D: Katholizismus, Dialog und deutsche Einheit. Kardinal Lehmann im Gespräch
20 Jahre steht der
Mainzer Kardinal Karl Lehmann an der Spitze der deutschen Bischofskonferenz. Er sieht
sein Amt als Dienst, man müsse sich immer wieder neu bewähren. „Garantie durch Routine
gibt es nicht“, erzählte Lehmann jetzt bei der Herbstvollversammlung in Fulda im Gespräch
mit Birgit Pottler. Die deutsche Einheit vor jetzt 17 Jahren betrachtet der 71-Jährige
als wichtigstes Ereignis seiner Amtszeit. Es war natürlich ein Höhepunkt, weil
ja im Grunde genommen niemand mehr daran geglaubt hat, dass es zu dieser Einheit kommen
kann. Ich fand aber immer phantastisch, dass diese Einheit ohne jede Gewaltanwendung
zustande gekommen ist. Die Mentalitäten der Leute, die sind natürlich viel schwerer
zu verändern, als wir eigentlich dachten, und insofern bleibt noch sehr viel zu tun. Was
kennzeichnete den deutschen Katholizismus vor 20 Jahren und was kennzeichnet ihn jetzt? Ich
finde vielleicht einen Unterschied darin, dass man früher gerade als katholische Kirche
in unserer Gesellschaft zeigen musste, dass man dialogbereit und dialogfähig ist,
aber es ist auch jetzt notwendig, dass man im Stimmengewirr einer pluralistischen
Gesellschaft, dass man im Chor derer, mit denen man zusammen arbeitet, doch seine
eigene Stimme mehr markiert und eine gewisse unverwechselbare Position einnimmt; eine
neue Entschiedenheit zu finden, die die Freiheit der Leute respektiert, die aber auch
glaubwürdig macht, dass man sich nicht einfach in falscher Weise überall anpassen
kann. Insofern glaube ich, gibt es etwas anderes, neues, was wir noch nicht genug
eingeübt haben. Der Sommer in Deutschland war geprägt von ökumenischen Irritationen.
Jetzt, auf Ihr Referat zum Thema Selbstverständnis des Katholischen, gab es im Vergleich
dazu geradezu überschwängliche Reaktionen. Wie ist das zu erklären, sind sie doch
kein Jota abgewichen von der bisher bekannten Position. Gibt es bestimmte Vorbehalte
gegen Papiere, die aus Rom kommen? Hört man dem Kardinal aus Deutschland anders zu? Das
spielt vielleicht eine kleine Rolle, aber längst nicht die entscheidende. Ich denke,
ganz wichtig ist, dass jetzt doch etwas die Zeit kam, um in Ruhe und etwas ausführlicher
die Sache zu erörtern. Wenn das jetzt wieder zu einem gediegeneren Miteinander kommen
soll, was ich natürlich sehr begrüße, da muss man trotzdem auf bestimmte Dinge sehr
aufmerksam sein. Es darf nicht durch die etwas problematische so genannte Ökumene
der Profile zu neuen dauernden Abgrenzungen kommen, die letzten Endes immer dann auf
Kosten des anderen gehen. Ich sage es immer gerne in einem sehr einfachen Wort: Für
mich entscheidet sich die Qualität der Ökumene immer darin, dass man sich an der Stärke
des anderen freuen kann. Und wenn wir auf diesem Weg weiter kommen, wo wir auch sehr
vieles gemeinsam machen, dann hat das gute Zukunft. Eine letzte Frage zum Dialog
mit dem Islam: „Moscheestreit“ war eine der Schlagzeilen in diesem Sommer, sowohl
in Köln als auch in München. Wie sehen Sie – ein Jahr nach der Regensburger Rede des
Papstes mit den nicht gewollten Folgen – den Dialog mit dem Islam in Deutschland? Der
muss natürlich sein, wenn wir 3,5 Millionen Muslime unter uns haben. Da gibt es viele
Anlaufschwierigkeiten auch bezüglich der Partner. Wenn wir überhaupt schon mehr miteinander
reden, ist das sehr viel. Vielleicht hat man beim Dialog bisher auch zu viel die Verbrüderung
im Auge gehabt. Da sind wir, glaube ich, nüchterner geworden. (rv 29.09.2007
bp)