2007-09-25 13:02:28

Dokument: "Selbstverständlich katholisch." Von Kard. Lehmann.


Über das katholische Selbstverständnis hat Kardinal Karl Lehmann gestern Abend beim Auftakt der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda gesprochen. Der volle Text seines Referats steht auf der Homepage der deutschen Bischöfe, www.dbk.de. Wir geben hier eine gekürzte Fassung des Vortrages wieder, wie sie heute von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgedruckt wurde.
"Drei Themen aus dem Bereich unserer Kirche haben während des Sommers besonders Aufsehen erregt. Ein Thema kam nicht durch kirchliche Initiative in die Öffentlichkeit. Im Hessischen Landtag gab es eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von biologischer Evolutionslehre und biblischem Schöpfungsverständnis im Blick auf die Behandlung im Religionsunterricht. Der Apostolische Stuhl veröffentlichte am 7. Juli und am 10. Juli, also innerhalb weniger Tage, zwei Dokumente, die viel Staub aufwirbelten: Das Motu Proprio "Summorum Pontificum" über den Gebrauch einer ordentlichen und außerordentlichen Form der Messe, besonders in Gestalt des Missale Romanum von 1962, verbunden mit einem Brief des Heiligen Vaters, Papst Benedikt XVI., an die Bischöfe. Drei Tage später veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre ein Dokument "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche".

Während das Apostolische Schreiben zur Messe vor allem innerkirchliche Resonanz erzeugte, hat das Dokument der Glaubenskongregation allgemein eine große Aufmerksamkeit und in besonderer Weise die Enttäuschung der evangelischen Kirchen hervorgerufen. Diese Auseinandersetzung dauerte länger an und erhielt gelegentlich die Züge einer regelrechten Kampagne, die einerseits schroff und heftig war, anderseits aber bei nicht wenigen Reaktionen die Erinnerung an alte antikatholische Positionen wachrief. Die Sache selbst blieb dann weitgehend auf der Strecke. Darum möchte ich mich mit dem Hintergrund und Sinn dieses Dokumentes befassen, selbstverständlich auch in ökumenischer Perspektive.
Dabei kann es hilfreich sein, beinahe thesenförmig die grundlegenden Einwände vor allem von evangelischer Seite gegen das Dokument der Glaubenskongregation in Erinnerung zu rufen: Rom stehe nicht die Entscheidung darüber zu, wer Kirche "im eigentlichen Sinn" sei, am ehesten noch, wer Kirche "im katholischen Sinn" sei; wer den Anspruch als Kirche erhebe, sie sei allein die angemessene Gestalt des Grundes, auf dem die Kirche steht: Jesus Christus selbst, degradiere andere Kirchen und gefährde das Zusammenwirken der konkreten Gestaltungen von Kirche; wer sich so verhalte, zeige keinen Sinn für die Relativität des eigenen Standortes; die Verweigerung der Anerkennung des Kircheseins zeuge, wenn es öfter wiederholt wird, von Fahrlässigkeit und müsse sich den Vorwurf vorsätzlichen Handelns gefallen lassen; das ökumenische Vorgehen der katholischen Kirche leide unter einem "Paradox auf Dauer", weil es immer wieder die Einladung zu einem ökumenischen Miteinander mit einem Überlegenheitsbewusstsein zu verbinden suche.
Ich will versuchen, das katholische Selbstverständnis besser und verständlicher aus seinen eigenen Gründen heraus darzulegen.
Der Stein des
Anstoßes
Stein des Anstoßes ist vor allem die Interpretation der Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Wesen der Kirche und das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den nicht-katholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Die entscheidende Aussage findet sich im Artikel acht des ersten Kapitels der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" (LG), das über das Mysterium der Kirche handelt: "Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18 ff.), für immer hat er sie als ,Säule und Feste der Wahrheit' errichtet (1 Tim 3,15). Diese Kirche [hac Ecclesia] in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche [subsistit in Ecclesia catholica], die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen."
Zunächst muss festgestellt werden, dass dieses erste Kapitel bis zur Schlussabstimmung insgesamt in vier Textfassungen beziehungsweise Redaktionsstufen vorlag. Im Blick auf die Stelle mit dem subsistit in fällt auf, dass bis in die vorletzte Fassung hinein die Aussage eine eindeutige Identifikation der Kirche mit der katholischen Kirche vorsah, ausgedrückt durch die sprachliche Verwendung eines "ist". In den früheren Textfassungen war die Identifizierung noch mit dem Zusatz römisch-katholische Kirche versehen. Wichtig ist noch, dass der frühere Ausdruck "Romanus Pontifex" durch "Successor Petri" ersetzt worden ist, um stärker den Gedanken der Nachfolge ins Spiel zu bringen und auch dem Denken der katholischen Ostkirchen mehr Rechnung zu tragen. Bei der Erwähnung, dass außerhalb der katholischen Kirche auch "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind", hat man bewusst "der Wahrheit" hinzugefügt.
Das est an dieser Stelle brachte die fast selbstverständliche Überzeugung zum Ausdruck, dass es zwischen der Kirche Jesu Christi und der römisch-katholischen Kirche im Sinne einer Gleichheit eine Identität gibt. Dies gehörte zu den Voraussetzungen des Kirchenverständnisses, die kaum diskutiert oder gar angegriffen wurden. Nun hatte das Konzil bewusst einen anderen Weg eingeschlagen. Es ging nicht wie bisher oft um die Heilsmöglichkeit nicht-katholischer Christen, sondern es ging ganz entscheidend um die Feststellung, dass es in den nicht-katholischen christlichen Gemeinschaften authentische ekklesiale Elemente gibt. So musste man sich über diese Feststellung hinaus auch die Frage stellen, wie diese "Elemente" von Kirchlichkeit verstanden werden können, und zwar im Lichte der bisherigen exklusiv begriffenen Identitätsbeziehung zwischen Kirche Jesu Christi und römisch-katholischer Kirche. Man hat nach einem neuen Wort gesucht und sich in der Theologischen Kommission schließlich darauf geeinigt, das est durch subsistit zu ersetzen. Man gewinnt jedoch nicht den Eindruck, dass dieser Wechsel insgesamt in der Theologischen Kommission und in der Vollversammlung des Konzils eine größere Aufmerksamkeit gefunden hat. Dies darf aber nicht so gedeutet werden, als ob das subsistit im Grunde die gleiche Bedeutung habe wie ein exklusiv verstandenes est.
Nun wird bei der Deutung des subsistit oft verdunkelt, worum es geht, sodass schon die Ansätze der Interpretation darunter leiden. Eine dieser Voraussetzungen geht dahin, dass das Zweite Vatikanische Konzil die völlige Gleichstellung zwischen der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche aufgeben wollte oder aufgegeben habe. Gegenüber einer so vieldeutigen Annahme kann man jedoch zwei Perspektiven schon vom Ansatz her klären: Erstens: Die wahre und einzige Kirche Jesu Christi existiert konkret geschichtlich. Sie ist damit erkennbar und sichtbar. Zweitens: Die konkrete Existenzform dieser von Jesus Christus gestifteten Kirche ist die katholische Kirche. So wird zwar kein absolutes, exklusives Identitätsurteil ausgesprochen, aber es wird auch keine Unklarheit gelassen über die Erkennbarkeit der Kirche Jesu Christi, und darüber, wo diese geschichtlich-konkret zu finden ist.
Eine solche Deutung wird aber nur vor dem Hintergrund verständlich, der im Konzil eine Rolle spielte. Man hat nämlich der Tatsache Rechnung tragen wollen, "dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind". Es war gewiss eine Art von Kunststück, ohne Zweideutigkeiten und Unklarheiten einerseits daran festzuhalten, dass die Kirche Jesu Christi ihre konkrete Existenzform in der katholischen Kirche hat, und anderseits, dass es unbeschadet dieser grundsätzlichen Position Raum für die Auffassung gibt, es gebe in den von der katholischen Kirche getrennten Kirchen echte kirchliche Elemente, sodass diese Kirchen auch irgendwie am Kirchesein teilhaben.
Diese Probleme hat das Konzil im Einzelnen nicht mehr zu Ende gedacht. Es war auch nicht seine Aufgabe. In gewisser Weise hat es, was die Ausgestaltung der Beziehung zwischen der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche einerseits und im Verhältnis beider zu den anderen Kirchen betrifft, weitere Klärungen offen gelassen. Das subsistit ist das Bindeglied, von dessen Interpretation viel für das Verständnis einer Verhältnisbestimmung abhängig ist.
Nun ist es aber notwendig, den inhaltlichen Sinn des subsistit näher ins Auge zu fassen. Es ist zunächst klar, dass die Verwendung des Ausdrucks subsistit statt des früheren est keine Veränderung in der festen Überzeugung von der substanziellen Identität der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche mit sich bringt. Die Kirche Jesu Christi ist nicht eine geschichtsferne Vision. Sie ist auch nicht einfach eine unerreichbare Utopie. "Für die Konstitution, die hier einfach die beständige katholische Glaubensüberzeugung formuliert, ist die eine Kirche Jesu Christi in der sichtbaren katholischen Kirche real gegeben und nicht etwa eine hinter den konkreten Kirchentümern verborgen bleibende Größe, die sich dann faktisch in den verschiedenen Konfessionen und kirchlichen Gemeinschaften verwirklichen würde." (Joseph Ratzinger)
Wenn nun klar belegt ist, dass die Veränderung zum subsistit hin keine Aufhebung oder Abschwächung des katholischen Selbstverständnisses von Kirche ist, muss auch nach der anderen Seite hin deutlich bleiben, dass durch die Ersetzung des est durch subsistit in der Einschätzung der theologischen und besonders ekklesialen Qualität der nicht-katholischen Kirchen wirklich eine vertiefte Erkenntnis vorliegt, die nicht verkürzt oder gar geleugnet werden darf.
Der Wechsel vom est zum subsistit erklärt sich ja vor allem deshalb, weil diese Fassung des Textes besser in Übereinstimmung gebracht werden konnte mit dem ergänzenden wichtigen Nebensatz in LG 8: "Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen." Es wird vorausgesetzt und zugleich festgestellt, dass diese "Elemente der Heiligung und der Wahrheit" Aussagen über das Kirchesein der nicht-katholischen Kirchen sind, auch wenn dieses Kirchesein noch unvollkommen und sogar mit Mängeln belastet ist.
Um den Sinn dieser Formulierung "Elemente der Heiligung und der Wahrheit" voll zu erfassen, muss man zwei andere Konzilstexte heranziehen. So heißt es in Artikel 15, der bald auf den Artikel acht folgt, dass es, trotz einer noch unvollkommenen Einheit, wichtige Gemeinsamkeiten gibt: "Viele nämlich halten die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott, den allmächtigen Vater, und an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Mehrere unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die hl. Eucharistie und pflegen die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter. Dazu kommt die Gemeinschaft im Gebet und in anderen geistlichen Gütern; ja sogar eine wahre Verbindung im heiligen Geiste, der in Gaben und Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist und manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat. So erweckt der Geist in allen Jüngern Christi Sehnsucht und Tat, dass alle in der von Christus angeordneten Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden geeint werden mögen." Es ist von der nun präzisierten Rede dieser "Elemente" her deutlich, dass auch der Begriff der kirchlichen Gemeinschaften nicht nur eine bloß soziologische Bezeichnung darstellt.

Diese Aussagen, die noch zurückhaltend sind, werden nun genauer entfaltet und inhaltlich präzisiert im Artikel 3 des Ökumenismusdekretes "Unitatis redintegratio". Es wird dargelegt, wie die Christen durch die recht empfangene Taufe "in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche" stehen. Es ist eigens von den Hindernissen die Rede, die der vollen kirchlichen Gemeinschaft entgegenstehen. "Nichtsdestoweniger sind sie durch den Glauben in der Taufe gerechtfertigt und Christus eingegliedert, darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden sie von den Söhnen der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt." Daraufhin folgert der Text: "Hinzu kommt, dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können: Das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente: all dieses, das von Christus ausgeht und zu ihm hinführt, gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi." Es wird auch nicht bestritten, dass es liturgische Handlungen gibt, die "ohne Zweifel tatsächlich das Leben der Gnade bezeugen können und als geeignete Mittel für den Zutritt zur Gemeinschaft des Heils angesehen werden müssen". Ja, die nicht-katholischen Kirchen haben trotz einiger Mängel auch Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles: "Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet."
Eine Gemeinschaft
gegenseitigen Andersseins?
Diese Aussagen sind und bleiben ökumenisch höchst bedeutsame Worte. Es ist erstaunlich, dass sie bei den Auseinandersetzungen um das Dokument der Glaubenskongregation vom 10. Juli 2007 eine ganz geringe Rolle gespielt haben. Bei allen Einschränkungen und notwendigen Differenzierungen ist hier eine ganz grundlegende Anerkennung der authentischen ekklesialen Realität und bei aller Unvollkommenheit des Kircheseins ausgesprochen.
Die Klage über die eingeschränkte oder fehlende Anerkennung als Kirche erweckt den Eindruck, als ob es dies nur von katholischer Seite her gebe. Hier muss ich im Sinne einer Aufarbeitung von Hindernissen aus der Vergangenheit auf eine Aussage in den lutherischen Bekenntnisschriften verweisen. Der alternde Luther formuliert in Sorge um die Aufweichung seiner Position in den Verhandlungen um ein politisches Bündnis evangelischer Stände und in möglichen konziliaren Verhandlungen mit den "Altgläubigen" in sehr schroffer Form über die römisch-katholische Seite (1537): "Wir gestehen ihnen nicht, dass sie die Kirche seien, und sind's auch nicht, und wollen (sie')s auch nicht hören, was sie unter dem Namen der Kirche gebieten oder verbieten." Ich kenne kein offizielles Wort zu dieser Aussage, die immerhin zu den Bekenntnisschriften zählt, wenngleich faktisch wohl eine Korrektur angenommen werden darf.
Ich glaube nicht, dass es einen Sinn hat, die Frage nach der Bedeutung des subsistit dadurch zu entschärfen, dass man die Herausforderung der wirklichen Einheit der Kirche entschärft. Dies kann auf hohem Niveau geschehen. Auf diese Weise versucht es Eberhard Jüngel, wenn er das subsistit im Zusammenhang der Trinitätslehre der Alten Kirche so deutet: Ähnlich wie die drei "Personen" auch als die drei individuellen Existenzweisen des einen göttlichen Wesens bezeichnet werden können, so kann es auch unter den Kirchen "eine Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins" geben. Es war nicht nur Joseph Ratzinger, der hier nicht bloß aus dogmengeschichtlichen Erwägungen widersprochen hat: "Vor allem aber bin ich ganz entschieden gegen die immer mehr in Mode kommende Art, das trinitarische Verhältnis direkt auf die Kirche zu übertragen. Das geht nicht. Da enden wir in einem Drei-Götter-Glauben."
Immer mehr kann man auch den Eindruck gewinnen, der Begriff der Kirche würde im ökumenischen Gespräch spiritualisiert und damit in gewisser Weise gegen die Sichtbarkeit der Kirche gewendet. Es ist wohl zu lange übersehen worden, dass Luther schon früh (1520) das Faktum einer äußeren Struktur zum Wesen der Kirche als einer "Gemeinschaft der Glaubenden" zählte. Immer wieder gebraucht er hier auch das Verhältnis von Leib und Seele als anschauliches Modell. Wenn dies angenommen wird, dann ist auch deutlich, dass die Frage nach der Einheit der Kirche sich in diesem Sinne auf die "sichtbare Kirche" und so auch auf eine "sichtbare Einheit" bezieht, was freilich in der heutigen ökumenischen Diskussion eher zurücktritt.
Diese Probleme verdichten sich nun in der Frage nach dem, was die Kirche zur Kirche macht. Die Antwort der Reformation ist im Blick auf die Confessio Augustana (CA) von 1530 in Artikel VII eindeutig: "Es wird auch gelehrt, dass alle Zeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden."
Lange und auch heute noch sehr oft wird dies so interpretiert, dass das Amt außerhalb dieser Kriterien für das Kirchesein steht. In Vorbereitung des 450. Jubiläums der Confessio Augustana haben evangelische und katholische Theologen einen gemeinsamen Kommentar zu den entsprechenden Artikeln abgefasst und ein präziseres Ergebnis erzielen können. Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen hat sich ebenfalls im selben Zeitraum und im Zusammenhang des Jubiläums des Augsburgischen Bekenntnisses mit den Problemen befasst. Dabei war man sich einig, dass es besonders in Artikel VII nicht genannte Voraussetzungen der Evangeliumspredigt und der Sakramentsverwaltung gibt. Schließlich fand der Ökumenische Arbeitskreis zu folgender Verständigung: "Das Apostolische Amt steht nicht auf derselben Ebene wie Verkündigung des Evangeliums und Spendung des Sakramentes; es ist vielmehr beiden dienend zugeordnet . . . Die Gemeinde ist auf die Gemeinschaft mit dem Apostolischen Amt angewiesen; es bedarf aber auch das Amt der Rezeption durch die kirchliche Gemeinschaft." Dies hat zum Ergebnis, dass mit der Evangeliumsverkündigung und der Sakramentenspendung mindestens das Apostolische Amt, aus dem die anderen Dienste und Ämter hervorgehen, gleichursprünglich mit diesen beiden Grundvollzügen zusammengesehen werden muss.
Diese Probleme haben eine große Bedeutung für die Diskussion über die Modelle, wie eine Einheit der Kirchen in einer sichtbaren Gemeinschaft erreicht werden soll. Dies spiegelt natürlich auch die eben erwähnten Probleme um das Amt. Das Modell "Versöhnte Verschiedenheit" ist in den letzten Jahren eine in hohem Maß akzeptierte Einheitsvorstellung geworden. Dieses lutherisch orientierte Modell setzt aber letztlich CA VII in einem Verständnis voraus, dass das Apostolische Amt als Kriterium - wie immer dies genauer verstanden wird - ausklammert. Damit ist auch ein enger Zusammenhang mit der Leuenberger Konkordie gegeben (1973). Wenn die "Versöhnte Verschiedenheit" grundlegend die Frage nach der Struktur des Amtes unter den Kriterien der Konstituierung von Kirche ausklammert, ist sie für die katholische Kirche nach meinem Urteil kein geeigneter Weg für das weitere ökumenische Gespräch.
Schließlich muss noch eine letzte Frage zur Vertiefung der Diskussion gestellt werden: In der Diskussion über das Dokument der Glaubenskongregation vom 10. Juli 2007 ist von evangelischer Seite immer wieder darauf aufmerksam gemacht worden, dass die evangelische Kirche eine 1500 Jahre umfassende gemeinsame Geschichte mit der katholischen und orthodoxen Kirche hat. Aufmerksamkeit erregt hat der Satz von Bischof Wolfgang Huber aus seiner Hamburger Rede vom 25. August 2007: "Die evangelische Kirche ist die katholische Kirche, die durch die Reformation hindurchgegangen ist." Er macht auch darauf aufmerksam, dass man manchmal diese Gemeinsamkeit mit der alten und mittelalterlichen Kirche vernachlässigt hat. Vielfach wird ja die Reformation weitgehend als Startzeichen für die Neuzeit und als Morgenröte der Moderne gefeiert.
Das Wesen des
Christentums
Aber manchmal hat man aus diesem Befund auch eine radikale Konsequenz gezogen. Man kann dies besonders im Verständnis des großen Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack sehen. Seine grundsätzliche Auffassung hat er in den Vorlesungen (1899/1900) und in der Schrift "Das Wesen des Christentums" zum Ausdruck gebracht. Er ist der Meinung, dass die Reformation und ihr geschichtlicher Fortgang nicht mehr in einem traditionell katholischen Sinne orientiert sein können und bezieht dies auf den "alten Begriff der ,Kirche'" und "den alten Begriff des ,Dogmas'". Daraus folgert er: "Der Protestantismus muss rund bekennen, dass er eine Kirche wie die katholische nicht sein will und nicht sein kann, dass er alle formalen Autoritäten ablehnt, und dass er ausschließlich auf den Eindruck rechnet, welchen die Botschaft von Gott und dem Vater Jesu Christi und unserm Vater hervorruft." Auch auf solche Vorstellungen hin ist eine Klärung notwendig, wenn das ökumenische Gespräch fruchtbar bleiben will.
Selbstverständlich muss auch die katholische Kirche im Blick auf das Dokument vom 10. Juli 2007 mit sich zu Rate gehen. Ich will nur in wenigen Thesen einige Hinweise geben: Es ist nicht angebracht, selbst notwendige Erinnerungen und Mahnungen verbindlicher Aussagen der Kirche, besonders im ökumenischen Gespräch, im Abstand von wenigen Jahren nur zu wiederholen. Dies ist besonders missverständlich, wenn die Einschärfung verbindlicher Entscheidungen sehr knapp erfolgt und manchmal auch frühere Texte einseitig ausgewählt und ausgelegt werden.
Es gibt auch auf katholischer Seite auf der theologischen Ebene weiterführende Überlegungen, die sorgfältiger Beachtung bedürfen. So kann man sich auch fragen, ob das etwas steife und wenig bestimmte Wort "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit" (LG 8) wenigstens im Lauf der Zeit durch den Fortgang der ökumenischen Kontakte und der ökumenischen Gespräche aufgefüllt und verlebendigt werden könnte. Joseph Ratzinger sagte schon im Blick auf "Dominus Iesus": "Vielleicht gibt es ein besseres Wort als ,Elemente', aber der sachliche Sinn ist doch offenkundig: Das Leben des Glaubens, dem die Kirche dient, ist ein vielschichtiges Gebilde, und da kann man durchaus ,Elemente' unterscheiden, die in oder eben auch außer ihr da sind."
Um zu einem weniger konflikthaltigen Text zu kommen, ist eine viel engere Zusammenarbeit zwischen der Kongregation für die Glaubenslehre und dem Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit der Christen notwendig, damit der Einheitsrat auch seine eigenen Erfahrungen in ein solches Dokument wirksam einbringen kann.
Vieles von dem, was in den letzten Jahrzehnten im ökumenischen Gespräch erreicht worden ist, ist in letzter Zeit nicht mehr präsent, vergessen und auch verdrängt worden. Ich möchte deshalb einen Vorschlag von Harding Meyer mir zu eigen machen, der auf dem Weg der kirchlichen Rezeption "In-via-Erklärungen" als Vergewisserungen wachsender Glaubensgemeinschaft und für den festzuhaltenden Ertrag des Dialogs gefordert hat und dabei auch einen thesenhaften Vorschlag gemacht hat, von dem ich glaube, dass man ihm in hohem Maß zustimmen kann. Es ist gut, wenn wir auf einen hochverdienten, kompetenten Pionier des evangelisch-katholischen Dialogs der letzten Jahrzehnte hören. Dazu möchte ich alle einladen."

(Quelle: faz.net. Volltext auf www.dbk.de)







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