonn -,
und haben dann natürlich die Veröffentlichungen gegenseitig verfolgt. Er hatte Mediävistisches
(über das Mittelalter) geschrieben, von dem ich mich zum Beispiel an einen Beitrag
über Johannes Scotus Eriugena erinnere. Schon dabei habe ich seinen hohen Bildungsgrad
erfahren. Bedeutsam wurde mir dann aber eine wichtige Veröffentlichung, nämlich
das von ihm verfasste Nebenstück (Faszikel) über Schöpfung im „Handbuch der Dogmengeschichte“,
worin er umfassende dogmengeschichtliche und theologiegeschichtliche Gelehrsamkeit
zeigte. Außerdem ist mir aufgefallen, dass er alsbald auch in aktuelle Themen eingriff:
Von der Schöpfungsthematik her hat er zum Beispiel den Disput mit Teilhard de Chardin
aufgenommen. Seine Theologie war immer kenntnisreich und auch spirituell durchdrungen.
Konkret begegnet sind wir uns erst wieder, als nach dem Konzil die Glaubenskommission
der Deutschen Bischöfe eingerichtet wurde, in der wir beide als Theologen anwesend
waren. Die Zeit war damals verworren und unruhig, und der Lehrstand der Kirche war
nicht mehr ganz klar. Es wurden Thesen in die Luft gesetzt, von denen man sich einbildete,
sie seien jetzt möglich, obwohl sie in Wirklichkeit mit dem Dogma nicht übereinstimmten.
In diesen Umständen waren die Diskussionen in der Glaubenskommission anspruchsvoll
und schwierig. Dabei ist mir aber aufgefallen, dass Leo Scheffczyk, der ganz stille
und eher schüchterne Mensch, eigentlich immer der Erste war, der ganz klar Position
ergriffen hat. Ich selbst war da fast zu ängstlich, als dass ich mich getraut hätte,
gleich so direkt „drauflos“ zu gehen. Er aber hat mit großer Klarheit und zugleich
mit wirklicher theologischer Fundierung sofort gesagt, was ge ht und was nicht geht:
Insofern war Leo Scheffczyk der eigentliche „Eisbrecher“ in diesen Diskussionen. Nachdem
wir beide bisher zwar voneinander wussten, uns aber nur von Weitem gekannt hatten,
sind wir uns so auch einander nähergekommen: Wir erkannten, dass wir gemeinsam darum
ringen, dass der Glaube der Kirche im Heute lebt und ins Heute hinein ausgesprochen
und verstehbar wird, aber andererseits in seiner tiefen Identität bleibt. Insofern
ist mir diese Erinnerung aus der gemeinsamen Arbeit in der Glaubenskommission die
stärkste persönliche Erinnerung, die ich an Leo Scheffczyk habe - zugleich eine Erinnerung,
die wirklich von Dank erfüllt ist für die Tiefe seines Denkens und für seine Gelehrsamkeit
sowie auch für seinen Mut und seine Klarheit. Dann waren wir beide 1975 mit einer
ziemlich großen Gruppe von der Katholischen Akademie München zu einer Wallfahrt in
das Heilige Land eingeladen. So war en wir miteinander. Während dabei die Beteiligung
am theologischen Disput am Rand stehen blieb, war jeder einmal zu einer Predigt eingeladen.
Bei den Busfahrten haben Leo Scheffczyk und ich uns oft nebeneinandergesetzt und konnten
dabei unsere theologische „Geschwisterlichkeit“, wenn man dies so sagen darf, bestätigt
finden und vertiefen. Als ich Erzbischof von München und Freising wurde, war Leo
Scheffczyk als Lehrstuhlinhaber für Dogmatik in München für mich eine Garantie, dass
die Dogmatik in meiner Diözese richtig gelehrt wird. Hin und wieder sahen wir uns
bei Begegnungen mit der theologischen Fakultät als ganzer, bei denen man aber im Allgemeinen
nicht in tiefere Gespräche eingetreten ist. Ich muss vielleicht noch hinzufügen,
dass Leo Scheffczyk für den Linzer Priesterkreis die Säule überhaupt war, da er in
einer irgendwie verworrenen theologischen Situation zum entscheidenden Ang elpunkt
wurde. Er hat jedes Jahr an der Theologischen Sommerakademie teilgenommen und dabei
Vorträge gehalten: So hat Leo Scheffczyk auch für Österreich viel getan. Während
meiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation haben wir Leo Scheffczyk öfter um
Vota gebeten. Dabei wussten wir immer, dass er, wenn man ihn um etwas bittet, erstens
die Arbeit wirklich macht und sie zweitens gut erfüllt. Dabei wurde nun auch eine
Weggemeinsamkeit vieler Jahre wirksam, und so war Leo Scheffczyk für mich eine große
Hilfe. Schließlich ist dann der Augenblick gekommen, als der Heilige Vater mich
fragte, ob es in Deutschland einen Theologen gebe, der über 80 Jahre alt ist und es
wert wäre, zum Kardinal ernannt zu werden. Ich hatte mit Papst Johannes Paul II. schon
öfter über Scheffczyk gesprochen; er kannte ihn auch persönlich, und von ihm weiß
ich, dass der Name „Scheffczyk“ ein pol nischer Name ist und „kleiner Schuster“ bedeutet.
Wir wissen alle, wie gut es war, dass Leo Scheffczyk Kardinal wurde. In dieser Zeit
sind wir uns dann erst recht wieder begegnet." * Welche Bedeutung hat das Kardinalat
von Leo Scheffczyk? "Ich denke, es hat die Bedeutung, dass nun seine Theologie
- als eine von der Kirche, vom Papst und vom Lehramt als wahrhaft katholisch und zugleich
gegenwärtig anerkannte - viel stärker ins Licht der Öffentlichkeit kam. Die Bücher,
die er schrieb, hatten sich natürlich verbreitet, aber doch in einem relativ schmalen
Kreis. Erst durch das Kardinalat ist seine Theologie für Deutschland so richtig „kirchenöffentlich“
geworden und konnte somit in den großen Auseinandersetzungen mit dem Gewicht eines
Angehörigen des „Sacrum Collegium“ zur Geltung kommen. Kardinal Scheffczyk hat
dann ja auch im großen Stil öffentlich Position b ezogen und dadurch die ganze Kraft
seiner Gelehrsamkeit, seiner Belesenheit und seiner spirituellen Tiefe wie auch seines
klaren, aus dem Glauben kommenden Urteils neu fruchtbar werden lassen. Es war sehr
wichtig, dass Leo Scheffczyk sozusagen zu einer „kirchenöffentlichen“ Gestalt geworden
ist, die mit diesem Gewicht in die großen Dispute der Gegenwart eingegriffen hat und
dabei nicht mehr überhört oder von irgendeinem Professor beiseitegeschoben werden
konnte." * Welchen Gesamteindruck haben Sie von Leo Scheffczyk als Theologen
und als Menschen? "Es ist nicht ganz leicht, darüber zu sprechen. Leo Scheffczyk
war ein stiller Mensch, das wissen wir alle. Er war von einer eher schüchternen Art,
sodass er sich auch ziemlich gewundert hat, als ihm der Purpur zugeteilt wurde. In
dieser Stille und Diskretion, wie sie ihm eigen war, war er ein ganz frommer Mensch,
der wirklich ein spirituelles Leben aus dem Glauben fü hrte, und vor Gott und mit
Gott, vor Christus und mit dem Herrn sowie unter den Augen der Mutter Gottes gelebt
und seine Theologie entwickelt hat. Daher war es nicht ganz leicht, in eine persönliche
und auch herzliche Beziehung mit ihm zu kommen, was sich dann aber doch im Lauf der
vielen Begegnungen, gerade auch während seines Kardinalates, entwickeln konnte. Seine
Gelehrsamkeit war wirklich außergewöhnlich, da er sich in den biblischen Fundamenten,
in der Theologiegeschichte die Jahrhunderte hindurch und in der Gegenwartssituation
umfassend auskannte und dadurch begründet und der Zeit antwortend argumentieren und
sprechen konnte. Kardinal Scheffczyk bleibt mir daher in Erinnerung als ein zeitlebens
unvorstellbar gelehrter und fleißiger Mensch, der zugleich, wie wir wissen, eine große
Einfachheit in der Lebensführung bewahrte: Er hat ja am Sonntag immer in München im
Dall'Armi-Heim zelebriert und gepredigt. Leo Scheffczyk hat aus tiefen spirituellen
Quellen geschöpft und daraus die Kraft zu der Festigkeit bekommen, die ihm eigen war
und die trotz der scheinbaren Fragilität seines Wesens das Bewundernswerte an ihm
gewesen ist: Sein Mut zur Standhaftigkeit war verwurzelt in seinem tiefen Glauben
und seiner tiefen inneren Verbindung mit dem Herrn sowie in seiner Liebe zur Kirche."