Dokument: "Selbstverständlich katholisch." Von Kard. Lehmann.
Über das katholische Selbstverständnis hat Kardinal Karl Lehmann gestern Abend beim
Auftakt der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda gesprochen. Der
volle Text seines Referats steht auf der Homepage der deutschen Bischöfe, www.dbk.de.
Wir geben hier eine gekürzte Fassung des Vortrages wieder, wie sie heute von der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" abgedruckt wurde. "Drei Themen aus dem Bereich unserer Kirche
haben während des Sommers besonders Aufsehen erregt. Ein Thema kam nicht durch kirchliche
Initiative in die Öffentlichkeit. Im Hessischen Landtag gab es eine Auseinandersetzung
über das Verhältnis von biologischer Evolutionslehre und biblischem Schöpfungsverständnis
im Blick auf die Behandlung im Religionsunterricht. Der Apostolische Stuhl veröffentlichte
am 7. Juli und am 10. Juli, also innerhalb weniger Tage, zwei Dokumente, die viel
Staub aufwirbelten: Das Motu Proprio "Summorum Pontificum" über den Gebrauch einer
ordentlichen und außerordentlichen Form der Messe, besonders in Gestalt des Missale
Romanum von 1962, verbunden mit einem Brief des Heiligen Vaters, Papst Benedikt XVI.,
an die Bischöfe. Drei Tage später veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre
ein Dokument "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die
Kirche".
Während das Apostolische Schreiben zur Messe vor allem innerkirchliche
Resonanz erzeugte, hat das Dokument der Glaubenskongregation allgemein eine große
Aufmerksamkeit und in besonderer Weise die Enttäuschung der evangelischen Kirchen
hervorgerufen. Diese Auseinandersetzung dauerte länger an und erhielt gelegentlich
die Züge einer regelrechten Kampagne, die einerseits schroff und heftig war, anderseits
aber bei nicht wenigen Reaktionen die Erinnerung an alte antikatholische Positionen
wachrief. Die Sache selbst blieb dann weitgehend auf der Strecke. Darum möchte ich
mich mit dem Hintergrund und Sinn dieses Dokumentes befassen, selbstverständlich auch
in ökumenischer Perspektive. Dabei kann es hilfreich sein, beinahe thesenförmig
die grundlegenden Einwände vor allem von evangelischer Seite gegen das Dokument der
Glaubenskongregation in Erinnerung zu rufen: Rom stehe nicht die Entscheidung darüber
zu, wer Kirche "im eigentlichen Sinn" sei, am ehesten noch, wer Kirche "im katholischen
Sinn" sei; wer den Anspruch als Kirche erhebe, sie sei allein die angemessene Gestalt
des Grundes, auf dem die Kirche steht: Jesus Christus selbst, degradiere andere Kirchen
und gefährde das Zusammenwirken der konkreten Gestaltungen von Kirche; wer sich so
verhalte, zeige keinen Sinn für die Relativität des eigenen Standortes; die Verweigerung
der Anerkennung des Kircheseins zeuge, wenn es öfter wiederholt wird, von Fahrlässigkeit
und müsse sich den Vorwurf vorsätzlichen Handelns gefallen lassen; das ökumenische
Vorgehen der katholischen Kirche leide unter einem "Paradox auf Dauer", weil es immer
wieder die Einladung zu einem ökumenischen Miteinander mit einem Überlegenheitsbewusstsein
zu verbinden suche. Ich will versuchen, das katholische Selbstverständnis besser
und verständlicher aus seinen eigenen Gründen heraus darzulegen. Der Stein des Anstoßes Stein
des Anstoßes ist vor allem die Interpretation der Aussage des Zweiten Vatikanischen
Konzils über das Wesen der Kirche und das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche
zu den nicht-katholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Die entscheidende
Aussage findet sich im Artikel acht des ersten Kapitels der Dogmatischen Konstitution
über die Kirche "Lumen Gentium" (LG), das über das Mysterium der Kirche handelt: "Dies
ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige,
katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner
Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er
ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18 ff.), für immer hat er sie
als ,Säule und Feste der Wahrheit' errichtet (1 Tim 3,15). Diese Kirche [hac Ecclesia]
in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen
Kirche [subsistit in Ecclesia catholica], die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen
in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres
Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als
der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen." Zunächst
muss festgestellt werden, dass dieses erste Kapitel bis zur Schlussabstimmung insgesamt
in vier Textfassungen beziehungsweise Redaktionsstufen vorlag. Im Blick auf die Stelle
mit dem subsistit in fällt auf, dass bis in die vorletzte Fassung hinein die Aussage
eine eindeutige Identifikation der Kirche mit der katholischen Kirche vorsah, ausgedrückt
durch die sprachliche Verwendung eines "ist". In den früheren Textfassungen war die
Identifizierung noch mit dem Zusatz römisch-katholische Kirche versehen. Wichtig ist
noch, dass der frühere Ausdruck "Romanus Pontifex" durch "Successor Petri" ersetzt
worden ist, um stärker den Gedanken der Nachfolge ins Spiel zu bringen und auch dem
Denken der katholischen Ostkirchen mehr Rechnung zu tragen. Bei der Erwähnung, dass
außerhalb der katholischen Kirche auch "vielfältige Elemente der Heiligung und der
Wahrheit zu finden sind", hat man bewusst "der Wahrheit" hinzugefügt. Das est an
dieser Stelle brachte die fast selbstverständliche Überzeugung zum Ausdruck, dass
es zwischen der Kirche Jesu Christi und der römisch-katholischen Kirche im Sinne einer
Gleichheit eine Identität gibt. Dies gehörte zu den Voraussetzungen des Kirchenverständnisses,
die kaum diskutiert oder gar angegriffen wurden. Nun hatte das Konzil bewusst einen
anderen Weg eingeschlagen. Es ging nicht wie bisher oft um die Heilsmöglichkeit nicht-katholischer
Christen, sondern es ging ganz entscheidend um die Feststellung, dass es in den nicht-katholischen
christlichen Gemeinschaften authentische ekklesiale Elemente gibt. So musste man sich
über diese Feststellung hinaus auch die Frage stellen, wie diese "Elemente" von Kirchlichkeit
verstanden werden können, und zwar im Lichte der bisherigen exklusiv begriffenen Identitätsbeziehung
zwischen Kirche Jesu Christi und römisch-katholischer Kirche. Man hat nach einem neuen
Wort gesucht und sich in der Theologischen Kommission schließlich darauf geeinigt,
das est durch subsistit zu ersetzen. Man gewinnt jedoch nicht den Eindruck, dass dieser
Wechsel insgesamt in der Theologischen Kommission und in der Vollversammlung des Konzils
eine größere Aufmerksamkeit gefunden hat. Dies darf aber nicht so gedeutet werden,
als ob das subsistit im Grunde die gleiche Bedeutung habe wie ein exklusiv verstandenes
est. Nun wird bei der Deutung des subsistit oft verdunkelt, worum es geht, sodass
schon die Ansätze der Interpretation darunter leiden. Eine dieser Voraussetzungen
geht dahin, dass das Zweite Vatikanische Konzil die völlige Gleichstellung zwischen
der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche aufgeben wollte oder aufgegeben
habe. Gegenüber einer so vieldeutigen Annahme kann man jedoch zwei Perspektiven schon
vom Ansatz her klären: Erstens: Die wahre und einzige Kirche Jesu Christi existiert
konkret geschichtlich. Sie ist damit erkennbar und sichtbar. Zweitens: Die konkrete
Existenzform dieser von Jesus Christus gestifteten Kirche ist die katholische Kirche.
So wird zwar kein absolutes, exklusives Identitätsurteil ausgesprochen, aber es wird
auch keine Unklarheit gelassen über die Erkennbarkeit der Kirche Jesu Christi, und
darüber, wo diese geschichtlich-konkret zu finden ist. Eine solche Deutung wird
aber nur vor dem Hintergrund verständlich, der im Konzil eine Rolle spielte. Man hat
nämlich der Tatsache Rechnung tragen wollen, "dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige
Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind". Es war gewiss eine Art von
Kunststück, ohne Zweideutigkeiten und Unklarheiten einerseits daran festzuhalten,
dass die Kirche Jesu Christi ihre konkrete Existenzform in der katholischen Kirche
hat, und anderseits, dass es unbeschadet dieser grundsätzlichen Position Raum für
die Auffassung gibt, es gebe in den von der katholischen Kirche getrennten Kirchen
echte kirchliche Elemente, sodass diese Kirchen auch irgendwie am Kirchesein teilhaben.
Diese Probleme hat das Konzil im Einzelnen nicht mehr zu Ende gedacht. Es war
auch nicht seine Aufgabe. In gewisser Weise hat es, was die Ausgestaltung der Beziehung
zwischen der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche einerseits und im Verhältnis
beider zu den anderen Kirchen betrifft, weitere Klärungen offen gelassen. Das subsistit
ist das Bindeglied, von dessen Interpretation viel für das Verständnis einer Verhältnisbestimmung
abhängig ist. Nun ist es aber notwendig, den inhaltlichen Sinn des subsistit näher
ins Auge zu fassen. Es ist zunächst klar, dass die Verwendung des Ausdrucks subsistit
statt des früheren est keine Veränderung in der festen Überzeugung von der substanziellen
Identität der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche mit sich bringt. Die
Kirche Jesu Christi ist nicht eine geschichtsferne Vision. Sie ist auch nicht einfach
eine unerreichbare Utopie. "Für die Konstitution, die hier einfach die beständige
katholische Glaubensüberzeugung formuliert, ist die eine Kirche Jesu Christi in der
sichtbaren katholischen Kirche real gegeben und nicht etwa eine hinter den konkreten
Kirchentümern verborgen bleibende Größe, die sich dann faktisch in den verschiedenen
Konfessionen und kirchlichen Gemeinschaften verwirklichen würde." (Joseph Ratzinger) Wenn
nun klar belegt ist, dass die Veränderung zum subsistit hin keine Aufhebung oder Abschwächung
des katholischen Selbstverständnisses von Kirche ist, muss auch nach der anderen Seite
hin deutlich bleiben, dass durch die Ersetzung des est durch subsistit in der Einschätzung
der theologischen und besonders ekklesialen Qualität der nicht-katholischen Kirchen
wirklich eine vertiefte Erkenntnis vorliegt, die nicht verkürzt oder gar geleugnet
werden darf. Der Wechsel vom est zum subsistit erklärt sich ja vor allem deshalb,
weil diese Fassung des Textes besser in Übereinstimmung gebracht werden konnte mit
dem ergänzenden wichtigen Nebensatz in LG 8: "Das schließt nicht aus, dass außerhalb
ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind,
die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen." Es
wird vorausgesetzt und zugleich festgestellt, dass diese "Elemente der Heiligung und
der Wahrheit" Aussagen über das Kirchesein der nicht-katholischen Kirchen sind, auch
wenn dieses Kirchesein noch unvollkommen und sogar mit Mängeln belastet ist. Um
den Sinn dieser Formulierung "Elemente der Heiligung und der Wahrheit" voll zu erfassen,
muss man zwei andere Konzilstexte heranziehen. So heißt es in Artikel 15, der bald
auf den Artikel acht folgt, dass es, trotz einer noch unvollkommenen Einheit, wichtige
Gemeinsamkeiten gibt: "Viele nämlich halten die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm
in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott, den
allmächtigen Vater, und an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, empfangen das Zeichen
der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen
auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Mehrere
unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die hl. Eucharistie und pflegen
die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter. Dazu kommt die Gemeinschaft im Gebet
und in anderen geistlichen Gütern; ja sogar eine wahre Verbindung im heiligen Geiste,
der in Gaben und Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist und
manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat. So erweckt der Geist
in allen Jüngern Christi Sehnsucht und Tat, dass alle in der von Christus angeordneten
Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden geeint werden mögen." Es
ist von der nun präzisierten Rede dieser "Elemente" her deutlich, dass auch der Begriff
der kirchlichen Gemeinschaften nicht nur eine bloß soziologische Bezeichnung darstellt.
Diese
Aussagen, die noch zurückhaltend sind, werden nun genauer entfaltet und inhaltlich
präzisiert im Artikel 3 des Ökumenismusdekretes "Unitatis redintegratio". Es wird
dargelegt, wie die Christen durch die recht empfangene Taufe "in einer gewissen, wenn
auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche" stehen. Es ist eigens
von den Hindernissen die Rede, die der vollen kirchlichen Gemeinschaft entgegenstehen.
"Nichtsdestoweniger sind sie durch den Glauben in der Taufe gerechtfertigt und Christus
eingegliedert, darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden
sie von den Söhnen der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt." Daraufhin
folgert der Text: "Hinzu kommt, dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente
oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch
außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können: Das geschriebene
Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben
des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente: all dieses, das von Christus ausgeht
und zu ihm hinführt, gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi." Es wird auch
nicht bestritten, dass es liturgische Handlungen gibt, die "ohne Zweifel tatsächlich
das Leben der Gnade bezeugen können und als geeignete Mittel für den Zutritt zur Gemeinschaft
des Heils angesehen werden müssen". Ja, die nicht-katholischen Kirchen haben trotz
einiger Mängel auch Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles: "Denn der Geist
Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen, deren Wirksamkeit
sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet." Eine
Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins? Diese Aussagen sind und bleiben ökumenisch
höchst bedeutsame Worte. Es ist erstaunlich, dass sie bei den Auseinandersetzungen
um das Dokument der Glaubenskongregation vom 10. Juli 2007 eine ganz geringe Rolle
gespielt haben. Bei allen Einschränkungen und notwendigen Differenzierungen ist hier
eine ganz grundlegende Anerkennung der authentischen ekklesialen Realität und bei
aller Unvollkommenheit des Kircheseins ausgesprochen. Die Klage über die eingeschränkte
oder fehlende Anerkennung als Kirche erweckt den Eindruck, als ob es dies nur von
katholischer Seite her gebe. Hier muss ich im Sinne einer Aufarbeitung von Hindernissen
aus der Vergangenheit auf eine Aussage in den lutherischen Bekenntnisschriften verweisen.
Der alternde Luther formuliert in Sorge um die Aufweichung seiner Position in den
Verhandlungen um ein politisches Bündnis evangelischer Stände und in möglichen konziliaren
Verhandlungen mit den "Altgläubigen" in sehr schroffer Form über die römisch-katholische
Seite (1537): "Wir gestehen ihnen nicht, dass sie die Kirche seien, und sind's auch
nicht, und wollen (sie')s auch nicht hören, was sie unter dem Namen der Kirche gebieten
oder verbieten." Ich kenne kein offizielles Wort zu dieser Aussage, die immerhin zu
den Bekenntnisschriften zählt, wenngleich faktisch wohl eine Korrektur angenommen
werden darf. Ich glaube nicht, dass es einen Sinn hat, die Frage nach der Bedeutung
des subsistit dadurch zu entschärfen, dass man die Herausforderung der wirklichen
Einheit der Kirche entschärft. Dies kann auf hohem Niveau geschehen. Auf diese Weise
versucht es Eberhard Jüngel, wenn er das subsistit im Zusammenhang der Trinitätslehre
der Alten Kirche so deutet: Ähnlich wie die drei "Personen" auch als die drei individuellen
Existenzweisen des einen göttlichen Wesens bezeichnet werden können, so kann es auch
unter den Kirchen "eine Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins" geben. Es war nicht
nur Joseph Ratzinger, der hier nicht bloß aus dogmengeschichtlichen Erwägungen widersprochen
hat: "Vor allem aber bin ich ganz entschieden gegen die immer mehr in Mode kommende
Art, das trinitarische Verhältnis direkt auf die Kirche zu übertragen. Das geht nicht.
Da enden wir in einem Drei-Götter-Glauben." Immer mehr kann man auch den Eindruck
gewinnen, der Begriff der Kirche würde im ökumenischen Gespräch spiritualisiert und
damit in gewisser Weise gegen die Sichtbarkeit der Kirche gewendet. Es ist wohl zu
lange übersehen worden, dass Luther schon früh (1520) das Faktum einer äußeren Struktur
zum Wesen der Kirche als einer "Gemeinschaft der Glaubenden" zählte. Immer wieder
gebraucht er hier auch das Verhältnis von Leib und Seele als anschauliches Modell.
Wenn dies angenommen wird, dann ist auch deutlich, dass die Frage nach der Einheit
der Kirche sich in diesem Sinne auf die "sichtbare Kirche" und so auch auf eine "sichtbare
Einheit" bezieht, was freilich in der heutigen ökumenischen Diskussion eher zurücktritt.
Diese Probleme verdichten sich nun in der Frage nach dem, was die Kirche zur Kirche
macht. Die Antwort der Reformation ist im Blick auf die Confessio Augustana (CA) von
1530 in Artikel VII eindeutig: "Es wird auch gelehrt, dass alle Zeit eine heilige,
christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist,
bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium
gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass
das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem
göttlichen Wort gemäß gereicht werden." Lange und auch heute noch sehr oft wird
dies so interpretiert, dass das Amt außerhalb dieser Kriterien für das Kirchesein
steht. In Vorbereitung des 450. Jubiläums der Confessio Augustana haben evangelische
und katholische Theologen einen gemeinsamen Kommentar zu den entsprechenden Artikeln
abgefasst und ein präziseres Ergebnis erzielen können. Der Ökumenische Arbeitskreis
evangelischer und katholischer Theologen hat sich ebenfalls im selben Zeitraum und
im Zusammenhang des Jubiläums des Augsburgischen Bekenntnisses mit den Problemen befasst.
Dabei war man sich einig, dass es besonders in Artikel VII nicht genannte Voraussetzungen
der Evangeliumspredigt und der Sakramentsverwaltung gibt. Schließlich fand der Ökumenische
Arbeitskreis zu folgender Verständigung: "Das Apostolische Amt steht nicht auf derselben
Ebene wie Verkündigung des Evangeliums und Spendung des Sakramentes; es ist vielmehr
beiden dienend zugeordnet . . . Die Gemeinde ist auf die Gemeinschaft mit dem Apostolischen
Amt angewiesen; es bedarf aber auch das Amt der Rezeption durch die kirchliche Gemeinschaft."
Dies hat zum Ergebnis, dass mit der Evangeliumsverkündigung und der Sakramentenspendung
mindestens das Apostolische Amt, aus dem die anderen Dienste und Ämter hervorgehen,
gleichursprünglich mit diesen beiden Grundvollzügen zusammengesehen werden muss. Diese
Probleme haben eine große Bedeutung für die Diskussion über die Modelle, wie eine
Einheit der Kirchen in einer sichtbaren Gemeinschaft erreicht werden soll. Dies spiegelt
natürlich auch die eben erwähnten Probleme um das Amt. Das Modell "Versöhnte Verschiedenheit"
ist in den letzten Jahren eine in hohem Maß akzeptierte Einheitsvorstellung geworden.
Dieses lutherisch orientierte Modell setzt aber letztlich CA VII in einem Verständnis
voraus, dass das Apostolische Amt als Kriterium - wie immer dies genauer verstanden
wird - ausklammert. Damit ist auch ein enger Zusammenhang mit der Leuenberger Konkordie
gegeben (1973). Wenn die "Versöhnte Verschiedenheit" grundlegend die Frage nach der
Struktur des Amtes unter den Kriterien der Konstituierung von Kirche ausklammert,
ist sie für die katholische Kirche nach meinem Urteil kein geeigneter Weg für das
weitere ökumenische Gespräch. Schließlich muss noch eine letzte Frage zur Vertiefung
der Diskussion gestellt werden: In der Diskussion über das Dokument der Glaubenskongregation
vom 10. Juli 2007 ist von evangelischer Seite immer wieder darauf aufmerksam gemacht
worden, dass die evangelische Kirche eine 1500 Jahre umfassende gemeinsame Geschichte
mit der katholischen und orthodoxen Kirche hat. Aufmerksamkeit erregt hat der Satz
von Bischof Wolfgang Huber aus seiner Hamburger Rede vom 25. August 2007: "Die evangelische
Kirche ist die katholische Kirche, die durch die Reformation hindurchgegangen ist."
Er macht auch darauf aufmerksam, dass man manchmal diese Gemeinsamkeit mit der alten
und mittelalterlichen Kirche vernachlässigt hat. Vielfach wird ja die Reformation
weitgehend als Startzeichen für die Neuzeit und als Morgenröte der Moderne gefeiert.
Das Wesen des Christentums Aber manchmal hat man aus diesem Befund auch
eine radikale Konsequenz gezogen. Man kann dies besonders im Verständnis des großen
Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack sehen. Seine grundsätzliche Auffassung
hat er in den Vorlesungen (1899/1900) und in der Schrift "Das Wesen des Christentums"
zum Ausdruck gebracht. Er ist der Meinung, dass die Reformation und ihr geschichtlicher
Fortgang nicht mehr in einem traditionell katholischen Sinne orientiert sein können
und bezieht dies auf den "alten Begriff der ,Kirche'" und "den alten Begriff des ,Dogmas'".
Daraus folgert er: "Der Protestantismus muss rund bekennen, dass er eine Kirche wie
die katholische nicht sein will und nicht sein kann, dass er alle formalen Autoritäten
ablehnt, und dass er ausschließlich auf den Eindruck rechnet, welchen die Botschaft
von Gott und dem Vater Jesu Christi und unserm Vater hervorruft." Auch auf solche
Vorstellungen hin ist eine Klärung notwendig, wenn das ökumenische Gespräch fruchtbar
bleiben will. Selbstverständlich muss auch die katholische Kirche im Blick auf
das Dokument vom 10. Juli 2007 mit sich zu Rate gehen. Ich will nur in wenigen Thesen
einige Hinweise geben: Es ist nicht angebracht, selbst notwendige Erinnerungen und
Mahnungen verbindlicher Aussagen der Kirche, besonders im ökumenischen Gespräch, im
Abstand von wenigen Jahren nur zu wiederholen. Dies ist besonders missverständlich,
wenn die Einschärfung verbindlicher Entscheidungen sehr knapp erfolgt und manchmal
auch frühere Texte einseitig ausgewählt und ausgelegt werden. Es gibt auch auf
katholischer Seite auf der theologischen Ebene weiterführende Überlegungen, die sorgfältiger
Beachtung bedürfen. So kann man sich auch fragen, ob das etwas steife und wenig bestimmte
Wort "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit" (LG 8) wenigstens im Lauf
der Zeit durch den Fortgang der ökumenischen Kontakte und der ökumenischen Gespräche
aufgefüllt und verlebendigt werden könnte. Joseph Ratzinger sagte schon im Blick auf
"Dominus Iesus": "Vielleicht gibt es ein besseres Wort als ,Elemente', aber der sachliche
Sinn ist doch offenkundig: Das Leben des Glaubens, dem die Kirche dient, ist ein vielschichtiges
Gebilde, und da kann man durchaus ,Elemente' unterscheiden, die in oder eben auch
außer ihr da sind." Um zu einem weniger konflikthaltigen Text zu kommen, ist eine
viel engere Zusammenarbeit zwischen der Kongregation für die Glaubenslehre und dem
Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit der Christen notwendig, damit der Einheitsrat
auch seine eigenen Erfahrungen in ein solches Dokument wirksam einbringen kann. Vieles
von dem, was in den letzten Jahrzehnten im ökumenischen Gespräch erreicht worden ist,
ist in letzter Zeit nicht mehr präsent, vergessen und auch verdrängt worden. Ich möchte
deshalb einen Vorschlag von Harding Meyer mir zu eigen machen, der auf dem Weg der
kirchlichen Rezeption "In-via-Erklärungen" als Vergewisserungen wachsender Glaubensgemeinschaft
und für den festzuhaltenden Ertrag des Dialogs gefordert hat und dabei auch einen
thesenhaften Vorschlag gemacht hat, von dem ich glaube, dass man ihm in hohem Maß
zustimmen kann. Es ist gut, wenn wir auf einen hochverdienten, kompetenten Pionier
des evangelisch-katholischen Dialogs der letzten Jahrzehnte hören. Dazu möchte ich
alle einladen."